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Hingesunken alten Träumen
Ach möge dieser Sommer doch ewig währen! Dieser Sommer mit seinem schier endlosen Sonnenscheine, der die ganze Welt gülden verkläret. Singen muss ich, jauchzen, jubilieren, grad wie die Vögelein in den Bäumen am nahen Waldessaume. Auch wenn Mutter spricht, mein Singen gleiche dem Krächzen der Krähe, dem Quietschen unserer rostigen Türangel, dem Jaulen eines auf dem Schwanze getretenen Hundes, so klingt es doch in meinen Ohren gar lieblich wie der Engelein Chor. Ich springe über unsere Wiese, weich das Gras unter meinen nackten Füßen. Zu den Rosen, zu den duftenden Rosen! Haben sie jemals solch vollen Duft verströmet, jemals so prachtvoll geblühet, wie in diesem Sommer?
„Ja, ich bin ja schon still, schon still, Mutter“, öffne ich mühsam die Augen.
Das ist nicht Mutter, die mir mit den Fäusten droht und kreischt:
„Sei still, still, sonst schmeiß ich dich, dich, aus der Chorende, de, de, de, de ...“
Ich nicke im Takt. Die Alte dreht sich um und zischt im Weggehen: „Taktgefühl, tack, tack.“
„Was für ein wunderbarer Sommer, so schöne Rosen“, rufe ich ihr nach.
Sie bleibt stehen, dreht sich um, hebt ihre Fäuste, fährt die Zeigefinger aus:
„Takt, tack!“, zerhackt sie die Luft.
Ich muss nach meinen Rosen sehen! Es wär so schad um meine Rosen. Springe ich, will ich springen, aus dem Sessel, da ist was, ein Brett ist im Weg, dummes Brett, schieb es weg, weg. Endlich! Ich muss zu meinen Rosen. So viele Leute hier, uralte, gut, dass ich nicht ... wie alt ich bin? Achtzehn, grad mal achtzehn Jahr, da hab ich gut lachen, haha hihi hi, dort steht mein Opa. „Kommst du mit zu den Rosen?“
„Ich bin sicher, wir drehen das Ding, wenn du nur die Bullen ablenkst!“, schnarrt er schneidig.
„Solch schöner Sommer ...“
Opa schlurft dahin, wohin?
Ich springe weiter: „Gab es jemals ...“
Eine ganz alte Frau, voller Runzeln, wackelt mit ihrem Gebiss und brabbelt:
„Ja, ja, das machst du gut, und schmeckt, hmmm, gut, gut.“
„Der Sommer, ich muss zu meinen ...“
„Weg daa, ausdewe, rumm-rumm, aus de We!“, knurrt eine Uraltfrau, nein ein Mann, bärtig und riesendick, schiebt ein Rolldings vor sich her mit Affenzahn.
„ICH MUSS ZU MEINEN ROSEN! LASS LOS!“, schlag ich nach dem weißen Fräulein.
„Frau von Bernstein, ganz ruhig, Besuch für Sie, ich bringe Sie hin!“
„Nein, ich muss ...“
„Ja ja, zu den Rosen, na klar, sie hat welche dabei, so schöne habe ich noch nie gesehen, ja ja, dieser Sommer, hm?“
„Dieser Sommer, solch schönen Sommer, gab es jemals ...“
„Nein, gab's noch nie. Wie haben Sie's eigentlich wieder geschafft, aus dem Stuhl zu kommen, hm? Nächstes Mal schnalle ich Sie fest.“
„Jauchzen muss ich...“
„Jubilieren, grad wie die Vöglein, ja ja, schauen Sie, da ist ihre Enkelin.“
„Warum gehst du, gehst du nicht mit zu den Rosen?“, rufe ich ihr nach.
„Oma? Hallo, Omi, hier bin ich! Ich hab dir Rosen mitgebracht!“
„So so. Schöne Rosen, wollen Sie meine Rosen sehen? Ich heiße Klara, Mama nennt mich Klärchen. Und Sie?“
„Ich auch. Ich hab doch deinen Namen bekommen, Omi, das weißt du doch! Komm, wir gehen zu den Rosen, aber vorher stellen wir diese da ins Wasser“, hakt das schöne Kind mich unter. Ich glaube, sie will meine Freundin sein.
„Heißt du auch Klara?“
„Ja, Oma.“
„Na so was!“
Wir beide gehen in ein Zimmer, mein Zimmer, das sind meine Sachen da drin: Grammophon, Porzellanpuppen, Ohrensessel mit geblümten Kissen, weich und ...
„Nein, Oma Klara, jetzt nicht schlafen! Wir wollen doch zu den Rosen, komm, jetzt komm.
Ich bin müde und ich gähne: „Heißt du auch Klara, na so was.“
„Ja, jetzt komm!“
Klara zieht mich hoch, die hat Kraft, die Klara! Jetzt kitzelt sie mich unterm Arm.
Ich: „Haha hihi hi.“
Sie lacht auch, wir sind wohl gute Freundinnen.
„Singen wir wie die Klärchen!“
„Wie die Lerchen, meinst du. Wenn wir draußen sind, ich kann doch auch nicht singen, Oma, du Klärchen.“
Was für ein schöner Sommer! Ach wenn dieser Sommer doch ewig währet! Wir setzen uns auf die Bank, die grüne neben den Rosen. Mein Klärchen streicht mir über die Wange, und ich streiche ihr über die Wange, wir sind die besten Freundinnen. Sie kramt ein schwarzes Kästchen aus ihrem Rucksack, streckt es weit nach vorn und ruft: „Sag cheese!“
„Nicht schießen“, erwidere ich, da macht es klick.
Wir sind im Kästchen, so ein kleiner Photographierapparat, na so was.
„Schau, Omi!“, lacht sie.
„Bist Du das?“
„Ja, ich und Du, Klara und Klara.“
„Du heißt auch Klara, na so was.“
Verstohlen betrachte ich meine Freundin. So so. Froh bin ich, dass ich jung und hübsch bin. Daneben sieht die ganz schön alt aus. Armes Klärchen.