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Hilfe, großer Bruder!

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05.03.2014
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Hilfe, großer Bruder!

Der Herbst hatte seinen Mantel über die Stadt gelegt, er machte sie düster und farblos. Düster und farblos war auch die Gefühlswelt von Viktor. Sein Körper wirkte leblos und wurde nur von einem Sessel getragen. Er erinnerte sich an jedes Wort, das der Polizist ihm gesagt hatte. Es handele sich bei dem Entführer sehr wahrscheinlich um denjenigen, der zuvor schon acht Menschen entführt hatte, wurde ihm mitgeteilt. Jedes Wort war wie ein schmerzhafter Stich in sein Herz. Wochen zuvor hatte Viktor sich bei der Polizei gemeldet, nachdem er vergeblich versucht hatte, mit seinem Bruder Kontakt aufzunehmen. Die letzte Begegnung, die er mit ihm hatte, war ein heftiger Streit. Sein Bruder war rückfällig geworden und diese Tatsache entfachte in Viktor ein Feuer, das sich in den peitschenden Flammen äußerte, die seine wütende Stimme war:
„Glaubst du, ich lasse es zu, dass du dein Leben ruinierst und du deinen Abschluss nicht schaffst?“
Eine Ader oberhalb seiner Schläfe pulsierte, als wollte sie dem, was Viktor von sich gab, Nachdruck verleihen.
„Na und, dann mache ich eben 'ne Ausbildung, hör auf, dich pausenlos in mein Leben einzumischen!“
„Ich will aber, dass du dicht für eine Ausbildung entscheidest, weil du eine Wahl hast, und nicht weil es deine einzige Möglichkeit ist.“
„Wo ist der Unterschied ?“
„Musst du erst auf die Fresse fallen, bevor du einsiehst, wie dein Leben durch dieses Gift auseinanderfällt? Wer außer mir soll dich denn zurecht stutzen – die Therapeuten? Diese naiven Idioten wollen ja scheinbar, dass du sie verarschst. Oder glaubst du, dass Mama aus ihrem Grab klettert, dich kurz ausschimpft und alles wieder gut ist? Nein, du bist kein Kind mehr, Leon! Was ist“
Doch Leon schnitt ihm das Wort ab, als er die Tür laut hinter sich zuschlug.
Seine Hand wanderte zum Glas, in das er nun zum dritten Mal Whiskey nachschenkte. Er empfand es als äußerst angenehm, wie der Alkohol seine Kehle herunter floss und das Feuer in seinem Magen wie auch in seinen Wangen am Leben hielt, als schaufelte er Kohle in eine Dampflok nach. In den folgenden Nächten sank er in einen tiefen Schlaf, doch tagsüber war er trotz allem müde, unkonzentriert und sehr reizbar. Immer wieder erkundigte er sich bei der Polizei über die Ermittlungen, obwohl er schon wusste, was sie ihm sagen würden.
Viktor war es nicht möglich, die nächsten Tage auf der Arbeit zu erscheinen. Die Entführung seines Bruders nagte dafür zu sehr an seinem Verstand. Als er die Sekretärin auf der Arbeit anrief, um sie über seine Abwesenheit zu informieren, stellte er zum ersten Mal fest, wie nervtötend ihre Begrüßungsfloskel war, die sie bloß auswendig lernte und sie im Grunde bloß zu einem menschlichen Tonband machte. Es war beängstigend, so nutzlos zu sein, diese Ungewissheit über Leons Zustand trocknete seine Kehle aus und machte seine Augen wässrig.

