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- 12.08.2003
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HERZkirschROT
HERZkirschROT
farbige
schattenspiele
Es ist still. Das einzig hörbare ist das leise, gurgelnde Plätschern des Baches neben mir.
Wenn ich mich aufsetzte kann ich durch das Schilf den kleinen, blauen See erkennen.
Hinter mir steht eine Mauer aus schon brüchig gewordenem Stein, die ihren Schatten auf die Wiese wirft in der ich liege.
Lasse ich meinen Blick weiter schweifen, sehe ich den Kirschbaum. Der treuste, verschwiegenste Freund aus meiner Kindheit! Als kleines Mädchen verstand ich die Sprache seiner säuselnden, grünen Blätter.
Im Frühjahr, wenn er in voller Blüten stand, gab es nichts schöner als unter seinen dichten Astwerk zu liegen und in das Kirschweiß seiner majestätisch hohen Krone auf zu blicken und träumend sich in diesem Blütenweiß zu verlieren. Einszuwerden mit dem duftenden Weiß und dem durchschimmernden Himmelsblau!
Dann! Herzkirschen! Besonders große, saftige Früchte. Unzählige rote wohlschmeckende Herzen. Geschenke von ihm für mich! UNENDLICHe Liebesbeweise!
Jetzt hat der Baum selbst im Sommer fast keine Blätter mehr, ist alt geworden und er wird sicher bald Platz machen, für das kleine, zarte Bäumchen, das direkt neben seinem Stamm schnell in die Höhe wächst.
Langsam drehe ich mich auf den Rücken, spüre das kühle Gras in meinem Nacken und Erde unter meinen Händen. Meinen Gedanken schweifen ohne bestimmtes Ziel umher, ich lasse die Stimmen in mir sprechen, wie sie wollen, folge dabei dem Weg der Wolken und träume.
Auf einmal sehe ich im Augenwinkel eine Bewegung. Ein Schatten huscht an mir vorbei, fliegt in geschwungenen Bewegungen direkt über mich hinweg und setzt sich schließlich auf eine blaue Blume nahe an meiner rechten Hand.
Kurz hebe ich meinen von Träumen schwer gewordenen Kopf und sehe einen großen, gelben Schmetterling.
Er hat sich ganz oben auf die Spitze der Blüte gesetzt und schaukelt mit der Blume leicht im Wind.
Durch seine Bewegungen entsteht ein seltsames verzauberndes Spiel aus Licht und Schatten auf der Blüte.
Ich betrachte ihn, eine Weile, wie er still und friedlich dort sitzt, und beginne, über ihn nachzudenken.
Ich frage mich, ob er wohl weiß, das er in einem Jahr nicht mehr hier sein wird, dass er nur diesen Sommer
hat, um von Blüte zu Blüte zu fliegen. Wahrscheinlich nicht. Doch weiß ich denn, ob ich in einem Jahr wieder inmitten dieser Blumenwiese liegen kann?
Und wer würde mich vermissen? Der Schmetterling, der hier auf einer anderen, wahrscheinlich ebenso schönen Blume sitzt, würde mit Sicherheit nicht wissen, dass ich jemals hier gewesen bin.
© g-ps-d 2003