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Hinter dem Spiegel - oder die Homosexualität von Stoffhasen im 19. Jahrhundert

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26.10.2003
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Hinter dem Spiegel - oder die Homosexualität von Stoffhasen im 19. Jahrhundert

“Through the Looking Glass and what Alice found there“ ist ein bekannter Roman von Lewis Caroll. Ich glaube, er hat sowieso nur zwei geschrieben, der andere ist “Alice in Wonderland”. Auf Deutsch nennt sich ersterer „Alice im Spiegelreich“ oder auch „Hinter dem Spiegel“ . Und seit heute, einem regenverhangenen Tag im September des Jahres Zweitausendunddrei, weiß ich auch, wie er darauf gekommen ist. Oder zumindest, von was er – wenn wir die Themen Drogen und“Schräges-Zeugs-rauchen“ mal außen vor lassen – inspiriert wurde.

Ich fange am besten mit meiner Unfähigkeit des logischen und spiegelverkehrten Denkens an. Das kann ich absolut nicht, wie die vielen Bleistiftkreuze an meinen Wänden deutlich zeigen, die von den mannigfaltigen Aufhängungsversuchen irgendwelcher schiefen Objekte stammen.

Mal ehrlich: wozu muss man denn spiegelverkehrt denken können?! Verwirrt es mich (und eine kleine Gruppe anderer Erdenbürger) nicht schon genug, überhaupt „Rechts“ und „Links“ auseinanderhalten zu müssen?? Allein dazu benötigen einige Leute schon die Hilfe ihrer Hände („Wo das „L“ is, da is links!“)! Wie soll ich denn da die unfallfreie Zuordnung von „Von-mir-aus-links, also das heißt jetzt, von-dir-aus-rechts!“ umsetzen können?? Und wozu? Reicht es denn nicht, einfach „Da neben dem Baum“ o.ä. zu sagen??

... es ist tückisch, das Leben.

Aber nun zum Thema zurück. Ich habe einen Spiegel gekauft. Nicht etwa einen einfach anzubringenden, mit Rahmen und Loch-für-Nagel, nein, es war günstigeres Modell. Dafür musste man die Halterung auch aufkleben. Im Prinzip ganz einfach: Halterung an gewünschter und für den Spiegel gesunder Stelle aufkleben, 24 Stunden warten, Abstandshalter dran, aufhängen – fertig!

Was aber nun, wenn da so ein kleiner GroMo¹, wie ich
es bin, daherkommt, und den linken Klebehalter 3mm tiefer
anbringt, als den anderen?! Jaaaa, dann wird das ganze kompliziert.

Denn, klar, das ganze muss an der Wand a) HÖHER, da es ja am Spiegel TIEFER ist, und b) an der Wand RECHTS sein, da die LINKE SpiegelRÜCKseite ja der RECHTEN SpiegelVORDERseite entspricht.

Insgesamt waren fünf Versuche nötig, nach dem vierten folgte eine (kreative) Pause. Kurz ausgeflippt, denn natürlich war es wieder falsch. Mein Herb verzweifelte langsam aber sicher, und war bestimmt drauf und dran, mich mit der Bohrmaschine zu erschlagen. Beim fünften Versuch klappte es endlich.

Schließen wir nun den literarisch geschickt eingefädelten Kreis und kommen zurück zu Lewis Carrolls´ “Through the Looking Glass...“. Alice im Spiegelreich. Hinter dem Spiegel. Hinter MEINEM Spiegel befindet sich eine wahre Landschaft, denn jeder Versuch kostete einen Dübel, der ja nun in ein gebohrtes Loch musste. Und 5 Versuche á jeweils 2 Löcher macht 10 Löcher. Einige dieser Löcher sind ein wenig größer, da der Putz gebröckelt hat, einige kleiner, manche tiefer, manche flacher, aber zum Glück geht keiner durch ins Badezimmer. Trotzdem erinnert diese Wand schon ein wenig an eine Kraterlandschaft.

Zu Carrolls Roman, den ich noch nie wirklich gelesen habe, und von dem ich mir sicher bin, dass er auch mal als „Hinter dem Spiegel“ übersetzt worden ist, dessen Gegenstand aber jeder kennt: Die kleine Alice, die fähig ist, durch einen Spiegel ein wundersames Märchenland zu betreten, in dem ihr Stoffhäschen lebendig wird und sprechen kann, in dem kiffende Raupen herumrennen, Karnickel trotz Taschenuhr ständig zu spät kommen, und dies auch noch nervig durch die Gegend brüllen. Eine Fabelwelt, in der es grinsende lila Katzen gibt und mürrische Eier auf Mauern tanzen. Kennen wir ja alle, so im Vollrausch ist wohl jedem schon mal ein tanzendes Ei begegnet...

