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Herz der Finsternis, jetzt und auf ewig.
Dieser Geschichte liegt die von Uwe Post angeführte Diskussion über Science Fiction im 21. Jahrhundert zugrunde, und so ist dieser Text wohl nichts für klassische Science- Fiction- Anhänger. Vielmehr eine Zukunftsvision über dem Schwarzen Kontinent.
Von oben, den Dingen entrückt im Helikopter über die verkleinerte Landschaft schwebend, sieht alles so friedlich aus, so harmlos.
Im Osten, hinter endlos scheinendem Ödland, welches die ersten kräftiger werdenden Strahlen noch müde in sich aufnimmt, ist die Sonne im Begriff, ihren blutroten Morgenmantel abzuwerfen. Durch die dunkel getönten Gläser gesehen verstärkt sich der Kontrast der zahllosen Erdverwehungen gegen den kitschigblauen Himmel, und ab und an sieht man die winzigen Strudel der Windhosen über dem toten Land tanzen.
Kommst du nach Afrika, sagt man, packt dich im Innern ein starkes Gefühl, du weißt es nicht genau zu deuten; irgendwie, tief in einem drin, spürt der Mensch dann wohl, dass er seine archaische Wiege erreicht hat, dass er zuhause ist.
Nirgends habe ich diese seltsame Regung intensiver erlebt als im Helikopter, bei morgendlichen Einsatzflügen, den mittäglichen Versorgungsflügen, nachmittäglichen Rückflügen, abendlichen Überwachungsflügen. Bei den Routineflügen, Überprüfungsflügen, Aufklärungsflügen, all den Flügen, die wir jeden Tag antreten und die mich im Laufe der Monate zu der Überzeugung gebracht haben, dass sie letztendlich wenn auch nicht umsonst, so doch völlig vergebens sind.
Den Frieden, den sie einem vorgaukeln, ist man nur hoch genug über dieser verdammten Erde, diesen Frieden werden sie nie zu erreichen helfen, dessen bin ich mir sicher.
Unser heutiges Ziel ist eines dieser ungezählten unschönen, ja unwichtigen Dörfer, die sich mitten in der Öde ansiedeln wie Pilzbefall. Das kurze Briefing vor Sonnenaufgang war aktuell - und doch so altbekannt, dass es mir Mühe bereitete, den Ausführungen volle Konzentration zu widmen, wie es sich für einem Profi gebührt.
Wir nähern uns in aufgelockerter Formation, nachdem uns der Helikopter unweit der Siedlung abgesetzt hat und wie eine fette, ärgerlich surrende Fliege in dem eintönigen Himmel verschwunden ist.
Man wünscht sich sehnsüchtig Wolken, auch wenn es nicht die heimatliche Erde ist, das vertrocknet. Man wünscht sich Wolken der Abwechslung halber. Damit dieser verfluchte immerblaue Himmel einen nicht jeden Tag glauben macht, die Zeit wäre stehen geblieben. Die verborgene Verdammnis, die über unserem Dasein hier lastet, muss doch ein Ende haben. Langweile und Sinnlosigkeit, das sind zwei Regionen der Unterwelt. Sie lassen einen die Wolken der Heimat wie eine Geliebte herbeisehnen.
Und man vermisst das Grün.
Wie üblich verklingt das irgendwie insektoide Motorengeräusch des Hubschraubers in der Ferne, und die Endlosigkeit dieses Landes umfängt uns. Wir sind allein.
Ich verüble es den Männern gar nicht, wenn sie während dieser Einsätze reden. Ihre Stimmen sind der einzige Beweis für die Existenz von Leben in diesem todgeweihtem Flecken Erde.
Schweigend, nur mit dem Heulen des Windes, der das Land davon trägt, das früher Grüne Hölle hieß, würde die Isolation einen härter treffen als eine Sieben- Komma- Sechszwo mit Bleikern.
Welche nicht zu erwarten ist. Dieses Mal nicht und auch nicht irgendwann. Wir haben viel höhere Verluste durch Selbstmord als durch Feindeinwirkung.
Denn der Feind meidet uns. Woher er kommt, aus welchem Dorf, Erdloch oder noch bewaldetem Flecken, lässt sich nie präzise feststellen, trotz unserer ganzen technischen Überlegenheit.
Denn gerade dort versucht man zu sparen. Die Vernichtung des Feindes würde der Company ja gleichzeitig die Geschäftsgrundlage entziehen. So beschränkt man sich auf einzelne, spektakuläre Raids alle zwei Monate, plus/minus zwei Wochen.
