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Hinterkopf frei
Hinterkopf frei
Er war ein Friseur, wie man sich ihn vorstellt. Kein männlicher Typ, wenn sie wissen was ich meine. Er trug farbenfrohe Kleidung, Hawaiihemden, Leinenhosen mit Bundfalten, farblich dazu abgestimmt. Dann trug er auch Schuhe, solche mit so einem Troddel oben drauf. Ist nicht jedermanns Sache, ab er war eben so ein Typ.
Wenn er durch die Straßen schlenderte, blickte er niemals geradeaus so wie die Jungmanager mit Schlips und Kragen, die in ihrer Uniform mit coolem, manchmal gar grimmigem Blick wichtig tuend geradeaus stampften. Nein, nein, von denen hob er sich ab. Er hatte stets ein Lächeln im Blick, sah mal nach links, mal nach rechts, nickte dem einen oder dem anderen freundlich zu, grüßte gar des Öfteren. Hin und wieder blieb er stehen und begann ein Gespräch, einfach so. Er brauchte nicht lange zu überlegen; der Gesprächsstoff ging ihm niemals aus. Seine Gespräche begannen zum Beispiel mit „Einen wunderschönen guten Morgen“. Dabei machte er eine ausladende Handbewegung, hielt inne in seinem Schritt, übernahm die Leitung der Unterhaltung und brach sie wieder ab, wenn ihm danach zumute war. Sein Gegenüber hatte niemals eine Chance, das Geplauder abzubrechen wenn ihm die
Zeit zu lang wurde.
Sein Friseurladen hatte von dem Charme der sechziger Jahre nichts eingebüßt. Die Tapeten, leicht vergilbt, trugen zentimeterdicke Schichten von Haarspray. Auch die Stühle waren recht gemütlich. Kam ein Kind zum Haare schneiden, wurde es seit Jahrzehnten mit „na du kleiner Buttje“ begrüßt, die Mama wurde auf ihren Zuschauersitz verwiesen. Mein Friseur holte wie von Zauberhand eine Sitzerhöhung mit einem Pferdekopf hinter einem fadenscheinigen Vorhang hervor und platzierte diese gekonnt auf dem Ledersitz.
Als Herrenfriseur hatte er sich derzeit einen Namen gemacht. Er schnitt schnipp schnapp den Hinterkopf frei, wie es damals so Mode war. Das Haare schneiden machte er ganz nebenbei während er über Gott und die Welt redete. Ruckzuck war sein Kunde fertig und der nächste konnte den Stuhl erklimmen. Zu seinen Zusatzleistungen gehörte das Entfernen der Nasenhaare, das Stutzen der Augenbrauen und auch die Nassrasur. Wie schwungvoll schliff er das Rasiermesser an dem Lederriemen.
Als sich dann die Haarmode änderte in der heutigen Zeit, war seine Zeit gekommen. Sie war abgelaufen für ihn. Die Kunden wurden weniger. Nur ein paar alte blieben übrig, die nach wie vor mit „Hinterkopf frei“ zufrieden waren. Als auch die wegstarben, verstummte mein Friseur; hatte einfach keinen Lebensmut mehr. Man fand ihn mit Schere und Rasiermesser in der Hand in einem der alten Ledersessel sitzend als schliefe er.
Sein altes Geschäft beherbergt wieder einen Friseurladen. Heute steht in schwarzen Lettern
„Ihr Coiffeur – haircut – event“
darüber.
Ich bin noch nie drin gewesen in dem Laden.