Herr Josef trifft Maja
Verstohlen blickte Herr Josef zu ihr – nein, zu ihnen. Sie umarmten einander, küßten sich auf den Mund. Es wäre ja auch zu schön gewesen. Beide gehörten zu einer Gruppe Punks vom Bodensee, die extra nach München gekommen waren, um sich hier ein Punkkonzert anzuschauen. Und innerhalb dieser Gruppe waren sie die einzigen, die keine Punks waren. Maja hatte Herrn Josef gleich gefallen. Sie war groß, wenn auch nicht so groß wie Herr Josef, natürlich. Herr Josef war fast zwei Meter lang, und das hatte ihm auch diesen Spitznamen eingebracht. Schon in der Schule nannten sie ihn so, seine Körpergröße war Grund für das „Herr“ vor seinem Vornamen. Das bedeutete natürlich nicht, daß er etwa gesiezt wurde. Von seiner Körpergröße abgesehen sah er ja eigentlich ziemlich jung aus. Und das war er auch. Knapp Mitte zwanzig ist jung, wenn es wie hier nur so von Altpunks aus den frühen 80er Jahren wimmelt. Und er wohnte ja auch noch bei seiner Mutter. Bei den Punks hieß er wegen seines geringen Körperumfangs zuerst Josef der Stricher, aber das hatte ihn dermaßen geärgert, daß er diesen Zusatz durch gezielte Gewaltanwendung schnell ungebräuchlich machen mußte.
Herr Josef hatte nichts gegen kleine Frauen, aber die großen waren ihm lieber, denn er mochte es, wenn er sich zum knutschen nicht so weit runterbeugen mußte. Aber was heißt knutschen! Davon würde heute ja wohl kaum die Rede sein. Maja war eindeutig das hübscheste von allen anwesenden Mädchen. Obwohl er selbst ein Punkrocker war, stand Herr Josef auf glatte ungefärbte Haare, und daß Maja seinem Blick standhielt und dabei sogar noch lächelte, hatte ihn von Anfang an neugierig auf sie gemacht. Eigentlich war sie ganz normal gekleidet, doch für ein Punkkonzert war genau das nicht normal. Eine weiße Bluse, darüber ein dunkelblauer Pulli, an den Beinen Blue Jeans. Es war nichts zerrissen, zerschlissen oder geflickt. Das entsprach bestimmt auch dem Geschmack ihres Freundes, Gerhard. Der hatte ihr noch eine dunkelblaue Harrington-Jacke angezogen. Der Farbton paßte nicht hundertprozentig zum Pulli; Herrn Josef war das jedenfalls völlig egal. Gerhard war wie Herr Josef ein leptosomer Typ: schon in frühen Jahren in die Höhe geschossen, dafür weder Muskeln noch Fett. Ein Streichholzmännchen. Ein Grischperl. Ein Skinhead. Es gab in München seit Jahren keine Punkkonzerte mehr ohne Skins. Sie waren überall. Skins sind wie Zahnspangen: Nicht schön, aber man gewöhnt sich daran. Und manchmal korrigieren sie einem die Zahnstellung.
Herr Josef fand, daß Gerhard eigentlich okay war. Für einen Skin. Weder war er ein Nazi noch ein totaler Depp. Er verstand sich sofort prima mit ihm. Wie sich nun herausstellte, hatten sie auch den gleichen Geschmack bei Frauen. Ins Gespräch war Herr Josef mit der Bodenseer Gruppe gekommen, weil diese versucht hatte, Bier in die Konzerthalle zu schmuggeln. Er war als Ordner an der Kasse eingeteilt und durfte sie nicht hereinlassen. Das fand er eigentlich spießig, denn die Bierpreise an der Theke waren ganz schön unverschämt. Er selbst hätte, wäre er heute einfacher Gast gewesen, ebenfalls versucht, Fremdbier in die Halle zu schaffen. So aber überredete er Maja, Gerhard und die Punks, ihr Bier am Eingang auszutrinken und dann erst rein zu gehen. Und weil er ja ebenfalls am Eingang stand, begann er mit den Leuten zu reden. Vor allem mit den beiden.
Für Herrn Josef war es offensichtlich, daß Maja und Gerhard ein Pärchen waren. Das waren sie schon seit zwei Jahren, wie Gerhard stolz ins Gespräch einfließen ließ. Gerhard erzählte eine ganze Menge. Es gefiel ihm, daß mit Herrn Josef auch ein so hagerer Typ da war, und daß der sozusagen den Security-Mitarbeiter mimte. Gerhard ließ Herrn Josef wissen, daß er selbst auch schon irgendwelche Discos bewacht, aber umgekehrt auch schon die fiesesten Türsteher umgefotzt hatte – je nachdem, auf welcher Seite er gerade stand. Überhaupt wußte Gerhard viel von vergangenen Schlägereien zu berichten. Herr Josef hörte sich das über eine halbe Stunde an. Manchmal ist es gut, wenn die Musik laut ist, dann hört man nicht alles.
