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Herzbube liebt Pikdame

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15.11.2002
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Herzbube liebt Pikdame

Für Lucia und Binh

Herzbube liebt Pikdame
(v. Daigoro)

Kennt ihr das Gefühl, manchmal einen Seelenverwandten begegnet zu haben? Jemand, der genau auf die Art und Weise denkt und fühlt wie ihr? Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich dafür sterben könnte, für diese Freundschaft, für diese Liebe, für den Seelenverwandten. Denn, wenn es hart auf hart kommt, stirbt er auch für dich. Nur für dich.

Wir leben gern verrückt und nah an den Grenzen. Wir fühlen wir uns wie Könige, wenn wir mit Kumpels auf Parties gehen oder die Stadt unsicher machen. Dabei tun und lassen wir, was wir wollen und es ist uns einfach scheiß egal, wie die Leute darauf reagieren. Mit unseren Autos rasen wir wie junge Götter durch die Straßen, als wären wir unsterblich. Es ist immer das gleiche Gesicht von den Leuten zu sehen, wenn an einer Ampel abends die Türen von eins bis zwei Autos aufgehen, vier oder acht Kerle raus springen und mitten auf der Straße tanzen und feiern. Sobald die Ampel aber auf grün schaltet, sind wir längst davon gefahren, während empörte oder grinsende Gesichter immer noch verharren und nicht wirklich glauben können, was sie eben gesehen haben. Bescheuert? Klar, sind wir doch alle. Doch wer nicht lebt, hat nichts vom Leben. „Ich hatte Spaß und ein geiles Leben!“, will jeder von uns sagen können, wenn wir eines Tages sterben. Oder verrecken. Wir drehen zur Geisterstunde spontane Independent-Ninja-Vampir-Sinnlos-Kampfsportfilme irgendwo im Englischen Garten und freuen uns, wenn nächtliche Parkbesucher Angst bekommen und uns für Sektenmitglieder halten, die sich bei ihren merkwürdigen Ritualen selbst mit einer DV-Kamera aufnehmen. Wir kämpfen, sterben und leiden für einander und halten ehrenvoll zusammen. "Ruf ihn an und lass‘ ihn wissen, wo wir sind. Wenn sie alle was auf die Fresse haben wollen, sollen sie doch kommen!“, so wird das meist geregelt. Wer was will, muss kommen. Schließlich wollen wir nichts von den anderen, und wenn, dann kommen wir auch von selbst. Doch diesen Weg, den ich euch jetzt beschreibe, kann man anscheinend nur allein gehen.

Es scheint wieder eine von diesen Nächten zu sein. Saufen, Parties, es lebe die Nacht. Binh und ich sind Typen, die gern über schöne Frauen reden. Wer tut das nicht? Aber wir reden nicht über irgendwelche Frauen. Es geht um die, die wir lieben. Wenn ich ihm etwas von meiner Freundin erzählt habe, dann schreit er oft ganz aufgelöst: „Mußtest du davon anfangen, jetzt muss ich auch die ganze Zeit an meine Freundin denken!“. Er schreit es bösartig heraus, weil er sie vermisst, er sehnt sich immer nach ihr. An dem Grinsen danach weiß ich immer, dass die beiden glücklich sind.
Doch heute Nacht grinst er nicht. Heute nicht. In solchen Momenten, wo er normalerweise wie befreit von seiner Freundin erzählte, umhüllt uns heute eine unangenehme Stille. Er holt tief Luft und überlegt, was er mir sagen will. Und das ich diesen absoluten Schwachsinn noch einmal persönlich erleben muss, macht mich wahnsinnig, denn ich dachte, dieses Thema wäre für immer gegessen. Doch ich habe mich schwer getäuscht.

„Erstens, ihr Bruder weiß jetzt, dass sie einen Freund hat und das ich es bin. Zweitens, hat er heraus gefunden wo ich wohne. Er will mich fertig machen, wenn ich es Lucia nicht in Ruhe lasse. Er will mit ihr zum Frauenarzt, sie untersuchen lassen und mich dann verklagen. Hey, sie ist sechzehn, der kann mir nichts und sie wird mich nicht anzeigen wollen. Dieser Arsch, ich denk‘, der studiert Jura? Da muss er doch mehr auf den Kasten haben!“, spricht Binh verärgert zu mir. Er schaut kurz aus dem Fenster in die schöne und edel beleuchtete Gegend, an welche wir gerade vorbei fahren, blickt dann wieder traurig nach vorn auf die Straße und setzt seine Rede wütend fort: “Das soll so ein scheiß Bodybuilder sein, und ca. eins- sechsundachtzig groß. Das ist mir so egal, wenn der kommt, lass ich mich von ihm zusammen schlagen, der kann mir meinetwegen auch ein Bein brechen, aber dann zerr‘ ich ihn vor’s Gericht! Ich meine wir sehen uns jetzt schon kaum, und wegen diesem Penner nun noch seltener. Die ganze scheiß Familie ist dagegen und wenn ihr beschissener Vater für die nächsten zwei Wochen aus Italien kommt, sehe ich sie gar nicht mehr. Der scheiß Bruder droht ihr damit, sie nach Italien zurück zu schicken und der Vater ist voll auf seiner Seite. Die machen sie so fertig, Mann,...“. Er sieht mir scharf in die Augen und spricht mit kalter Verachtung: „... aber so richtig Psycho- Stress!“. Binh schaut unglücklich auf die weite Straße hinaus und meint mit verzweifelter Stimme: „Weißt du, was aber das Problem dabei ist? ... Ich glaube, ich liebe sie.“