„Er läuft durch die Verteidigung, als wären sie bloß ein paar Hütchen, die bewegungslos dem Ball hinterher starren. Er macht einen Übersteiger, eine Zidane-Umdrehung und schießt. TOR! TOR! TOR! Die Menge tobt und feiert den Mann des Spiels.“
Viktor war sich seiner überragenden Dribbelkünste durchaus bewusst und versäumte es nie, jene zur Schau zu stellen. Erschöpft saßen die Jungs nach dem Spiel auf dem Asphalt und aßen genüsslich ihr Kratzeis. Ahmet war nach kurzer Zeit mit seinem Eis fertig und forderte Viktor auf: „Hey Viktor, lass uns 'ne Runde Hin- und Herschießen spielen.“ Darauf erwiderte Viktor, nachdem er seinen leeren Kratzeisbecher lässig in den Mülleimer geworfen hatte: „Wieso willst du dich unglücklich machen?“. Die beiden grinsten und suchten ihre Plätze in den jeweiligen Toren auf. Nachdem Rapha nach den Regeln beim sogenannten ''Hin – und Herschießen'' gefragt hatte, erklärte Leon ihm stolz, dass man versuchen müsse, aus der eigenen Hälfte des Spielfeldes das Tor des Gegners zu treffen. Darüber hinaus dürfe man nicht seine Hände benutzen, um den Ball zu halten. Während die Köpfe der drei Jungs, wie bei Zuschauern eines Tennisspiels von links nach rechts wanderten, überstrichen sie das rosa ihrer Zungen mit blauer, grüner und roter Lebensmittelfarbe ihres Kratzeises. Ahmet und Viktor lieferten sich immer, wenn es um Fußball ging ein spannendes Kopf- an Kopfrennen. Rapha war von der Schusspräzision beider Spieler sehr beeindruckt und stellte die Frage in den Raum: „Wieso spielen eure Brüder nicht in Vereinen? Ich kenne Niemanden hier in der Gegend, die so gut spielen wie sie.“ Murat antwortete: „Frag ich ihn auch immer.“ „Ja, glaub mir, ich hab schon häufig versucht, meinen großen Bruder dazu zu überreden. Er sagt mir aber immer, dass er die Freude am Fußballspielen verliere, sobald er bei einem Verein anfängt. Jede Woche zum Training erscheinen und auf irgendeinen Typen mit 'ner Pfeife hören zu müssen, der dir befiehlt 30 Liegestütze zu machen oder so, würde ihm beim Zocken keinen Spaß mehr machen.“ Viktor gewann die Partie mit einem sehr knappen 5:4, und schüttelte wohlwollend Ahmets Hand, der nur mit größtem Unbehagen dieses obligatorische Ritual im Anschluss jeden Spieles vollzog. Innerlich hatte Ahmet jedoch für niemanden so viel Respekt übrig wie für Viktor. In ihm sah er nicht nur seinen besten Freund, den er seit dem Kindergarten kannte, sondern auch eine Inspiration, ein Vorbild. Als die Fünf gerade dabei waren, den Bolzplatz zu verlassen, betrat eine Gruppe älterer Jungs den Platz, die nichts Gutes verhießen. „Spiel mal den Ball 'rüber, Kleiner!“ Widerwillig passte Ahmet ihm den neuen Nike-Ball zu, den sein Vater ihm zu seinem 13. Geburtstag geschenkt hatte. Während die Jungs ihre Schlüssel und ihre Trinkflaschen vor dem Tor aufhoben, fingen die ''Großen'' bereits an, das Tor ohne Rücksicht zu bombardieren. Die Jungs flohen wie eine Herde von Antilopen vor einem Löwen. Nur eine Antilope blieb furchtlos vor den Löwen stehen. Es war Viktor. Er stand angelehnt am Zaun, der das Spielfeld eingrenzte und jagte mit seinen Augen den Ball. Als sich die Gelegenheit bot, spurtete er auf die lederne Kugel zu und umfasste sie fest mit beiden Armen. Die Großen rissen ihm dennoch den Ball aus den Händen und fingen an, auf ihn einzuschlagen – auf die Nase, in den Bauch und gegen das Schienbein. Wie eine ausgebeulte Coladose, mit der man Fußball gespielt hatte, lag Viktor auf dem Asphalt neben dem Ball, der die Aufmerksamkeit der Jungs an ein anderes Spielzeug abtreten musste – einer Zigarette. Nachdem er aus seiner Hosentasche ein Taschentuch gezogen hatte, mit dem er auf die blutende Nase drückte, hob er den Ball auf. Mit einer Maske aus Tränen, die nun sein Gesicht trug und einem Seil aus Rotze, das seine Nase herunter baumelte, lief der kleine Leon zu Viktor und fragte, während er am Ärmel seines Trikots zog: „Gehen wir jetzt nach Hause?