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Himmelbeeren

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14.07.2018
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Himmelbeeren

“Mama, wie ist es wenn ich tot bin?”
“Ich weiß es nicht, Mäusekind.” antwortet die Mutter, die am Bett sitzt.
“Wirst du und Papa bei mir sein, wenn ich tot bin?”
Sanft streicht sie ihrem Kind über die blonden Haare.
“Ja, Mäuselchen, wir werden bei dir sein” - was sollte sie ihrem Kind auch anderes sagen?
“Legt ihr euch zu mir?” flüstert das Mädchen.
“Natürlich meine Maus” sagt der Vater, der hinter der Mutter steht und legt sich auf der anderen Seite des Kindes in das Ehebett.
“Ich hab noch nie sowas leckeres wie Himmelbeeren gegessen” flüstert das Mädchen wieder und schließt die Augen.
“Himbeeren” korrigierte der Vater mit erstickter Stimme.
“Ich weiß, meine Maus, Himmelbeeren sind das Leckerste!” sagt die Mutter und streicht dem Kind wieder über die Haare.

Fünf Jahre währte das Glück.
Fünf wundervolle Jahre.
Lange Zeit hatten sie vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Nichts hatte geholfen.
Die Natur hatte ihnen das letzte Glück ihrer Beziehung lange Zeit vorenthalten.
Als sie schon nicht mehr damit rechneten wurde die Frau zu Beider Freude schwanger.

Doch die Welt hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits unumkehrbar verändert.

In den Jahren davor waren viele Flüchtlinge aus dem Süden in das Land gekommen. Einige empfingen sie mit offenen Armen, Andere mit purem Hass. Diese Zeit brachte das Schlechte in den Menschen zum Vorschein. Damals ahnte noch niemand, dass es sich um Manifestationen der Veränderung handelte. Viele Menschen spürten es, konnten es jedoch nicht in Worte fassen. So blieb ihnen nur die Angst und der Hass auf Veränderung und alles Neue. Diejenigen, die es früh bemerkten, konnten den wahren Grund nicht erkennen und benennen.
Die Natur begann verrückt zu spielen. Auf lange Zeiten der Trockenheit folgten Überschwemmungen und bis dahin unerlebte Stürme.
Zuerst verschwanden die Insekten.
Danach die Vögel.
Viele Paare konnten keine Kinder auf natürlichem Wege zeugen. Es kamen immer weniger Babys zur Welt.
Tiere wurden dem Menschen gegenüber aggressiv.
Früchte wurden über die Jahre ungenießbar oder sogar giftig. Ganze Ernten fielen aus. Das einst so schöne und fruchtbare Land verwandelte sich in eine trockene, trostlose gelbbraune Steppe.
Natürliche Nahrung war zu einem Luxus geworden. Den normalen Menschen blieb fast nur noch künstliche Nahrung.


Ausgerechnet in diese Zeit schenkte ihnen die Natur ihr Glück: ein Baby! Ein wundervolles, süßes Mädchen.

Fünf Jahre währte das Glück - bis zu diesem Tag.
Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien heut morgen nicht, denn eine dicke Schicht Wolken hatte sich davor geschoben. Sie konnten seit Wochen das erste Mal ins Freie gehen, ohne sofort Strahlenbrand zu bekommen. Es war trotz der Wolken ein warmer Morgen, deshalb wollten sie auf der Terrasse frühstücken. Der Vater war extra zu einem Einkaufszentrum gefahren, um dort natürliche Brötchen zu holen. Er hatte dafür ein ganzes Monatsgehalt gezahlt. Die Mutter und die Kleine hatten den Tisch gedeckt. Ein frisches Ei, das sie von einem Nachbarn geschenkt bekamen, Butterersatz, BASF-Gelb als Orangensaft, UnileverBlack als Kaffeeersatz und schweizer Brotaufstrich aus Hefe.
Nach dem Frühstück hatten sie zu Dritt im früher so bunten Garten herumgetollt. Heut war er nur noch ein staubiger und vertrockneter Schatten vergangener Tage. Doch das konnte ihnen an diesem Tag die Freude nicht verderben. Sie hatten das alte Trampolin herausgeholt und sprangen jauchzend darauf herum. Auch eine Runde Fangerle durfte nicht fehlen.
Fast wie in alten Zeiten.

Bar jeder Logik hatte sich ein kleiner Strauch Himbeeren gegen die Trockenheit durchgesetzt und ein paar winzige Früchte hervorgebracht.
Das Mädchen hatte, angezogen von der leuchtend roten Farbe der Beeren und unwissend über die Veränderung, ein paar Himbeeren genascht.
Als Mutter und Vater es bemerkten, war es bereits zu spät. Nichts konnte das Schicksal noch aufhalten.
So brachten sie ihr Mädchen unter Tränen nach oben ins Schlafzimmer und legten sich neben sie, um Abschied zu nehmen.

Die Mutter streichelt dem Mädchen wieder über den Kopf und die Wangen. Der Vater nimmt ihre Hand und hält sie sanft fest.

Die Kleine hat aufgehört zu atmen.

“Ich habe uns Himmelbeeren gepflückt” sagt der Vater und öffnet seine Hand in der ein paar Himbeeren liegen. Die Mutter schaut ihm in die Augen.
“Ja, Himmelbeeren…” Sie nimmt ein paar und steckt sie sich in den Mund. Der Vater isst den Rest.
“Ich liebe dich!” sagt der Vater.
“Und ich dich!”

 

Hola ZwenAusZwota,

Du hast ‚Gesellschaft’ und ‚Sonstige’ getaggt, d.h. für Erwachsene geschrieben.

Leider ist das, was ich lese, ein buchstabengewordener Gedanke, der für meinen Geschmack nicht genügend ausgearbeitet wurde – es ist schade um die schöne Idee Him-, Himmelsbeeren.
Mein Leseeindruck: Wie Lieschen Müller den baldigen Weltuntergang sieht. Das kommt mir alles zu simpel und naiv herüber.

Ich fände es lohnend, den Text in Ruhe mit Sorgfalt zu überarbeiten – so könnte dabei eine schöne Geschichte herauskommen. Sicherlich bekommst Du im Forum manche Anregung (auch wenn zur Zeit Flaute herrscht). Und deshalb: Willkommen!

José

 

Hallo ZwenAusZwota,

die Idee für deine Geschichte finde ich ziemlich gut. Es ist so, da stirbt ein Kind, da sind Eltern die es gehen lassen müssen. Bin ich nun der empfängliche Typ für, der Gedanke reicht mir schon das ich eine Gänsehaut habe und mich nach der Geschichte schüttele um ihn wieder los zu werden. Ich finde das Mitgefühl und den Zugang zu den Leuten allein über diesen Gedanken. Daher brauche ich nicht mehr Bezug zu ihnen. Eigentlich ...
und ob das bei jedem funktioniert ... weiß nicht.

Was mich am allermeisten stört, wir befinden uns auf der Erde, da gibt es Supermärkte, Autos, die Schweiz existiert auch ... dann gibt es wohl auch Ärzte und Krankenhäuser.
Ich lese dann wie Eltern merken, ihr Kind auf das sie so lange warten mussten, ihr ein und alles, hat diese Beeren gegessen. Und sie bringen es ins Elternbett, setzten sich daneben und sehen zu wie es stirbt?
Leider ist dadurch jedes Mitgefühl von mir abgefallen. Ich konnte deine Geschichte nicht mehr ernst nehmen. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Jeder normale Mensch würde ins Krankenhaus fahren, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Wenn es Gründe dafür gibt, hast du diese nicht erwähnt und erklärt, daher ergibt das keinen Sinn.

