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HoHoHo

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25.05.2002
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HoHoHo

„HoHoHo! Frohe Weihnachten, ihr Wichser. HoHoHo!“ mit einem schallenden Gelächter griff er in den Sack und holte ein wunderschönes, farbiges Paket raus.
„Was haben wir denn da?“ Er schüttelte es, während er es vor sein Ohr hielt. Dann beäugte er das Päckchen und sah den kleinen Ring herausragen. „HoHoHo, wir müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen …“ Sprach´s, zog dran, horchte erneut und warf es lachend in die ihn umlagernde Meute Neugieriger. Kurzfristig reckten sich dutzende Armpaare dem Geschenk entgegen, um Bruchteile von Sekunden später, genau im Moment der Explosion, losgelöst eine völlig andere Richtung einzuschlagen.
Der Weihnachtsmann schüttelte empört den Kopf, er mochte die plötzliche Unordnung nicht. Die schreienden, kreischenden Leute verdarben die weihnachtliche Stimmung. Das Gewusel der Körper, der Toten und Verletzten, die weggeschleppt wurden, hatte so gar nichts Besinnliches mehr an sich. Er sah an sich herunter. Die kleinen roten Sprenkel fielen auf seinem roten Mantel nicht sehr auf. Lediglich auf dem wallenden, weißen Bart bildeten sie einen niedlichen bunten Kontrast.
„HoHoHo, Friede auf Erden. Und den Menschen ein Wohlgefallen. Wohlgefallen? Das hat euch wohl gefallen?“ Er lachte laut über seinen eigenen Witz und wuchtete sich ächzend aus dem alten, bequemen Sessel empor. Dann verschwamm seine Gestalt, immer und immer stärker. Es sah aus, als würde seine Kontur völlig zerfasern, dann war er weg.

Als Ostern ein weißer Hase bunte Handgranaten in die Nester legte und auch zu diesem Friedensfest die Schlagzeilen über Chaos und Tod alles Positive vergessen ließen, begann man sich Gedanken zu machen. Der Hase wurde gesehen und verschwand, indem die Konturen seiner Figur langsam zerfaserten und sich dann vor allen Augen in Luft auflösten. Man entdeckte eine Analogie zu Weihnachten.

Eduard Plagert war spindeldürr und nie länger als einen Sekundenbruchteil ohne Bewegung. Außerdem war er Friedensfestanalytiker und Wissenschaftler. Und als Wissenschaftler war er Realist, zumindest solange, bis er realistisch betrachtet keinen realen Nutzen durch Festhalten an Realitäten ziehen konnte. Dann bezog er auch irreale Dinge in seine Analysen mit ein. Böse Zungen pflegten dann mit wachsender Begeisterung auf den Wortstamm „Anal“ in seiner Berufsbezeichnung hinzuweisen und werten seine Ergebnisse dementsprechend. Eduard stand seit jeher weit über solcherart kleinlicher Kritiker. Er wusste, dass die Ergebnisse seiner Analysen realistisch waren, mathematisch und christlich untermauert.
Vor ihm stand der Polizeipräsident von Stork-City und lachte ihn aus.
„Lieber Herr Plagert, jetzt schießen sie aber übers Ziel hinaus. Ich soll jede werdende Mutter in der Stadt von einem Polizeiaufgebot bewachen lassen? Damit nicht ein schwer bewaffneter Klapperstorch den beginnenden Geburtsvorgang gewalttätig umkehrt? Ich bitte Sie…“ Er ließ sein kurzes Auflachen mit einem irren Kichern ausklingen.
„Das Ergebnis meiner Analyse - das eindeutige Ergebnis! – lässt keine andere Möglichkeit zu. Überlegen Sie: Welche Figuren gibt es, die es nicht gibt?“ Den Zeigefinger hoch in die Luft streckend zog er die Augenbrauen hoch, riss dabei die Augen weit auf und blickte den Polizeipräsidenten auffordernd an. Der blickte zurück, wobei man seinem Gesichtsausdruck entnehmen konnte, dass er zwischen zwei Alternativen zu entscheiden hatte: ob er dem Plagert eine von diesen weißen Jacken mit ganz langen Ärmeln anziehen oder ihn einfach von ein paar Beamten in eine Ausnüchterungszelle stecken lassen sollte. Der Polizeipräsident machte den Mund auf, als wolle er was sagen, dann klappte er ihn aber wieder zu und schüttelte den Kopf.
„Nun, dann anders. Ihr Ansatz: Das erste Attentat war Weihnachten, das nächste Ostern. Was danach? Pfingsten? Aber als welche Figur würde ein Attentäter auftreten? Eduard Plagert hob belehrend den Zeigefinger. „Nicht das Friedensfest steht im Vordergrund der Aktivitäten, es ist die Figur. Und zwar eine, die im realen Leben keinen Platz hat: Weihnachtsmann, Osterhasen, und… - einen Klapperstorch. Und hier ist unsere Chance. Klapperstörche haben keine bestimmte Saison, sie haben den Vorteil, immer und überall auftauchen zu können. ICH BIN SICHER: Er wird als Klapperstorch auftreten. Man wird doch in der Lage sein, einen Klapperstorch zu verhaften, bevor er losklappern kann.“ Er fuchtelte empört und hektisch mit den Armen durch die Luft, als wolle er die Gedanken des Polizeipräsidenten bzgl. psychologischer Zurechnungsfähigkeit beiseite wischen.

