Was ist neu

Hoffnung

Mitglied
Beitritt
08.03.2003
Beiträge
78

Hoffnung

Sie wußte genau, warum sie zurückgekehrt war. Verdammt genau.
Der Wind, der ihr kalt in die offene Jacke blies, lies sie frösteln. Mit klammen Fingern nestelte sie an dem Reißverschluß, während sie sich unermüdlich durch das dichte Gras kämpfte. Warum hatte sie sich auch für die dünne Sommerjacke entschieden, anstatt den Wollmantel zu nehmen? Sie wußte doch zu gut, wie eisig der Wind auf der Klippe wehte.
Genau wie damals...
Ihre Gedanken kehrten unweigerlich und mit gnadenloser Gewalt zurück. Zurück zum schlimmsten Tag ihres Lebens. Zwei Jahre war es nun schon her.
Wo war die Zeit bloß geblieben? Sie wußte es nicht, konnte noch nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob sie in dieser Zeit überhaupt gelebt hatte.
Gelebt. Ha. Ein kurzes Lachen stieg in ihrer Kehle auf, doch als sie den kehligen Schmerzenslaut als ihren eigenen erkannte, presste sie die Lippen fest aufeinander. Sie merkte kaum, daß ihre Unterlippe zu bluten begonnen hatte. Was war dieser Schmerz, gegenüber der unbeschreiblichen Qual, die ihr Innerstes zum Brennen brachte?
Sie erreichte die Spitze der schroffen Felsformation, die das hügelige, grüne Land vom Meer trennte.
Eine sagenhafte Aussicht breitete sich fast schmerzhaft schön vor ihr aus. Die gesamte Bucht der sichelförmigen, kleinen Insel, sowie die weite See lag ihr zu Füßen.
Sie stemmte die Füße fest in den Boden, um nicht weggeweht zu werden und schlang ihre Arme fest um ihren Oberkörper. Wie in Trance schloß sie die Augen und lauschte. Lauschte dem Klang der Natur, dem Klang des Todes. Der Schmerz durchfuhr sie stechend scharf. Sie konnte es nicht, konnte sich nicht stellen. Aber sie wollte es auch nicht. War sie nicht genau aus diesem Grunde hergekommen? Wollte sie nicht ein für allemal reinen Tisch machen?
Es wäre so leicht. So leicht. Ein kleiner Schritt nur und die Dämonen wären für alle Zeit verschwunden. Verbannt aus ihrem Scheißleben.
Sie zitterte jetzt, ihre Zähne klapperten unkontrolliert aufeinander.
Sie ging zwei Schritte näher an den Rand der Klippe und blickte hinunter. Tief unter sich brandete das Meerwasser mit unvorstellbarer Wucht an die spitzen Felsen, hinterließ weiße Schaumkronen und zog sich wieder für kurze Zeit zurück.
Würde es wehtun? Würde sie überhaupt etwas spüren?
Würde es sich so anfühlen, wie früher im Sommer, wenn sie im Freibad vom Zehn-Meter-Brett sprang?
Mit einem angenehmen Kribbeln im Bauch?
Oder würde sie beim freien Fall bereits das Bewußtsein verlieren?
Und der Aufprall...
Der durchdringende Schrei einer Seemöwe holte sie aus ihren Gedanken zurück. Sie blickte auf und sah die Möwe, wie sie laut schimpfend ihre Luftkreise zog. Ihr Gefieder glitzerte silbrig-weiß in der Sonne, der Schnabel geöffnet, in der Hoffnung auf Futter. Als wäre sie sich der plötzlichen Zuschauerin bewußt, vollführte sie ein akrobatisches Luftschauspiel, schoß in die Tiefe, fing sich leicht wieder auf und schraubte sich erneut in die Höhe.
Mit einem eleganten Schlenker setzte sie auf einem Stein, unweit von Cathrin auf und fing an, sich das Gefieder zu putzen. Irgendwie sah sie in diesem Augenblick zufrieden aus, als wäre sie sich ihrer Leistung bewußt.
Ein Lächeln huschte über Cathrin`s Gesicht.
Überrascht registrierte sie es. Gerade eben wollte sie in den Tod springen und nun lächelte sie. Drehte sie jetzt völlig durch?
Nein, sagte eine Stimme leise in ihrem Ohr. Du drehst nicht durch. Du hast nur Angst und bist durcheinander.
Ach, tatsächlich?
Jetzt führte sie auch noch Selbstgespräche.
Nervös fuhr sie sich mit der Hand durch ihr Haar. Wie oft hatte er sie so gestreichelt, zärtlich, beschützend...
"Ach, Ben. Ich vermisse dich so."
Die Tränen kamen plötzlich. Die Mauer fiel. Wie eine Welle stürzten die Gefühle auf sie ein und drohten sie zu überrollen.
Sie sah Ben, wie er mit seinem nackten Oberkörper im Bad herumstolzierte und so tat, als wäre er Arnie. Sie sah ihn auf seinem Motorrad sitzen und wie einen kleinen Junge an Weihnachten strahlen. Überschwenglich, humorvoll, lebenslustig, immer auf ein Abenteuer aus.
Sie wischte sich über die Augen und sah zu der kleinen Möwe, die nun auf ihrem Bauch hockte und mit geschlossenen Augen die letzten Sonnenstrahlen genoss.
Mußte sie ein Vertrauen in die Welt haben, wenn sie sich einfach so entspannen konnte. So nah bei den Menschen, dem Feind.
Sollte sie sich, Cathrin, nicht ein Beispiel an ihr nehmen? Sich mutig dem Leben stellen? Hürden, Trauer, Zweifel und Angst aus dem Wege räumen und wieder anfangen zu leben? Neu beginnen?
"Ich glaube, daß hättest du auch gewollt, nicht wahr Ben?" flüsterte Cathrin. Instinktiv schaute sie zum Himmel hoch, der sich strahlend blau über ihr austreckte. Die Luft war angefüllt von Vogelgezwitscher und rauschendem Wasser und ein frischer Geruch nach Gras und salzigem Fisch strömte auf sie ein. Wie konnte sie all das verlassen? All die intensiven Sinneswahrnehmungen, den Anblick der Natur? Was, wenn sie eine spannende Zukunft versäumen würde?
Ein Schatten fiel über sie...aber alleine?
Konnte sie ohne Ben leben? All die schönen Dinge ohne ihn genießen? Allein?
Sie berührte den silbernen Ring mit den verschlungenen Delphinen, den ihr Ben zur Verlobung geschenkt hatte.