“ Er nickte, und tätschelte den Kopf von Leon. Viktor spielte Ahmet seinen Ball 'rüber. Der Ball war ihm in diesem Augenblick ziemlich egal gewesen. Er ging auf Viktor zu und schüttelte seine Hand fest, während seine Augen wässrig wurden: „Danke. Das werde ich dir nie vergessen.“ „Was soll denn gewesen sein?“, fragte ihn Viktor und offenbarte ein blutverschmiertes Lachen und zwinkerte ihm zu. Das Bild wurde allmählich verschwommen, bis Leon sich schließlich perplex in einem feuchten, schwach beleuchteten Keller wiederfand. Ein plötzliches Gefühl der Wachheit durchströmte seinen Körper, das ihn veranlasste, jeden Winkel des Kellers durch kurze Blicke zu mustern, bis seine Augen über eine Person stolperten. „Gut geschlafen?“, sprach zu ihm ein Mädchen mit kastanienbraunem Haar, an dessen Arm sich eine Schlange aus Tinte reckte. Außerdem bemerkte er an ihrer Armbeuge einige Löcher, die Spritzen hinterlassen hatten.
„Ich heiße Sophie. Du hast doch bestimmt Hunger, du solltest essen.“, sie deutete auf die Treppe, wo zwei Teller standen. In einem davon war etwas, das wie Gulasch aussah – dazu ein paar Scheiben Brot. Von dem anderen hatte Sophie offenbar schon gegessen, denn dieser trug nur Spuren von Eintopf und Brotrinde in sich. „Was ist mit uns geschehen?“, fragte Leon, während das Brot in seiner Hand die Suppe auf sog. „Ich weiß nicht. Als ich aufgewacht bin, habe ich eine Zeit lang erfolglos versucht, die Tür aufzubrechen. Mich wundert es, dass du nicht eher aufgewacht bis, ich war ganz schön laut. Seitdem ich wach bin, ist niemand hereingekommen. Ich weiß nicht, wie es bei dir war, aber ich war auf dem Heimweg von einer Party, und plötzlich griff mich jemand von hinten an, und ich wurde bewusstlos.“ Leon nickte, als wollte er sagen, dass er sich selbst in ihrer Geschichte wiederfand. „Glaubst du, es ist dieser Kerl, der momentan von der Polizei gesucht wird?“
„Höchstwahrscheinlich. Da wir aber keine der anderen Leute bisher gesehen haben, und ich kaum glaube, dass der Typ noch ein anderes „Lager“ hat. Können wir uns ja schon ausmalen, was mit denen geschehen ist, bzw. was mit uns geschehen wird.“
Sophie umschloss ihren Oberkörper mit ihren Armen, um ihr Zittern zu ersticken, woraufhin Leon ihr seine Jacke gab. „Danke!“ Doch das Zittern hörte nicht auf, es war kein Zittern, das durch Kälte hervorgerufen wurde. Es war der Tod, der unablässig an ihr rüttelte, damit sie irgendwann nachgeben würde. Als wollte er ihr sagen: Es ist vorbei. Gib auf! Es wird nicht wehtun. Es ist wie das Einschlafen, du merkst gar nicht, wann genau es passiert. Es passiert einfach.
Sie erinnerte sich, wie sie sich ein halbes Jahr zuvor mit dem Tod getroffen hatte. Sie stand auf ihrem Balkon und blickte hinab. Dort unten wartete er in Form von Asphalt, um ihren Körper zu zerschmettern und ihr Blut durch die Rillen des Bordsteins zu trinken. Doch sie hatte nicht den Mumm, es zu tun. Ein schrecklicher Gedanke brannte sich schmerzhaft in ihren Kopf, dass Entführung und Vergewaltigung unweigerlich Hand in Hand gingen. Verstört und voller Furcht malte sie sich nun unwillkürlich aus, wie sich der Entführer mit