Man wartete. Überall liefen schwangere Frauen in Begleitung einer Gruppe Polizisten durch ihre täglichen Routinestationen. Doch kein Klapperstorch erschien mit einem Maschinengewehr zwischen den Flügel und mordete vor sich hin. Eduard Plagert wurde täglich nervöser. Pfingsten kam - und verging ereignislos. Der Polizeipräsident trat zurück.

Plagert studierte akribisch die Tagesmeldungen: Großereignisse (er war sicher, das nächste Attentat würde mehr Tote bringen), Sportveranstaltungen, Olympiavorbereitungen, Politik, Neuwahlen, Irak-Krise, Kultur, DsdS, Rockkonzerte – er blieb ohne Erleuchtung und die Zeit drängte. In welcher Figur würde der Attentäter das nächste Mal zuschlagen?
Plagert schaltete noch mal den Fernseher an, gerade als Dabbelju George am Ende seiner Rede war: „I´ll bring the freedom to the world!“ Ein eindrucksvoller Effekt der Regie ließ bedächtig das Live-Bild des zerbombten Irak aus dem Hintergrund hervortreten, während die Konturen des Präsidenten langsam zerfaserten und sich dann in Nichts auflösten. Und irgendwo im Hinterkopf hörte Plagert ein leises: „HoHoHo.“

 

Hallo bigmica!

Irgendwie fehlen mir grad die Worte, mit denen ich ausdrücken könnte, warum mir Deine Geschichte gefällt.
Deine Geschichte ist irgendwie so sarkastisch und traurig zugleich, und das Schmunzeln sitzt irgendwo im Hinterkopf und hört sich an wie ein leises "HoHoHo"...

Gut geschrieben auf jeden Fall. :thumbsup:

Und nur ganz wenig zu meckern:

"Das Ergebnis meiner Analyse - das eindeutige Ergebnis! – lässt keine andere Möglichkeit zu."
- In diesem Satz hast Du einmal einen kurzen, einmal einen langen Gedankenstrich

"Doch kein Klapperstorch erschien mit einem Maschinengewehr zwischen den Flügel und mordete vor sich hin."
- zwischen den Flügeln

Alles liebe,
Susi

 

Hallo bigmica!
mir geht es wie Häferl. Ich kann nicht genau sagen, wieso mir diene Geschichte gefällt.
Erst dachte ich, hm ein mordender Weihnachtsmann?
da musste ich sogar schmunzeln.
Aber das Schmuzeln blieb mir dann im Halse stecken.
ich finde diene Geschichte ist herrlich sarkastisch und tief bedrückend.
Ich wusste erst nicht (bevor ich bush las), ob die Geschichte auf die aktuelle Situation Bezug nimmt, aber diese Frage hat sich ja dann auch erledigt.

Diese Stellen fand ich besonders lustig:

Man wird doch in der Lage sein, einen Klapperstorch zu verhaften, bevor er losklappern kann
losklappern! hehe

Plagert schaltete noch mal den Fernseher an, gerade als Dabbelju George am Ende seiner Rede war
Dabbelju!!!

