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Hochwasser! (Dresden - Land unter Wasser)
Das Jahrhundert-Hochwasser 2002 in Ostdeutschland
Es begann wie jedesmal.
Die Flutrinne hinter meinem Haus füllte sich allmählich mit etwas Wasser, das aus der Elbe über den Wall zur Flutrinne an der Kötchenbroder Straße kam. Da war es noch ziemlich wenig Wasser. Doch dann kam ein ziemlich schlimmer Regen. Es goss zwei Tage wie aus Eimern, doch - was ich da noch nicht sah - es kam auch vom anderen Ende ziemlich heftig durch den Landgraben. Danach stiegen die Elbe und die Flutrinne rapide an. Im Nu stieg das Wasser auf ca. viereinhalb Meter an. Die Lage spitzte sich fatal zu. Die Wasserstände der Elbe und Moldau in Tschechien stiegen an und ließen die beiden sonst recht ruhigen Flüsse zu reißenden Strömen werden, die alles, was sich ihnen in den Weg stellt, einfach mit sich reißen. Man zeigte zwar im Fernsehen einige Beiträge aus Tschechien, man dachte zwar "Wow, is ja Wahnsinn!", trotzdem nahm man die drohende Gefahr nicht wahr und dachte, es würde schon nicht so schlimm werden. Man sagte uns gestern vor einer Woche für Mittwoch der Woche davor eine Flutwelle voraus! Diese wurde für drei Uhr nachts angekündigt. Worauf sich einige sehr "interessierte" Menschen aus meinem Silo um halb drei nachts im Innenhof trafen und begannen, wild zu diskutieren ... "Also", dachte ich mir, "guckste halt mit!". Ich zog mir meine Buchse an, machte die Glotze an und den Balkon weit auf, um die Flutwelle zu beobachten. Glaubte zwar, sie würde die Flutrinnenbrücke samt der alten Nazikneipe mit wegreißen, hoffte aber irgendwie trotzdem, sie käme gar nicht ... Um sechs hatte ich das Warten dicke, fuhr den Rechner hoch und ging online. Ich loggte mich in mein online-Tagebuch ein und schrieb erste Eindrücke und Gedanken zum bis dato Stunden alten Jahrhunderthochwasser nieder. Danach legte ich mich zum letzten Mal in mein geliebtes Bett und schlief nochmal bis halb acht. Dann riss mich mein Telefon aus den Träumen, davon, dass alles gut werde, und mein Dad brachte mich in die Realität zurück! Er sagte mir, er hätte aus den Nachrichten erfahren, mein Bezirk würde bereits evakuiert. Ich brach etwas in Panik aus, in dem Glauben, es würde jeden Moment klingeln. Aus den Berichten im TV war mir bewusst, dass diese Nachricht realistisch war. Das Flutrinnenwasser reichte fast bis zu den Schrebergärten auf dem Damm zu meinem Hof. Vor dem Haus standen bereits die ersten Umzugsfahrzeuge, um die Einwohner der im Hof stehenden, eine Etage hohen Gartenhäuser, mit samt Kind und Kegel in Sicherheit zu bringen. Boar, so ganz geheuer war mir das echt nicht! Von hinten kam das Wasser und vorn verließen die ersten das "sinkende Schiff"! Ich erst mal fix ä Käffchen ansetzen, um in alter Gewohnheit mein letztes Frühstück zu Hause einzunehmen. Duschen, dachte ich, könne ich ja abends ... Also machte ich nur Katzenwäsche, machte mein Bett und ging auf den Balkon. - Da traf mich erst mal der Schlag: Auf der Flutrinnenbrücke war das totale Chaos! Unzählige, völlig bornierte Ossis rannten zwischen 3 4 Fahrzeugen vom Technichen Hilfswerk herum, in der Luft rotierten einige Helikopter von Bundeswehr, DRK und Polizei. Man merkte wohl, dass die Luft brannte... Überall standen fassungslose, nervöse Mieter auf ihren Balkonen. Jemand brachte mich auf die Idee, endlich mal eine zu rauchen ... Ich glaube, ich goss noch mal die Blumen, murmelte dabei panische Gebete in meinen damals schon ungepflegten Bart. Fuhr hin und wieder ins Wohnzimmer, um zu schauen, ob im TV mal was Aktuelles käme ... Während der ganzen Zeit dachte ich immer wieder: "Was läuft hier eigentlich für'n Scheißfilm ab?!" Mir wurde bewußt, wie scheisse allein man eigentlich ist im Leben! Hoffte immer, mein Freund würde doch noch kommen! Dass es mittlerweile schon fast Mittag war, checkte ich am wenigsten. War ja auch lui! Durch das Radio hatte ich erfahren, dass inzwischen alle Brücken in Dresden dicht und im Prinzip unbefahrbar waren. Trotzdem griff ich im Gedränge zum