Hilfe für Horst
Hilfe für Horst
Horst ist mein Freund. Das heißt, Horst war mein Freund. Horst, der nicht fehlerfrei bis drei zählen kann und die Kassiererinnen im Supermarkt nach den Zutaten für eine Gemüsebrühe fragt. Horst, der die Samstage mit seiner Mutter und die Sonntage mit Stefanie Hertel verbringt. Horst, der meine Zeitungsannonce gelesen und mir tags darauf ins Ohr geraunt hat: „Bitte, hilf mir eine Frau zu finden!“
Meine Geschäftsidee war richtig gut. Okay, vielleicht noch nicht ganz ausgereift, aber doch gut. Innovativ sein musste der Mensch, Marktlücken finden und gründen. „Traumpartnerin in drei Tagen- Die ultimative Dating-Schule für Singles. Ohne Verhaltens- und Rhetorikgedöns, Flirten und Kochseminar.“ Wenn das mal kein Werbeversprechen war! Meine Qualifikation: Eine Parship-Auszeichnung für lebenslange Mitgliedschaft, drei gescheiterte Ehen und ebenso viele Rosenkriege, geschätzte dreihundert Tinder-Dates und doppelt so viele Yoga-Kurse, dazu das souveräne Lächeln eines vom Leben Gezeichneten. Aber das hatte ich gar nicht in die Annonce geschrieben, schließlich wollte ich nicht alles an die große Glocke hängen. Bei einem wissenschaftlich erwiesenen Anteil von 30% Singles in jeder größeren Stadt würde man mir ohnehin die Tür einrennen. Dachte ich zumindest. Aber der Einzige, der kam, war Horst. Horst mit der Knollennase und der Hans Moser-Frisur. Horst, der im Hochsommer eine braune Cordhose und ein Baumwollkarohemd und im Winter eine lange Unterhose und zwei Baumwollkarohemden trägt.
„Und?“
„Erst kümmern wir uns um dein Styling.“
„Um mein was?“
Hatte ich schon erwähnt, dass er ein absolutes Sprachgenie war?
„Um deine Kleidung“, erklärte ich und schleifte ihn in eine renommierte Männerboutique. Na, was soll’s denn sein? Markenjeans oder Schlabberlook? Ich entschied mich für den goldenen Mittelweg und verpasste ihm Johnny Depp-Outfit. Das kommt immer gut, dachte ich.
„So, jetzt machen wir ein wenig Trockentraining!“
„Was? Jetzt?“ Schweißbäche rannen ihm über die Stirn. „Was soll ich denn da zu Mutti sagen? Ich muss doch eine neue Vorhangstange für sie montieren.“
„Gib ihr die Nummer vom Montagservice!“
Horst sah mich an, als hätte ich einen Golfball verschluckt.
Zwei dunkle Weizen und drei Pfefferminzbonbons später standen wir am Eingang vom „Rockabilly“, ein Trendschuppen in der Münchner Dating-Meile. „Du gehst einfach zu ein paar Frauen hin und quatschst sie an. Anschließend folgt Schritt Nummer zwei“, trage ich ihm auf.
„Ja, aber was soll ich denn sagen?“
„Wie wär’s mit Hallo?“ Siegesgewiss nahm ich meine Beobachterposition ein. Horst war aufgeregt. Schrecklich aufgeregt. Seine Hände zitterten, seine Lider flatterten und unter seinen Achseln zeichnete sich ein riesiger Schweißfleck ab. Aber er überwand sich, denn er hatte ein Ziel: Er wollte sein Singledasein beenden. „Hallo“, wandte er sich an eine Blondine in Bluse und Minirock, die ihn schlicht überhörte.
„Lauter“, raunte ich ihm zu, worauf er schicksalsergeben nickte, seine Muskeln anspannte und anhob: „HALLO!“
Leider hatte der Ärmste in seinem Eifer nicht bemerkt, dass ein Zwei-Meter-Koloss mit Nasenring und tätowierten Armen den Platz der Dame eingenommen hatte. „Bis' du schwul oder was?“
Horst brach in Tränen aus. Nun hatte er sich so ins Zeug gelegt und der Typ verpasste ihm eine Verbalabreibung, die selbst einen George Clooney aus der Bahn geworfen hätte. In mir regte sich aufrichtiges Mitleid.
