- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Hirse&Almah
Hirse läuft, begleitet ihrem kleinen braunen Hund, der eigentlich ständig in ihrer Nähe ist, zum Schuhfachmarkt inmitten von Hamburg. Sie schaut sich nicht um, weil sie sich nie umschaut, und so kann sie auch den herannahenden Betonmischer, der auf sie zugepoltert kommt nicht sehen. Dieser streckt kurz vor ihr den Arm aus und wirft die beiden geradewegs in seine riesige, rotierende Blechtrommel.
Als Hirse zur Besinnung kommt, streicht sie sich die Haare aus dem Gesicht und blickt auf den Boden. Dort sitzt Almah mit halboffener, feuchter Schnauze und blinzelt fröhlich mit blauen Augen in Hirses Gesicht. „Können wir beide jetzt weitergehen?“, denkt Hirse und streicht mit der Hand über Almah`s flauschigen Kopf. Sie nickt, lässt ihre Zunge heraushängen und schleckt die Finger, die sehr nahe an ihrem Maul vorbei gleiten hastig ab.
Die beiden tasten sich vorsichtig vorwärts, Schritt für Schritt, auf einem schmalen Steg, der durch das grollende Dunkel des Mischers führt. Zwischen zwei Getrieberädern, die knackend ineinander greifen entdecken die beiden schließlich einen winzigen Lichtschimmer. Er verschwindet regelmäßig, um nach einer halben Umdrehung erneut aufzublitzen. Noch ehe der Spalt wieder so klein wird, dass selbst der magerste Lichtstrahl nicht hindurch passt, bläst Hirse eines der beiden Räder an. Sofort bleibt es wie eingefroren stehen. Hirse nimmt Almah in den Arm, streicht ihr beruhigend übers Fell und steigt behände durch die kleine Öffnung ins Helle.
Mit beiden Füssen steht sie nun in einem ganz und gar weißen Raum. Er ist so weiß, dass sich selbst die Ecken nur schwer von den glatten Wänden unterscheiden lassen. Den einzigen Kontrast bieten eine blaue Holztür am gegenüberliegenden Ende, sowie ein schwarzer Dobermann der sich den beiden zähnefletschend nähert. Als Almah ihn entdeckt, gleitet sie aufgeregt unter den weichen Pullover hervor, rutscht den Po voran Hirses Bein hinunter, tappt mit wackligen Pfoten bis zur mächtigen Schnauze ihres Artgenossen und leckt dessen hochgezogene Lefzen mit der winzigen Zunge ab. Genauso wie sie es immer mit Hirses Finger tat. Irritiert mustert dieser das kleine Wesen, zwinkert Hirse zu, reißt sein riesiges Maul auf und verschluckt Almah in einem Stück. Danach ist es still. Unruhig baumelt nur noch die Leine aus dem Maul des Mörders und verläuft in einem ansteigenden Bogen bis zu Hirses Hand. Mit starrem Blick zündet diese das Ende der Schnur an. Gleich einer Zündspur frisst sich das Feuer Meter für Meter vorwärts und verschwindet im Rachen des Hundes. Krachend zerbirst das schwarze Untier, die Innereien spritzen gegen die Wand, von der sie nun periodisch herabtropfen.
Hirse bindet ein großes Stück davon, vielleicht den Magen, an eine Baumwollschnur, öffnet die Holztür und betritt eine duftende weiche Wiese. Nicht weit steht ein großer Behälter mit Wasser gefüllt, solch einer wie sie gewöhnlich als Tränke für Kühe benutzt werden. Sie taucht ihre Hand unter die Wasseroberfläche und beobachtet wie das Sonnenlicht auf ihrer weißen Haut tanzt. Auch das Stück Fleisch, welches sie jetzt mit den Händen im Wasser betastet, reflektiert die Sonnenstrahlen unterschiedlich und nimmt allmählich eine blasse Farbe an.
Mal knetet, drückt und zieht Hirse mit ihren kleinen Fingern an den leblosen Eingeweiden, mal streicht sie sanft, behutsam, fast liebevoll darüber. Man könnte, wenn man es nicht wüsste, meinen etwas Zerbrechliches, Lebendiges beansprucht die gesamte Aufmerksamkeit des Mädchens. Und tatsächlich, was sich jetzt in ihren Fingern befindet hat keine Ähnlichkeit mit dem was vor kurzem noch an dem Wollfaden baumelte.Ein nackter Knabenkörper, so rein und schön wie nur Prinzen ihn besitzen liegt reglos in der Tränke.
„Er hat Almah´s Augen“, flüstert Hirse unhörbar leise einem neugierig nach vorn gebeugtem Gänzeblümchen zu. Sie legt ihre Kleider ab, steigt in den Trog, schmiegt sich an die kalte Haut, zieht den Stopfen des Beckens heraus. Erst langsam dann immer schneller beginnt das Wasser an der Oberfläche Kreise zu ziehen, verbündet sich mit beiden Körpern und versinkt mit ihnen vollständig in der blühenden Wiese.