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Hinter einem Fenster
Hinter einem Fenster steht ein Mann.
Wir sehen nur seine Silhouette, ein Schatten, der bedrohlich da steht und uns beobachtet.
Der Mann zieht die Vorhänge zu und wir wissen nicht, was dort hinter dem Fenster geschieht.
Hätten wir einen Blick durch das Fenster in das Haus werfen können, würden wir sehen, wie der Mann eine Axt greift, die er zuvor aus dem Schuppen im Garten geholt hat.
Hinter einer verschlossenen Tür hätten wir Schreie gehört, hysterische, in Tränen getränkte Schreie einer Frau.
Unser Blick würde auf die Axt fallen, die in den Händen des Mannes liegt und mit der er beginnt auf die Holztür einzuschlagen.
Das Schreien würde mit jedem Schlag lauter und lauter werden.
«BITTE!»
Rumms
Immer und immer wieder.
Bis das Holz nachgibt und splittert. Die Szenerie hätte uns vermutlich an The Shining erinnert. Doch nachdem das Loch in der Tür groß genug ist, und der Mann sie von Innen öffnen kann, erkennen wir, dass die Frau ein Baby in der Hand hält.
Die Frau verstummt, nachdem der Mann den Raum betritt. Sie zittert, hält das Baby an ihre Brust.
Wir würden uns wundern, warum bei all dem Lärm, das Baby so still ist.
«Gib ihn sofort her!»
«Nein», antwortet die Frau und wischt sich die Tränen aus den Augen.
«Was hast du ihm angetan, verdammt?»
«Es ist nicht meine Schuld», sagt die Frau und beginnt zu weinen.
Wir würden sehen, wie der Mann, nun völlig blass im Gesicht, sich auf die Frau stürzt und ihr das Baby gewaltsam entreisst.
Wir würden, aufgrund der Tränen des Mannes und seines traurigen Blickes, jetzt verstehen, weshalb das Baby so still ist. Doch wir sehen nur den Vorhang des Hauses.
Wir sehen das Leid und die Dunkelheit dahinter nicht.
Der Mann öffnet den Vorhang und blickt erneut raus. Es sieht so aus, als ob er etwas in den Händen hält, doch wir sehen nicht was es ist.
Wir wenden unseren Blick ab und gehen fort.