Um ihm Schlimmeres zu ersparen, wechselten wir Kneipe und Strategie. „Du siehst dir die Frauen an, die allein an der Theke sitzen. Dann gehst du zu einer hin, stellst ihr eine Frage und lächelst. Ganz wichtig: Lächeln! Forscher haben herausgefunden, dass es weniger darauf ankommt was, sondern wie wir es unserem Gegenüber sagen. Also immer schön lächeln! Du kannst zum Probieren ja mal eine Frau auswählen, die nicht in dein Beuteschema fällt. Dann hast du nix verloren, haha.“ Schon saß ich wieder auf meinem Hocker und wartete gespannt, wie Horst die neue Situation meistern würde. Zielsicher hielt er auf eine geschminkte Mittvierzigerin zu, die mit überkreuzten Beinen an der Bar saß und gelangweilt in ihr Daiquiri-Glas starrte. Horsts Knie schlotterten, aber da musste er jetzt durch. Ich rückte so nahe wie möglich an ihn heran, damit mir nichts von der Konversation entging
Horst setzte seinen unwiderstehlichen Kampfgrinser auf, beugte sich über ihren Drink und stammelte: „W…wie lautet die Quadratwurzel aus 49?“
Die Lippenstift-Madonna lachte so laut, dass ihr Daiquiri-Glas verrutschte.
„Nein, im Ernst. Die Wurzel aus 49 ist?“
Blondchen sah ihn an wie einen entlaufenen Psychiatrie-Insassen.
„Sieben“, erwiderte Horst.
„Locker bleiben. Nicht so verbissen auf deinen Fragen beharren“, dozierte ich und schickte Horst weiter zu einer Braunhaarigen in hellblauem T-Shirt und rosafarbener Hose. Vielleicht ließ sich ja über das Outfit eine Art seelisch-geistige Verbindung herstellen.
„Entschuldige bitte. Weißt du, wer gestern in der Liga gewonnen hat?“
So viel zu Horsts Zielgruppendenken. Aber aller guten Dinge waren bekanntlich drei, also ließ ich es ihn noch bei einer Rothaarigen in Punker-Stiefeln probieren. Diesmal gab ich den Text vor. Gekonnt warf er sich in Pose, glättete sein Hemd, zog den freien Hocker neben ihr zu sich heran und wisperte: „Du kommst mir so bekannt vor.“
„Irrtum, Schätzchen. Die Pflegerinnen sind dort drüben.“ Mit einer ausladenden Handbewegung wies sie auf die nebenanliegende Nervenklinik.
„Wenn es mit Reden nicht klappt, dann eben mit Tanzen“, mutmaßte ich und drückte meine Freundin weg, die sich gerade über meine häufige Abwesenheit beschwert hatte.
„So eine neue Geschäftsidee braucht eben Zeit“, hatte ich erwidert, aber das wollte sie nicht gelten lassen. Frauen…
Auf der Tanzfläche im „Taureau“ herrschte Hormon- und Körperstau. Mit anderen Worten, wir wippten eingequetscht wie die Ölsardinen mit unseren Hüften und atmeten dabei den Schweiß unserer Nachbarn ein.
„Sieh’s einfach als Aerobic-Training. Kommt immer gut beim weiblichen Geschlecht!“, brüllte ich meinen Schützling an, aber die 100 Dezibel aus dem Verstärker ließen meinen Worten keine Chance. Horst hielt sich wacker. Er schwitzte wie eine Dampflok und ließ doch keine Gelegenheit aus, die zwei Tigerfell-Ladys vor ihm anzurempeln. „Soll ich dir einen blasen, Kleiner?“, raunt ihm eine von ihnen zwischen zwei Musikstücken ins Ohr, und Horst starrte sie an wie ein Segelboot in der Wüste. Dass wir aber auch immer das verkehrte Publikum erwischten!