Wie kam Lewis Carroll auf die hirnverbrannte Idee, hinter einem Spiegel könne sich ein anderes Land befinden?? Eine sprichwörtlich verkehrte (SPIEGELVERKEHRTE!!!) Welt, wie zum Geier kommt man auf so was??? Meiner Meinung nach (und elegant verbinde ich nun meine Spiegel-Anbringungs-Versuchs-Geschichte mit dem weltbekannten Alice-Erfinder) verhielt es sich so:

Stellen wir uns das 19. Jahrhundert vor. Wir schreiben das Jahr 1872...

... der gute Charles Lutwidge Dodgson, bekannt geworden unter dem Pseudonym Lewis Carroll (Eine gute Entscheidung! Ich kann das ja nicht mal nüchtern aussprechen!) versuchte, einen Spiegel anzudübeln.... na ja, zumindest irgendwie anzubringen, und da auch er eine eklatante Rechts-Links-Schwäche hatte, und ein bisschen nicht mehr so logisch denken konnte, was ja auch kein Wunder ist, bei dem Zeugs das der Gute geraucht haben muss, hat er die Nägel zu weit in die Wand gehauen, sodass ein gutes Stück herausbrach und er direkt nach draußen, in seinen Garten sehen konnte.

Diesen hatte er natürlich nicht gleich erkannt. Opium soll ja einige Jahrzehnte zuvor sehr beliebt gewesen sein, war aber zu seinem Unglück 1838 verboten worden - was die versteckten Kisten in seinem Keller erklärte. Lewis starrte eine ganze Weile aus dem Loch in seiner Wand und irgendwie war er so fasziniert von den psychedelischen Farben, der kleinen lila Katze auf dem Baum (dem linken!) und dem kahlen Kopf seines Nachbarn, Harm T. Dumpty, hinter der Mauer, der ihn schon immer verdammt an ein Ei erinnert hatte, so dass er glaubte, ein völlig fremdes Land vor sich zu haben.

Zudem kreischte seine mit Hasenzähnen gesegnete Frau, hinter ihm: „Zu spääät! Zu spääät! Ich bin zu spät!“ Denn der Opiumvorrat ging langsam zur Neige (klar, hatte ja auch 34 Jahre halten müssen), und der Dealer war schon weg. Der hatte es nämlich eilig, er musste dringend zum Sigmund, dem war das Kokain ausgegangen, und er war doch mitten in der Erforschung der Psychoanalyse.

Am nächsten Morgen aber, als er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, erinnerte er sich nur bruchstückhaft an das Erlebte. „Oh Gott, wo ist nur die Zeit geblieben!“ Er sah sich ratlos um. Zerstreut und bemüht sich an den gestrigen Tag zu erinnern, schlurfte er durch sein Haus.

Er kam in die Diele, und erblickte den neuen Spiegel. Er betrachtete sein Spiegelbild. Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein Blitz: er hatte den Spiegel angebracht, und dann war ein Wunder geschehen: er hatte hinter den Spiegel geschaut, und eine wundersame, rätselhafte Welt erblickt. Er nahm den Spiegel von der Wand um ein zweites Mal an diesem unglaublichen Wunder teilzuhaben, doch er sah nur das staubige Mauerwerk.

Das war allerdings nicht weiter verwunderlich, denn seine Frau hatte Harm T. Dumpty gebeten, die Wand schnellstens wieder zuzumauern, denn durch das Loch zog es wie Hechtsuppe.

Und da der phantasievolle Lewis Carroll in seinem tiefsten Inneren ein kleines, schüchternes und missverstandenes Kind war, gefangen im Körper eines erwachsenen, 40 jährigen Mannes - weshalb er übrigens auch immer mit diesem blöden Stoffhasen namens „Benny-Bunny“ (der wiederum nicht nur über seinen dämlichen Namen, sondern auch über seine Homosexualität sehr unglücklich war, was im 19. Jahrhundert natürlich ein ernstzunehmendes Problem darstellte, besonders wenn man nur ein Stoffhase mit orangefarbener Latzhose war, und Benny-Bunny hieß) herumlief – und er Rechts und Links auch nie auseinander halten konnte, sehnte er sich nach einer perfekteren und schöneren Welt, abseits vom grau des Alltags. Und so erfand er eine zauberhafte Geschichte, die sich um sein wundersames Erlebnis rankte und noch ein Jahrhundert später zu den bekanntesten und beliebtesten Märchen der Welt gehörte. Dabei wollte er doch nur einen Spiegel an die Wand hängen...


