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Holmgang (AD 866)
Es war ein kalter, nebliger Frühlingsmorgen in East Anglia und Reif bedeckte den Boden, als Snorri Godi den heiligen Mantel vor uns ausbreitete, vor mir und Leif, meinem Bruder und Schildträger, und vor Thorbjörn und seinem Schildträger, dessen Namen ich nicht kannte.
Der Godi hämmerte die Tiösnur, die Pfähle, in die Schlaufen an den vier Ecken, um den Mantel zu befestigen. Dann beugte er sich vor, bis er den Himmel zwischen seinen Beinen sehen konnte, drehte sich im Kreis und murmelte den Schutzzauber gegen den Bösen Blick.
Er richtete sich wieder auf, wobei die Knie des Alten hörbar knackten, griff mit verzogenem Gesicht nach seinem Schwert und ritzte drei Umrandungen in den Boden um den Mantel. Schließlich schob er das Schwert zurück in die Scheide und umkreiste das Geviert ein letztes Mal, wobei er in jede Ecke der äußersten Umrandung einen frisch geschnittenen Zweig einer Hasel steckte.
Dann räusperte er sich umständlich bevor er, endlich, sprach.
„Der Boden ist eingehaselt und heilig. Tretet vor und nennt den Grund des Streites.“
Ich war die ganze Zeit ungeduldig hin und her gelaufen, doch jetzt zögerte ich beinahe den Mantel zu betreten. Aber zögern ist Feigheit und für Feigheit ist im Heer kein Platz. Ich trat Thorbjörn, meinem Ankläger, Auge in Auge entgegen. Es war unsere erste Begegnung seit vier Tagen.
„Wer hat die Herausforderung gesprochen?“
„Ich.“
Thorbjörn spuckte das Wort beinahe aus.
„Einar erschlug meinen Bruder, doch er weigert sich Wergeld zu zahlen und versteckt sich hinter Ivar Ragnarssons Befehl, unsere Fehden ruhen zu lassen, so lange wir auf dem Feldzug sind.“
Der Godi sah zu mir.
„Was ist deine Antwort?“
„Er lügt. Weder habe ich seinen Bruder getötet, noch hatte ich Grund dazu.“
Hier und jetzt hätte ich den wahren Mörder anklagen können, ohne dass jemand schlecht von mir gedacht hätte, doch ich schwieg. Manchmal ist es schwierig das Richtige zu tun. Der Godi sah mich forschend an, dann, nach langen Sekunden, nickte er, als keine andere Antwort kam. Hier stand Wort gegen Wort, es gab keine Zeugen und so war der Holmgang der einzige Weg die Wahrheit zu finden.
„Jeder von euch brachte drei Schilde, gemacht für den Holmgang. Ihr kämpft mit Äxten, denn Einar besitzt kein Schwert. Wer den eingehaselten Boden verlässt, der flieht, ist ein Lügner und ausgestoßen. Der, dessen Blut zuerst den Mantel befleckt, der ist ein Lügner. Ist es Einars Blut, dann soll er das Wergeld zahlen, ist es Thorbjörns Blut, so soll er ins Lager gehen und jedem sagen, dass er gelogen hat und sein Bruder nicht von Einar getötet wurde. Thorbjörn ist der Herausforderer, deshalb führt er den ersten Hieb und wer alle Schilde verloren hat muss sich allein mit seiner Waffe verteidigen.“
Ich nickte, während mich mein Gegner nur hasserfüllt anstarrte.
„Verstanden?“, fragte der Godi scharf und schließlich nickte auch Thorbjörn.
Unsere Schildträger traten vor und reichten jedem von uns schweigend den ersten Schild.
Dies waren nicht die schweren, mit Ochsenhaut oder mehreren Schichten Leinen überzogenen Kriegsschilde, hinter denen sich ein Mann sicher fühlen konnte, sondern leichte, extra für den Holmgang angefertigte Schilde aus blankem Holz, bei denen lediglich der Rand etwas mit Leder verstärkt war und sie würden leicht brechen.
Die Sonne hatte inzwischen den Nebel des Morgens vertrieben, der Reif taute und ich machte mich bereit.