Sie waren in einem schicken Restaurant und tranken nach dem Essen noch einen Rotwein, als Ben ihre Hand nahm und sagte, sie solle die Augen schließen.
Wenn sie die Augen schloß, spürte sie noch jetzt, wie ihr zärtlich der Ring über den Finger geschoben wurde. Kühl, aber gleichzeitig von beruhigender Intensität, fühlte sich der Reif auf ihrer erhitzten Haut an.
Sie sah ihn an. Seine Augen konnten die Liebe, die er für sie empfand nicht verheimlichen.
"Ich werde dich immer lieben, Cathrin. Und ich werde immer für dich da sein. Dieser Ring ist mein Versprechen." Seine schlichten Worte schwebten im Raum und damals hatte sie gewußt, daß sie wahr waren.

Zärtlich strich sie über das feine Metall.
Sie war nicht allein.
"Du wirst immer bei mir sein."
Ihre geflüsterten Worte verschluckte der Wind und überbrachte sie der Ewigkeit.

 
Zuletzt bearbeitet:

Und was will uns Dein Workshop sagen?
Ich denke, Du hast versehentlich die falsche Rubrik erwischt, oder?

Geschichtenrubriken findest Du links im Menü, unter dem Titel "Geschichten". Alles im rechten Menü ist für Diskussionen, keine Geschichten.
Vielleicht ist es hilfreich, wenn Du Dich erst etwas umschaust, einigen Usern fällt es anfangs schwer, das System hier zu durchblicken.

Naja, einfach die Admins anschreiben, die verschieben den Thread in Deine Wunschrubrik. Und willkommen auf kg.de :)

 

Tja, da habe ich ja gut angefangen. Tatsächlich habe ich mich erst vor ein paar Tagen angemeldet und so ganz blicke ich hier noch nicht durch. Ich war schon froh, daß ich das Fenster, um einen Text schreiben zu können, gefunden habe.

Vielen Dank für Deinen Tip!

 

Hallo Alexa,

da ist Dir eine Geschichte von großer Intensität gelungen. Persönlich hätte ich allerdings gerne gewußt, was genau mit Ben geschehen ist.

Deine Sprache ist sehr schön, nur an ein oder zwei Stellen brichst Du damit etwas - vor allem hier:

Verbannt aus ihrem Scheißleben.
Der eine oder andere Rechtschreibfehler ist mir noch aufgefallen, z.B. gleich am Anfang:
lies sie frösteln
Hier müßte es "ließ" heißen.

Ich freue mich schon auf weitere Erzählungen von Dir.

Übrigens: Falls Du in Norddeutschland wohnst, komm doch zu unserer Lesung in Ahrensburg am nächsten Wochenende!

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,
vielen Dank für Deinen Kommentar und Dein Lob. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Mit dem "Scheißleben" habe ich gedacht, würde die Geschichte ein wenig mehr Pep bekommen, aber vielleicht ist das Wort doch ein wenig zu sehr aus der Rolle gefallen.
Danke auch für die Einladung nach Ahrensburg. Aber auch wenn ich wüßte, wo Ahrensburg liegt ( ich wohne zwar im Ruhrgebiet, aber ich glaube, das ist noch nicht nördlich genug ), hätte ich am nächsten Wochenende leider keine Zeit.
Schönen Gruß
Alexa

 

Eine schöne, melancholische und doch wirklich hoffnungsvolle Geschichte, Alexa.

Erinnerungen können ganz schön weh tun, immer wieder.

Gruß,
Bo

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom