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Himmel und Hölle
Die Hölle, das sind die anderen. Doch wenn man vor ihnen flüchtet findet man den Himmel nicht. Der Himmel ist nicht in unserer und nicht in ihrer Welt. Man hat die Wahl. Schließlich ist man frei, erschafft man dank dieser Freiheit sich selbst und seine Welt immer wieder neu. Eine Welt, in der viele andere ebenfalls einen Platz verlangen, ihn sich einfach nehmen, einen verdrängen. Eine Welt voll Regen, voll Tränen, vielleicht aus eben jenem Grund. Vielleicht aber auch weil man sein eigener Regen ist. Vielleicht weil die wirkliche Hölle in jedem Einzelnen von uns ist, weil wir sie aus Angst, sie könnte doch das Paradies sein, festhalten. Vielleicht aber auch, weil wir sie leichtfertig auf alle anderen übertragen, um zu großer Mühe mit uns selbst zu entgehen. Vielleicht.
Es war ein alter Mann, der schier sein ganzes Leben unter einem Regenschirm verbrachte. Scheinbar war er unter einem Schirm geboren worden, hatte seine Kindheit unter ihm verbracht, war darunter alt geworden. Irgendwann hatte er gelernt ihn selbst zu halten, aufgehört zu regnen hatte es nie.
Tropfen klopfen auf das dünn bespannte Drahtgestell in seiner Hand. Prasseln unablässig auf die Erde, durchdringendes Rauschen, die Stille gestorben. So steht er Ewigkeiten da, die Welt beobachtend aus scharf zusammengekniffenen Augen. Tief in sich versunken, sein Gesicht verwischt wie Sand, den die Gischt von einem Ort zum anderen wirft. Nach einem ganzen Leben nun wird er ihn leid, den Regen, die Wolken, die Kälte. Und jeder einzelne Tropfen, der an ihm zerplatzt scheint ihn zu schmerzen. Und Sein und Nichts bersten mit ihnen.
Mit ihm steht im Nirgendwo immer schon, schillernd, glühend, eine Frau. Ihr Gesicht ist wie aus feinem Staub gebacken, glatt und grau wie der riesige Platz unter ihnen. Es scheint vom Regen nass, von irgendwo spiegelt sich ein Licht darin. Sie hat keinen Schirm, hatte nie einen. Nur scheint es ihr nichts auszumachen. Ewig durchnässt sieht sie zu dem Alten. Ihr Blick sticht seine Gedanken. Über ihr scheint fahl die Sonne. In ihren Augen leuchten Regenbögen.
Er kann sich erinnern, ganz schwach, er habe mit ihr gespielt als sie klein waren. Sie saßen zusammen auf einer ewig grünen Wiese. Er mit seinem Schirm und sie gläsern glitzernd unbedeckt, zusammen im Gras. Und er hatte eine Spieluhr gehabt, eine in einer Holzschatulle, zum Aufziehen. Wenn man sie öffnete, tanzten dort 2 wehmütige Gestalten, die sich im Boden und der Decke wieder- und wiederspiegelten. Es schien ihm, als hätte er diese Uhr schon immer besessen. Es schien ihm, als hätte etwas oder jemand die Tänzer zu Tode gequält. Er kann sich nicht mehr erinnern wo sie geblieben ist.
Sie steht neben ihm, seine schweren Gedanken auf den Schultern wie Stiegen von Steinen. Tief in der steinstaubfarbenen Welt ihrer Gedanken spielt ein Lied. In Luft gemalte Harmonien, unter ihnen Regentropfen. Es donnert. Langsam verschwindet der Glanz auf ihrer glatten Haut, langsam lässt der Regen nach. Langsam setzt der Alte dazu an den Schirm zuzuspannen.
Man kann es nicht. Man ist verwachsen mit seinem Beschützer. Gefangen von einer unsichtbaren Barriere, eine die fließend ist und verschwimmt, Tag für Tag aufs Neue. Und doch Tag für Tag gleich. Gleichsamer Regenkäfig, ewig sonnenlos. Doch versucht man auszubrechen, da man es nicht akzeptiert, äußerlich. Doch hat man lang schon aufgegeben, da man gezwungen ist, es zu akzeptieren, innerlich.
Der einzige Weg sich vom Regen zu trennen bleibt in ihr. Jetzt sieht er sie an. Schwach schimmernd regt sich in ihm, in seinem immerzu bewegten Gesicht, Hoffnung. Jetzt sieht er seinem Arm zu, wie er sich zu ihr hin bewegt. Jetzt sieht sie seinem Arm zu, wie er ansetzt ihr in den Schirm zu geben. Und, ob aus Mitleid oder innerem Drang, sie nimmt ihn. Die Last fällt von ihm auf sie. Während sich seine Züge langsam beruhigen, zerspringt sie in tausend wehende Stücke, da der erste Tropfen erneut den über ihr thronenden Schirm berührt.