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Hochsaison
Hochsaison
Ich bin draußen und stehe unter der Dusche. Eigentlich liebe ich es, zu duschen, aber es strengt mich immer so fürchterlich an.
Ich will ja nicht angeben, aber meine Haut glänzt so schön danach, das ist wirklich toll! Sie glänzt, und wenn die Sonne auf sie scheint, dann glitzert sie richtig!
Der einzige Wermutstropfen bei der Sache ist, dass ich dann immer stundenlang brauche, um alles abzukratzen. Für den Rücken brauche ich auch noch Hilfe, denn wie soll ich denn da überall dran kommen?
Auch mit den Haaren habe ich gewisse Schwierigkeiten. Anfangs waren sie lang, sie waren mein ganzer Stolz gewesen. Jahrelang habe ich sie nur wachsen lassen und immer nur die Spitzen geschnitten.
Doch nach dem Duschen habe ich sie kaum sauber gekriegt. Es war wirklich jedes Mal eine Tortur! Also habe ich kurzerhand zur Schere gegriffen. Die abgeschnittenen Haare habe ich natürlich aufgehoben, sie sind ja ein Andenken und außerdem von bleibendem Wert.
Meine Chefin hat vielleicht geschaut, als ich da plötzlich mit Kurzhaarschnitt wieder aufgetaucht bin!
Sie ist übrigens wirklich zufrieden mit mir, hat sie gesagt.
Manchmal frage ich mich allerdings, warum sie die Bezahlung so überaus kompliziert gestaltet. Doch da sie reichlich gibt, kann man über die Macken dieser alten Dame hinwegsehen, denke ich.
So mit der Zeit würde ich allerdings gerne mal wieder jemand anderen zu Gesicht bekommen als meine Chefin. Sie ist nett und freundlich, da kann man wirklich nicht klagen. Aber mir fehlt einfach der Kontakt zu anderen Menschen. Man vereinsamt hier langsam richtig!
Ergo --- ich bin urlaubsreif!
Morgen früh werde ich gleich als erstes mit ihr über Urlaub sprechen. Es wird sich doch ein Zeitpunkt finden lassen, der ihr recht ist. Momentan liegt nicht so viel Arbeit an, die könnte sie für ein paar Tage auch alleine bewältigen. Ja, wenn ich so drüber nachdenke, wäre eigentlich jetzt ein äußerst günstiger Zeitpunkt für meinen Urlaub.
Am besten, ich höre den Wetterbericht für die nächste Woche gleich an, damit ich morgen früh gute Argumente habe, wenn ich wegen Urlaub frage. Wieviel Uhr ist eigentlich?
21 Uhr, schnell Radio anschalten, Wetterbericht wird gleich kommen......
Suuuuuuper! Die ganze nächste Woche keine Niederschläge, weder Regen noch Schnee. Es wird sonnig und tierisch kalt werden. Das ist natürlich optimal für mich! Da wird sie einfach nicht nein sagen können.
So, jetzt wird es Zeit für mich, ich bin schon ganz schön müde. Das frühe Aufstehen schlaucht mich ziemlich! Meine Chefin ist Frühaufsteherin und erwartet das von mir auch. Sie braucht unheimlich wenig Schlaf, das macht wohl die jahrelange Gewohnheit bei ihr.
Eine Woche Urlaub vor der Hochsaison wäre jetzt genau das Richtige für mich. Denn Hochsaison ist im Grunde fürchterlich. Nichts mit Tiefschlaf, denn ständig auf Abruf kann man einfach nicht gut schlafen. Die letzte Hochsaison habe ich abwechselnd im Halbschlaf im Bett liegend und herumwankend wie ein übermüdeter Zombie verbracht.
Also, alt werde ich in diesem Job nicht werden! Ist mehr so eine kurzfristige Sache, man nimmt die gute Bezahlung mit und wenn einem der Stress zuviel wird, geht man wieder und sucht sich einen neuen Job.
