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Hilfseinsätze

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27.08.2001
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Hilfseinsätze

Hilfseinsätze

Der Mann im schwarzen Anzug sitzt auf dem Sessel. Er raucht eine Zigarre, den Kopf weit ins Genick gelegt und bläst kleine graue Ringe in die Luft. Das Hemd aufgeknöpft, den Krawattenknoten heruntergezogen.

Herr Kühn steht vor ihm, ärgerlich, wütend und verzweifelt.

Ein Radiosprecher spricht leise im Hintergrund:
„...sind nach Kampfhandlungen heute die ersten 12 bundesdeutschen Soldaten als Opfer dieser Friedensmission zu beklagen. Ihr Körper werden noch heute abend durch die Bundesluftwaffe nach Frankfurt am Main geflogen.“

„Bist Du jetzt zufrieden?...und wie zufrieden Du bist. Man sieht es Dir an. Wie du den Beifall nach Deiner Rede genossen hast. Und die Abstimmung erst. Du hast Dich wieder einmal durchgesetzt. Irregeleitet, manipuliert hast Du Sie. Alle. Wieviele Soldaten schickst du noch? Wohin?“
Es war Resignation in seinen Worten. Jeder, der ihn sah, wußte, er hatte verloren.

„Wer übernimmt die Verantwortung? Du? In Deiner Selbstherrlichkeit? Ausgerechnet Du?“
Voller Bitterkeit und Zynismus war er.

„Ich schaue hinter Deine Fassade, ich erkenne Deine Motive, ich weiß, es ist nur der erste Schritt. Ist es nicht so? Es wird weitergehen! Du wirst keine Ruhe geben. Du schickst noch mehr. Überall hin. Der Teufel selbst gab Dir Deine Überzeugungskraft, Deine Wortwahl, Dein Charisma.“

„Ja. Ich bin zufrieden. Hochzufrieden. Es ist die Ernte meiner Arbeit! Menschen wie ich, verändern die Welt. Du redest bloß über Sie. Du begnügst Dich zu lamentieren. Verweichlichtes Produkt der Demokratie bist Du. Insofern hast Du Recht: Du passt in das Parlament, mit Deinen Phrasen und dem Getratsche, das mich an einen Markt erinnert, ich nicht“

Er lächelte süffisant. Das Lächeln des Siegers, der dem Verlierer nicht einmal die Chance gibt, sein Gesicht zu wahren, der ihn zerschmettern will. Er war noch nicht damit fertig:

„Du bleibst ein Idealist. Ein verträumter Theoretiker. Menschen wie Du verstecken sich mit ihren schönen Worten und dem Ruf nach Gerechtigkeit, Freiheit und all den glatt zu lesenden Maximen des Grundgesetzes hinter den Machern, den Praktikern. Denjenigen die Lösungen suchen, unpopuläre Entscheidungen treffen, durchsetzen und verantworten.“

Jetzt stand er auf, zog sein Jacket aus und kam ganz nah. Er stand direkt vor ihm. Gewaltig und bedrohlich.

„Wie könnte ich von Dir, mit Deiner hochschuldemokratischen Einstellung, deinem angelesenen Idealismus, Einsicht verlangen. Aber ich will ehrlich zu Dir sein. Du sollst es hören:
Ja. Schon damals im Irak und später im Balkan, hatten die Einsätze den Zweck Deutschland endlich wieder zu rehabilitieren. Eine internationale Rolle zu übernehmen und zu erfüllen. Unsere Streitkräfte zu trainieren, unsere Waffen zu testen, einen Status quo festzulegen. Unsere Wehrfähigkeit zu vergleichen. Uns vor-zu-be-rei-ten auf größere Aufgaben. Zu denken, das heute sei der erste Schritt, das spricht für Deine verblendete Kurzsichtigkeit. Nicht einmal das hast Du bemerkt. Wie einfältig bist Du? Hast du jemals an Soldaten als Helfer geglaubt? Das war der Fraß für welche wie Dich. Und ihr habt ihn verdaut. Wir heben Deutschland wieder aus seiner weinerlichen, verweichlichten, schwachen Rolle, machen es groß.
Ihr vertragt die Wahrheit doch gar nicht. Eure Argumente sind wie melancholische und einseitige pubertäre Lagerfeuerromantik. Ihr wisst doch nicht, wie Politik geht. Man kauft und man verkauft Sie. Wir zahlen für alles einen Preis. Da sitzt Du, eingefallen, den Kopf nach unten. Erschlagen bist Du. Du kannst von Wahrheit reden. Sie zu ertragen ist zuviel für Dich.“

