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Heuchlermosaik
Dieser Text berührte einen tiefen Teil von meinem Herzen. Ich legte das Buch zur Seite, ging im Kreis in meinem Zimmer umher und murmelte immer wieder: „Ich will kein Heuchler mehr sein.“
Aber meine Eltern würden mich nicht akzeptieren, so wie ich bin. Was hätte ich tun sollen? Ich kann meiner eigenen Familie nicht mehr etwas vorheucheln. Ich schrieb einen Abschiedsbrief, legte den auf meinen Schreibtisch und verließ dann mein zuhause. Das war etwa um Mitternacht. Meine ganze Familie schlief schon.
Jetzt stehe ich alleine im Regen. Ich will nicht auf der Straße schlafen. Mir ist kalt. Soll ich einen Freund besuchen? Nein … ich will ihnen nicht alles erklären müssen. Ich rede ja auch nicht mehr mit meinen Schulfreunden. Jetzt nach dem Abschluss. Hätte ich doch nicht diesen Brief geschrieben. Dann könnte ich wieder nachhause gehen. Was, wenn jemand von meiner Familie aufgestanden ist, nach mir sehen wollte und nicht mich sondern diesen Brief gefunden hat?
Frau Bärklau hatte mich doch immer sehr gern!
Ja, sie war die netteste Lehrerin, die ich jemals hatte. Wenn ich ihr alles erkläre, kann ich bestimmt für ein paar Tage bei ihr bleiben. Meine Mitschüler sprachen davon, dass sie direkt neben einem Bücherladen wohnt. Ihr Haus ist bestimmt auch nicht weit weg von der Schule. Dann suche ich die Umgebung nach einem Bücherladen ab.
Er hat da auch etwas an seine Augen. Ein Funkeln, das vorher nicht da war. Er versucht, es zu verstecken. Er guckt immer auf den Boden, wenn ich mit ihm rede. Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube, er betrügt mich.
Ich stelle mich dumm, tue so, als würde ich nichts merken.
Aber wie kann ich es ihm denn vorwerfen? Wir sind beide Anfang vierzig, aber er hat sich besser gehalten als ich. Meine Haut ist faltig und meine Haare werden grau. Ihn hat das Alter nur noch attraktiver gemacht mit seinem Vollbart und seinem männlichen Bauch.
Er schläft. Ich lese mir Übungsaufsätze von der zehnten Klasse durch. Alle sind schlecht. Trotzdem würde ich weiter die Aufsätze korrigieren, zu jeder eine Kritik schreiben, morgen wieder zur Schule gehen und unterrichten. Was soll ich sonst tun? Mein Alltag eben. Vielleicht sollte ich in die Küche und mir etwas zum trinken holen.
Jemand klingelt. So spät? Ich lege die Aufsätze zur Seite, gehe den Korridor entlang und ich gucke durch den Spion. Um diese Zeit könnte mich ja irgendein Psycho besuchen.
Ein Junge mit Rucksack steht im Regen. Hände in den Hosentaschen. Zusammengekauert. Ich öffne die Tür. Licht fällt auf sein Gesicht. Braune Augen, braune Haare, volle Unterlippe. Das ist ja …
„Hassan?“, frage ich meinen ehemaligen Schüler. „Was machst du?“
„Ich – ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.“
Ich bringe ihn in die Küche und ziehe ihm die Jacke aus. Er setzt sich neben dem Essenstisch und ich gebe ihm eine Tasse Kakao. Dann warte ich, bis er sich beruhigt.
„Was ist los?“
„Also, ähm, ich bin schwul.“
Dann erzählt er mir alles, was er heute Nacht angestellt hat.
„Und was hast du jetzt vor?“
„Ich weiß nicht. Ich bin ein Idiot.“
„Nein, natürlich bist du kein Idiot. Komm, ich bringe dich ins Wohnzimmer und dort schläfst du auf dem Sofa. Morgen gehst du mit meinem Mann zu seiner Buchhandlung, solange ich unterrichte. Er arbeitet dort.“
„Danke.“
„Fürs erste kannst du bei uns bleiben.“
Ich bringe ihn zum Wohnzimmer.
