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Herr Marbert schaut zum Fenster raus

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03.02.2013
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Herr Marbert schaut zum Fenster raus

Louise ist 5 Jahre alt und hat Käsekästchen vor sich aufgemalt. Sie wirft das erste Steinchen und hüpft auf einem Bein stehend los. Sie schafft den Weg bis zu ihrem geworfenen Steinchen und schaut nach vorn. Das nächste muss sie noch ein paar Meter vor sich werfen, um zum Ziel zu kommen. Ah, geschafft! Louise richtet sich gerade auf und schaut nach oben. Direkt in Herrn Marbert's Gesicht. Er sitzt am Fenster. Ein Kissen unter seinen aufgestützten Armen. Den Blick stoisch nach draußen gerichtet. Louise schaut ihn an. Schaut er auch Louise an? Er schaut. Louise neigt ihren Kopf ein wenig nach rechts. Sie kann nicht erkennen, wohin er guckt. Hat er gesehen, dass sie eben gerade noch Käsekästchen gespielt und dabei gewonnen hat? Louise neigt den Kopf noch ein wenig mehr nach rechts, findet es aber einfach nicht heraus. Louise kennt Herrn Marbert nicht. Schnell wendet sie sich um und läuft in ihr Haus zurück. Mama macht gleich Abendbrot.
Herr Marbert bleibt am Fenster sitzen. Er schaut Louise nach. Das kleine Kind spielt jeden Nachmittag vor seinem Haus. Mal zeichnet es mit Kreide Käsekästchen auf und springt danach wie wild darin herum. Dann schaut es hoch zu ihm herauf. Jeden Nachmittag. Herr Marbert freut sich darüber sehr. Er weiß nicht, ob ihn Louise sehen kann. Lange schon kann er seine Mundwinkel nicht mehr nach oben bewegen. Lange schon sind sie gelähmt. Nicht von Krankheit, nur vom Leben, vom Gesehenem und Erlebtem. Stoisch schaut er gerade aus, wo Louise hüpft und lacht. Jetzt hat sie den Kopf geneigt, leicht nach rechts. Jetzt sogar ein wenig weiter. Und er freut sich, weil sie guckt und beobachtet, wie er da sitzt und schaut. Louise läuft zu ihrer Mama, wahrscheinlich ist es Abendessenszeit. Hoffentlich kommt sie morgen wieder. Er wird da sein und schauen, wie sie sich freut.
Louise ist die nächsten Tage da und die nächsten Wochen, mal spielt sie mit einer Freundin, mal verstecken, manchmal fangen, mal rennen sie wie wild im Kreis. Sie zählt durch, wer alles da ist. Herr Marbert wird wie immer schauen, stoisch nur und ruhig zugleich. Wo hüpft wohl die Louise, auch wenn er nicht weiß, dass sie Louise heißt. Wird sie heute wohl gewinnen oder wird sie beim Fangen gleich eingekriegt? Er versucht den Kopf zu strecken, auch wenn ihm das jetzt schwer fällt. Eine Platte hält seinen Nacken, ein Streifschuss hat ihn hier erwischt. Herr Marbert kann sich nicht so viel bewegen. Seine Frau legt ihm ein Kissen unter, damit wenigstens seine Arme weich aufliegen. Louise rennt ihrer Freundin Ines hinterher. Zum Glück ist diese nicht so schnell, Louise hat sie, Herr Marbert freut sich sehr! Louise rennt jetzt in die andere Richtung, Ines immer hinterher. Herr Marbert lacht schon innerlich, seine Mundwinkel erlauben ihm nicht mehr. Louise gewinnt und springt mit beiden Beinen in die Höh'. Herr Marbert bewegt den Kopf schwerfällig von rechts nach links und freut sich sehr. Herr Marbert schaut zum Fenster raus. Es ist alles, was ihm bleibt. Er liebt das Leben, liebt Louise, auch wenn er nicht weiß, wie sie heißt. Er hat das Leben immer noch in seiner Hand. Er hat erfahren, zu erleben, wie er knapp mit dem Leben noch davon kam, während alle, die mit ihm draußen lagen, doch ums Leben kamen.
Herr Marbert liebt sein Leben. Seine eingeschränkte Sicht auf eine Straße, in der jeden Tag Louise spielt. Mal alleine, mal mit Freunden. Er murrt nur, wenn Louise fehlt. Er braucht nur noch die Louise. Keine Menschen, keinen Lärm, keine Aktion, kein Getöse, nur wenn Louise fehlt, packt ihn Gram.
Jeden Tag geht Louise an dem Fenster von Herrn Marbert vorbei, sie schaut immer, immer, immer hoch zu diesem Haus empor und sie will, dass Herr Marbert dort sitzt, gestützt auf seinem weichen Kissen und hinausschaut in ihre Straße. Sie zählt ihn immer mit.

 

Servus Monique,

was braucht es mehr für eine seelenvolle und berührende kleine Alltagsgeschichte, als ein lebhaftes Kind, einen vom Leben gezeichneten, trotzdem zufriedenen, alten Mann und eine empfindsame Beobachterin, die mir davon erzählt?