In der Geschichte stecken viele gute Ideen, auch die "Himmelbeeren" finde ich gut. Ich würde das aber anders ausführen.
Dieser Sprung in die nüchterne Erzählung gefällt mir nicht. Manches wirkt auch komisch. Das Trampolin holen sie raus, verbringen einen Tag wie früher mal. Hatten die beiden Erwachsenen ein Trampolin? Aus der Zeit mit dem Kind kann es ja nicht sein, es wurde ja erst geboren nachdem das alles so war. Klar könnten Erwachsene so ein Trampolin haben, aber ehrlich, ich kenne keinen ohne Kinder der eins hat.
Dann der Strauch im Garten. Wenn sie wissen wie giftig die Himbeeren sind, entfernt man sowas doch. Ist eigentlich etwas das Eltern wenn Kinder kommen immer tun, den Garten auf sowas überprüfen. Sie müssen das leuchtende rot doch in der von dir geschilderten Ödnis bemerkt haben. Der wächst nicht über Nacht.
Nun vielleicht tun Pflanzen das in der Zeit, oder sie können nie das Haus verlassen, aber das erzählst du nicht, und in dem Fall müsstest du das, damit die Dinge Sinn ergeben.

Ich bin kein Fan von zu viel Beschreibung, aber deine Geschichte braucht das und lässt das zu. Ich muss mich in deiner Welt zurecht finden können.
Die Sache mit den Flüchtlingen hingegen ist ziemlich überflüssig, hat nichts mit den Naturkatastrophen zu tun. Das würde ich komplett streichen.
Ich würde das auch richtig als Geschichte erzählen, nicht in dieser Form die du gewählt hast. Vielleicht erzählt einer der Eltern oder ein Nachbar der das ganze mitbekommen hat?

Den Schluss mit dem "Ich liebe dich" finde ich bissel langweilig.

Die Ideen sind vorhanden und gut, vielleicht schreibst du das einfach noch mal um, ist Arbeit ja, aber darum geht's ja hier nicht wahr?

Ich bin gespannt was du daraus machst.

Willkommen hier bei den Wortkriegern
Charly

 

Hallo ZwenAusZwota,

deine Geschichte erinnert frappierend an einen der drei Erzählstränge aus "Die Geschichte der Bienen".
Eine Zukunft, in der Lebensmittel durch fehlende natürliche Befruchtungsmöglichkeiten rar werden, ein letztendlich totes (Klein)Kind sowie das dazugehörige Elternpaar.
Sind diese Parallelen Absicht?

LG

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, ZwenAusZwota

Und willkommen bei den Wortkriegern! Ich habe mich gerade beim Lesen Deiner Geschichte so sehr überschlagen, dass ich mir vorstelle, wie Deine Frisur nach hinten absteht, nachdem ich Dir mein Willkommen ins Gesicht geschmettert habe.

Ich muss sagen, dass ich den Ansatz des Szenarios, das Du entwirfst, super finde! (Über die Details sprechen wir noch. :chaosqueen:) Und ich glaube, da ist schon eine Sache, die Du tun könntest, dass die Einordnung des Textes besser klappt. Du beschreibst ja eine dystopische Zukunft. Das erklärt meinen Enthusiasmus, denn ich bin ein riesiger Sci-Fi-Fan – und in diese Schublade gehört der Text ziemlich eindeutig. Als Beleg, weil viele Leute ja immer denken, Sci-Fi könne nur Weltraum und krasse Technologien: https://www.wortkrieger.de/showthread.php?62925-Die-Phantastik-in-der-Literatur Hier werden die Dystopie/Utopie und Postapokalypse (und das ist ja ungefähr das Setting) als Thema der Sci-Fi genannt, und so habe ich das auch gelernt. Also, wenn Du diesen Tag wählst, könntest Du wahrscheinlich Deine Zielgruppe noch ein wenig zurechtschneidern.

Denn jetzt kommt der Nerdkram, denn nichts ist besser an Sci-Fi als ihre Diskutierwürdigkeit. Ich vertrete ja die (auch streitbare) Position, dass Sci-Fi, weil sie sich im Wesentlichen Elemente aus unserer Zeit nimmt und diese (entweder ins Positive oder ins Negative gekehrt) auf die Spitze treibt, sich also überlegt, was im (meistens Extrem-)Fall aus aktuellen Entwicklungen in der Zukunft werden könnte – dass die Sci-Fi deshalb praktisch immer politisch ist. Ganz von der technischen Diskutierwürdigkeit (als Psychologin, die mit einem Ingenieur liiert ist, bin ich da recht diskutierfreudig, aber das interessiert mich eher untergeordnet an der Sci-Fi) abgesehen, bietet die Sci-Fi die Möglichkeit, über aktuelle gesellschaftliche, politische, ökonomische und ökologische Entwicklungen zu diskutieren. Du bietest hier also eine Steilvorlage (und das ist erstmal eine gute Sache, denn da ist man als Sci-Fi-Leserin im richtigen Element).