„Hast du bequeme Kleidung in dem Rucksack.“
„Natürlich Frau Bärklau. So spontan bin ich jetzt auch wieder nicht.“ Er lächelt mich herzlich an. Dann bemerkt er die Aufsätze. Ganz oben auf dem Stapel steht der Name Leyla.
„Der Text da ist von meiner Schwester.“
Er setzt sich auf das Sofa und überfliegt Leylas Text. Ich bringe ihm Decke und Kissen, nehme meine Aufsätze und gehe in das Schlafzimmer.
Er liegt auf unserem Bett und ich stelle mir vor, wie er sich an dieses Flittchen ranmacht. Ich muss gestehen: Ich finde es gut, dass Hassan morgen bei meinem Mann ist. Vor dem Jungen würde er sich bestimmt nicht trauen, mit diesem Flittchen rumzumachen. Angenommen natürlich, das Flittchen trifft ihn bei der Arbeit. Hoffentlich findet mein Mann nie mehr eine Möglichkeit, sie zu treffen. Hassan sollte fürs erste ein paar Tage hier bleiben, bis er sich beruhigt hat. Dann sehen wir mal weiter.
Ich studiere in Regensburg, aber meine Eltern wollen, dass ich sie so häufig wie möglich in ihrem Dorf besuche.
Deshalb sitze ich jetzt im Zug. Was habe ich nochmal in der Vorlesung gelernt? Irgendetwas mit der Sternschnecke. Also, die Weichwarzige Sternschnecke (auch genannt: Acanthi – ähm, irgentwas) ist eine Art aus der Unterordnung der Nacktkiemer …
Mein Kopf liegt an der Fensterscheibe. Mein Hals ist trocken. Wann bin ich eingeschlafen?
Es dröhnt: „Nächster Halt: Markant.“
Als ich mit meinem Rucksack aussteige, sehe ich meine Mutter.
„Na, Sophie? Wie geht’s dir?“, fragt sie.
„Ganz gut. Wie geht’s dir?“
„Du siehst müde aus.“
„Ich habe bei der Fahrt geschlafen.“
„Schläfst du denn nicht genug, Sophie?“
„Mama, mir geht’s schon gut.“
„Es ist ganz normal, dass man sich Sorgen um die eigene Tochter macht.“
„Ja ich weiß.“
Im Wagen fängt sie schon wieder an: „Nimmst du auch immer deine Pillen?“
Ich schweige sie vielsagend an.
Zu Hause angekommen gehe in mein Zimmer. Mutter geht in die Küche und macht Essen.
Endlich sind wir wieder zuhause. Ich klingele an der Tür. Ein Mädchen macht auf. Das, was mir sofort auffällt, ist ihre große Nase. Das Ding lenkt die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Aber es ist nicht schlimm. Sie wirkt durch ihren Rüssel sogar irgendwie freundlich. Erinnert mich an diese Ganeshastatuen, die ich einmal bei einer Doku gesehen habe.
„Hallo!“, sagt sie. Dann umarmte sie Ludwig.
„Sonja, hat dir deine Mutter schon erzählt, wer Hassan ist?“
„Ja.“ Sie lächelt mich an. „Du bist Hassan, oder?“
„Ja.“
„Wir müssen uns dann unbedingt unterhalten. Nach dem Essen, meine ich. Ok?“ Sie guckt mich schief an.
„Klar.“
Da ist ein würziger Duft in der Luft. Ich habe heute nur Cornflakes gegessen.
Ich ziehe mir etwas Bequemes an. In der Küche ist alles schon angerichtet. Es gibt Hähnchen mit Reis. Lecker.
Auf dem Tisch sitze ich zwischen Ludwig und Frau Bärklau. Sonja sitzt mir gegenüber und lächelte mich wieder an. Was ihr ihre wohl Mutter alles über mich gesagt hat?
Mein Handy vibriert. Bestimmt ist es wieder mein Schwesterchen. Ich will nicht wissen, was sie mir geschrieben hat. Ich werde wieder nicht rangehen.
Niemand redet beim Essen. Auf meinem Teller ist so ein Stück Fleisch.
