Hobbys: Lifestylemagazine lesen und weinen
Vor nicht allzuvielen Wochenenden habe ich mir neuen Ausbreitungsraum für mich und meine Angewohnheiten gesucht und bin in eine nette, nur peripher (Badezimmer) angeschimmelte Altbauwohnung in der Innenstadt gezogen. Von dort im zweiten Stock kann man die tags kaufenden und nachts saufenden Massen in Augenschein nehmen und ihnen bei der konsequenten Verrichtung ihrer Aufgaben moralisch zur Seite stehen, was in Anbetracht eines momentan fehlenden Fernsehers von allzuviel Denken ablenkt.
Als am Totensonntag bei miserabelstem Wetter und seit Wochen sogar auf Plakatwänden angekündigten TV-Highlights niemand Unterstützendwertes durch die Kopfsteinpflastergassen flanierte, sah ich mich genötigt, das nicht mehr in die Schränke wollende und im Wohnraum für unpassend erklärte Gedöns meines Umzugs auf den Dachboden zu schaffen.
In Ermangelung an Alternativen hatte mein Vormieter wohl den gleichen Gedanken ersonnen und so fand ich bereits eine nicht unbeträchtliche Ansammlung von eingekisteten Unzumutbarkeiten vor, die der gute Mann anscheinend vergessen haben muss. Von Natur aus aphatisch und desinteressiert öffnete ich den größten Karton, nur um sicher zu gehen, dass sich keine Ratten oder ähnliches eingenistet hatten. Was ich erblickte waren aber nur die üblichen Antagonismen, die sich im Laufe eines zu langen Lebens angesammelt hatten: Ein vegetarisches Kochbuch und einen Tischgrill, ein „Do not smoke“ Plakat und ca. dreißig leere Feuerzeuge, usw.
Natürlich kann beanstandet werden: „Das sind ja gar keine Gegensätzlichkeiten. Man kann auf einem Tischgrill anstatt niedlicher Tiere mit womöglich noch niedlicheren Namen auch Gemüsespieße rösten und Feuerzeuge statt zum Anzünden teurer ausländischer Zigarren auch zum Entflammen von Teelichtern gebrauchen, wenn es abends mal schön romantisch sein soll.“
„Unsinn!“, antworte ich darauf. Vegetarier, die sich einen Tischgrill für die Zubereitung von Gemüsespießen kaufen, sind rinderwahnsinniger, als sie es durch den Konsum von Haribo Fruchtgummimischungen werden könnten. Es gibt hunderte köstlicher fleischloser Gerichte, der gemeine Gemüsespieß gehört nicht dazu. Es ist eher eine Notwendigkeit für das Zusammengehörigkeitsgefühl beim Grillen, die zu seiner Entwicklung führte denn ein kulinarischer Geniestreich. Wer sieht anderen schon gerne bei der Nahrungsaufnahme zu ohne selbst etwas zu sich nehmen zu können? So wird auch der hungrige Rohkostfan in Ermangelung eines zubereiteten Salats bald einen überlangen Zahnstocher durch Zwiebel, Paprika, Tomate und Champignon rammen um ihn am fettfreien Rand des sowieso unterdimensionierten Grills vor sich hinkohlen zu lassen. Dann sind wieder alle gleich, warten aufs Essen, schimpfen über die Regierung, trinken Bier und werden gesellig.
Mit dem Plakat und den Feuerzeugen verhält es sich ähnlich..... wie genau weiss ich allerdings nicht.
Die Ausrede, dass es sich bei diesen Utensilien um Geschenke handelt, lasse ich ebenfalls nicht gelten. Soetwas bewahrt der mündige Mensch nicht auf. Es kann nonchalant lächelnd entsorgt oder weiterverschenkt werden. Wozu gibt es Mülleimer oder Bekannte?