einem widerlichen, sichelförmigen Grinsen, ihre Beine auseinanderrisse und sich gewaltsam Einlass verschaffen würde. Während seiner unnachgiebigen Stoßbewegungen würde sie verzweifelt versuchen, mit ihren Nägeln seine Haut abzuziehen, woraufhin er mit seiner fleischigen Hand ruckartig zweimal über ihr Gesicht fahren und ihre beiden Arme am Boden fixieren würde, wobei sich nun seine schwarzen Nägel in ihr Fleisch grüben, bis der Samen ihre Schenkel hinab liefe. Sie würde schreien, als würde er wie Säure ihren Körper zerfetzen. Und dieser Gedanke versetzte sie zurück in die Vergangenheit, als ihre Mutter fremde Männer gegen eine Gebühr sich an ihrer Tochter „austoben“ ließ. Wäre doch bloß ihr Vater damals noch am Leben gewesen, dann hätte er sie davor bewahrt, dass jemand etwas so Schreckliches mit ihr anstellen würde. Als sie versuchte, diese Angst herunterzuschlucken, suchte sie vergeblich nach Speichel, als hätte ihn ihr jemand aus dem Mund gesaugt und ihr die Kehle zugeschnürt. Da schlossen sich ein weiteres Paar Arme um sie, und sie fühlte sich geborgen.
„Angst ist das beklemmende Gefühl, das Leben verlieren zu können, es ist ein Überlebensinstinkt. Dass du es empfindest, bedeutet, du willst noch leben. Ich kann dir nicht sagen, dass alles wieder gut wird. Was ich dir sagen kann, ist jedoch, dass wir beide dringender leben wollen, als dieser Kerl uns töten will. Und das sollte uns einen kleinen Vorteil verschaffen.“, und Leon blickte ihr tief in die Augen, so als wollte er sichergehen, dass die Nachricht angekommen war.
Das Klimpern eines Schlüsselbundes war an der Tür zu hören. Ein pfeifender Luftstrom und ein grelles Licht durchschnitten den Raum, und eine Silhouette sprang an die Wand, als sich die Tür öffnete. Das alte Holz der Treppe jammerte unter den schweren Schritten des Mannes, der nun den Keller betrat, während die Schlüssel an seiner Hüfte ein klirrendes Kichern von sich gaben. Die Gestalt, die sich Leon und Sophie offenbarte, trug eine Sonnenbrille mit runden, dunklen Gläsern, schwarze Farbe hüllte seine Haut ein, und ein leuchtendes rot zierte seine Lippen, eine schwarze Kapuze verhinderte, dass man mehr als sein Gesicht sehen konnte. Eine befremdliche und unheimliche Stimme begrüßte sie:
„Ich bedauere zutiefst die Unannehmlichkeiten, die ich euch bei der Hinfahrt bereitet habe. Ich verspreche euch, ich werde euch euren Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten.“, dabei bleckte er seine Zähne, und sein Gesicht wirkte mit dem Glitzern zwischen seinen Lippen um einiges wahnsinniger.
„Wer von euch kann mir sagen, wieso ihr hier seid.“, er hob seinen Kopf an und blickte durch den Raum und wartete wie ein Lehrer darauf, dass ein Finger empor schoss. Doch Leon und Sophie waren noch immer eingeschüchtert von dem skurrilen Erscheinungsbild ihres Peinigers.
„Also gut, diesmal werde ich euch die Antwort geben, aber das nächste mal möchte ich, dass ihr euch etwas mehr anstrengt. Nun, diese Nummer hier mit dem Entführen ist etwas neu für mich, aber ich denke, ich werde mich schon daran gewöhnen. Das hier wird so eine Art Therapie. Ich habe euch und auch ein paar andere Leute in eurem Alter in den vergangenen Wochen beobachtet, wie ihr etliche Pillen schluckt und Nadeln in eure Venen rammt. Ihr könnt es einfach nicht abwarten, aufgerufen zu werden, damit ihr den Termin, den ihr seit eurer Geburt mit dem Tod vereinbart habt, wahrnehmen könnt. Ihr beleidigt die Kostbarkeit des Lebens.“ Voller Wut stürmte Leon auf den Mann zu und schleuderte seine Faust in seine Richtung. Doch er wich geschmeidig aus, als würde er bloß eine Bewegung einer Tanzchoreographie ausführen. Er packte Leons Handgelenk und warf ihn gegen die Wand, wobei Leon sich in seine Zunge biss, dessen Schmerz sogar die Prellung an seiner Schulter überschattete.