Es war wirklich zuviel für Herrn Kühne. Er ertrug diesen Menschen nicht, der alle seine Ideale, seinen Glauben, seine Arbeit verriet. Er wollte weghören, aber es ging nicht. Wie ein Zwang war es.

„Gerade eben haben wir mit 12 Leben die Kontrolle über ein Land so groß wie Bayern erkauft. Und so abscheulich, traurig und gräßlich es für die Einzelnen ist, so zweckdienlich und notwendig ist es für alle anderen. Vielleicht wäre es in 5 Jahren ein Krisenherd geworden, der tausende Menschenleben kostet. Aber das willst Du nicht hören. Du hast gar keinen Sinn dafür. Aufgewachsen im Wohlstand der zur Gewöhnung wurde. Das alles hier, Deine Freiheit, die Güter, das Öl wird jeden Tag erkauft. Die ganze Plastikwelt. Überall.“

Herr Kühn wußte, er – Sie alle - haben verloren. Alles war vergebens. Es gab nur einige Details, die ihm wichtig waren. Fast kraftlos fragt er:

„Wann hast du Deine Chance erkannt?“
Einen Augenblick überlegte der Mann mit der Zigarre. Aber er antwortete doch noch. Kühn konnte nun ruhig alles wissen.

„Damals, nach der Wiedervereinigung. Aber das Bewußtsein war noch nicht da. Über die vielen Debatten mußten wir es langsam herstellen und Leute wie Du hätten es fast verhindert mit ihren pazifistischen und dümmlichen Parolen. Aber ihr gabt uns auch Rückendeckung. Gerade weil wir diskutierten, weil wir eine Demokratie sind. Wir haben nicht einfach entschieden. Wir haben diskutiert, abgestimmt und zusammen einen Beschluß gefasst. Auch Du. Du hast mitgeholfen. Du hast mir durch Dein Handeln den Schafspelz gereicht. Und jetzt wunderst du Dich, wenn Du den Wolf wieder siehst? Aber ich spreche nur in Bildern Deiner Welt. Ich bin weder das Eine noch das Andere, sondern einfach real und weder gut noch böse. Ich tue, was ich muß.“

Er wollte nicht auf ihn eingehen. Er wollte auch nicht diskutieren. Das hatte er zur Genüge getan, die letzten Jahre.

„Wie kam es zur Bestätigung der Einsätze durch das Bundesverfassungsgericht?“
„Du meinst, damals im Irak? Den Grundstein? Nach eurer Eingabe?“
„Nein. Ich meine den ersten Waffeneinsatz in Palästina!“
„Zur Verteidigung mußten die Soldaten schon vorher in Bosnien, in Mazedonien und in Afghanistan schießen! Sie fortzuschicken mit dem Befehl es zu tun, war eine kleine aber bedeutende Gratwanderung. Der Vorsitzende war die treibende Kraft. Er ist einer, der mit gesunden Augen, die neue Rolle Deutschlands sieht. Für den internationale Verantwortung nicht nur ein Wort ist. Sein Einfluß genügte. Er mußte nur Notwendigkeiten mit bestehendem Recht vereinbaren und dies begründen. Öffentlich. Das erklärt es sogar Dir.“

„Was war mit den Medien? Der Presse? Den Zeitungen?“
„Du meinst, als oppositionelle Kraft?“
Jetzt mußte er doch lachen. Ein grausames Lachen!
„Sie haben bereitwillig nachgekaut, was wir ihnen reichten. Einige wenige hatten einen eigenen Kopf, doch wen interessiert es? Unsere Leute in den Aufsichtsräten schauten schon sehr genau, was veröffentlicht wird und was nicht. Die anderen kamen aufs Abstellgleis. Minoritäten denen keiner glaubt. Zudem sind für die Katastrophen, menschliche Tragödien oder das Wetter bessere Quotengaranten als Debatten über die Auslegung des Artikel 115 .“