¹für alle FeiMos: GroMo = GrobMotoriker

 

Hi butchii,

So, jetzt habe ich beide Texte von dir gelesen und auch diesen hier fand ich wieder sehr unterhaltsam. Komischerweise hast du hier wieder ziemnlich viel Umgangssprache drin aber im Gegensatz zu deiner Telekom-Geschichte paßt das hier sehr gut.
Flottes Erzähltempo, viele kleine Gags und eine wirklich gute und skurrile Grundidee.

Allerdings hab ich auch wieder was zu meckern :D
Zum einen wiederholst du für meinen Geschmack die Aspekte des betrunken oder bekifft seins zu oft. Das ist beim ersten Mal noch lustig, nutzt sich aber sehr schnell ab.
Auch deine Einleitung fand ich ziemlich lang. Der Text braucht sehr lange, bis er in Schwung kommt (an der Stelle, an der der Erzähler den Spiegel an die Wand kleben will). Der ganze dritte Absatz ist mMn ziemlich überflüssig und nimmt Geschwindigkeit.
Gelungen fand ich hingegen, wie du die beiden eigentlich unterschiedlichen Geschichten (Erzähler hängt einen Spiegel auf, Lewis Carroll hängt einen Spiegel auf) miteinander verbindest. Dadurch wirkt die Geschicht insgesamt ziemlich komplex.

Kleinigkeiten:

Reicht es denn nicht, einfach „Da neben dem Baum“ o.ä. zu sagen??
Bitte immer nur ein Satzzeichen auf einmal setzen. Mehr sind unnötig und verwirren nur.
Und das o.ä. solltest du ausschreiben.

für alle FeiMos: GroMo = GrobMotoriker
Guter Gag. Würde ich gleich in den Text einbauen, eventuell als Klammer. Fußnoten wirken in Internettexten immer nicht.

Denn, klar, das ganze muss an der Wand a) HÖHER
Zwei Dinge:
Erstens würde ich statt a) und b) erstens und zweitens schreiben. Das ist aber nur ein Vorschlag.
Zweitens wirken Worte aus Großbuchstaben (hier HÖHER) nie wirklich gut. Klingt so, als wüßte der Autor nicht, wie er bestimmte Dinge sonst hervorheben soll. Die ganze Stelle hier funktioniert auch ohne die vielen Großbuchstaben.

(und elegant verbinde ich nun meine Spiegel-Anbringungs-Versuchs-Geschichte mit dem weltbekannten Alice-Erfinder)
In der Tat, das tust du wirklich. Das einzige, was mich an dieser guten Überleitung gestört hat, war dieser Satz - der ist mMn nämlich komplett unnötig :D

der gute Charles Lutwidge Dodgson, bekannt geworden unter dem Pseudonym Lewis Carroll (Eine gute Entscheidung! Ich kann das ja nicht mal nüchtern aussprechen!) versuchte, einen Spiegel anzudübeln
Für mich die beste Stelle im Text. Einfach ein toller Satz - abgesehen von der Klammer. Die zieht das ganze unnötig in die Länge und ich würde sie weglassen.

Sehr schön fand ich auch die kleine Randnotiz zu Benny Bunny - gelungen in meinen Augen deshalb, weil du seine Homosexualität zwar benannt, aber nicht erklärt hast. Das gibt dem Ganzen eine absurde Note. Allerdings stellt sich mir die Frage, ob diese Randnotiz, die eigentlich gar nichts mit der Geschichte zu tun hat, den Titel rechtfertigt... ;)

Insgesamt wieder eine gute und unterhaltsame Geschichte, die mir noch besser gefallen hat, als die Telekomgeschichte.

 

:)

Vielen Dank für die Kritik - werde an den Verbesserungen arbeiten!

Allerdings war die Bemerkung

"und elegant verbinde ich nun meine Spiegel-Anbringungs-Versuchs-Geschichte mit dem weltbekannten Alice-Erfinder"

ein kleiner ironischer Gag, so als Hommage an meine Deutsch-LK-Tutorin von einst. Naja, okay, Insider sind wohl nicht wirklich angebracht in echten Kurzgeschichten!

Muchas gracias!

 

Hehe... eine Hommage an die Lehrerin also... finde ich nett :D

Ich habe den Satz aber nicht angeführt, weil es ein Insider ist (sowas hat manchmal was Reizvolles), sondern weil du hier meiner Meinung nach die Erzählerhaltung verlassen und deine eigene Geschichte kommentiert hast. Und solche Stilbrüche klingen für mich immer irgendwie ungünstig.
Aber das ist nur meine Meinung. Wenn du ihn drin lassen möchtest, laß ihn drin.

 

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