„Beruhigt euch, ich bin in unsrer gegenwärtigen Situation nicht der ''Böse''. Ich bin fest davon überzeugt, dass jedes schlechte Verhaltensmuster wie der Konsum von Drogen durch Gewalt ausgemerzt werden kann. Also werde ich euch, während ihr bei mir in Therapie seid, solange peinigen, bis ihr die Assoziation von Drogen und Schmerz verinnerlicht haben werdet. Wir werden mit dir anfangen, junge Dame. Erinnerst du dich noch, wie deine Eltern dir früher beim Kinderarzt eine kurze Geschichte erzählt haben, während der Arzt dir unbemerkt die Spritze verabreichen konnte?
Ich schlage vor, dein Freund hier denkt sich 'ne verdammt gute Geschichte aus.“ Er straffte eine schwarze Peitsche in seiner Hand. Der Mann hieß Sophie, dessen Gesicht unzählige Tränen schmückten, ihr Oberteil auszuziehen, damit das lederne Schwert ihren nackten Rücken beschneiden konnte. Als er zum Schlag ausholte, stellte Leon sich dazwischen und sagte:
„Wieso tust du das alles hier? Woher nimmst du dir das Recht, uns diese Scheiße anzutun?“
„Manchmal müssen Erwachsene Kindern erklären, was richtig und was falsch ist. Außerdem seid ihr sowieso nicht mehr imstande, euch selbst zu helfen.“ Er verschränkte seine Arme, wobei die Peitsche an der Seite herunter baumelte.
„Überleg doch mal. Wenn wir deine ''Therapie'' überstanden haben, dann verspüren wir bloß Furcht vor den Drogen. Das aber ist nicht der Sinn einer Therapie. Glaubst du etwa Hitler hätte irgendwann eingesehen, dass diese Scheiße, die er den Juden angetan hat, falsch ist, hätte man ihn unaufhörlich gefoltert? Dieser Feigling hat sich ja schließlich umgebracht. Das Ziel einer Therapie ist es, einzusehen, dass der permanente Drogenkonsum das Leben zerstört, und dass wir uns bewusst dagegen entscheiden, weil wir die Wahl haben.“
„Macht das denn einen Unterschied?“
„Allerdings, das tut es.“
„Du gehst mir langsam ziemlich auf die Nerven, du Balg. Du kannst ruhig weiterhin in deiner Märchenwelt leben, ich aber werde die pragmatischere Variante bevorzugen. Nicht das Gerede eines einfühlsamen Therapeuten, sondern das hier wird dich zurechtstutzen.“ Der Entführer trat jetzt zu Leon und sagte ihm: „Vielleicht sollten wir doch mit dir anfangen, kleiner Mann. Es scheint mir, dass du es viel nötiger hast, von diesem Leid befreit zu werden.“
Leon lächelte Sophie schwach an, als wollte er ihr sagen: Hab keine Angst!
Sophie schloss ihre Augen fest zu. Ihre Augenlider versuchten wie ein Damm das Wasser aufzuhalten, als die Peitsche unablässig auf Leons Rücken donnerte. Es war, als klatschte er mit einem Pinsel rote Farbe auf seinen Rücken. Sein Schreien war qualvoll und ohrenbetäubend. Er zappelte auf dem Boden, wie ein Fisch, der auf einen Stein geschlagen wird, bis er aufhört sich zu bewegen. Schließlich trat Sophie dazwischen, woraufhin eine Kugel ihr Bein durchbohrte und eine rote Fontäne offenbarte. Als wäre dieser kurze Schuss bloß eine beiläufige Geste gewesen, schlug er weiterhin auf Leon ein. Das Zappeln des Fisches wurde schwacher, bis es schließlich verebbte. Während Sophie gegen den furchtbaren Schmerz in ihrem Bein kämpfte, konnte sie auf einmal sehen, dass der Entführer taumelte wie ein enthaupteter Mann, dessen Körper noch einige letzte undeutliche Schritte machte.