Fazit: Eine wirklich gute Geschichte! Ich kann mich da nur Häferl anschließen!
Also auch von mir :thumbsup:

bye und tschö

 

Hi,

als der Klapperstorch ausblieb, wurde sogar mir als besonders begriffstutzigen Leser klar, dass am Ende der amerikanische Präsident mit einem mordenden Weihnachtsmann und einem terroristischen Osterhasen in einen Topf geworfen werden würde. Du verwandelst legendäre Heilsbringer in Terroristen. Prima, kann man machen. Bloß war Mr. Bush nie ein Heilsbringer.

Findest Du nicht auch, dass das eine sehr oberflächliche Kritik ist, eine rein polemische noch dazu? Damit stellst Du Dich vom Ausdrucksvermögen her auf eine Stufe mit der üblichen Kriegspropaganda.

Schade - ich hatte gehofft, dass die hierzulande sehr differenzierte Auseinandersetzung mit den genauen Ursachen des Krieges auch zu angemessen anspruchsvollen Geschichten führen würde. Deine ist nicht mehr als eine Beschimpfung, unabhängig davon, ob die gerechtfertigt ist oder nicht.

Fazit: Sprachlich in Ordnung, inhaltlich oberflächlich.

Uwe

 

Hallo bigmica,

ich fand Deine Geschichte recht einfallsreich, der Wissenschaftler hat mir direkt leid getan in seiner Verzweiflung, das Unheil aufzuhalten.
Der Gesamteindruck der Story leidet aber darunter, dass Mr. B. nicht in die Weihnachtsmann - Storch – Reihe paßt.
Trotzdem - gut geschrieben.

Tschüß... Woltochinon

 

Bloß war Mr. Bush nie ein Heilsbringer.
Aber er stellt sich doch selbst als einer dar - und das wirkt, finde ich, in der Geschichte... ;)

 

@häferl
freut mich häferl, dass dir die geschichte gefallen hat und danke für die korrektur meiner (bzw. der word-) entgleisungen. Werde sie gleich korrigieren.

@moonshadow
auch dir danke für lesen und kommentieren. Bzgl. ´lustig´ - wollte ursprünglich was für humor schreiben, bin dann jedoch ´abgerutscht´ und habe mich entschlossen in die rubrik seltsam zu gehen. Aber gut, dass der humor noch ausreichend durchkommt.

@uwe post
zu deiner begriffsstutzigkeit kann ich keinen kommentar abgeben aber durchaus zu deiner kritik.
Vorab erstmal danke, dass du dir meine story angetan hast. Wenn sie dir nicht gefallen hat tut es mir leid, aber ich glaube, du siehst die geschichte zu verbissen.

„Du verwandelst legendäre Heilsbringer in Terroristen. Prima, kann man machen. Bloß war Mr. Bush nie ein Heilsbringer.“
Jeder politiker, speziell jeder präsident, der sich nach vielen, vielen versprechungen wählen lässt, ist (oder will sein) ein potentieller heilsbringer. Insofern sehe ich das anders als du.
Zur oberflächlichkeit der kritik kann ich dir recht geben, allerdings habe ich auch nicht den anspruch erhoben breit und ausführlich kritisieren zu wollen (dann hätte ich in die rubrik gesellschaft gepostet) – ein schmunzelndes nachdenklich-machen genügt mir schon.

„Damit stellst Du Dich vom Ausdrucksvermögen her auf eine Stufe mit der üblichen Kriegspropaganda.“
Hast du hier nicht ein „anti-“ vergessen?

Zu deinem absatz über „differenzierte Auseinandersetzung“: da erweckst du bei mir den eindruck eines lesers, der nach dem lesen einer komödie vorwurfsvoll nach dem philosophischen inhalt der geschichte sucht. War von mir nicht in der intension geschrieben, die du unterstellst.

@woltochinon

auch dir ein dreifach hoch und dank für deine anmerkungen. Bzgl. der reihe: weihnachtsmann, osterhase, storch bis dabbelju hat uwe post mir bereits das verbindende glied in den mund gelegt: heilsbringer. :D Dazu habe ich ihm bereits meine gedanken ausgeführt

thx an alle, bigmica

 

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