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Holler die Waldfee
Holler die Waldfee
Holler war unglücklich. Er war nicht das, was man sich im Allgemeinen so vorstellt, wenn man an eine Fee denkt. Sein Dreitagebart war schon fast fünf Tage alt, und seine buschigen braunen Augenbrauen waren auch nicht so recht zuträglich bei seinem Job.
Aber Holler war zuversichtlich, dass seine Arbeitskolleginnen ihn bald so akzeptieren würden, wie er war. Voller Ehrfurcht sah er ihnen nach, in ihren schicken Kleidern und den Röcken, in Samt und Seide, so edel, so...weiblich.
Doch Holler wusste, dass er anders war. Er führte ein eher stilles Feen-Leben. Zwar erschien auch er den Wünschenden, wenn sie im Wald spazieren gingen, doch belegte er sie mit einem Zauber, der ihn ganz anders erscheinen ließ, als er eigentlich war.
Holler konnte das. Er war ja schließlich eine Fee. Und Feen können zaubern. Nur sich selbst konnte er nicht verzaubern, das war ihm nicht möglich.
»Eine Fee darf sich selbst nicht verzaubern, und andere mit ihrem Zauber nicht dazu bringen etwas zu tun, was ihnen schaden könnte.«
Er war fleißig und er kannte die Regeln, aber er war unglücklich. Einmal vergaß Holler, den Wünschenden zu verzaubern, sodass dieser Holler so sehen konnte, wie er eigentlich war. Die Folge war ein Lachkrampf, der den Mann im Wald überkam.
Denn als Holler dem Mann im Wald erschien, mit seinem Kleid, welches über seinen Bauch spannte, und dem Zauberstab in seiner klobigen Hand, und er fragte, welchen Wunsch er denn hätte, da wünschte der Mann sich „eine neue Fee." Das hatte Holler tief gekränkt.
Seitdem schwebte er nur noch selten durch den Wald, und wenn, dann nur, weil er Langeweile hatte. Viele Freunde hatte er auch nicht. Denn wer möchte schon mit einer Fee gesehen werden, die kein langes, blondes Haar hat, sondern zottelige schwarze, die zudem auch noch ungepflegt sind.
Und auf seinen Schultern war kein Feen-Staub, sondern es waren Schuppen, die ihm von den Haaren rieselten. Und wer nicht viele Freunde hat, der achtet auch nicht so sehr auf sein Äußeres, sodass Holler seinen derben Körpergeruch nicht mehr verbergen konnte.
So hatte Holler nur zwei gute Freunde, die es nicht interessierte, ob er gut roch, oder ob seine Haare schwarz oder blond waren. Die eine war die Biene Clara, die er kennengelernt hatte, als er im Wald ankam. Holler fand es lustig, wie die gelben und schwarzen Kringel abwechselnd über ihren dicken Bauch gingen, und er bewunderte sie um ihren Stachel, mit dem sie jeden vertrieb, der ihr zu nahe kam.
Der andere Freund war eine Trauerweide, und immer, wenn es Holler schlecht ging oder er traurig war, redete er mit ihr. Die Weide war ihm eine gute Freundin, eine gute Zuhörerin. Er konnte ihr sein Herz ausschütten, egal ob Tag oder Nacht, sie war immer für ihn da. Holler liebte das an ihr.
Aber wie war Holler eigentlich zur Waldfee geworden? Eine gute Frage. Alles begann im September 1998.
Holler Sachs, damals noch ein ganz normaler Mann, fuhr mit seinem Opel Corsa durch die Nacht.
»Mistwetter«, fluchte er, denn er konnte fast nichts sehen, so stark regnete es. Seine Scheibenwischer liefen auf Hochtouren, um die Wassermassen von der Windschutzscheibe zu bekommen.
Holler war auf dem Weg zur Arbeit, und dieser führte ihn durch ein kleines Waldstück.
Im Radio lief ein alter Schlager, und Holler summte leise mit, denn richtig singen konnte er nicht. Weil er zwar die Melodie, aber nicht den Text kannte. Und überhaupt, Schlager liebte er, und er sah sich regelmäßig den Musikantenstadl an. Nicht einmal hatte er den verpasst, immer sonntags zur gleichen Zeit.
Doch dieses Unwetter machte den Empfang vom Radio sehr schlecht, und so versuchte er, den Sender richtig einzustellen.
Und plötzlich tauchte es auf. Holler blickte nur kurz nach unten, zum Sendersuchlauf, um dann, im Scheinwerferlicht, auf der Straße dieses Reh zu sehen.