Unter laufenden Kameras begräbt man eine ausgemachte Stellung der einen oder anderen Miliz unter Napalm, und wir sichern dann die verbrannte Erde. Vernichten kamerawirksam versprengte Trupps, auch wenn es längst kein Schwein mehr zu Hause interessiert, wie viele Waffen wir aus der Asche ziehen oder wie viele Zwerge wir noch finden können.
Die Zwerge? Sie sind - oder eher: waren - so alt wie meine Tochter, wegen deren kritischer Tropenkrankheit ich hier bin; lässt die Hitze etwas von ihnen übrig, ist es zumeist nicht viel größer als eine Kinderpuppe, deren zusammengezogene Gliedmaßen abbrechen können als seinen sie aus dünnem schwarzen Holz.
Aber das ist selten.
Der Geruch von Benzin und Brand wird noch einige Tage über dem Ganzen kleben, bis der Wind ihn verweht und das schwarz gebrandmarkte Areal mit Dreck zudecken wird.
Irgend jemand hat mal gesagt, verbranntes Napalm würde wie Sieg riechen. Er irrte.
Jeder vernichtende Schlag gegen den Feind, den wir der desinteressierten Weltöffentlichkeit so regelmäßig vorspielen wollen, jeder glorreiche Sieg würde unsere Existenz ja schließlich gefährden. Die Company hat schnell gelernt, ihren bequemen Ast erst abzusägen, wenn der nächste gewachsen ist, und so spielen wir auf Zeit, spielen wir Krieg vor.
Denn bezahlt wird nicht für verkohlte Kinderleichen, bezahlt wird auf Zeit, rund 100 Millionen Euro pro Monat, munkelt man. Das ist trotz Inflation eine Masse Geld.
Für meinen bescheidenen Anteil muss ich nicht vielmehr tun als die ewig gleichen Briefings, die ewig gleichen Gesichter, den ewig gleichen Himmel zu erdulden und ab und zu Krieg zu spielen mit einem Feind, der uns meidet wie den Teufel persönlich.
All das in einem Land, dass es schafft, zu verwüsten und immer noch einem Fiebertraum zu ähneln.
Acht Stunden im Monat habe ich einen Termin beim Psychologen, er fragt immer zuerst nach den Zwergen, doch wir reden nur über meine Tochter.
Man hat noch keinen richtigen Namen gefunden für ihre Krankheit. Man nennt sie vorläufig „Freiburgsyndrom“ und ist froh, dass sie nicht innerhalb der ersten sechs Tage gestorben ist wie die meisten Erkrankten. Eine unerklärliche Mutation eines Malariaerregers. Die Moskitos haben diesen Flecken Erde Richtung Europa verlassen, nur ich bin noch hier.
Die Behandlung meiner Tochter ist zu kostspielig, als dass ich weiterhin bei der Armee hätte bleiben können. Ich wollte einfach nicht, dass sie in einem öffentlichen Krankenhaus dahinsiecht. Ich verkaufte das Haus und den Nissan und schrieb mich bei der Company ein, um ihr Überleben zu finanzieren.
Einen besser bezahlten Job findest du schließlich heutzutage nicht mehr.
Die Ärzte tun ihr Bestes. Sie sei bereits wieder ansprechbar, schrieben sie mir letzte Woche, man könnte versuchen, ihr Gehirn zu rehabilitieren. Ich habe geweint, als ich es las.
Es ist immer dasselbe Spiel. Wir kontrollieren die Luft und den Tag, halten, was wertvoll ist und lassen ihnen die Nacht und den Rest. Dann kommen sie manchmal aus ihren Verstecken und fallen über eines der abseits gelegenen Dörfer her, die zu versprengt sind, um sie mit dem bisherigen Aufwand zu schützen. Manchmal gibt es Luftschläge, doch das lohnt zumeist nicht. Helikopter hineinzuschicken, wäre nachtsüber relativ gefährlich. Die Chinesen, Amerikaner, Araber, Libyer - oder wer sonst gerade ihren Stamm unterstützt oder dem anderen ein Beinchen stellen möchte – beliefern sie von Zeit zu Zeit mit relativ modernen russischen Fliegerfäusten.
Kurzum: Risiko und Nutzen stehen in keinem profitablen Verhältnis.
Also werden wir bei Tagesanbruch abgesetzt und kommen zu spät.
Dieses Mal ist es nicht anders. Die Stille hat ihr Leichentuch über der armseligen Siedlung ausgebreitet. Die wenigen Leute hier haben bis zuletzt ausgehalten, auch wenn das nächste giftige Sumpfloch gut ein Dutzend Kilometer entfernt ist und sie jeden Tag stundenlang unterwegs waren, um Wasser zu holen.