Er erzählt mir von all den unmenschlichen Dingen, die diese Familie ihr antun. Der Vater schlägt sie, wenn sie zu spät nach hause kommt, der Bruder macht sie immer psychisch fertig und die Mutter hängt irgendwie immer mit auf denen ihrer Seite,... so scheint es. Vielleicht weil sie selbst nicht den Mut und die Kraft hat, sich gegen diese Machos zu stellen. Lucia ist allein. Innerlich wünscht sie sich den Freund, der stark genug ist, um sie aus dieser Hölle raus zu holen. Doch so einen Freund wird es niemals in dieser Familie geben, sondern nur einen, der sich genau so vor diesen Tyrannen beugt und bückt, wie sie. Binh würde ausrasten, wenn seine Familie mit hinein gezogen wird. Er würde dann total ausflippen und diesen Arschlöchern die Fresse einschlagen. Ich kenne Binh, genug, um zu wissen, dass er es wirklich machen wird,... genau wie ich, wenn es mich betreffen würde. Seelenverwandte eben. Sie wäre bereit, die Beziehung zu beenden, nur, um Binh vor diesem Ärger zu schützen. Doch sie selbst bleibt ungeschützt - vielleicht für immer.

Wir reden und schweigen. Reden: über Lösungsversuche, dass sie doch abhauen könnte, oder einen starken Willen zeigt und dem ganzen Ärger erträgt und trotzt. Dass sie ins Heim gehen könnte, bis sie achtzehn ist und gesetzliche Hilfe beansprucht, wie es viele vor ihr schon getan haben. Wir versuchen etwas weiter zu denken und herum zu spinnen, um an eine Lösung zu kommen. Schweigen: wir beide wissen genau, dass egal welche Lösung zur Auswahl liegt, keine wird ein "happy end" haben. Vielleicht irgendwann einmal, aber bis dahin muss sehr viel gelitten und gekämpft werden, und ich weiß nicht, ob Lucia das schafft. Auf jeden Fall wird es Krieg geben. Und im Krieg gibt es keine Sieger.

Als ich ihn darauf bewusst gemacht habe, dass er unglücklich verliebt ist, fragt er mich immer wieder, ob es wirklich so wäre. Denn er kann es nicht glauben oder hat es bisher zumindest noch nie aus dieser Sicht gesehen. Doch er scheint zu verstehen, was ich ihm sagen will und das lässt die Wunde nur noch mehr bluten. Der Gedanke, dass sie zusammen sind und sich lieben, aber es nicht dürfen und somit unglücklich verliebt sein müssen, zerrt so sehr an ihm. Jungs, Männer, Kerle, wir lassen es uns nicht immer gleich anmerken. Aber seine verzweifelte Trauer, die durch seinen hasserfüllten und sehnsüchtigen Blick mehr und mehr an Ausdruck gewinnt, formen seine deprimierte Gestalt. Kälte und Stille sind Dinge, die man nur innerlich fühlt und beschreibt, doch in diesem Moment hätte man sie mit eigenen Händen greifen und anfassen können. Ich will sie zertrümmern und zerstören.

„Es gibt nichts schöneres, als glücklich verliebt zu sein und nichts schlimmeres, als unglücklich verliebt zu sein.“, sage ich traurig zu ihm.

Ich weiß, was er durchmacht, weil ich es selbst einmal erlebt habe, als ich fast so alt war wie er. Damals war es jedoch ein rein rassistischer Grund und nicht wie bei ihm, eine beschissene Kontrolle über die Macht in einer Familie. Durch einen guten Freund habe ich den wahren Grund erfahren, warum meine damalige Freundin mich sitzen ließ. „Es widert mich an, dass du mit so einem Schlitzaugen gehst!“, das war der Grund. Diese Worte musste sich meine erste Freundin damals von ihrem eigenen Vater anhören. Doch sie liebte ihre Familie ... und ließ mich allein.

Die Beziehung wird so nicht mehr lange halten, das weiß er. Binh fragt mich, was er machen soll. Er kann sie aufgeben und versuchen es zu vergessen, dann haben diese Schweine gesiegt und Lucia ist wieder in der Hölle, wo sie dann ewig bleiben wird. Oder er versucht diesen Arschlöchern zu trotzen und verpasst ihnen ein Denkzettel, bevor er geht, und das vielleicht als Liebesbeweis für sie, was ihr bestimmt Mut machen wird. Liebe kennt immer einen Weg, so heißt es, also werden beide vielleicht zu einem späterem Zeitpunkt mehr Glück haben... vielleicht aber auch nicht!