In den Jahren davor waren viele Flüchtlinge aus dem Süden in das Land gekommen. Einige empfingen sie mit offenen Armen, Andere mit purem Hass. Diese Zeit brachte das Schlechte in den Menschen zum Vorschein. Damals ahnte noch niemand, dass es sich um Manifestationen der Veränderung handelte. Viele Menschen spürten es, konnten es jedoch nicht in Worte fassen. So blieb ihnen nur die Angst und der Hass auf Veränderung und alles Neue. Diejenigen, die es früh bemerkten, konnten den wahren Grund nicht erkennen und benennen.
Die Natur begann verrückt zu spielen. Auf lange Zeiten der Trockenheit folgten Überschwemmungen und bis dahin unerlebte Stürme.
Zuerst verschwanden die Insekten.
Danach die Vögel.
Viele Paare konnten keine Kinder auf natürlichem Wege zeugen. Es kamen immer weniger Babys zur Welt.
Tiere wurden dem Menschen gegenüber aggressiv.
Früchte wurden über die Jahre ungenießbar oder sogar giftig. Ganze Ernten fielen aus. Das einst so schöne und fruchtbare Land verwandelte sich in eine trockene, trostlose gelbbraune Steppe.
Natürliche Nahrung war zu einem Luxus geworden. Den normalen Menschen blieb fast nur noch künstliche Nahrung.

Hier erklärst Du, wie Deine Welt aufgebaut ist. Das ist vom schreiberischen Handwerk erstmal ein wenig fragwürdig, aber der Inhalt ist auch ein wenig fragwürdig, und darüber möchte ich zuerst reden. Ich habe das Gefühl, Du hast Deine Welt noch nicht so wirklich reflektiert. Da sind einige Dinge drin, die eher … unglücklich oder eben einfach … Achtung, Schocker! … unlogisch sind oder zumindest einer Erklärung bedürfen.

Erstmal: Wie darf ich verstehen, dass dieser Niedergang der Menschheit durch ein „Verrücktspielen“ der Natur vonstatten gegangen ist? Wenn ich das korrekt interpretiere, dann haben sich die Menschen danebenbenommen und kriegen dafür von der Natur aus Maul. Mja. Ich würde sagen, hier spielt das Bambi-Syndrom eine große Rolle, aber darauf komme ich gleich. Also, es war so, dass Flüchtlinge kamen und manche Menschen voller Hass waren. Dass deshalb also Naturkatastrophen ausgelöst wurden. Hm. Wobei es auch sein könnte, so wie Du es sagst, dass einfach die Natur „verrücktspielt“ und deshalb die Menschen übel drauf sind. Also andersherum. Schauen wir uns beide Szenarien mal genauer an, denn beide funktionieren nur, wenn Du ein paar eher fantastische Zusatzannahmen machst.

Szenario 1: Wenn die Natur böse zur Menschheit wird, weil die Menschen sich böse benommen haben, setzt Du voraus, dass die Natur ein Gerechtigkeitsempfinden hätte. Ja, und da begeben wir uns in eine Diskussion, die ganz schnell den Bach runtergeht. Denn wenn Du sagst, dass die Natur Leute bestraft, die böse sind, wofür werden dann kleine Kinder bestraft, die an Vergiftungen sterben? Was können die dafür? Gefährliches Gebiet, auf das Du Dich da begibst.

Szenario 2: Wenn die Menschheit böse wird, weil die Natur böse wird, setzt das voraus, dass Menschen einen sechsten Sinn haben, mit dem sie herannahende Naturkatastrophen spüren können. Dieses Feld ist nicht ganz so vermint wie Szenario 1, weil Du da zumindest in keine großen ethischen Diskussionen kommst. Aber ist eher fantasymäßig, und da wird’s wieder schwierig.