Manchmal ist es aber auch aus einem anderen Grund gut, wenn die Musik laut ist. Gerhard war Bier holen gegangen und kam einige Zeit nicht zurück. Maja begann ein Gespräch mit Herrn Josef, das in etwa so verlief: Herr Josef stand da, tat so als würde er irgendeine wichtige Türsteheraufgabe erledigen (es gab aber nichts zu tun, denn es war kaum Betrieb) und versuchte, nicht zu oft zu Maja zu schauen. Sie stupste ihn immer wieder an, woraufhin er ihr sein Ohr an den Mund hielt. Er mochte das, denn so waren sich ihre Gesichter nahe, er konnte verstehen was sie sagte und sie faßte ihn jedesmal vorher an. Sie begann, ihn auch dann zu schubsen, wenn sie eigentlich nichts zu sagen hatte. Er liebte den Körperkontakt, traute sich aber nicht, ihn zu erwidern. Überhaupt war er eher schüchtern, ja geradezu feige. Nie würde er es wagen, ein Mädchen einfach so anzufassen, das ihm gefiel. Schon gar nicht, wenn ihr Freund ihn vorher detailliert über seine Schlägererfahrungen der letzten Jahre in Kenntnis gesetzt hatte.
Andererseits hatte er das Gefühl, daß er Maja gefiel. Es gibt nicht viele Frauen, die auf so dürre Typen stehen. Das stellte er immer wieder fest. Mit seinem Erfolg bei Frauen war Herr Josef noch nie zufrieden. Doch jetzt setzte er sich auf einen Tisch neben dem Eingang, und Maja, die, weil sie seit ziemlich langer Zeit mit einem jungen Mann von derselben Statur wie Herr Josef zusammen war, kein Problem mit einer Haut-und-Knochen-Diät hatte, setzte sich neben ihn. Ziemlich dicht neben ihn, obwohl doch eine Menge Platz war, fiel ihm auf. Sie unterhielten sich über dies und das, immer mit dem Ohr an des anderen Mund, so daß sich ihre Backen fast berührten. Er konnte ihren Duft erahnen. Kein Parfüm oder Deo, sondern ihren eigenen, betörenden Geruch, genau an der Schwelle der Wahrnehmbarkeit. Maja nestelte an Herrn Josefs Jacke herum, um die zahlreichen Buttons genauer betrachten zu können. Sie interessierte sich für Herrn Josefs Hose und faßte ihm beiläufig ans Knie. Die meiste Freude aber schien ihr zu machen, daß Herr Josef Haare hatte. Durch so eine Sid-Vicious-Frisur konnte man prächtig mit den Fingern fahren, was sie auch machte. Bei Gerhard war das natürlich nicht möglich: Close Shave und Schiebermütze sind halt nicht so kuschelig.
„Du gibst mir doch bestimmt Deine Telefonnummer,“ bat Maja Herrn Josef leise. „Klar,“ antwortete der, „ich habe bloß keinen Stift. Und keinen Zettel.“ Zettel hatte er eigentlich mehr als genug, sollte er doch am Eingang irgendwelche Flyer verteilen, von denen noch ein paar Dutzend in seinen Jackentaschen steckten. Aber in Anwesenheit eines so scharfen Mädchens gab sein Gehirn üblicherweise die Kontrolle ab, an wen auch immer. Gerade wollte er der Kassiererin gegenüber zurufen, sie solle ihm doch Schreibzeug geben, da ermahnte Maja ihn: „Mein Freund soll das aber nicht unbedingt mitbekommen mit der Nummer.“ Jetzt gefiel Herrn Josef die Situation noch besser als zuvor. Einerseits schätzte Maja ihren Flirt bereits als so heiß ein, daß sie ihn vor ihrem Freund verheimlichen wollte. Das erschien Herrn Josef als sehr vielversprechend. Andererseits hatte er nun die Gelegenheit, sich so klandestin und cool zu verhalten wie ein James Bond in bemalter Lederjacke. Mit vergleichbarem Erfolg bei Frauen. Dachte er.
Als erstes wollte er Stift und Zettel besorgen, und zwar ganz woanders, damit auch alles schön heimlich blieb. Er ging los, um Bier zu kaufen. Seine Freibiermarken waren zwar schon verbraucht, aber in der jetzigen Situation war er auch bereit, Geld auszugeben. Es stellte sich heraus, daß er das gar nicht mußte, denn unterwegs traf er die Frau des Veranstalters, die ihm nur kurz bei seinen Klagen über schrecklichen Durst zuhörte, bevor sie ihm doch noch zwei weitere Freibiermarken gab. An der Theke angekommen, orderte er herablassend „Bier, Zettel und Kuli“ und hielt das für eine Bestellung, die dem Barkeeper zwischen den Zeilen signalisierte, was für ein fabelhafter Frauentyp sein Kunde sei. Da diese Wirkung jedoch völlig ausblieb, ergänzte Herr Josef: „Ich werde gerade meine Telefonnummer los.“ Der Barkeeper hörte ihm überhaupt nicht zu, weil ihn nur der Bierumsatz interessierte. Alle naselang kam irgendein Schwachkopf und wollte was zum Schreiben haben und natürlich waren Telefonnummern das häufigste literarische Genre an der Theke. Herr Josef nahm Zettel und Stift und schrieb seinen Vornamen und seine Nummer (mit Vorwahl, soviel Blut war noch im Hirn) darauf. „Maja und Josef – das klingt ja wie Maria und Josef,“ fiel ihm auf. Doch er notierte es natürlich nicht. Er riß seine Notiz möglichst eng aus, so daß er nur noch einen winzigen Fetzen in der Hand hielt. Diesen faltete er zusätzlich zusammen und machte sich auf den Weg zurück zum Eingang, wo er Maja im Gespräch mit der Kassentante fand.