Er spürte ein sehr starkes Brennen in seinem Gericht und ein Gefühl von Schwindel überkam ihn. Verwirrt nahm er die Brille ab und tastete eine raue Schicht auf seiner Haut ab. Vor sich sah er eine junge Frau, die mit einem schmerzverzerrten Gesicht ihren Oberschenkel hielt. Neben ihr lag ein Junge, dessen Körper völlig zerfetzt war. Erst auf den zweiten Blick merkte er, dass es Leon war. Er kniete sich auf den harten Asphalt und hielt den Leib seines Bruders, auf den nun schwarze Tränen fielen. Der Blick von Leons Augen war leer. Immer wieder schüttelte Viktor den Leichnam in der Hoffnung, dass er doch noch aufwachen würde. Mit einem Male schossen zahllose Erinnerungsfetzen durch Viktors Kopf. Er war für das alles verantwortlich. Er hatte seinen Bruder gepeinigt. Er wollte ihm doch nur helfen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Pistole, die an seiner Hüfte hing.

Ein Schuss ertönte.




Über eine Meinung würde ich mich sehr freuen. :)

 

Servus Kritzelei, willkommen hier.

Der Herbst hatte seinen Mantel über die Stadt gelegt, er machte sie düster und farblos – treffender hätte man die Gefühlswelt von Viktor kaum beschreiben können.
Welches Bild genau ist es, das Viktors Gefühlswelt so treffend beschreibt? Das vom Herbst, der seinen Mantel über die Stadt legt? Ich meine zu verstehen, was du hier ausdrücken willst, dass nämlich nicht nur die Stadt, sondern auch Viktors Gefühlswelt düster und farblos ist. Aber mir erscheint die Formulierung etwas ungeschickt und viel zu umständlich, womöglich auch wegen des Gedankenstrichs.
Also dieser Beginn ist mir einfach nicht präzise genug.
Der Herbst hatte seinen Mantel über die Stadt gelegt, er machte sie düster und farblos. Düster und farblos war auch die Gefühlswelt von Viktor.
Das willst du sagen, hab ich recht? So klänge es eindeutiger für mich. In dieser schlichten Form würde ich das auch einfach hinschreiben. Und die Wortwiederholung fände ich hier nicht störend, sondern legitim sozusagen, weil sie das gewünschte Bild noch verstärkt.

Sein Körper wirkte leblos und wurde nur von seinem braunen Sessel getragen.
Viktors Sessel? Seines Körpers Sessel? Das zweite Possessivpronomen verwirrt unnötig. Und ist die Farbe des Sessels von Relevanz?

