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Herr Sichs erstes Posting

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19.09.2002
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Herr Sichs erstes Posting

Herr Sich kam gerade vom Kino zurück. Ganz waren ihm die Details der äußerst vielschichtigen Handlung nicht klar geworden. Aber er hatte auch schon schlechter komponierte Filme gesehen. Seit einiger Zeit hatte er sich vorgenommen besonders auf die Muster der Gardinen zu achten, was ihn oftmals von wichtigeren narrativen Mitteln ablenkte. Oberflächlichere Cineasten hätten behauptet Porno bleibt Porno, aber da gibt es Unterschiede - auch im unteren Preissegment, sagte er laut zu sich selber. Nicht nur Länge und Tonqualität sondern auch die Montage mussten bei qualitativ hochstehenden Streifen stimmen.

Auf dem Weg nach Hause begegnete ihm ein alter Bekannter, der gerade von einem Buchladen wiederkam. Er hatte einen 400-seitigen Bildungsroman reklamiert. Die letzten 20 Seiten entsprachen nicht seinen Vorstellungen und außerdem kam der Held zum Schluss überhaupt nicht mehr vor. Die Verkäuferin hat die Ware anstandslos zurückgenommen und ihm ein gleichwertiges Exemplar ausgehändigt. Die überarbeitete Fassung versprach den schon mehrmals beanstandeten Fehler verbessert zu haben. Die Garantie erneuert sich natürlich obwohl bei Abrieb und kaputten Verschleißteilen keine Garantie zum tragen kommt.
Der Bekannte erzählte Herrn Sich, dass sich bei vielen Büchern irgendwas finden ließe und er schon mehrmals zerrissene Handlungsfäden und abhanden gekommene Charaktere erfolgreich beanstandet hätte. "Man kann da auch viel mit Coolanz machen". Schwierig wird es bei unpassenden Nebengeschichten, da verweisen die Verkäufer oftmals auf die Eigenarten des Produktionslandes, solange die Nähte einigermaßen solide gearbeitet sind, was bei Literatur aus der dritten Welt manchmal nicht der Fall ist. Ihm sei auch aufgefallen das manche Bücher überhaupt nicht funktionierten. Was nicht auf die Verarbeitung sondern eine komplett falsche Grundidee zurückzuführen ist. In solchen Fällen werde sogar das Geld zurück erstattet. Er zählte jetzt mindestens zwanzig Bücher auf, von denen Herr Sich keines kannte. Sie waren alle samt auf dem Abenteuersektor angesiedelt.

Die beiden unterhielten sich bis tief in die Nacht hinein. Herr Sichs Bekannter fand und fand einfach kein Ende.
„Jetzt bloß nicht einschlafen, sorgte Herr Sich sich um seine physische Unversehrtheit, sonst droht wieder das alte „–konkrete Ebene – erste Metaebene – Medium“ -Spiel. Als hätte er es geahnt, schlief Herr Sich sichtlich erschöpft auf der Parkbank sitzend ein und der Bekannte begann das Spiel mit den ganzen Ebenen...
Einmal Traumebene rauf dann Medium wieder runter. Dann wieder Metaebene rauf und konkrete Ebene abermals runter. Der Bekannte monologisierte entwarf unglaublich mehrdeutige, ja bestürzend klare Traumwelten. Leider bemerkte er nicht dass er Perlen vor die Säue warf. Warum macht er es sich nur so einfach, hinterfragte der Bekannte auf einmal Sichs Tun. Schließlich kann auch ich interessante Bilder in Sichs Hirn projizieren, brachte der Bekannte seine traumhaften Fähigkeiten ins Spiel. Wenn ich auf Herrn Sich einrede während er schläft, entstehen immer so lustige Verbindungen zwischen Traum und Wirklichkeit und es macht ungeheuren Spaß beiläufig darauf anzuspielen. Gerade ich als kreativer Spieleentwickler muss neue, eigene Wege beschreiten. Denn sie entstehen ja erst beim Gähnen, zitierte er einen genauso tief schürfenden singer songwriter und sprach dabei direkt in die Kamera.

Doch der Grund für Sich’s Desinteresse blieb unklar.
Sich, der zwischenzeitlich davon träumte, von der gesamten deutschen singer songwriter Garde verfolgt zu werden, verlor allerdings schnell den Zugang zu so viel geballter Sinnsuche. An und für sich hatte er nämlich gar keine Sinnkrise. Obwohl ihm die Probleme in der singer songwriter szene dann doch gelegentlich nahe aber hauptsächlich auf die Nerven gingen.
Sich wusste wahrscheinlich selber nicht genau, weshalb er solche komplizierten Gedanken und marodierende singer songwriter schleunigst abzuschütteln pflegte.
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Herr Sichs Leben sollte sich nach dieser einschneidenden Traum-Wirklichkeits-Erforschungserfahrung entscheidend ändern. Er fand einen Weg raus der Isolation und wurde Gardinenverkäufer, mied aber von nun an Sackgassen, Kreisverkehre und Tempo 30 Zonen. Er heiratete eine mittelmäßig erfolgreiche schwarze Pornodarstellerin bei einer Hochzeit in weiß. Sich nannte sie gegen ihren Willen Sue, denn sie hieß eigentlich Ann. Beide verschieden im Alter von 79. Sie wurden Opfer einer grausamen Verwechslung.
Nach ihrem unnatürlichen Tod errichtete man den Sichs ein Denkmal, das aus mehreren Halbkugeln und verschiedenen asymmetrisch angeordneten Glaselementen bestand. Im Innenraum der durch Kanäle verbundenen Hohlraumformation wurden regelmäßig Kunstliebhaber wochenlang eingesperrt. Um sie mit Sich zu konfrontieren, wie der Calauer Künstler „Lenin“, der der Schöpfer des Werkes war, es treffend formulierte.

 

Bin grad 'metaebenig' amüsiert, verwirrt und leicht irritiert. Wenn ich genug drübernachgedacht habe, meld ich mich noch mal. Erstmal muss das reichen: Wow.

 

Klasse! Dein Text zeigt, dass man Geschichten nicht verstehen muss, damit sie gefallen. Das ging mir zumindest so. Besonders den zweiten Absatz (den über die Bücher) finde ich gut.

Gruß, Patrick

 

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