Wir umkreisten uns langsam mit erhobenen Schilden und Äxten bis Thorbjörn plötzlich vorsprang und seine Axt auf meinen Schild krachen ließ. Ich drehte meinen Arm mit dem Schlag, doch es war umsonst. Die Wucht seines Schlages hatte eine der Fugen aufspringen lassen, das Leder am Rand riss und das Holz splitterte.
Ärgerlich warf ich das nutzlos gewordene Ding beiseite und Leif brachte mir meinen zweiten Schild. Wieder machten wir uns bereit, doch nun war ich an der Reihe.
Mein Schlag kam hoch und Thorbjörn fing ihn ab, indem er sich duckte und den Rand seines Schildes mit einem triumphierenden Grinsen gegen den harmlosen Schaft meiner Axt trieb. Aber ich riss meine Waffe blitzschnell zurück, benutze das Blatt wie einen Haken und riss ihm den Schild aus der Hand.
Kaum hatte er seinen zweiten Schild ging er wütend zum Angriff über, während sein Schildträger schnell aus dem Weg sprang. Er schlug zu, doch in seiner Wut rutschte er ab und traf meinen Schild mit der flachen Seite der Axt und fügte ihm so keinen Schaden zu. Mein Gegenschlag kam sofort.
Aber auch ich zielte schlecht und meine Axt hinterließ nur eine Delle im eisernen Schildbuckel.
Jetzt täuschte Thorbjörn einen Schlag gegen meinen Schild an, aber plötzlich wechselte er die Richtung und ließ die Axt auf meinen Kopf zu sausen.
Im letzten Augenblick konnte ich meinen Schild am Griff rotieren und mich ducken, was mich meinen zweiten Schild kostete aber mein Leben rettete, denn der Schlag hätte ohne weiteres meinen Schädel spalten können. Er war nicht nur auf Blut, sondern auf meinen Tod aus.
Widerwillig lösten wir uns voneinander.
Leif trat zu mir, reichte mir den dritten, den letzten Schild und raunte mir zu: „Beende es schnell, er ist stärker als du.“
Abgehackt nickte ich und hob Schild und Axt. Ein guter Rat.
Ich machte einen Ausfallschritt, täuschte hoch an, zog die Axt an ihm vorbei, als er den Schild hochriss und hakte das Blatt hinter sein vorderes Bein. Und zog, zog ihm seinen Fuß weg und Thorbjörn fiel, rollte sich geschickt nach hinten ab, kam wieder hoch, Schild und Axt schützend vor seinem Körper. Grade wollte er wieder angreifen, als die autoritäre Stimme des Godi erklang: „Halt!“
Thorbjörn fuhr wütend herum.
„Was?“
Dann folgten seine Augen dem deutenden Finger von Snorri Godi. Die Spitze am Bart meiner Axt hatte seine Hose und seinen Unterschenkel aufgeschlitzt. Blut befleckte den heiligen Mantel.
„Einar ist Sieger. Er hat deinen Bruder nicht getötet und du bist der Lügner.“
Thorbjörn spuckte aus und warf Schild und Axt mit einem angewiderten Gesichtsausdruck von sich.
„Dann ist es wohl so.“
Er stapfte davon, gefolgt von seinem Schildträger und Leif kam mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf mich zu und wir machten dem Godi Platz, der eine Ziege auf den Mantel führte, um Odin zu opfern, als Dank, dass er geholfen hatte die Wahrheit zu finden.
Ich bezweifelte, dass Odin mit einer mickrigen Ziege besonders zufrieden sein würde, doch genauso bezweifelte ich, dass die Angeln im Umkreis eines Tagesmarsches noch Kühe versteckt hielten.
Ich sah über die Schulter. Der Godi war beschäftigt und so packte ich Leif hart am Oberarm.
„Was grinst du so dumm?“, herrschte ich ihn an.
„Das nächste Mal, wenn du den Bruder eines Mannes abstichst, weil du dich mit ihm um eine Gefangene streitest, dann kämpfst du deinen eigenen Kampf, kleiner Bruder.“
Damit ließ ich ihn stehen, ihn und den Godi, der die Kehle der Ziege zerschnitt.