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Hinter dem Spiegel
Hinter dem Spiegel
„Herr Bromberg, was glauben Sie, warum wir Ihnen den Spiegel hier her gestellt haben?“
Ich lümmele zerknautscht auf dem abgeschabten Bürostuhl. Der Proll mit Krawatte, der sich von hinten über mich beugt, riecht nach Coppa Banda. Natürlich weiß ich, was ich hier zu tun habe. Auch wenn mir das Head-Set ungewohnt vom linken Scheitel über das Ohr baumelt. Ich soll telefonieren, Kunden belabern, Beschwerden annehmen und sie möglichst abwimmeln. Aber ich sitze erst seit wenigen Tagen jeweils vier Stunden lang eingepfercht in diesem Verschlag. Im Dufflefoon-Call-Center. Und ich habe keine Ahnung, warum in dieser Legebatterie jedes Kabuff mit einem Spiegel ausgestattet ist. Schräg auf die Tischplatte montiert. Genau vor mir. Unvorteilhaft, mein Boxer-Kinn dominiert die Scherbe, mein Kopf wird zum Ei. Hoffentlich bleibt mir nichts davon. „Optische Verzerrung“, fällt mir ein, nannte das mein ehemaliger Physiklehrer. Ich strecke kurz die Zunge raus. Der Unrasierte im Spiegel auch. Fast meine ich, er blinzelt mir zu.
Ich hasse Menschen, die sich von hinten an schleichen, plötzlich über meinen Rücken beugen, und süffisant Fragen stellen, die ich nicht beantworten kann. Besonders, wenn sie sich Teamleiter nennen und nach Coppa Banda riechen. Die vom Arbeitsamt hatte mich gewarnt. „Es ist nur halbtags, da werden sie sich doch zusammen reißen können. Und schmeißen Sie nicht gleich wieder hin, wir müssen Sie sonst aussteuern.“ So nennen die das, wenn sie die Knete sparen wollen. Aussteuern. Sie hatte mich nicht gewarnt, ich hätte meine Luft zum atmen selbst mit zu bringen. Und mich schmal zu machen, um nicht mit den Ellbogen durch die Trennwände zu fahren und im Nachbarkabuff zu landen.
„Ich hatte mich auch schon gefragt“, drehe ich mich um und bugsiere mich samt Stuhl etwas aus der Duftschneise. Ich kann furchtbar freundlich tun, wenn ich will. Mit der Drohung der Tussi vom Arbeitsamt im Gepäck, will ich. „Würden Sie mir bitte erklären, was es mit dem Spiegel auf sich hat?“ frage ich den Hirni in bestem Bühnenhochdeutsch.
„Switchen Sie sich mal raus und notieren sie“, sagt der und fummelt über mir hinweg an der Partyline. Es knackt in meinem Hörer und ich zerre mir das Geschirr vom Kopf.
Und dann hält der mir einen Vortrag über „die verkaufsfördernde Wirkung des Lächelns beim Telefonieren“. Ich stelle mir sein Arschgesicht bei so einem Akt vor. Sofort lächele ich leichter. Abschließend sagt er:
„Sie setzen sich jetzt locker aufrecht hin und kontrollieren, während sie sprechen, ihr Lächeln im Spiegel. Dafür ist der da. Und morgen kommen Sie glatt rasiert, der Kunde spürt so etwas.“
Ich bin geneigt, ihn auch etwas spüren zu lassen. Beschließe aber, es rentiert sich nicht, für den die Faust zu ballen. Er stöpselt mich wieder ein. Ich patsche mir Hörer und Mikro an den Kopf, setze mich aufrecht und starre in den blöden Spiegel. Ich sehe mich Notizen schreiben. Mit links, seitenverkehrt. Es dauert eine Weile, dann bekomme ich tellergroße Augen. Ich weiß, es ist blöde, aber ich vergewissere mich, dass meine beiden Hände diesseits des Spiegels völlig ruhig auf der Tischplatte liegen.
„Er hat doch gesagt, Du sollst Dir Notizen machen“, höre und sehe ich mich sagen. Ich kneife mehrmals die Augen zusammen, sehe mich immer noch schreiben und zwicke mich in die Backen.
„Aua, lass das“, sagt mir mein vis à vis ins Ohr und schüttelt ärgerlich den Kopf. Ich schaue mich um und möchte aufstehen. Neben, hinter die Stellwände gucken, suchen, wer mir diesen Streich spielt. Die Verkabelung hält mich zurück und mein Spiegelbild gibt mir Zeichen, sitzen zu bleiben.
„Dich gibt es doch gar nicht“, sage ich patzig und mein Gegenüber legt den Kuli zur Seite.
„So, mich gibt es gar nicht? Und woher kommen diese Notizen?“ Er deutet nach rechts, ich schaue und sehe den eben noch leeren Dufflefoon-Block, vollgekritzelt mit meiner Klaue.
„Diese Tussi vom Amt, das glaube ich jetzt nicht, Du bist von Vorsicht Kamera, stimmt' s?“ Ich möchte lachen, aber merke am Gesicht gegenüber - an meinem Gesicht - dass mir das Lachen im Halse stecken bleibt.
„Fühl mal“, sagt mein anderes Ich und drückt seine flache Linke von hinten an den Spiegel.
Das klingt jetzt albern aber ich lege meine rechte Hand dagegen und bekomme plötzlich so einen von gewischt, wie schon lange nicht mehr. Für einen Moment gehen bei mir die Lichter aus. Dann bin ich plötzlich mitten drin im Farbstrudel: Ultramarin, grüngold, magenta zuckt und wabert es durch meine Ganglien. Es türmt sich und sprudelt, wälzt sich, kocht und versickert zischend. Hätte ich mein Surfbrett dabei, man könnte glatt...
Dann muss wohl die Hauptsicherung auf der Etage raus geflogen sein. Auf alle Fälle ist kurz alles duster und danach springt der Notstrom an. Die Meisten, bis auf die ganz coolen, schauen aufgeregt über ihre Trennwände und sehen in der schwachen Beleuchtung käsig aus. Ich auch, wie ich mich in meinem Spiegel überzeugen kann. Obwohl, zu 100 Prozent bin ich mir nicht sicher, wen ich da anschaue. Wundern muss ich mich bloß, als ich zum Schichtwechsel meine Filzlatschen gegen die Straßenschuhe tausche und nach Hause will. Ich komme mit dem Schleife binden nicht zurecht. Und jetzt stehe ich auf dem Golfplatz und verstehe die Welt nicht mehr. Alle meine Eisen sind unbrauchbar. Ich müsste Rechtshänder sein, um damit schlagen zu können. Dabei gehöre ich zu den Gründungsmitgliedern des Vereins und spiele folglich schon lange hier.
„Na, Herr Bromberg, beim Friseur gewesen?“, tippt mir mein Caddy auf die Schultern. „Steht Ihnen gut, der Scheitel rechts.“