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Hohl
Sie sieht sich an. Tausendfaches Ebenbild. Ihr Finger wischt über das iPad (natürlich die neueste Version). Super-nice denkt sie bei einigen Bildern – doch bei den meisten denkt sie: Wie scheiße sehe ich denn aus? Die Beine – zu kurz. Der Arsch – zu fett. Die Titten – zu klein. Das Gesicht – zu rund. Nur ihre dunklen Augen und die schwarzen Haare gefallen ihr.
Dabei will sie doch bewundert werden. Will so sein wie die Unerreichbaren. Die Göttinnen auf Instagram. Kylie und Kim, das sind ihre Vorbilder. Und hey, als sie zum 16 Geburtstag von ihren Eltern das Shooting geschenkt bekam und für einen halben Tag lang der Mittelpunkt war, hat sie sich da nicht wohl gefühlt? Hat sie sich da nicht geliebt gefühlt? Als alle um sie herumstanden und ihr sagten, wie hübsch sie aussehe mit dem dicken Make-up, dem Schmollmund, den perfekt in Form gebrachten Haaren und dem kühlen Look. Und dank Photoshop sieht sie auf den Bildern aus wie ein Model. Brüste und Taille in Bestform.
Die Klamotten hat sie mit ihrer Mom ausgesucht. Als sie beide shoppen waren – in London. Eine kleine Belohnung dafür, dass sie nicht hängen geblieben ist. Wow und diese Chucks waren traumhaft und der Pullover erst mal, den ihre Mom von 900 auf 870 Pfund runtergehandelt hat und den sie sich ausleihen darf, wann immer sie will.
Sie weiß wenig von der echten Welt. Und sie will auch nichts wissen. Sie lebt mit ihrem Smartphone und dem iPad. Sie lässt Musik im Hintergrund laufen und tut so, als würde sie das Stück singen. Und kopiert die angesagten Moves irgendwelcher Musiker, auf die jetzt alle stehen.
Wenn sie mit ihren Freundinnen unterwegs ist, starren sie ständig auf ihre Handys, um ja keine WhatsApp zu verpassen oder einen der Kommentare zu ihren geposteten Fotos. Alles ist nice und die Emojis schieben Überstunden. Herzchen fliegen durch das Netz.
Und manchmal schauen sie und ihre Freundinnen sich auch mal an, wenn sie im Eiscafé sitzen. Aber nicht zu lange, vielleicht ist ja ein neuer Follower auf Insta dazugekommen und das darf sie nicht verpassen.
Sie hat schon eine Menge Follower. Und auch viele Homies. Für die postet sie aber andere Fotos und Videos als für die gierigen Augen des Internets. Als ob das einen Unterschied machen würde.
Sie weiß nicht, dass die tollen Fotos, auf denen ihr perfekt geschminktes Gesicht aussieht wie das einer Barbie-Puppe, auch als Wichsvorlage dient. Dazu will sie sich keine Gedanken machen. In ihrer Welt ist alles so schön rosarot.
Bald ist es soweit. Bald hat sie genug Follower. Dann ist sie Influencerin. Dann bekommt sie Geld. Wie schön! Es passt zu ihrem Lebensmotto: I need money, not friends.
Und dann? Dann muss sie weiter posten. Muss liken, kommentieren, im Gespräch bleiben. Muss nice sein. Und immer wieder dem neuesten Trend hinterher laufen.
Und dann kommt der Typ. Drei-Tage-Bart, Sonnenbrille, Sixpack, Muckis, fette Karre. Erste Liebe, voll dokumentiert in den Social Media. Sie cute, er heiß. Tolle Inszenierung.
Dann der Abschuss. Und alle sind live dabei. Mitleid? Vielleicht, vielleicht auch nicht, vielleicht auch nur geheuchelt. Und hinter dem Rücken: Lästern! Das musste ja kommen. Sie ist doch nur Fassade.
Das Herz gebrochen, doch sie muss weitermachen. Sie erkennt nicht, dass er ging, weil sie außer Optik und mittelmäßigem Sex nichts zu bieten hatte. Gespräche? Null! Tiefe? Null!
Also lässt sie was machen: Nase korrigieren. Mund aufspritzen. Titten aufpumpen. Fett absaugen. Microblading durchziehen. Barbie wird zur Super-Barbie.
Und keiner nimmt sie wahr. Alle sehen nur die Hülle, keiner ihr unter schönem Schein verschüttetes ich. Auch sie hat sich vergessen.