Louise schaut ihn an. Schaut er auch Louise an? Er schaut. Louise neigt ihren Kopf ein wenig nach rechts. Sie kann nicht erkennen, wohin er guckt. Hat er gesehen, dass sie eben gerade noch Käsekästchen gespielt und dabei gewonnen hat? Louise neigt den Kopf noch ein wenig mehr nach rechts, findet es aber einfach nicht heraus.

Das beschreibst du sehr schön, da kann ich mir das Mädchen richtig vorstellen, wie es verschämt und gleichzeitig neugierig hochschaut, wie das Kinder halt so tun in dem Alter, wenn auf einmal das Selbstbewusstsein erwacht und damit auch der Wunsch, bewundert zu werden.

Dann schaut es hoch zu ihm herauf. Jeden Nachmittag. Herr Marbert freut sich darüber sehr. Er weiß nicht, ob ihn Louise sehen kann.

Er wünscht sich dasselbe wie Louise. Er will, dass sie ihn sieht. Und ja, eigentlich erkennen sich die beiden, ohne es zu wissen, diese Idee finde ich sehr hübsch.

So dachte ich bis genau zur Hälfte deines Textes.
Doch dann, ab der Mitte, hängt die Geschichte für mein Gefühl plötzlich durch, da wiederholst du eigentlich nur mehr die ersten beiden Absätze.
Nicht, dass ich mir eine dramatische Wendung erwartet hätte oder so, aber irgendwas fehlt mir im dritten Absatz, ich weiß gar nicht genau was eigentlich und kann dir dementsprechend auch keinen Rat geben …

Aber ganz toll fand ich den letzten Satz:

Sie zählt ihn immer mit.

Ein wunderschönes, versöhnliches, optimistisches Ende.
Irgendwann quatschen die beiden miteinander und werden Freunde, trau ich mich wetten, mit dieser Überzeugung entlässt mich deine Geschichte.

Eine sehr sympathische Sonntagnachmittagsgeschichte.

offshore

 

@Alex,

ich seh hier keinen Perspektivenmischmasch, das ist doch ein allwissender Erzähler durchgängig, der kann in alle Köpfe gucken und die Gedanken aller Figuren so erzählen, wie Monique das hier gemacht hat.
Ob einem Leser das dann so gefällt, ist eine ganz andere Frage ;)


Hallo Monique und willkommen im Forum!

Das Motiv in deinem Text ist nicht neu, aber was deine Geschichte will, erreicht sie bei mir.
Was die Perspektive angeht: ich seh jetzt nicht, dass die handwerklich unsauber wäre oder so, aber allwissende Erzähler haben heutzutage nicht viele Fans. Ist jetzt keine Kritik an deinem Text speziell, nur mal so als statement.
Sprachlich finde ich die Geschichte am Anfang sehr gut, aber dann lässt es nach und du verfällst stellenweise in so einen monotonen Satzrhythmus "Herr Marbert tut dies, Herr Marbert tut das, er tat dies, er tat das, er tat dies".
Hier zB:

Er liebt das Leben, liebt Louise, auch wenn er nicht weiß, wie sie heißt. Er hat das Leben immer noch in seiner Hand. Er hat erfahren, zu erleben, wie er knapp mit dem Leben noch davon kam, während alle, die mit ihm draußen lagen, doch ums Leben kamen.
Herr Marbert liebt sein Leben.

Noch viel Spaß im Forum :)

 

@ Möchtegern

Möchtegern schrieb:
@Alex,
ich seh hier keinen Perspektivenmischmasch, das ist doch ein allwissender Erzähler durchgängig, der kann in alle Köpfe gucken und die Gedanken aller Figuren so erzählen, wie Monique das hier gemacht hat.

Nachdem ich Alex‘ Kommentar gelesen hatte, kam ich mir wieder einmal so richtig dämlich vor, naiv, unkritisch, typisch offshoremäßig gefühlsduselig einfach, fragte mich, offshore, Alter, was hast du jetzt schon wieder alles übersehen an handwerklichen Mängeln, bist du echt zu blöd für seriöse Textbeurteilung?
Na ja, jetzt bin ich wieder einigermaßen entspannt, liebe Möchtegern, und dafür will ich dir danken.

offshore

 

Ich bin nie dahintergestiegen, warum ein allwissender Erzähler funktioniert, wenn er funktioniert, und warum nicht ...

Im ersten Abschnitt werden nur Informationen über Louise preisgegeben -> personeller Erzähler.
Im zweiten Abschnitt werden nur Infos über Herrn Marbert verraten ->personeller Erzähler.
In beiden Abschnitten hat der Erzähler mehr Informationen als die jeweilige Figur, Louise und Marbert werden immer beim Namen genannt, obwohl sie sich nicht kennen.
Wenn das personal erzählt wäre, dürfte in Louises Absatz nie "Herr Marbert" vorkommen sondern so etwas wie "der alte Nachbar vom Fenster" und in Herrn Marberts Absatz müsste es heißen "das kleine Mädchen", ohne Louise beim Namen zu nennen.