Telefon und rief M. an. Er sagte: "Es is halt Chaos, wenn ich's schaffe, komm ich." Gar nicht sehr viel später klingelte es, ich atmete auf und mein Kumpel kam! Er ging erst mal auf den Balkon, ich glaube er machte zwei Fotos. Als wir vorm Fernseher hockten, sahen wir uns fragend an. "Pizza?! Eeschentlich schon, hä?!" Er rief an. Hatte scheinbar den Geschäftsführer dran, der einst mit ihm die Schulbank drückte, feixte blöde rum und gab unsere Bestellung auf. Ich dachte noch: "Hallo?!" Kurz nach dem Mittagessen, ich hatte gerade Kaffee angesetzt, läutete das Telefon, zum x-ten Mal an diesem apokalyptischen Tag meine Mum, völlig
hektisch: "Die wollen mich evakuieren, kommen sicher auch zu dir!" Wir konnten das Telefonat nicht beenden, weil an diesem Tag alle Handy-Besitzer völlig am Durchdrehen waren. Die Netze waren am Zusammenklappen, sämtliche Akkus waren leer und die Menschen eh fix und alle! Mich packte die Panik, verbunden mit Angst und Unentschlossenheit. Ich fragte mich: "Was nimmt man da jetzt mit?" Fing an, all meine Heiligtümer zusammen zu raffen, nahm meine Püppi von der Wand, steckte meine Beretta, die Liebesbriefe, ein paar Unterhosen und zwei T-Shirts ein. Was weiß ich denn, wie lang sowas dauert! Und irgendwie war ich völlig verpeilt. Dachte durch die Berichte, ich könne nie wieder zurück! Nur vergaß ich dabei, dass ich im vierten Stock einer Neubauwohnung wohnte ... Tja, sowas kommt von sowas! Gottseidank kam meine Mum kurz nachdem Höfi sein Auto aus dem bereits auf der Straße stehenden braunen, ekelhaften Wasser gerettet hatte und brachte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Meine ältere Nachbarin meinte wie wir, in ihrer Wohnung bleiben zu können. Wir aßen noch Abendbrot auf dem Balkon, nachdem der Strom und das Wasser weggegangen waren. Ich weiß schon nicht mehr, ob Mum ihre Cousine da schon angerufen hatte. Denn die hatte uns angeboten, zu ihr in das Haus auf dem Berg, nicht sehr weit von mir, zu flüchten. Ja, und von hier aus haben wir seit heute vor einer Woche über Funk und Fernsehen mitverfolgt, wie unsere Stadt evakuiert, mit Sandsäcken gesichert, zum Teil geflutet und bislang teilweise wieder von den Wassermassen befreit wurde. Einige meiner Verwandten mussten mit Booten oder Helicoptern gerettet werden. Hinterließen Teile ihres Besitzes der Macht der Natur. Es ist so furchtbar, was hier innerhalb der letzten Woche passiert ist und was diese Sintflut aus unserem schönen Dresden, den angrenzenden Ortschaften und großen Teilen Ostdeutschlands gemacht hat! Und wer weiß, was die fünfzehn Kilometer breite Seenlandschaft noch alles mitreißt? Manch einer hat sicher noch nie gehört von Orten wie Grimma, Glashütte, Torgau, Wittemberge, Dessau, Mühlberg, Bitterfeld oder Bad Schandau/Riesa.
Um vielleicht das Unheil mal in Zahlen zu nennen: Hier in Dresden stieg das Wasser auf fast neuneinhalb Meter und Pirna stand elf Meter unter Wasser! Bereits am Donnerstag Nachmittag wurden Bilder von Pirna im TV gebracht, wo von den Straßenschildern nur noch die Spitze aus dem Wasser ragte. Ich bin jedenfalls heilfroh, das ich die ganze Zeit im Trockenen saß und nun davon berichten kann! Ich meine wirklich vorstellen, nachempfinden oder wissen kann keiner, der es nicht hautnah miterlebt hat, wie so ein Katastrophenzustand ist! Nicht einmal ich kann das: Ich sitze hier in meinem Rollstuhl und mache mir Sorgen um meine Fotos, die noch im Elbepark liegen, der knietief im Wasser steht und in dem es nie mehr wie früher sein wird. Meine Freunde und Verwandten sagen, es sähe aus wie im Krieg und stinke wie die Pest. Und wer weiß, was uns noch blüht, durch all den Unrat und die Scheisse, die auf den Straßen schwamm und jetzt von all den freiwilligen Helfern beseitigt wird? Und ich sitze hier, erzähle großartig und habs noch nicht mal gesehen ... In unser aller Namen danke ich hiermit unseren Helfern:
THW, BW, DRK, Feuerwehr und allen privaten Helfern
und meiner Großcousine
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den Radiostationen:
jump 103.5, Radio Sachsen