»Verdammt«, entglitt es ihm, und er riss erschrocken das Lenkrad herum, trat mit voller Wucht auf die Bremse und versuchte, dem Tier auszuweichen. Doch es war zu spät. Die regennasse Fahrbahn machte es unmöglich, den Wagen noch rechtzeitig zum stehen zu bekommen.
Das Reh prallte auf die Windschutzscheibe, der Wagen landete im Graben, und um Holler herum wurde es still. Nur die Scheibenwischer liefen noch auf Hochtouren, und machten ein quietschendes Geräusch, welches den prasselnden Regen noch übertönte.
Oh mein Gott, hoffentlich ist dem Reh nichts passiert.
Er öffnete die Tür und wollte gerade aussteigen, als er einen lähmenden Schmerz im Bein spürte.
Au, verdammt, tut das weh, anscheinend verstaucht
Mühsam versuchte er aus dem Wagen auszusteigen. Nach ein paar vorsichtigen Schritten war der Schmerz auszuhalten, und Holler humpelte vom Wagen weg.
Nach ungefähr zehn Metern fand er das Reh im Gebüsch.
Oh nein,hoffentlich ist es nicht tot.
Langsam beugte er sich über den leblosen Körper und versuchte irgendein Anzeichen von Leben darin zu entdecken. Doch nichts tat sich. Holler hatte noch nie einer Fliege etwas zuleide getan, und nun sollte er für den Tod dieser armen Kreatur verantwortlich sein?
Er hob das Tier auf und humpelte langsam zum Auto zurück. Er legte es vorsichtig auf die Rückbank. Und es war ihm egal ob es Flecken geben würde, schließlich hatte er ein Leben zu retten. Was war das im Vergleich zu einer verschmutzten Rückbank im Auto?
Holler versuchte das Auto wieder zu starten, aber vergeblich. Mit Autos kannte er sich nicht aus und so hatte es überhaupt keinen Zweck, einen Blick unter die Motorhaube zu werfen. Das Auto zu betanken war so in etwa das Einzige, was Holler außer Autofahren beherrschte.
Ich muss das Reh retten, an nichts anderes konnte Holler denken und so machte er sich auf um Hilfe zu holen.
Im Wald war es bereits dunkel, und der vom Regen nasse Boden war tief und matschig. Das machte es nicht einfacher, und Holler musste schon nach ein paar Minuten Rast machen. Er setzte sich an einen Baum, eine Trauerweide, um sich einigermaßen vor dem Regen zu schützen.
Wie schön doch dieser Baum ist, dachte Holler, denn die langen, unzähligen Äste des Baumes, die so traurig nach unten hingen, die faszinierten ihn.
»Wohin des Weges?«, hörte Holler jemanden fragen. Er schaute sich um, doch niemand war zu sehen.
»Bei dem schlechten Wetter, und dunkel ist es auch noch«, tönte es wieder aus der Dunkelheit.
Holler erschrak, und er versuchte, mit einem Mal aufzustehen.
»Autsch«, schrie er, denn sein Bein tat jetzt bei jedem Schritt höllisch weh.
»Sind Sie verletzt?«
»Ja, ein Autounfall, ich habe ein Tier angefahren, und nun bin ich auf der Suche nach Hilfe. Und wer sind Sie, oder noch besser; wo sind sie?«
»Ich?«, kam es ebenso fragend zurück.
»Ja Sie. Mit wem spreche ich denn sonst noch, mit mir selbst?«
»Ich bin die Trauerweide.«
Na klar, jetzt sprech ich schon mit Bäumen.
»Seit wann können Bäume reden?«
»Schon immer,nur die Menschen haben nie zugehört.«
Die Trauerweide erzählte Holler von ihrem Schicksal. Damals sei sie noch eine stolze Eiche gewesen, direkt neben ihrem Mann. Sie standen dort von klein auf zusammen, stolz und vereint. Bis ihr Mann dann gefällt wurde. Einfach so. Und da war dann nichts mehr so wie früher. Seitdem würde sie trauern.
Holler machte diese Geschichte ziemlich traurig. Und er versuchte, die Trauerweide aufzubauen.
»Dein Mann bereitet jetzt sicherlich jemandem viel Freude. Er ist vielleicht zu einem wertvoller Tisch, oder zu einer Leinwand verarbeitet worden, auf der jemand diesen Ort hier gemalt hat. Und wenn dieser jemand dich dazu gemalt hat, dann bist du ja wieder mit Deinem Mann vereint.«
Diese Worte rührten die Weide so sehr, dass Holler ein leises Rascheln hörte. Sie unterhielten sich noch die halbe Nacht. Und als Holler müde wurde und einschlief, hielt die Weide ihre Äste schützend über ihn.
Am nächsten Morgen weckte die Weide Holler.
»Guten Morgen mein Freund.«
Holler rieb sich die Augen und gähnte herzlich. Er erschrak. Die Weide sah plötzlich ganz anders aus. Ihre Äste hingen nicht mehr nach unten, sondern sie ragten in die Höhe. Ihre Stimme klang auch nicht mehr traurig, sondern voller Kraft und Elan.
»Danke«, sagte die nun garnicht mehr traurige Weide zu Holler, »Danke für Deine Hilfe, ich fühl mich schon viel besser.«
»Ist doch nicht der Rede wert, ich hab doch gar nichts getan.«
»Oh doch, das hast Du. Und weil Du mir meine Kraft zurückgegeben hast, möchte ich Dir auch helfen. Sag mir, was kann ich für Dich tun?«
»Ich weiß nicht genau, ich muss nur laufen können, damit ich Hilfe holen kann.«
»Nun ja, laufen kann ich ja schlecht, aber vielleicht kannst Du ja fliegen?«
»Fliegen?«, fragte Holler irritiert. »Wie soll ich denn fliegen können?«
»Das ist ganz einfach. Wir hier im Wald dürfen jedes Jahr eine Fee auswählen, die unseren Wald beschützt und auf die Pflanzen und Tiere aufpasst, das wäre doch genau das Richtige für Dich.«
Die Weide war fast überschwänglich und versuchte Holler davon zu überzeugen, dass er genau der Richtige wäre für diesen Job.
»Ich? Eine Waldfee? Also eine Waldfee stell ich mir aber anders vor.«
»Wie soll denn eine Fee aussehen? Wichtig ist doch nur, dass diese Fee anderen hilft und sich für das Gute einsetzt. Das Aussehen hingegen ist unwichtig.«
»Hast ja Recht, aber komisch ist es schon.«
Trotzdem, die Weide war nicht von ihrem Vorhaben abzubringen. Nach einer kurzen Beratung mit den anderen Bäumen des Waldes stand fest: Holler sollte die neue Waldfee werden.
»Welche Ehre, hätte nicht gedacht, dass mir sowas mal passieren würde, nur fliegen kann ich nicht.«
»Auch das werden wir noch hinbekommen." entgegnete ihm die Weide, ich hab da ein paar Freunde, die sowas können. Zieh erst mal Deine Arbeitskleidung an.«
Holler fand ein hübsches, weißes Kleid, eine Art Stab, und ein Paar dieser Primaballerina-Schuhe in Weiß vor dem Stamm der Weide liegen.
»Das soll ich anziehen?«, kreischte Holler. »Ich bin doch keine Frau. Wie soll das denn aussehen?«
»Zieh es doch an, bitte, mir zuliebe«, säuselte die Weide. Und er tat es. Er zog seine Jeans, seinen Pullover, seine dreckigen, klobigen schwarzen Schuhe aus, und schlüpfte recht unelegant in den weißen Fummel, der aus ihm eine Fee machen sollte.
»So, und jetzt kannst Du loslachen«, sagte Holler zur Weide, als er in voller Pracht vor ihr stand, den Zauberstab in der einen Hand, und den Rockzipfel in der anderen.
»Du siehst fabelhaft aus. Du wirst sicher nicht die hübscheste, aber bestimmt die ungewöhnlichste Waldfee sein, die wir je hatten oder haben werden«, schmeichelte sie ihm.
»Ja klar, und was nun? Kann ich den Fummel wieder ausziehen?«
»Versuchs doch«, entgegnete ihm die Weide. Aber es ging nicht. Holler konnte das Kleid nicht mehr ausziehen. Er konnte weder die weißen Strümpfe wieder über seine haarigen Beine ziehen, noch das enge Oberteil wieder über das stoppelige Kinn stülpen. Es war grausam. So hatte sich Holler das nicht vorgestellt.
»Wer einmal das Feen-Kleid angezogen hat, der kann von allein nicht mehr hinaus, denn eine Fee zu sein ist eine Aufgabe fürs Leben, nicht nur so zum Spaß«, stellte die Weide fest, und klang sehr ernst dabei.
Holler erschrak. Wenn mich jemand so sieht, wird er mich auslachen
Aber die Weide war unnachgiebig, und obwohl Holler sehr ungewöhnlich aussah, war sie sich sicher, dass er seine Sache gut machen würde.
»Und nun?«, fragte Holler, während er seine Arme in die Seite stemmte. »Was nun?«, wiederholte er, und klang ein wenig ungeduldig.
»Hm, jetzt müsstest Du fliegen lernen, Du bist zwar ziemlich schwer, aber das bekommen wir schon hin, denn schließlich bist Du eine Fee, und Feen können nun mal fliegen.«
Das möchte ich sehen. Aber kaum hatte er den Gedanken gedacht, hörte er auch schon ein tiefes Summen und Surren aus der Ferne. »Was ist das denn?«, fragte er die Weide.
»Das sind meine Freunde, die werden dir beim Fliegenlernen helfen«, erklärte die Weide.
Holler war sehr skeptisch, aber er war auch neugierig. Also wartete er ab bis das Surren und Summen immer lauter wurde, und schließlich konnte er auch sehen, was da auf ihn zukam. Es war ein Schwarm, ein Bienenschwarm um ganz genau zu sein.
»Hallo zusammen«, begrüßte die Weide den Schwarm. Und aus dem Durcheinander, das auf halber Höhe vor der Weide und Holler schwebte, kam eine einzelne Biene heraus, und schien fast vor den Beiden in der Luft zu stehen. Die Arme vor der Brust verschränkt, und auf der Nase eine kleine Brille.
»Guten Tag zusammen, hallo Weide und hallo...?«. Die Biene stoppte, und sah zu Holler herab. »Wer ist denn diese...komische Gestalt?«, fragte sie die Weide.
»Das ist Holler, die neue Waldfee.«
»Der und eine Waldfee? Das ich nicht lache«, entgegnete die Biene. »Wo sind die langen blonden Haare? Und wieso hat er ein Kissen unter dem Kleid?«
»Das ist kein Kissen, sondern ein Bauch, und dafür hab ich viel gearbeitet«, antwortete Holler selbst.
»Aha, ein Bauch also«, kicherte die Biene.»Ich bin Clara, und der Schwarm hinter mir ist meine Familie, es wäre wohl ein wenig übertrieben, wenn ich dir nun alle einzeln vorstellen würde.«
Aus dem Schwarm ertönte ein lautes Stimmengewirr, ein Durcheinander, aus dem man ein zigfaches Hallo, guten Tag und wie geht's raus hören konnte.
»Wir werden Dir also helfen fliegen zu lernen«, das wird wohl nicht einfach werden, aber wie auch immer, versuchen wir es.«
»Und wie soll das bitte gehen?«
»Warte es ab.«
Clara drehte sich um, und flog zurück in den Schwarm. Das Summen wurde lauter, und mit einem Male setzte sich der ganze Pulk in Bewegung in Richtung Holler.
Holler blieb wie erstarrt stehen. Der Schwarm kam immer näher, und als er Holler erreichte, fühlte er tausend kleine Berührungen, die seinen Körper umgaben. Tausend kleine Hände hielten ihn fest, und er fühlte sich, als ob er immer leichter würde. Ja, als ob er...schweben würde.
Und tatsächlich, die Bienen hoben ihn an, und Holler, dieser recht dicke, stattliche Mann, flog nun in einem Feen-Kleid, mit einem Zauberstab in der Hand, durch die Luft.
»Oh je«, hörte man, »Du lieber Gott, das ist ja, das ist, das ist...phantastisch«, jubelte Holler, und die Bienen leisteten Schwerstarbeit.
Holler war zwar schon mal in einem Flugzeug, aber selbst geflogen ist er noch nie, zumindest nicht so.
»Das ist so wunderschön, ich danke euch«, hörte man ihn schnaufen.
Und die Tiere des Waldes sahen zum ersten Mal ihre neue Fee über sich hinweg fliegen. Es hatte sich natürlich schon herumgesprochen, dass er die neue Waldfee ist, und alle Bewohner des Waldes kamen nun aus ihren Verstecken, um ihn zu sehen.
Ihn, Holler die neue Waldfee.
So ging es ein paar Tage, und die Biene Clara setzte sich immer auf Hollers Schulter. Sie unterhielt sich angeregt mit ihm, während er es genoss, durch die Lüfte zu fliegen.