In der zweiten Kiste fanden sich dann die wahren Schätze. Zu meiner Enttäuschung zwar kein Tagebuch, aber immerhin eine beträchtliche Sammlung Lifestylemagazine und eine Flasche Malteserkreuz. Eine, wie ich finde, hervorragende Kombination für einen Feiertag. Ich führte mir beides zu Gemüte und begab mich begierig in die Untiefen der Oberfläche. Men`s Health war dabei meine erste, wenn auch uninteressanteste Lektüre. Die mit vielen Fotos und wenig Text versehende Tipsammlung für den Yuppiesingle, der unter Sixpack etwas anderes versteht als ich, ist arg langweilig geraten.
Die Redakteure gehen apriori davon aus, dass jeder Mann (heterosexuell) die folgenden fünf Punkte für erstrebenswerter als den Weltfrieden erachtet:
1.) einen Posten im mittleren Management
2.) einen Porsche Roadster fahren
3.) eine Körperkonstitution wie Brad Pitt in Fight Club
4.) eine Penthousewohnung in einer selbsternannten Metropole
5.) Jennifer Lopez vögeln
Zwar nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, aber die Tendenz ist klar. Nebenbei gibt es Designberatung, Macho-Klatsch und Bauchmuskelterror.
Ich hätte da auch einen guten Sixpacktip: Kühl lagern, nach dem Anbrechen rasch verzehren!
Viel besser gefiel mir die Zeitschrift JOY. Wahrscheinlich weil es sich um eine Gazette für die junge Frau von heute (bzw. dem Erscheinugsdatum nach für die junge Frau von 1998) handelte oder der Malteser mich inzwischen angenehm von innen wärmte. Immerhin brüstete sich das Editorial damit die erste Frauenzeitschrift mit Musik CD Beilage vorzustellen. Leider fehlte die CD. Gerne hätte ich dem Soundtrack zu Artikeln wie „Tabuthema Zwitter“ und „Trend-Makeups 98“ gelauscht.
Einen kleinen Exkurs in die quantitative Sozialforschung entdeckte ich auf Seite 20. „Der zwölfte Mann“, ein wirklich entzückendes Plädoyer gegen das schlechte Gewissen bei häufigem Bettenwechsel, belegt durch eine Studie des Max Planck Instituts. Der Artikel war nur das übliche „Der erste ist nicht der Beste – frau muss auch Erfahrungen sammeln“ Blabla, amüsant war vielmehr die Gegenüberstellung der interviewten Menschen. Die jungen dynamischen Karrierefrauen, die sich schwupsdiewups alles leckere Männliche vom Kneipentresen schnappen, nach Hause schleppen, den ärmsten auf das übelste zurichten und dann, sobald die Befriedigung eingesetzt hat, wieder auf die Straße befördern. Dagegen ein weinerlicher Student, der seiner großen Liebe hinterhertrauert und ein Ex-Hippie, der ganz hippieunüblich mit nur wenigen das Lager teilte. Unter den Fotos der gutaussehenden Frauen befanden sich kleine Listen mit ihren Ex-Lovern. Diese hatten selbstredend Namen wie Raul, Mihai oder York und Berufe wie DJ, Bodyguard oder DJ-Bodyguard.
Der Hippie hatte nur eine Astrid, die er nicht wirklich liebte. ...Das Leben ist für viele eine Prüfung.
Niedlich fand ich auch das Meredith Brooks Zitat von Seite acht: „Jeder sollt mal einen seelischen Zusammenbruch erleben, nur so kommt die heilende weibliche Energie zum Durchbruch.“ und den ersten Platz der JOY Mode-/Beauty-Highlights : Was in Blau (42%), weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz: weißer Lidschatten (26%).
Ich zündete mir eine Zigarette an und musste plötzlich weinen. Aber nicht die Lektüre war Grund meiner emotionalen Irritation: Ich Idiot hatte die Malteserkreuzflasche umgekippt....... eine heilende weibliche Energie verspürte ich nicht.