Dann gehen Ludwig und Frau Bärklau ins Wohnzimmer. Ich begleite Sonja in ihr Zimmer.
Still sitzen wir beide im Dunkeln und betrachten den Kamin vor uns. Ein wütendes, großes Feuer brennt dort. Ein rotes Dämmerlicht bestrahlt unsere Gesichter.
Wir schauen beide nicht ins Feuer.
Plötzlich sagt er: „Morgen will ich meinen Vater besuchen. Im Krankenhaus.“
„Willst du, dass ich mitkomme?“
„Nein.“
Ich schaue nicht ins Feuer. Mein Blick wandert zu seinen schmalen, blassen Lippen. Zu dem Mund, den ich so gut kenne und den ich so häufig küsste. Damit küsst er eine andere Frau.
„Tu, was du nicht lassen kannst.“
„Okay.“
Das Feuer brennt.
„Ludwig?“
„Ja?“
„Warum hast du kaum etwas gegessen?“
„Oh, ich hatte keinen Hunger.“
„Weißt du, wie lange ich gebraucht habe für das Essen?“
Er schaut mir in die Augen. Sein Gesicht ist ganz rot vom Dämmerlicht.
„Wie lange?“
Mit diesen Augen wird er morgen eine nackte Frau sehen. Ich weiß es.
„Sehr lange.“ Ich blicke aus dem Fenster raus. Draußen ist es schon dunkel.
„Na dann.“ Er steht auf. „Morgen besuche ich meinen Vater. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
„Tu, was du nicht lassen kannst“, antwortet er. Dann geht er ins Schlafzimmer.
Wieso war Magdalena gestern so wütend auf mich? Hat sie etwas gesehen? Reden die Leute über mich? Nein, nein, ich muss mich beruhigen. Ja, ich bilde es mir nur ein. Abgesehen davon betrüge ich sie heute nicht. Heute besuche ich wirklich nur meinen Vater. Ich stehe neben seinem Bett. Er ist im Koma. Eine Krankenschwester starrt mich an. Ich ignoriere sie. Soll sie sich doch wundern, warum ich sie ignoriere. Ich will sie nicht.
Meine Lippen zucken. Ich lächle. Schnell vergrabe ich mein Gesicht in meine Hände. Die Krankenschwester soll das nicht sehen. Lächle ich wegen ihr oder wegen meinem Vater? Er liegt so da. Machtlos. Ich stehe über ihm und blicke auf ihn herab. Als ich klein war, hat mich mein Vater ständig geschlagen. Am liebsten benutzte er einen breiten, schwarzen Gürtel. Ich will nicht daran denken.
„Bist du sicher, dass du jetzt schon gehen willst.“
Jede Woche stelle ich meiner Sonja diese Frage. Jede Woche kommt dieselbe Antwort.
„Ja, aber ich komme doch schon nächste Woche wieder.“
Eigentlich ist es dumm von mir, sie aufzuhalten. Wir stehen doch schon längst im Bahnhof. Sie mag ihre Eltern nicht mehr. Ich sehe es an ihren Augen, die sie ständig verrollt. Das macht sie bestimmt nicht absichtlich. Sie zeigt damit aber, was sie denkt.
„Was hältst du von Hassan?“, frage ich sie.
„Hassan? Oh, er wirkt freundlich.“ Sie guckt auf die grauen Schienen. „Mama, ich und Hassan haben uns gestern lange unterhalten.“
„Ach, worüber denn.“
„Ähm, ein paar Freunde von mir wollen dieses Jahr nach Mallorca fahren.“
„Mallorca?“
„Ja, Malle.“ Sie kichert. „Darf ich mit?“
Ich beiße meine Unterlippe.
„Natürlich darfst du mit. Warum frägst du mich überhaupt.“
„Ich hab dich lieb.“
„Oh, Schatz.“ Wir umarmen uns.
Ein einsamer Wind weht. Ein Brausen ertönt. Es kommt Sonjas Zug.
„Mama?“
„Was Schatz?“
„Rede … kannst du mal mit Papa reden? Du weißt schon.“
Fast schon fluchtartig steigt sie in den Zug ein.