Es war ein schönes Gefühl diese unglaubliche Freiheit, grenzenlos durch den Wald schweben zu können. So freute sich Holler immer sehr, wenn Clara angeflogen kam. Denn das hieß, dass er wieder schweben konnte. Selbst fliegen konnte er natürlich nicht. Holler, Clara und der Bienenschwarm wurden zu einem richtig guten Team.
Die Weide freute sich, denn Holler machte sich sehr gut. Er half Leuten, die sich im Wald verirrt hatten, und je öfter ihn die Tiere des Waldes sahen, desto mehr gefiel er ihnen. Holler war ja auch eine außergewöhnliche Erscheinung. Er war sehr liebenswert.
Besonders wenn er fliegen konnte, fühlte sich Holler gut. Clara wusste das, und sie kam, so oft sie konnte, mit Ihrer Familie, um ihm dabei zu helfen.
Eines Tages, es war ein Sonntag, wachte Holler frühmorgens auf, weil die ersten Sonnenstrahlen seine Augen blendeten. Ein schöner Tag brach an, und Holler freute sich sehr darauf, wieder mit Clara zu fliegen, und sich den Rest des Tages mit der Weide zu unterhalten. Er liebte diese Unterhaltungen, und konnte stundenlang zuhören, ohne etwas zu sagen.
»Lass uns fliegen«, frohlockte Clara auch schon, und wieder spürte Holler die tausend Hände, die ihn so leicht werden ließen, und zum Schweben brachten. Er verabschiedete sich noch schnell von der Weide, und Clara setzte sich auf seine Schulter.
»Heute fliegen wir ganz besonders hoch, denn es ist ein so wunderschöner Tag, wir sollten die Sonne genießen«, schlug Clara vor.
Holler freute sich, denn die Sonne war so warm, es war so angenehm, die Augen zu schließen und die Wärme auf dem Gesicht zu spüren.
»Komm bald wieder mein Freund« rief ihnen die Weide noch hinterher, »du weißt doch, mir wird so schnell langweilig«, fügte sie noch hinzu, bevor Holler und der Bienenschwarm über den Wipfeln der Bäume verschwanden.
»Schwester, schauen sie, er hat die Augen geöffnet«, rief die Frau aufgeregt und mit zitternder Stimme.
»Ich komme sofort«, antwortete sie, und man hörte schnelle Schritte vom Flur her. Sie kam hinein, und fühlte sofort seinen Puls, überprüfte die Geräte und Schläuche, die um ihn herum hingen.
»Seine Augen sind offen«, wiederholte die Frau noch einmal, und versuchte, irgendein Lebenszeichen in seinem Blick zu finden.
»Die Werte sind normal, nicht anders als sonst, und auch die Gehirnströme sind im normalen Bereich«, ergänzte die Krankenschwester. »Die Augen zu öffnen ist bei Koma-Patienten nichts ungewöhnliches. Es ist ein Reflex, und sieht meist erschreckend aus, fast könnte man meinen dass er wach wäre.«
»Aber er schaut mich doch an, er schaut so wie früher, vor diesem schrecklichen Unfall mit dem Reh.«
»Bitte beruhigen sie sich, bitte, wir tun alles nur erdenkliche, damit es ihrem Mann gut geht, glauben sie mir.«
»Ich danke ihnen, Schwester Clara, sie sind ein Engel.«
»Ich werde ihrem Mann nun eine Spritze geben, und glauben sie mir, danach wird es ihm gut gehen. Dann können sie sich wieder mit ihrem Mann unterhalten, ihm Geschichten erzählen, ihm die Zeit vertreiben, er mag das, da bin ich mir sicher.«
Schwester Clara nahm eine Spritze vom Tablett auf dem Tisch. Sie suchte eine Vene in Hollers Arm, wie sie es so oft tat seit seinem schrecklichen Unfall damals, als er das Reh nicht gesehen hatte.
Nachdem er die Spritze bekommen hatte, schloss Holler seine Augen wieder. Er spürte die tausend kleinen Hände, die ihn fliegen ließen. Was für ein schönes Gefühl von Freiheit.
Als seine Frau ihm später am Abend von Ihrem Tag berichtete, da spürte Holler wieder die Äste der Weide die sich schützend über ihn legten.
»Ich bin bei Dir. Du bist nicht allein. Komm bald wieder zurück zu mir. Ich warte auf Dich«
Holler war glücklich. Eine Träne lief über seine Wange. Ihm war als spürte er eine Hand durch seine Haare streicheln.
Er schlief ein, mit einem Lächeln auf seinem Gesicht...
Von Achim Feldhordt