Herzschlag
„Wie schnell dein Herz klopft“ Lisa lacht leise in die Dunkelheit. „Bum-bum, bum-bum, bum-bum ...“ Paul schaut sie an. Ihr Gesicht ist so nah vor seinem, dass er zwei verklebte Wimpern über ihrem rechten Auge bemerkt. Er betrachtet sie genau, weiß dabei, dass sie auf keine Antwort oder Reaktion wartet, sie ist beschäftigt mit seinem Herzschlag. Er mag diese Zeitlosigkeit, in der er niemandem etwas beweisen muss oder sich damit auseinander zu setzen hat was werden soll, aus seinem Leben. Ihr Kopf liegt auf seiner Brust, sodass er von oben auf sie schauen kann. Ihr Kinn hebt sich aus der Dunkelheit hervor, ihre kleine Nase, die blauen Augen sind geschlossen. In ihrem Kopf wirbeln alle Gedanken durcheinander, wegen dem Wein und dem süßen Rauch der lauten Musik, die von unten zu hören ist. Ihr geht es gut. Gerade ist einfach alles gut. Der Abend ist hier, hier bei ihr. Mit ihm. Sie ist zufrieden mit sich, sie hat ihn bekommen. Wie sie immer bekommt, was sie will. Und wie immer, will sie mehr. Sie hebt ihren Körper behutsam aus dem Laken, stützt ihren Kopf auf die Hand. Sie hebt ihre Hand zu seinen Lippen, fährt vorsichtig darüber, erkundet sein Gesicht mit ihren Fingerspitzen. Ihre Augen sind fest und entschlossen auf seine gerichtet, er fühlt sich und seine Gedanken entblößt, als hätte jemand den Schlüssel in das Schloss seines Tagebuches gesteckt und könnte nun, ungehindert Seite um Seite, sein Leben in sich aufnehmen.
Er spürt, sie kennt ihn, ohne, dass er reden muss.
Sie spürt das Beben seiner Gedanken, das Auflodern seiner Lust, seiner Kraft und seines Körpers.
Er umschließt ihren Nacken und dreht sie auf der Matratze herum, so dass sein Bauch auf ihrem liegt. Seine Arme gleiten unter ihr Oberteil, necken ihre nackte Haut mit zitternden Händen.
Er zieht sie aus, schiebt ihren Pulli langsam über den Kopf, die Arme. Seine Lippen gleiten über ihre Brüste, ihren Bauch entlang bis zu dem Saum ihrer Jeans. Er öffnet den Knopf, hilft ihr heraus.
Hilft ihr, sich zu öffnen, zu befreien. Sie setzt sich auf seinen Schoß, legt ihre Lippen auf seine, gibt sich ihm hin. Sie gehen ineinander über, nahtlos.
Später liegen sie nebeneinander, eher ineinander verschlungen, so beieinander und eins wie es nur geht, wenn man sich gerade geliebt hat.
Er fährt mit seinen Händen sachte über ihren Arm und starrt an die Decke. Er weiß sie wird niemals nur ihm gehören, ein Mädchen wie Lisa kann man nicht an sich binden. Sie würde sich eingesperrt fühlen, es würde ihre Flügel brechen immer in dem gleichen Bett zu schlafen. Immer an der Hand desselben Jungen zu gehen.
Deshalb will er die wenigen Stunden die sie ihm schenkt genießen, er lebt von ihnen. Sie halten ihn Aufrecht. Verhindern, dass seine Beine einknicken, wie ein Blumenstängel den man mit der Hand zu sehr zur Erde biegt.
Sie ist sein Engel und sie soll immer fliegen dürfen.
Es ist gleich eins, sie müssen runter gehen. Zu den Anderen. Die Party läuft ohne sie, auch wenn die, die feiern nicht den Hauch einer Ahnung haben wieviel intensiver sie ihre Zeit verbracht haben, sie müssen zurück. Irgendwann müssen sie immer zurück.
Lars hat Angst vor den knarrenden Treppenstufen aus altem Eichenholz, er fürchtet das Zusammentreffen mit seinen Freunden, ihre schelmischen Blicke, die schmutzigen Witzchen.
Er fürchtet sich davor, Lisas Hand loslassen zu müssen. Wieder ganz alleine da zu stehen, während die Welt sich um ihn dreht.
Vor der Tür dreht Lisa sich um, ein entschuldigender Blick, ein weicher Kuss auf seine Wange.
Dann geht sie eilig durch die Tür, ihre Silhouette verliert sich im gleißenden Licht. Sie fliegt.
Und er ist allein.