Problem an beiden Szenarien ist: Du musst Zusatzannahmen treffen (entweder ein Gerechtigkeitsempfinden der Natur oder einen geheimnisvollen sechsten Sinn der Menschen), damit das funktioniert. Wenn Du für eine so knappe Kurzgeschichte wie hier eine Welt baust, würde ich ein Modell wählen, das so sparsam wie möglich ist, also mit möglichst wenig fragwürdigen Zusatzannahmen auskommt. Wenn Du nämlich jetzt anfängst, das alles zu erklären, macht das die Geschichte nicht besser. Das hat was mit schreiberischem Handwerk zu tun, dazu komme ich noch.

Ich würde Dir empfehlen: Mach es einfacher. Lass es den Klimawandel gewesen sein. Das kennt jeder, keiner weiß, was in den nächsten Jahrzehnten oder Jahrhunderten auf uns zukommt (oder zumindest nicht viele wissen das), Du brauchst keine fantastischen Zusatzannahmen (denn Gerechtigkeitsempfinden der Natur und sechster Sinn des Menschen, das ist erstmal beides Fantasy, und dadurch wird die Geschichte immer größer und größer). Klimawandel würde die Geschichte vereinfachen.

Kommen wir zum Bambi-Syndrom. Das ist eine Denkweise, die häufig bei Stadtkindern zu finden ist (aber nicht nur). Es ist der Gedanke, dass alles aus der Natur gut und alles, was der Mensch macht, alles Künstliche, schlecht ist. Du kommst ganz schnell in die Schiene, die ich oben schon geschildert habe, dass, wenn die Natur jetzt Menschen vergiftet, Du plötzlich vor dem Dilemma stehst, dass Du in dieser Geisteshaltung jetzt eigentlich sagen müsstest: Ja. Das Gute hat gesiegt. Sehr problematisch.

Das zeigt sich auch in Deiner Unterteilung von künstlicher und natürlicher Nahrung. Da wird es auch ganz schnell ganz touchy, denn ich denke sofort: Ach, Du bist bestimmt auch so eine, die Angst vor zu viel Chemie in der Nahrung hat. Dabei besteht alles irgendwie aus Chemie (zumindest alles, was mindestens so groß wie ein Atom ist, aber da bewegen wir uns aus dem Bereich dessen, was ich darüber weiß (und ich würde vermuten, dass es Dir nicht anders geht)). Auch ein Apfel besteht aus chemischen Verbindungen. Menschen und alles, was sie erschaffen, bestehen aus chemischen Verbindungen. Es ist relativ schwierig, zwischen „künstlichem“ und „natürlichem“ zu unterscheiden. Beispiel Aromastoffe: Viele Leute fürchten sich vor künstlichen Aromastoffen, dabei sind in Deutschland (mein Stand ist, glaube ich, von vor etwa sieben Jahren, also keine Garantie darauf) nur fünf künstliche Aromastoffe überhaupt erlaubt. Womit man Lebensmittel vollpumpt, das sind naturidentische Aromastoffe. Sie sind chemisch exakt genauso aufgebaut wie natürliche Aromastoffe, wurden aber von Menschen erschaffen.

Die Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Lebensmitteln ist also ziemlich blauäugig. Und was sind denn unter dieser Prämisse „natürliche Brötchen“? Wachsen die auf Bäumen? Und sind Bäume, an denen Brötchen wachsen, nicht wahrscheinlich von Menschen gezüchtet und würde es sie dann nicht wieder künstlich machen? Und wenn ich Brötchen nicht mehr backen müsste, sondern einfach 3D-Drucken könnte, sind das dann künstliche Brötchen? Was unterscheidet sie auf Ebene der chemischen Verbindungen von gebackenen Brötchen? Beide werden von Menschen geschaffen. Beide werden von Menschen gegessen. Beide sind also irgendwie nahrhaft. Und sind andersherum natürliche Brötchen auch irgendwie künstlich, schließlich werden sie von Menschen geschaffen, und Getreide in seiner heutigen Form existiert nur, weil es seit ... nun ja ... ewigen Zeiten von Menschen gezüchtet wurde. Versuch mal, Brötchen aus Gräsern zu machen, wie sie am Straßenrand wachsen. Schwierig.