Ich kann mich nicht bewegen. Der Zug fährt ab. Immer schneller. Lässt mich zurück. Nein, das ist ein Schwachsinn. Das nützt nichts. Aber was soll ich tun? Nein, ich kann etwas tun. Hassan war bei Ludwig. Der Junge hat sich dann lange mit meiner Tochter unterhalten. Sie sagt jetzt, ich soll mit meinem Mann reden. Nein, nein, nein, nein. Das kann nicht sein. Ludwig kann doch nicht so dumm sein, dass er vor dem Jungen … Okay, ich muss jetzt sofort in einen Supermarkt. Ich brauche etwas zum trinken.
Ich liege auf dem Sofa und surfe mit meinem Handy auf Twitter. Ludwig ist bei mir und sieht fern. Da läuft ein Krimi. Ritualmord oder so ein anderer Schwachsinn.
Ludwig sagt: „Hey, der Mann hat seinen Vater getötet.“
Ich blicke von meinem Handydisplay auf. „So viel Tiefsinnigkeit hätte ich nicht erwartet.“
„Hassan, du bist doch von zuhause weggerannt.“
„Ja.“
„Hattest du Angst, dass dein Vater dich schlägt, wenn du halt offen sagst … ähm, ja.“
„Was? Nein, mein Vater ist liberal. Meine Mutter, ähm, ist manchmal emotional. Ich weiß nicht, wie gut sie das vertragen würde.“
„Ach so.“
„Warum frägst du?“
„Ach, nur wegen der Serie.“
Ich widme mich wieder meinem Handy zu.
Mir fällt gerade auf: Ich höre unterdrücktes Seufzen. Ich richte meinen Blick nach Ludwig. Sein Gesicht ist in seinen Armen vergraben. Der Mann weint gerade vor sich hin. Ich richte mich auf und klopfe ihm auf die Schulter.
„Was ist denn los?“
Unsere Gesichter sind nahe aneinander. Er atmet in meinen Mund rein.
Plötzlich packt er mich und beginnt, mich zu küssen. Ich spüre seine rauen Barthaare an meinen Lippen.
Ich stoße ihn weg. „Nein.“
„Bitte“, flüstert er mir zu. Er packt mich wieder und steckt mir seine Zunge in den Hals. Es fühlt sich so an, als würde ich das erste Mal in meinem Leben Wasser trinken.
Die Tür zum Haus geht auf. Ich höre, wie es knirscht.
Die Stimme von Frau Bärklau dringt zu mir. „Ludwig? Wo bist du?“
Er hört auf, mich zu küssen. „Ich bin hier. Im Wohnzimmer mit Hassan.“
Ich lecke an meinen Lippen. Dann versuche ich, meinen steifen Penis zu verstecken.
Die Frau kommt ins Wohnzimmer. Sie hat eine Bierflasche in der Hand. Ihr Mann steht vom Sofa auf und rennt zu ihr hin.
„Magdalena, hast du getrunken?“
„Ja! Ja, ich habe getrunken. Ludwig, du betrügst mich.“
„Das stimmt nicht.“
„Doch, es ist wahr! Ich bin keine Idiotin. Ich weiß es. Ich sehe es in deinen Augen. Ich sehe es an deinen Lippen. Wer ist sie? Warum reiche ich dir nicht.“
„Magdalena … da ist wirklich nichts.“
„Ich bin nicht blöd! Jeden Tag stelle ich mir vor, wie du sie küsst. Denkst du, dass das gerecht ist? Warum bist du wenigstens nicht ehrlich zu mir? Feigling!“
Dann läuft sie Richtung Schlafzimmer. Ludwig rennt ihr nach. Sie knallen eine Tür zu. Was soll ich machen? Vom Schlafzimmer kommen immer noch laute Rufe. Ich verstehe aber nicht was sie sagen.
Nein, Frau Bärklau soll nicht wegen mir unglücklich werden. Sie war so eine wundervolle Lehrerin. Sie ist so ein guter Mensch. Ich nehme meine Tasche und gehe. Irgendwo werde ich schon etwas finden.