„Du bist ein Monster!“

„Vielleicht. Aber ihr habt versagt. Ihr alle. Auslese heißt das Prinzip. Wir haben uns gegen euch durchgesetzt. Weil wir stärker sind. Das gibt uns Recht. Und eure Schwäche ist unser Recht. Euer Versagen. Ihr selbst habt doch euren eigenen Idealismus verraten. Deine klägliche Partei, die niemals Opposition war.“

Herr Kühn wendet sich ihm wieder zu. Zu kraftlos, um echten Widerstand entgegenzubringen. Zu ungeherlich war der Ausbruch. Die Wahrheit zu hören. Alles, was er lange ahnte und nie belegen konnte:

„Du hast die Demokratie verraten, Sie benutzt. Benutzt, wie die Menschen um Dich herum. Hast sie zu Handlangern, zu Erfüllungsgehilfen gemacht. Hast den Bundestag mit schönen Worten von Frieden und internationaler Hilfe manipuliert. Viele haben Dir geglaubt, für viele wäre die Wahrheit zu ungeheurlich und einige hast du gekauft. Ich verstehe jetzt. Du bist die neue Dimension eines Diktators. Einer der hinter dem Anschein der Demokratie agiert, öffentlichkeitswirksam mit seinem markanten und ehrlichem Gesicht die wahren Absichten hinter Worten verbirgt, der gerade in einer Demokratie emporwächst, weil er sie aushöhlen kann. Der nicht die Staatsmacht in sich vereint und deshalb gefährlicher, geschickter und intriganter handelt. Wir sind vielleicht Zöglinge der Demokratie, Du bist perverse Abart, wie ein Geschwür wirst Du genährt und breitest Dich in ihrem Organismus aus.“

Ein weiterer Mann tritt vor die beiden, den Rücken ihnen zugekehrt:
„Herr Kühne überlegt in diesem Moment zu morden. Er ist noch unsicher und ringt mit sich. Ein Menschenleben nur. Gerade denkt er aber an die 12 Soldaten. Nun kann er es nicht mehr. Sehen Sie nur, wie kraftlos, wie besiegt er ist.“

Der Vorhang fällt. Das Stück ist vorüber. Wie in Trance erwachen die Zuschauer ganz langsam und kehren zurück in die Wirklichkeit des Theatersaales. Gemurmel beginnt. Nach der fünften Zugabe drängen Sie dann doch zu den Ausgängen.
Einer sagt: „Zum Glück ist das alles nicht wahr!“
Der andere antwortet: „Total utopisch. Das wäre niemals möglich! Geschickt, das mit den wahren Konflikten zu verbinden. Das schafft so eine Authentizität. Aber wozu gibt es die UNO und Mandate an die sich die Nato halten muß? Und überhaupt, das mit der Presse. Das ginge nie.“
„Ich weiß nicht so recht...“
„He...wir haben eine Gewaltenteilung und Kontrollorgane hier. Glaubst Du ernsthaft jemand könnte Entscheidungen vom Bundesverfassungsgericht beeinflussen?“
„Hm-Hm.“

 

Hallo Frank,

ein guter und spannender Dialog. Die Geschichte ist sehr bedrückend, weil jedermann in unserer Zeit kapiert, was damit gemeint ist. Sie spielt auf dem Theater, scheint also nur Gedankenspiel, oder, besser: Ausdruck der Angst.
Und diese Angst ist eine kollektive, eine universale, die ihr Gesicht in vielen hohläugigen Masken zeigt. Die Angst lähmt zuweilen auch die Sprache, was vielleicht das Schlimmste ist.
Das Theater als Schonraum für den Geist, eine Spielwiese, auf der sich Pro und Contra ungestraft darstellen lässt. Aber was ist mit der Wirklichkeit? Und mit unserem Verhalten in der Wirklichkeit?
Zur Perspektive: der Autor kommentiert das Verhalten Kühns, seine Gefühle, während der Kontrahent wortreich, aber unkommentiert redet. Das scheint Absicht. Nicht wahr.

Ein guter Text. Er hat mich erschüttert.

Viele Grüße

Hans Werner

 

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