Du merkst so langsam, was das zentrale Problem an Deinem Szenario ist: Ich habe das ganz starke Gefühl, dass Du das nicht richtig durchgedacht hast. Du präsentierst ein paar ziemlich naive Gedanken, die an allen Ecken und Enden, wo ich drüber nachdenke, zumindest fragwürdig sind. D.h. übrigens nicht, dass Du solche Szenarien nicht entwerfen darfst. Die Zukunftsvision lebt von ihrer Diskutierwürdigkeit. Aber Dein Text ist noch nicht gerüstet, um eine solche Diskussion zu überstehen. Solange ich nämlich den Eindruck habe, den Text an jeder Ecke argumentativ angreifen zu können (was ich oben getan habe), ist das kein guter Text zum Diskutieren. Deshalb würde ich das alles zumindest vereinfachen.

Wobei ich den Schritt mit den Lebensmitteln, die nach Marken heißen, super fand! Eines meiner Lieblingsbücher ist „Der Wolkenatlas“ (viele kennen nur den Film, das Buch ist aber … großartig). Buchempfehlung! Bekanntermaßen spielt der Wolkenatlas in vielen unterschiedlichen Szenarien, beginnt in den 1850ern und schließt in einer postapokalyptischen Welt (tatsächlich schließt die Geschichte wieder in den 1850ern, weil sie sich von der Vergangenheit in die Zukunft vorarbeitet und dann wieder zurück in die Vergangenheit, aber das tut hier nichts zur Sache). Am meisten fasziniert hat mich die Geschichte von Sonmi, die wohl etwa um 2100 spielt. Da heißen Filme „Disneys“, Schuhe „Nikes“ und Autos „Fords“. Toll! Das ist ein konsequent zu Ende gedachter Sci-Fi-Gedanke. Man nehme die Entwicklung aus der Gegenwart (Pampers, Tempos, Zewas) und treibe sie auf die Spitze. Das kannst Du ruhig beibehalten, ist super.

Kommen wir daran, was mich schreiberisch an diesem Absatz stört. Es ist reine Beschreibung des Settings. Ich glaube, die ganz hohe Kunst und auch der Grund, warum Sci-Fi- und Fantasy-Autor/inn/en so lange brauchen, ein hohes Niveau beim Schreiben zu erreichen (hier im Forum gibt es nur ganz wenige Autor/inn/en dieser Genres, die schon länger mitmischen), ist, dass man Leser/innen in fremde Welten entführen muss, ohne die Handlung durch Beschreibungen anzuhalten. Das Setting muss sich praktisch im Laufe der Handlung selbst erklären. Ich sage Dir, es hat diesen einen Grund, aus dem ich erstmal aufgehört habe, Sci-Fi zu schreiben: Das ist schwer. V.a. in so kurzer Zeit, die Du für die Entfaltung einer Kurzgeschichte hast.

Bestenfalls brauchst Du so einen Erklärbärabsatz gar nicht (ich würde Dir tatsächlich empfehlen, darauf zu verzichten und Deine Leser/innen einfach ins Setting zu schmeißen), sondern Du lässt die Dinge einfach geschehen, und Deine Leser/innen werden es verstehen. Das ist aber schwer. Gerade bei Kurzgeschichten muss man sich da häufig zurückhalten, weniger ist da eindeutig mehr. Deine Leser/innen müssen nicht alles über Deine Welt wissen. Das mit den Flüchtlingen ist völlig egal. Völlig. Selbst wenn das so passiert ist, es tut nichts zur Sache. Auch Überschwemmungen tun nichts zur Sache. Trockenheit, Nahrungsmittelknappheit, Unfruchtbarkeit, das sind die drei Ansätze, die völlig ausreichen. Das ist zwar schade für Dich, da Du Dir das alles ausgedacht hast, aber Deine Geschichte wird mehr Tempo bekommen, stilvoller und handlungsstärker werden, wenn Du es schaffst, die Erklärungen in Handlung einzubetten und nicht einen großen Absatz zu schreiben, um erstmal alles zu erklären.