Eis essend gucke ich mir „Schwarze Sehnsucht“ an. Ein Seifenopernhit. Die Hauptfigur, ein armer Bauer aus der Provinz, konnte endlich das Herz seiner wahren Liebe, ein Großstadtmädchen aus der High Society, erobern. Der Bauer wird von einem Sexsymbol gespielt. Die Schauspielerin von dem Mädchen ist gar nicht schön. Sie ist so dürr.
Ich habe Kurven. Sie stehen mir gut. Manchmal liege ich nackt auf meinem Bett und betrachte mich am Spiegel. Mit meiner hellen Haut und meinen lockigen Haaren, sehe ich aus wie eine Mischung aus Osten und Westen. Aber sowohl Osten, als auch Westen gehört Gott und ich glaube nicht an Gott. Ich bin also weder Osten, noch Westen. Jedenfalls verstehe ich nicht, wie sich so ein schöner Bauer in so ein hässliches Mädchen verlieben kann.
Mein Handy vibriert. Ich gucke auf den Bildschirm. Da steht „Anruf von Bruder“.
Ich nehme den Anruf an.
„Abi?“
„Schwesterchen.“
„Kannst du dir vorstellen, was für schreckliche Sorgen wir uns gemacht haben? Wie konntest du einfach weggehen?“
„Es tut mir leid.“
„Warum hast du mir nicht geschrieben, Abi?“
„Tut mir leid. Ich werde alles erklären. Bitte lass mich rein.“
Ich öffne die Haustür und umarme fest meinen Bruder. Dann lasse ich von ihm ab. Ich gehe ein paar Schritte von ihm weg.
„Leyla! Wie geht es -“
„Sei leise! Mama und Papa schlafen.“
Ich wollte das nicht laut sagen. Ich habe ja regelrecht geschrien. Es wurde ziemlich kalt.
„Tut mir leid, dass ich geschrien habe.“
„Macht nichts.“
Mein Bruder geht durch den Korridor. Ich schließe die Tür.
Er sitzt auf dem Sofa und sieht fern. Seine Jacke hat er nicht mehr an. Er hat sich ja schnell wieder an sein zuhause gewöhnt. Nein … er tut nur so. Er will nicht, dass ich ihn Frage, warum er mir nicht geschrieben hat. Aber ich muss ihn doch fragen, wieso –
am Fernseher wird jetzt eine Szene gezeigt, wo man den hübschen Bauern halbnackt mit seiner muskulösen Brust sehen kann. Hassan schluckt sehr laut.
„Ist es wahr?“
„Ich hoffe, du denkst nicht schlecht über mich, Schwesterchen.“
„Natürlich nicht!“ Ich umarme ihn. Vergrabe mein Gesicht in seinen Pullover. „Du wirst doch immer mein großer Bruder bleiben.“
„Danke Leyla.“
„Kein Problem.“
„Das bedeutet mir wirklich viel.“
Wir schweigen uns an, während wir uns die Serie fertig ansehen.
Dann wendet er sich zu mir. „Leyla, wie haben Mama und Papa auf den Zettel reagiert.“
Ich gucke ihn mit großen Augen an. „Hast du nicht eine einzige Nachricht von mir gelesen?“
„Nein, wieso?“
Und dann erklärte ich es ihm: „Du weckst mich doch jeden Tag vor der Schule auf und machst mir meine Brotzeit. Eines Tages bist du nicht zu mir gekommen, um mich aufzuwecken. Ich habe mich gewundert und bin dann in dein Zimmer gegangen. Da habe ich den Zettel gesehen.“
„Hm.“ Er sah mich mit gebeugtem Kopf an.
„Ich habe den Zettel zerrissen. Den Eltern habe ich gesagt, dass du mit Freunden auf Spontanurlaub gefahren bist.“
„Was?“
„Das mit dem Urlaub musst du ihnen halt erklären.“
„Du hast ihnen gesagt, dass ich mitten in der Nacht mit Freunden zum Urlaub gefahren bin?“
„Wolltest du, dass sie den Zettel lesen?“
„Nein … vergiss es.“
„Willst du Eiscreme?“
„Ja, gerne.“ Er lächelt mich an.
Ich sehe in meinen Eiscremebecher, aber da war nur noch geschmolzene Sahne.