Sie haben ausgeharrt, weil ihr Ältester oder Medizinmann es verlangte.
Wir scheuchen abertausende Fliegen auf. Der urtümliche, verrostete Wasserfilter scheint von einem Performancekünstler mit roter Farbe begossen worden zu sein, die sie magisch anzog. Man hält sich den Mund zu und kämpft gegen den altbekannten Ekel. Ein wenig NuCrop wuchs auf kümmerlichen, frisch verwüsteten Feldern einen Steinwurf von den Wellblechhütten entfernt. Der Ertrag reichte oder reichte auch nicht, um ein paar magere Ziegen zu halten, doch die wurden von den Milizen mitgenommen.
Ich habe das zu oft erlebt, um den Sinn dieser Überfälle zu hinterfragen.
Es gibt keinen Sinn. Es ist so. Ist man nicht vor Ort gewesen, weigert man sich, diesen Wahnsinn zu begreifen.
Patrick ist ein blonder Hüne, der von den Fernspähern zu uns kam. Er unterhält sich mit Malice, einem untersetzten ehemaligen französischem Para, über Sex mit den Eingeborenen, die es „für alles treiben, was man irgendwie essen kann.“
Malice fragt, ob er überhaupt einen hochkriegt in einem Land, in dem siebzig Prozent der Menschen nicht älter als zwanzig werden.
Keine Sorge, entgegnet Patrick grinsend, Doc besorge ihm H.I.Cure für´n Spezialpreis. Wäre gar kein Problem. Manchmal nur würden die Schlampen anfangen zu weinen und um die Pillen flehen. Das wäre der wahre Abturner, nicht AIDS.
Die selben Leute, die selben Dialoge. Auch deshalb drehen manche durch.
Ich rufe Patrick zu mir und lasse ihn den neuen Fund dokumentieren. Die beschissenste Arbeit von allen, ist man nicht gerade bei den Humanitätsidealisten vom Aufräumkommando.
Wie erwartet scheinen sie alle Kinder und älteren Männer in die armselige im Kolonialstil gehaltene Kirche getrieben zu haben. Dass sie unter Drogen gestanden haben, darauf deuten zahllose absurd verteilte Einschüsse im lehmigen Mauerwerk des Gotteshauses hin und ein Stapel von rechten Händen auf dem Altar.
Diese Bilder werden wiederkommen, sich zu den anderen gesellen, mich nachts umschwirren und verhöhnen. Ich vermute, der gusseisernen Wasserfilter war ihre Schlachtbank. Sie machten sich sogar noch die Mühe, die abgetrennten Hände auf dem Altar aufzustapeln, das ist neu, und ich weiß es nicht zu deuten.
Patrick flucht, aber so ist es nun einmal. Wir werden die Frauen und Mädchen in den einzelnen Hütten finden, sofern sie nicht mitgenommen wurden für die Märkte in Marokko und Algerien.
Die Bilder, die er macht, wird die Company an verschiedene Regierungen weiterleiten, deren Präsidenten sich mit ihrer Hilfe und durch neue Hassreden an der Macht halten werden.
Die Kinder zwischen zehn und vierzehn, sie dürften den wichtigsten Teil der Dorfgemeinschaft ausgemacht haben, werden wir nicht finden. Höchstens später, im Benzingestank, als schwarze Zwerge.
So läuft es.
Malice bietet mir eine Zigarette an, und wir rauchen im Schatten der Kirche, dort, wo uns der Wind ins Gesicht bläst.
Er sagt, er habe keine Lust mehr auf diese Art Aufträge. Warum wir nicht einfach nur die Bergwerke sichern könnten.
Eigentlich muss ich es ihm nicht erzählen, er kennt die Antwort eh, jeder hier kennt sie.
Du weißt doch, sage ich, die Company lebt nicht nur von den Erträgen der Bodenschätze.
Ohne solche Patroullien gäbe es keine Unterstützung der Vereinten Nationen, und ohne die nur die Hälfte des Profits.
Seine schwarzen Augen mustern mich, sie wirken irgendwie traurig. Ich muss lächeln und frage mich, wie dass wohl sein wird, wenn meine Tochter wieder sprechen wird. Wird sie mich fragen, wo ich war, was ich tat? Ich habe Angst davor.
Merde, zischt Malice und spuckt aus. Ob er wohl Conrad gelesen hat?
Das Grauen, das Grauen, murmle ich, doch er versteht nicht.