Solche großen Absätze sind ein bisschen so, als würdest Du einen spannenden Film sehen, und plötzlich kommt eine/r rein, drückt auf „Pause“ und sagt: So, jetzt muss ich erstmal erklären, wie es dazu kam. Oft ist das aber gar nicht so wichtig. Hier auch nicht, denke ich. Trau Dich ruhig, weniger zu erklären.

Eine Sache sage ich jetzt noch zur Zeichensetzung an der wörtlichen Rede:

“Ich weiß es nicht, Mäusekind.” antwortet die Mutter, die am Bett sitzt.

Wenn Du den Redebegleitsatz nachstellst, dann wird der Punkt in der wörtlichen Rede weglassen und zwischen wörtliche Rede und Redebegleitsatz ein Komma gestellt. Richtig heißt es also:

„Ich weiß es nicht, Mäusekind“, antwortet die Mutter.

Das machst Du praktisch durchgängig falsch (v.a. das Komma fehlt immer). Bitte im gesamten Text korrigieren.

Jetzt habe ich eigentlich schon genug gesagt, aber ich erwähne noch kurz, dass nichts mich mehr anzieht als Texte, die schon in den ersten Sätzen Zeichensetzungsfehler haben. Also:

“Mama, wie ist es wenn ich tot bin?”

Komma vor „wenn“ (das verrät mir sogar mein Rechtschreibprogramm, also stell doch deins am besten an und hör auch drauf).

“Wirst du und Papa bei mir sein, wenn ich tot bin?”

„du und Papa“ sind zwei Personen, deshalb heißt es „werden“ statt „wirst“. Klingt doof, weil es im gesprochenen Deutsch immer alle falsch machen. Meine Englischlehrerin hat sich mal über die vielen Bezugsfehler aufgeregt, die Deutsche so machen (z.B. sagen sie oft „this“ statt „these“), und ich sagte zu ihr: „Das liegt nicht am Englischen. Deutsche machen das auch im Deutschen falsch.“

“Ja, Mäuselchen, wir werden bei dir sein” - was sollte sie ihrem Kind auch anderes sagen?

Hier würde ich in der wörtlichen Rede einen Punkt machen und danach groß anfangen.

So, das muss erstmal reichen. Der Text hat aber auch sonst noch einige Fehler, also empfehle ich Dir ein sorgfältiges Korrekturlesen.

Wahrscheinlich schlägst Du gerade sowieso die Hände über dem Kopf zusammen und denkst: Oh Mann, diese Diskussion wollte ich nicht führen. Aber wenn Du Postapokalypse oder zumindest Dystopie schreibst, solltest Du damit rechnen, dass so was passiert.

Und das alles ist nicht verkehrt. Das ist tatsächlich, was mich an Deinem Text sehr gefreut hat. Und ich meine damit nicht, dass ich ihn „auseinandernehmen“ konnte, sondern dass ich mich damit auseinandersetzen und ihn in Beziehung zu aktuellen Ereignissen und Debatten setzen konnte. Das ist der richtige Weg. Aber ich glaube, Du und Dein Text, ihr seid noch nicht bereit. Aber ihr werdet es bestimmt irgendwann sein. Dazu solltest Du das entweder noch einmal deutlich reflektieren, oder, und das wäre mein Vorschlag, es stark verknappen.

Und ich hoffe, ich habe Dich nicht allzu sehr erschreckt. Tatsächlich mag ich Deine Geschichte, die Idee, die Stimmung, das Ende. Vor allem das Ende! Die Himmelsbeeren! Toller Titel! Tatsächlich überschlage ich mich gerade vor Begeisterung (deshalb dieser schrecklich lange und unglaublich ausführliche Kommentar). Also, ich bin so gespannt, was Du daraus machst. Ich denke, das könnte großartig werden.

Ich freue mich drauf. Also: Make it work!

Und viel Spaß bei den Wortkriegern. :herz:

Nerdige Grüße,
Maria

 

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