Aber ich weiß glaube ich, was du meinst, ich kenne dieses irritierende Gefühl, dass man eigentlich einem personalen Erzähler zuguckt, der von Szene zu Szene (manchmal innerhalb eines Satzes!) von einem Perspektivträger zum anderen springt.
Hier bei dem Text hatte ich dieses Gefühl jedoch nicht.

Ich finde es schon sinnvoll, dass die erste Szene zweimal erzählt wird, denn auch wenn der Erzähler allwissend ist, ist es schwierig, alle Informationen über alle Figuren gleichzeitig anzubringen. Also, wenn ich mir jetzt vorstelle, die ersten beiden Absätze würden verschmolzen, alle Informationen kämen noch drin vor - DAS fände ich allerdings wirr.

Als der allwissende Erzähler früher noch gang und gäbe war, hatte der vielleicht mehr Abstand zu den Figuren, als wir das heute gewohnt sind. Sowas hier: "Schaut er auch Louise an? Er schaut." Da werden die Gedanken ja ziemlich unmittelbar erzählt. Der klassische allwissende Erzähler hätte vielleicht gesagt: "Sie vergewisserte sich, dass er sie anschaute."

 

Hallo Monique,

ich fand die Geschichte von der Idee und der grundsätzlichen Handlung gut. Am Anfang hab ich mir Sorgen gemacht, dass der Marbert ein Pädophiler ist, aber zum Glück entwickelte sich die Geschichte in eine andere Richtung.

Ich muss mich jedoch der Kritik mit der Perspektive ansch´ließen. Mir persönlich hätte ein kleiner Block zwischen den verschiedenen Perspektiven geholfen. Die erste Perspektive mit Louise und die zweite mit Herr Marbert lassen sich ja noch relativ einfach auseinander halten. Spätestens ab der Hälfte wurde aber wild hin und her gesprungen. Hier hätten ein paar Absätze nicht geschadet.

Etwa so:

Louise rennt ihrer Freundin Ines hinterher. Zum Glück ist diese nicht so schnell, Louise hat sie.
Herr Marbert freut sich sehr!
Louise rennt jetzt in die andere Richtung, Ines immer hinterher.
Herr Marbert lacht schon innerlich, seine Mundwinkel erlauben ihm nicht mehr.
Louise gewinnt und springt mit beiden Beinen in die Höh'.
Herr Marbert bewegt den Kopf schwerfällig von rechts nach links und freut sich sehr.

So ist es deutlicher, wo die Perspektive ist. Merke: Absatz ist dein Freund. Natürlich muss man dan aufpassen, dass man nicht haufenweise Ein-Satz-Absätze schafft, aber das ist halt der Trick bei der Sache.

Ich muss offshore zustimmen.

Sie zählt ihn immer mit.
Das ist ein richtiges Aaaaawww-Erlebnis. Hübscher Schluß.

 

Hallo Ernst offshore, Alex, Möchtegern und Jandalf,

erst mal ganz lieben Dank, dass Ihr meine Geschichte so kritisch gelesen habt. Ich habe in der Tat noch nicht ganz das Handwerkszeug drauf, um eine Geschichte vor allen Dingen für Außenstehende, also für Leser, zurecht zu machen. Die Geschichte spielt sich (offensichtlich) zu sehr in meinem Kopf ab.

Daher möchte ich etwas zu meiner Idee sagen: Ich wollte hier zwei Personen und zwei Sichtweisen (im wahrsten Sinne des Wortes) verknüpfen.
Zum einen ist da ein vom Leben gezeichneter alter Mann, dessen letzte verbliebene Freude ein spielendes Kind ist.
Das Kind ist noch recht klein und hat sein ganzes Leben noch vor sich. Es sucht Anerkennung, Bestätigung, Bewunderung, für das was es ist. Es hat diese Bestätigung eher zufällig durch den alten Mann gefunden, der an seinen Platz gebunden ist, er schaut tagtäglich aus dem Fenster. Das Kind bemerkt das und weiß um seine Wichtigkeit.

Warum habe ich die für alle verwirrende Wiederholung, einmal aus Sicht des Kindes Louise und einmal aus Sicht des alten Mannes eingebaut?

Als ich die Geschichte im Kopf hatte, hat es sich automatisch zu einer großen Verbundenheit aufgebaut, obwohl die beiden sich nicht kennen. Sie kennen ihre Namen nicht, trotzdem spreche ich sie (der allwissende Erzähler) ständig aus. Der Mann kennt Louises Gewohnheiten nicht (Abendessen gehen) und trotzdem tue ich so, als ob er diese kennt. Bzw., dass er genau das vermutet.
Ich habe es bewusst vermieden, aus zwei Erzählperspektiven zu erzählen, damit der Text (nach meinem Dafürhalten) nicht ins Stocken gerät.

Aber ich habe durch Euch gelernt, dass das zu Verwirrung und auch zu Langeweile führen kann. Ich will das also bei meiner nächsten Geschichte berücksichtigen und hoffe, es gelingt mir dann besser.

Herzlichen Dank nochmal, Monique

 

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