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Hochhaus
Er schreckte auf. Der rotierende Ventilator über ihm fing an zu ächzen. Der kühle Luftzug erstarrte. Schweißperlen krochen aus seiner Haut und fingen an zu jucken. Das Atmen fiel ihm schwer. Er spürte sein Herz schlagen. Härter als gewöhnlich. Da waren sie, diese Gedanken, die ihn davon abhielten weiterzumachen, die seine Finger davon abhielten weiter auf die Tasten zu schlagen. Noch immer starrte er auf den flimmernden Monitor, immer die gleiche Frequenz. Der Einklang zwischen Bildschirmflimmern und Rotationsgeräusch war gebrochen. Die teure Luxusklimaanlage hatte anscheinend wieder einmal einen Aussetzer. Wieder diese Gedanken, schwirrten durch seinen Kopf, hin und her, ungeordnet. Langsam hebte er seinen Arm, führte seine Hand zum Monitor und betätigte den An/Aus-Schalter. Alles in Zeitlupe. Wie vom Flimmern befreit atmete er tief durch. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, doch es nützte nichts, denn es war noch immer unerträglich heiß. Sein Kopf im Hochbetrieb, versuchte den Gedankenfluss zu ordnen.
Seit wann war er schon hier? Eigentlich schon immer, nein, seitdem er fähig war zu denken. Es hat mit der Schule angefangen, obwohl, eigentlich schon mit dem Kindergarten, oder noch früher? Es ist das erste Stockwerk, wo man noch einen schönen Ausblick nach draußen hatte und der Ausgang nicht weit entfernt war. Doch man hat damals all dies nie beachtet. Und so hatte er sich von Stockwerk zu Stockwerk hochgearbeitet und er fühlte sich immer besser, glaubte er, obwohl seine Gier nie wirklich gestillt werden konnte. Immer reicher wurde er, immer luxuriöser sein Büro, einfachere Arbeit, stärkere Klimaanlage um die tropische Wärme, die draußen herrschte abzuwehren. Die Klimaanlage war so mächtig, sodass die Fenster sogar von außen beschlugen. Damit wurde der Blick nach draußen für ihn immer verschwommener, verzerrter je höher das Stockwerk, in dem er sich zur Zeit befand. Doch die Klimaanlage, speziell der jeweilige Ventilator in seinem Büro, hatte schon öfters ihre Aussetzer gehabt und dann wurde es unerträglich heiß. So wie auch jetzt.
Vielleicht war er nur ein Pechvogel, oder vielleicht auch nicht, dachte er. Denn nur auf Grund dieser Aussetzer konnte er einen Blick aus dem Fenster wagen, da nur dann der Beschlag sich auflösen konnte. Und auch jetzt drehte er seinen Kopf langsam in Richtung Fenster um hindurchzuschauen. Zunächst erkannte er nur eine Vielzahl verschiedener Grüntöne, die noch keine Form ergaben. Doch er war an dieser Farbe so interessiert, dass er seinen Blick nicht von ihr wenden konnte. Endlich stand er auf. Diesmal ruckartig, spontan. Sein Herz bebte ohne Rhythmus. Schneller, langsamer, schneller, langsamer. Er ging eilig zum Fenster, rieb sich seine Augen, um alles deutlich erkennen zu können und schaute hinaus auf das Paradies. Unendlich viele Pflanzen. Bäume in allen Größen und Arten, Blumen in all ihren Farben, Wiesen, deren Ende man nur ahnen konnte. Es war wunderbar, so wie jedes Mal, wenn er hinausschaute. Doch er wunderte sich darüber, dass kein Mensch draußen zu sehen war. Kein einziger. Vielleicht kann man sie von hier aus nur nicht sehen, aber bestimmt gibt es irgendwelche Menschen, die einsam durch die Wälder streifen und an den Blumen auf den Wiesen riechen. Bestimmt, dachte er.
Er atmete wieder tief durch, doch die Luft wurde immer stickiger. Sein eigenes Hüsteln riss ihn aus seinem Bann. Plötzlich fühlte er sich müde, zu schwach um sich zu bewegen. Er schaute quer durch den Raum und auf einmal durchzuckte es ihn in seinem Kopf. Er hatte die Kamera völlig außer Acht gelassen! Sie schauten jetzt sicherlich zu und beobachteten ganz genau seine Bewegungen. Er war verwirrt, wusste nicht was zu tun war. Die Schweißperlen juckten überall, auf jedem Quadratmillimeter seiner Haut. Der Ventilator, die Rettung! Er fing mühselig an, sich wieder zu drehen. Er würde immer schneller werden, bis er endlich seine Standardgeschwindigkeit erreicht hatte. Ein letzter Blick aus dem Fenster. Das Paradies. Der Beschlag wurde immer deutlicher, immer dicker. Nein! sagte er hastig. NEIN! schrie er mit voller Stimmer, wie lange nicht mehr zuvor. Gleichzeitig gab der Ventilator ein ächzendes Geräusch von sich, die Rotation verlor an Geschwindigkeit. Es wurde wieder warm. Er musste was unternehmen. Er wollte raus. Für immer raus aus diesem Hochhaus. Hektisch blickte er um sich. Gleich würden sie sicherlich kommen und ihn verhören. Sein Benehmen war schon beinahe unverzeihlich. Da erblickte er den Monitor, mit einem Satz war er bei ihm, riss die Kabel raus und nahm ihn hoch. Er war schwer, schwerer als er vermutet hatte. Er drehte sich wieder in Richtung Fenster. Leicht verschwommen war der Ausblick, doch er wusste was ihn erwarten würde. Er lief auf das Fenster zu und mit einer schwungvollen Bewegung warf er den Monitor gegen das Glas. Klirrend zerbrach die Scheibe, krachend viel der Monitor auf den Boden. Es klopfte jemand an der Tür. Rasch schaute er zurück, sein Blick fiel auf die Kamera. Die rote Lichtdiode leuchtete. Jetzt war ihm alles egal, es war schon zu spät einen Rückzieher zu machen. Er musste es durchziehen. Erst jetzt bewerkte er, wie eine lauwarme Brise ihm frisch ins Gesicht wehte. Er spürte wie er die Luft einatmete und er wollte sie überall auf seinem Körper spüren. Deswegen zog er sich aus, wie in Trance, ohne nachzudenken. Er stellte sich auf die Fensterbank, hielt sich mit beiden zur Seite gestreckten Armen am Fensterrahmen fest und schaute hinunter. Dann ließ er los. Er ließ sich fallen und flog vom seichten Wind getragen in die grüne Weite.