Da muss ich meine Chefin wirklich bewundern. Die macht das schon Jahr und Tag und wird wohl auch noch bis in alle Ewigkeit dabei bleiben, einfach unglaublich! Und das in ihrem Alter!
Wie alt ist sie eigentlich? Habe ich schon öfters drüber nachgedacht. Man kann ihr Alter so schlecht schätzen. Sie sieht aus wie so ein altes Mütterlein, aber gleichzeitig wirkt sie unheimlich jung. Ich weiß es einfach nicht! Und ich kann mich ja schlecht hinstellen und sie einfach fragen; das wäre wirklich ein bisschen daneben, denke ich.
So, jetzt aber wirklich ab ins Bett. Ich muss morgen früh fit und geistig voll da sein, sonst schmettert sie meinen Urlaubsantrag von vorneherein ab.
Gute Nacht!
Plötzlich reisst mich ein markerschütterndes Scheppern aus dem Schlaf.
Ich stehe im Bett, mein Kreislauf spinnt, ich habe einen Schweißausbruch. Dieser Alarm-Wecker schafft mich noch! Ich lege mich sofort wieder hin, denn wenn ich jetzt aufstehe, dann kippe ich um.
Und schon wieder geht der Wecker los!
Auf das zweite Klingeln war ich allerdings schon vorbereitet. Und jetzt gaaaaanz langsam! Füße aus dem Bett hängen lassen, ein paar Minuten warten, dann langsam immer mehr „aufstehen“. Ja, so geht’s. Ich muss unbedingt schnell etwas trinken, Gott sei Dank habe ich immer eine Flasche Wasser neben dem Bett stehen für solche Fälle.
Da höre ich schon die Chefin drunten herumrennen. Gleich wird sie rufen. „Mariiiiiiiiie!“
Zuerst leise und mit Abstand von jeweils zwei Minuten (ich weiß, von was ich rede, habe ich nämlich schon öfters genau gestoppt!) immer lauter.
Um das laute „Mariiiiiiiiiiiiiiiiiie“ nach zehn Minuten will ich sie nicht prellen, sie braucht das einfach. Also trödle ich immer ein bisschen, bevor ich endlich die Treppe nach unten gehe. Sie hört dann schon das Quietschen der zweiten Stufe und ist beruhigt, rennt in die „Vorratskammer“ und reißt das Fenster auf.
Unsere Vorratskammer ist nicht so, wie man sich üblicherweise so eine Vorratskammer vorstellt. Es ist ein riesiger Raum, überall liegen Kopfkissen mit der Aufschrift „Ente“, „Gans“, „Truthahn“. Es gibt auch kleinere Kissen, auf denen steht dann zum Beispiel „Taube“ oder „Kanarienvogel“, und ein paar winzige Kissen mit der Aufschrift „Zebrafink“.
Die Kissen sind penibel sortiert, denn schließlich muss man genau wissen, wo die dem Anlass entsprechenden mit einem Handgriff zu finden sind!
So ein Enten- oder Gans-Kissen wird recht oft benötigt. Für mich ist es aber jedes Mal ein Fest, wenn ich ihr ein Zebrafink-Kisselchen bringen darf! Das ist total niedlich, wenn sie die ausschüttelt. Es würde mich schon interessieren, wie sie es überhaupt schafft, dass diese kleinen Federchen und Daunen überhaupt da unten ankommen! Aber sie hat die Erfahrung und muss wissen, was sie tut.
Da hat der Wetterbericht also wieder mal falsch gelegen. Von Schnee haben die nichts gesagt, aber Frau Holle verlangt die Gans-Kissen von mir. Also wird es da unten heute nacht ganz schön schneien!!!
Urlaub ade, kann ich da wohl nur sagen!
Und da die Hochsaison dieses Jahr hiermit begonnen hat, wird sie mich höchstwahrscheinlich täglich unter die Dusche schicken und zur „Gold-Marie“ machen.