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Historischer Roman – Glaubwürdigkeit der Sprache

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Historischer Roman – Glaubwürdigkeit der Sprache

Ich schreibe zur Zeit an einem historischen Roman. Die Handlung spielt im 16. Jahrhundert, doch ich verwende die heutige Sprache. Auch in den Dialogen wird die Höfflichkeitsform Sie statt Ihr bzw. Er verwendet. Der Pfarrer wird zwar noch als Hochwürden angeredet, alle anderen aber als Herren und Frauen ev. mit ihren Titeln (Herr Bürgermeister, Herr Vogt).

Doch nun ist ein Problem aufgetaucht: Es sollte ein offizielles Schriftstück diktiert, geschrieben oder gelesen werden, und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich die damals üblichen Formen bzw. Floskeln verwenden soll.

Luther schrieb zum Beispiel in einem Brief so: Fürsichtigen und weisen Herrn Hieronymo Mühlpfordt, Stadtvogt zu Zwickau, meinem besondern günstigen Freund und Patron, entbiete ich, genannt D. Martinus Luther, Augustiner, meine willigen Dienste und alles Gute.

Aber es gibt auch: Hochwohlgeboren wollen gütigst entschuldigen, …

Die offiziellen Schriftstücke von Amt(sperson) zu Amt(sperson) bedienen sich einer noch geschwollenen Sprache. Und bei mir geht es eben um eine/n Bericht/Anzeige einer Amtsperson an eine höhergestellte Persönlichkeit, und leider muß der genaue Wortlaut irgendwann – spätestens vor Gericht - bekannt werden.

Mir widerstrebt es, diese Form bzw. Sprache zu verwenden, doch andererseits weiß jeder, daß damals anders – nämlich so wie oben angegeben - geschrieben wurde, und wenn ich das nicht so schreibe, dann gibt es vielleicht ein Glaubwürdigkeitproblem.

Was meint ihr?

 

Auch ich schreibe momentan an mehreren Texten, die im 16./17. Jahrhundert spielen und habe mich deshalb mit damals verfassten Schriftstücken (für Prozess-Protokolle) befasst. MMn erhöht die Verwendung "geschnörkelter" Sprache die Authentizität einer in historischer Zeit angesiedelten Geschichte.

 

Antonia schrieb:
MMn erhöht die Verwendung "geschnörkelter" Sprache die Authentizität einer in historischer Zeit angesiedelten Geschichte.
Das ist wahr, Antonia. Doch wenn man in dem Roman sonst alles in unserer heutigen Sprache schreibt, dann paßt das irgendwie nicht zusammen. Ich meine, du kannst nicht Dialoge schreiben, in denen gesiezt wird, und dann an die gleiche oder eine andere Person Schriftstücke in geschnörkelter Sprache verfassen lassen!

Das allein ist das Problem.

 

Also ich bemühe mich schon um größtmögliche Authentizität, Jynx. Sicher könnte man das Problem umgehen – indem man den Brief nicht zitiert, sondern umschreibt. Das ist eine Lösung, die zum Beispiel Tanja Kinkel* bevorzugen würde, aber mich befriedigt Solches nicht. Okay, wenn ich nichts anderes finde, werde ich das auch so machen müssen, doch zuerst muß feststehen: Es gibt keine bessere Lösung.

Dion

* Bei einer Lesung erklärte mir Kinkel auf die Frage, wie sie mit verschiedenen Währungen und deren Wertigkeiten umgeht, Folgendes: Sie nenne nie die damals gültigen Summen oder Preise, sie schreibe meistens, etwas hat viel oder wenig gekostet, oder er/sie müßte sich (nicht) Geld leihen, um es zu bezahlen. Das ist mein Ansatz nicht, mit etwas Mühe habe ich zum Beispiel die damaligen Preise herausgefunden, auch in der Relation zu den Einkommen und/oder Lebenshaltungskosten. Das mache ich auch mit anderen Dingen so, zum Beispiel ermittele ich lieber die Größe oder den Umfang einer Stadt bzw. die Anzahl der damaligen Bevölkerung, als lediglich zu sagen, die Stadt wäre zu jener Zeit größer/kleiner oder bedeutender/bedeutungsloser als heute.

 

Hallo Dion

Ich habe mal an einer Kg geschrieben (leider liegt sie nur zu 90% fertig auf meiner Festplatte), die um 1900 in einem Fürstenhaus spielte. Da hatte ich ein ähnliches Problem und zwar nicht nur mit einem Brief, sondern auch mit den Dialogen. Ich habe mich dann mehr oder weniger für eine Zwischenlösung entschieden: Den normalen Text habe ich in der heute üblichen Sprache geschrieben, die beiden relativ kurzen Briefe (einer davon eine Einladung, der Andere ein "Liebesbrief) komplett in der Sprache wie man sie um 1900 verwendete.

In den Dialogen habe ich eine Mischung aus beidem verwendet, zum ersten wegen der Authentizität, zum Anderen wegen der Verständlichkeit. Hätte ich die Dialoge komplett auf "1900" geschrieben, wäre es zu Verständnissproblemen und Stolperstellen gekommen. Außerdem konnte ich so auch die Modusfehler verhindern, die sich manchmal durch die veraltete Sprache ergaben. Ich denke so funktioniert es auch ganz gut.

Wenn ich irgendwann mal noch eine Idee für das passende Ende habe, werde ich die Geschichte auch hier posten. *allein es ist die Frage wann :D*

Lg, Phoenix

 

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