Wir fahren durch die Straßen der Nacht und wollen Könige der Herzen werden, die ihre Damen zu glücklichen Königinnen machen wollen. Doch bis dahin bleiben wir zwei verdammte Herzbuben, und einer davon hat sich leider in eine Pikdame verliebt. Pik, das Zeichen für Unglück und Pech, so ist es doch. In uns brennt diese Wut, die wir heraus schreien. Wir singen laut zu den melancholischen Texten von Coldplay und Radiohead - nein, wir brüllen, weil es gut tut, weil es befreit und Hoffnung macht. Wir hoffen, dass das Lied nicht zu Ende geht, damit wir noch eine Weile frei sein können, doch irgendwann ist auch ein Lied zu Ende und somit unsere deprimierende Fahrt durch die Nacht. Sieben Uhr morgens, es ist finster und wir haben die Endstation erreicht. Für einen kurzen Moment schweigen wir uns an. „Es ist ein beschissener Krieg.“, sage ich zu ihm. Er gibt mir die Hand zum Verabschieden, steigt dann aus und spricht entschlossen: „..den wir gewinnen werden.“, bevor er die Autotür zu krachen lässt und leise in der Dunkelheit verschwindet. Ich weiß, dass er innerlich weint und sich selbst aufrisst, wenn es diese beschissene aussichtslose Lage nicht schon längst getan hat. Shakespeares „Romeo &Julia“ ist kein aktuelles Thema, sagten viele zu mir, als ich in einer lustigen Runde über Beziehungen diskutierte. Wie aktuell es wirklich ist, erkenne ich daran, wenn es mich immer wieder trifft und an das hässliche Gefühl erinnert, als ich machtlos in tausend Teile zerbrach, danach völlig zerstört am Boden liegen blieb und sie einfach so aus meinem Leben gehen lassen musste.

Ich fahre nach hause und bin total deprimiert, erst recht, wenn ich die liebevoll weihnachtlich geschmückte Stadt vor mir sehe. Darf ich mir was wünschen? Wenn ja, dann ein Fest der Liebe mit "happy end" für Binh. Doch dieser Wunsch kann nicht einfach gekauft, festlich eingepackt und greifbar verschenkt werden. Im Gegenteil, er muss aus tiefsten Herzen mit Blut geschrieben werden, damit es endlich alle verstehen.
„Liebe ist nicht Krieg, doch ihr macht aus Liebe Krieg!“

 

@ Binh,
falls du das hier liest, alles gute zum 19. Geburtstag.

daigoro_isk (Combo-member2Solitudo)

 
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hallo kristin,
ich hoffe, du bist nicht immer verägert, wenn du eine geschichte von mir gelesen hast. ich stell mir immer vor, die arme, liest sich das durch und sagt dann bestimmt zu sich selbst: " warum tu ich mir den bloß immer an?" :).
also, es ist echt super lieb von dir, wie du mir hilfst und mir tips gibst, dafür danke ich dir. am wochenende habe ich mehr zeit und werde alle meine letzten geschichten etwas überarbeiten. ich werde es irgendwann noch schaffen, eine geschichte zu schreiben, die dir wirklich gut gefällt und wo ganz wenig fehler auftreten. meine leute, die diese geschichten lesen, sagen auch immer: "tolle idee, aber dein schreibstil... ".
Viel mehr zu den charaktern wollte ich eigentlich nicht schreiben, weil mich das wie gesagt sehr traurig gemacht hat. schließlich ist binh wie ein bruder für mich. es liegt auch daran, dass ich es selbst erlebe und alle personen kenne, deswegen auch nicht spezieller auf sie eingehe. darum können es aussenstehende auch weniger verstehen, was da passiert und werden in der geschichte ausgegrenzt. also üben! üben! ÜBEN!
ok, ich hoffe ich habe bis nächste woche einiges ausbessern können und bis dahin,
danke.


Daigz:)

 

Hallo Daigoro,

auch wenn der Anlaß für eine Geschichte eigene Erlebnisse sind, schreibt man doch für den Leser, zumindest, wenn man den Text veröffentlicht. Ich hätte auch gerne erfahren, welche Gefühle Lucia bewegen.
Was Dir in der Geschichte gut gelungen ist, ist die lebhafte Unterhaltung der beiden Freunde, der schnelle Dialog. Deshalb wirkt der Text wirklichkeitsnah.
„Mit unseren Autos rasen wir wie junge Götter durch die Straßen“ - dieses allgemeine Überlegenheitsgefühl ist ein guter Kontrast zu den später gemachten Aussagen, zu den Problemen der Jugendlichen. Da schwingt auch ein wenig Philosophie mit, Aktionismus wird zum Übertünchen des Bewußtseins, das alles Streben NICHTS ist, benutzt.(Es sei denn,man findet eine Sinngrundlage). Und am Schluß gibt es, wie im Krieg, „keinen Sieger“. Doch manchmal...

Tschüß... Woltochinon

 

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