„Bleibt nur noch das Internet“, erläuterte ich meinen Schlachtplan, ohne genau zu wissen, wie er aussehen würde. „Wir legen ein Profil für dich an und schreiben einen Begrüßungstext, den du allen Frauen schickst, die du treffen willst. Wenn dann eine anbeißt, brauchst du nur noch eine geeignete Location suchen und deinen natürlichen Charme spielen lassen.“
„Aber das hat doch gestern schon nicht geklappt.“
„Klar. Aber da hattest du noch nicht den Internet-Bonus. Wenn Frau sich schon in dich verliebt hat, bevor sie dich trifft, spielt es keine Rolle, wie tollpatschig du bist. Außerdem heißt es doch immer, man soll authentisch bleiben. Darauf stehen die Frauen.“
„Wenn du meinst.“
Horst war ein dankbarer Kunde, weil er selten protestierte. Wie das wohl bei den anderen so sein würde?
„Hey! Wie lautet die Wurzel aus 49? Nein, Scherz, sag‘ mir lieber deine Schuhgröße, damit schon mal klar ist, womit ich deine Sammlung erweitern kann. Außerdem geh ich gern mit dir ins Kino (Quentin Tarantino), auf den Jahrmarkt oder in die Mucki-Bude. Klingt gut? Find ich auch. Deshalb solltest du mich treffen.“
Okay, der Text war vielleicht nicht der Brüller. Kein Geniestreich des weltbesten Womanizers, für den ich stundenlang hinter dem Schreibtisch gesessen hatte. Vielleicht sogar ein blödes Geschreibsel, aber passte das nicht am besten zu Horst? Er bedankte sich mit dem für ihn typischen Dackelblick, fuhr sich durch sein schulterlanges, braunes Haar und zog frohgemut von dannen. Über das Ergebnis seines letzten Versuchs würden wir in drei Tagen debattieren.
„Es hat geklappt! Du bist der Beste!“ Ich traute meinen Ohren nicht, als Horst mir mit den Armen fuchtelnd entgegenkommt. „Ich hab eine Frau kennengelernt und sie will mich wiedersehen.“ Nur mit Mühe konnte ich mich seiner Umarmung entziehen.
„Wie hast du das denn angestellt?
“„Ich weiß auch nicht.“ Er zuckte die Achseln. „Ich bin einfach hingegangen und hab sie reden lassen. Sie meinte, so aufmerksam habe ihr schon lange keiner mehr zugehört.“
Tja, so konnte man’s natürlich auch machen. „Und? Jetzt bin ich aber gespannt, wie sie heißt.“
„Äh… Komm einfach mit!“
Zwei Stunden später saßen wir im Augustiner, einem gemütlichen Biergarten im Herzen der Stadt, und warteten bei Bier und Wein auf Horsts neue Flamme. Wir hatten ausgemacht, dass ich ihr nur kurz die Hand schütteln würde, und mich dann vom Acker machte. Aber daraus wurde nichts.
„Irmgard!“, rief ich mit offenem Mund. Meine Freundin wirkte sichtlich überrascht. „Was machst du denn hier?“
„Tja, dasselbe könnte ich dich fragen.“ Sie warf mir ihren Killerblick Marke Alice Parker zu und ließ ihre rot lackierten Fingernägel aufblitzen. „Mich nach einer Begleitung umsehen, die nicht die ganze Zeit irgendwelchen abstrusen Geschäftsideen nachhängt.“
„Aber“, protestierte ich, doch ihr Eisschrank-Blick brachte mich zum Schweigen.
„Da gibt’s kein Aber. Zwei Monate hab ich dich gebeten und gebettelt, aber du hast die Zeichen nicht erkennen wollen. Jetzt ist es zu spät. Jetzt musst du dir eine andere Tussi suchen.“
Entgeistert starrte ich abwechselnd den Tisch, Irmgard und Horst an. „Okay, okay. Vielleicht sollte ich mein Geschäftsmodell überdenken“, räumte ich ein.
„Zu spät“, entschied Irmgard. „Jetzt hab ich mich neu verliebt.“ Sie wuschelte Horst sanft durchs Haar.
"Und meine Qualifikationsliste um eine vierte gescheiterte Ehe erweitert“, fügte ich hinzu. „Zeugt von Erfahrung. Darauf lässt sich aufbauen.“ Eine erste Referenz hatte ich jetzt ja auch.