Er erinnerte sich an jedes einzelne [entbehrlich] Wort, das der Polizist ihm gesagt hatte. Es handele sich bei dem Entführer sehr wahrscheinlich um denjenigen, der auch [wer sonst noch?] zu vor [zuvor] schon acht Menschen entführte [entführt hatte], wurde ihm mitgeteilt. Jedes einzelne [auch hier wieder unnötig] Worte [Wort] war wie ein schmerzhafter Stich in sein Herz. Wochen zuvor meldete [muss auch im Plusquamperfekt stehen] Viktor sich bei der Polizei, weil [besser: nachdem] er vergeblich versucht hatte, mit seinem Bruder Kontakt aufzunehmen.

Du merkst wohl schon, Kritzelei, dass ich erhebliche Schwierigkeiten habe, in den Text reinzukommen. Der ist sprachlich einfach zu unsauber, der klingt an zu vielen Stellen halt irgendwie nicht richtig, da will beim Lesen einfach kein Flow aufkommen. Du musst unbedingt an exakterem und bewussterem Sprachgebrauch arbeiten. Du solltest dir beim Schreiben immer vor Augen halten, das wirklich jedes Wort und jede Formulierung vom Leser wahrgenommen wird. Ein unpassendes Wort als unpassendes Wort, eine falsche Zeitform als falsche Zeitform, ein ungeschicktes Sprachbild als ungeschicktes Sprachbild. Entsprechend behutsam und sorgfältig solltest du dir jeden Satz überlegen. Das ist mühsame und harte Arbeit, schon klar, und fast so diffizil wie eine Operation am offenen Herzen, aber erst durch dieses mühselige und oftmals an Sisyphos gemahnende Schuften kann ein Text so richtig gut und lebendig werden.

So, bevor ich mich endgültig in Detailkram verliere, werde ich den Text jetzt einfach mal zu Ende lesen und dabei versuchen, die Fehler zu ignorieren. Mal sehen, wie der Gesamteindruck dann aussieht.

„Glaubst du, ich lasse es zu, dass du dein Leben ruinierst und du deinen Abschluss nicht schaffst?“

Eine Ader oberhalb seiner Schläfe pulsierte, als wollte sie dem, was Viktor von sich gab, Nachdruck verleihen.

„Na und, dann mache ich eben 'ne Ausbildung, hör auf, dich pausenlos in mein Leben einzumischen !“

„Ich will aber, dass du dicht für eine Ausbildung entscheidest, weil du eine Wahl hast, und nicht weil es deine einzige Möglichkeit ist.“

„Wo ist der Unterschied ?“


Nur eines noch: Erspare uns Lesern bitte diese vollkommen unnötigen (um nicht zu sagen idiotischen) Leerzeilen zwischen Dialogzeilen. Hast du schon jemals in einem Buch so eine elendige Formatierung gesehen?
So, jetzt lese ich aber wirklich weiter, auch wenn's mir der Text nicht gerade leicht macht.
Ich werde dir morgen noch was dazu schreiben, aber diesen ersten Eindruck wollte ich dir nicht vorenthalten.

offshore

 
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Danke für die sehr gute Kritk bisher! Das mit den überflüssigen Wörtern und dem Tempus ist mir nicht aufgefallen, weil ich es wahrscheinlich viel zu oberflächlich gelesen habe. Deine Tipps helfen wir mir enorm weiter. :-)
Bin grad kurz diese Korrektur-Liste überflogen und hab gemerkt, dass ich auch diese Regel für die Auslassungszeichen missachtet habe, und dass ich das mit dieser Leerzeichenregel im Hinblick auf Ausrufe- und Fragezeichen auch falsch gemacht habe. Ich hab jetzt kurz drüber geschaut, hoffe es ist jetzt ein wenig angenehmer zu lesen.

 

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