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Herr P. besiegt die Furcht vor der Freiheit
Herr P. war gerade aufgewacht und blickte sich irritiert um: Musste er an diesem Tag also etwa schon wieder das tun, was er selber wollte? Individuum hin oder her. Immer alles selber sein und wollen zu müssen! Das konnte es ja nun wirklich nicht sein. War er denn bisher nicht schon jeden Tag frei gewesen, frei in sich, einzig im Ich, unumkehrbar in der Welt?!
Als Zeichen seines Widerstandes rieb er sich die schlaftrunkenen Augen.
Sein Erinnerungsvermögen griff langsam ein und schenkte ihm Halt; zum Beispiel war da sein Job, den er nicht einfach kündigen konnte oder die Verantwortung gegenüber den Personen die ihn kannten. Gegenseitig versicherte man einander, wie man sei und wie man zu sein habe; all das würde ihm fehlen. Besänftigt ließ er seine Augen in Frieden, ärgerlicherweise brannten sie nun- Herr P. hatte es schon immer befürchtet: Dem Leben Widerstand zu leisten geht nur auf Kosten des Individuums. Freiheit ist ohnehin idealisiert, sie ist Kälte, bedeutet Entsagung, dachte er in einer plötzlichen Eingebung. Seine märtyrerische Protesthandlung schien höhere Weisheiten in ihm geweckt zu haben.
Hatte denn nicht jeder heimlich Angst vor der Freiheit? War denn nicht jeder an die eigenen Grenzen gebunden? Brauchte denn nicht jeder einen Glauben; der Gläubige Halt in der Religion, der Reiche in seinem Vermögen, der Arbeitsame in seiner Arbeit, der Schöne in seiner Schönheit, der Verliebte in seiner Liebe, der melancholisch Leidende in seinem Leid, der Intellektuelle in intellektueller Überlegenheit? Waren denn nicht selbst subversive Kräfte abhängig von bestehenden sozialen Ordnungen? Waren denn nicht selbst jene Kräfte, die meinten im Name der Freiheit zu kämpfen, gerade deshalb im höchsten Maße unfrei? Offensichtlich mochte niemand so recht frei sein, lediglich der Gedanke an Freiheit war vonnöten. Herr P. hatte sich in Rage gedacht und fühlte sich klug, triumphal: er hatte die Freiheit durchschaut. Ab diesem Zeitpunkt wollte er von der Freiheit in Ruhe gelassen werden; er wurde in ein Leben geformt und wollte nicht mehr hinaus.
Er hatte Sicherheit und Ruhe, Behaglichkeit, nichts geschah unvorhergesehen. Herr P. hatte der Freiheit ihren Schrecken genommen.
Meine Güte: das ist doch alles allzu offensichtlich, wo das hinführen soll. Es bahnt sich eine Parabel über die Freiheit an. Toll. Jetzt soll also durch ironische und suggestive Lenkungen des Erzählers (Warum so förmlich: Huhu!) metaphorisch verdeutlicht werden, wie wichtig Freiheit ist. Eingespeist mit Vorwürfen wie: "Herr P. habe so vieles verpasst, so viel verloren, so viel hätte er erleben können! Dieses hätte er tun sollen, jenes hätte er vermeiden müssen!" Ein talentierter Erzähler würde das dann noch elegant mit edlen Weisheiten garnieren, die Herrn P. auflaufen lassen: "Freiheit entsteht in Unsicherheit, Freiheit ist das Kind der Liebe." Vielleicht nicht mal mit Unrecht.
Aber Herr P. war überhaupt nicht unglücklich. Er hatte die Gedanken an Freiheit konserviert: taute sie gedanklich auf, wenn er sie brauchte, dann als Hoffnung auf ein später, auf ein irgendwann. Später konnte er schließlich auch noch leben, einfach mal aus sich herausgehen oder herzhaft lachen, im Sommer hat er einen richtigen Abenteuerurlaub gebucht: 2 Wochen Cluburlaub auf der Aida.