Da die Band gerade zu spielen aufgehört hatte, konnte er sich völlig unverfänglich mit einem ganzen Schritt Entfernung zu Maja stellen. Dafür war es nun leise genug. Ein unbedarften Zuschauer hätte keinerlei Intimität erkennen können. Er bot ihr an, etwas von seinem Bier zu trinken (was sie schon bei seinen drei Bieren davor gerne getan hatte). Während er ihr sein Glas in die rechte Hand drückte, legte er so ganz nebenbei das kleine Papierstückchen in ihre linke. Trinkend signalisierte sie ihm, daß sie verstanden habe. Sie setzte das Glas ab und reichte es ihm wieder. Ihre Finger berührten sich. Schnell flitzten ihre Augen nach Gerhard Ausschau haltend aber nicht findend hin und her. Sie fixierte wieder Herrn Josef und machte einen kleinen Schritt auf ihn zu. Leise lächelnd fragte sie: „Gehen wir aufs Klo?“ Schon wieder war Herr Josef überrumpelt. Aber er wußte, daß man auf dem Klo nicht nur das tun konnte, wofür es ursprünglich gedacht war. Insbesondere bei Punkkonzerten. Er hatte schon auf verschiedenen Klos mit verschiedenen Mädchen verschiedene verbotene Dinge getan, einmal hatte er es sogar bis ziemlich knapp vor den vollständigen Vollzug des Geschlechtsverkehrs geschafft. Vielleicht würde es ja heute klappen! Doch schon bei der Antwort stellte er sich nicht zu geschickt an: „Äh, na ja, warum eigentlich nicht?“ Im Nachhinein betrachtet war er sich sicher, genau zu diesem Zeitpunkt bereits verloren gehabt zu haben, aber jetzt wußte er das freilich noch nicht.
Er ging knapp hinter Maja durch den Konzertraum. Die Umbaupause war angenehm leise und machte es leichter, sich zu unterhalten, dafür aber schwerer, sich durch das ohne Liveband orientierungslos gewordene Publikum zu schlängeln. Maja hielt ihre rechte Hand leicht nach vorne, um sich zwischen den eng beieinander stehenden Menschen einfädeln zu können, ohne auf ihren Weg wirklich achten zu müssen. Sie schaute nämlich während des Gehens zurück zu Herrn Josef und fragte ihn „Ist das wirklich deine Telefonnummer?“ Auf die Idee, ihr eine falsche Nummer zu geben, wäre Herr Josef gar nicht gekommen, so überrascht war er darüber gewesen, daß sie sie haben wollte. Außerdem war er ja an ihr interessiert. „Natürlich,“ versicherte Herr Josef, „ruf mich unbedingt an!“ Sie hatte zwar die Initiative ergriffen, war sich aber offensichtlich ihrer Sache gar nicht so sicher. „Gehst du selbst ran,“ wollte sie noch wissen, „oder habe ich dann deine Freundin in der Leitung?“ – „Wohl kaum. Höchstens, daß meine Mutter rangeht. Und wenn sie abhebt, tust du einfach so, als wäre nichts dabei und verlangst nach mir.“ Die zwei erreichten in ihrem leicht versetzten Gänsemarsch das Ende der Halle. Von dort aus führte ein Gang zu den Klos.
„Wenn meine Mutter zuhause ist, kann ich am Telefon allerdings nicht frei sprechen“, wollte Herr Josef gerade ergänzen, doch da sah er Gerhard den Gang entlang kommen. Er hielt direkt auf die beiden zu, hatte sie aber noch nicht gesehen, da er sich so angeregt mit seinem kleinen, minderjährigen Bruder unterhielt, wie man sich mit kleinen, minderjährigen Brüdern nur unterhalten kann, wenn man schon mächtig einen sitzen hat. Aber jeden Moment mußte er Herrn Josef und Maja sehen, und dann sollte die Situation möglichst unverfänglich sein. Herr Josef, immer noch James Bond im Kopf, schaltete so schnell er konnte, drehte sich einfach nach links und tat so, als wäre er nur zufälligerweise gleich hinter Maja beim Gang angekommen. Ganz so schnell im Schalten war Herr Josef allerdings noch nie, daher konnte er den Satz, den er sagen wollte, nicht mehr aufhalten. „Ich kann am Telefon leider nicht frei sprechen“, sagte er unwillkürlich. – „Wie?“ – Er hatte Claudia angesprochen, die ausgerechnet an dieser Stelle stand. Einerseits war das natürlich ein Glücksfall, denn Gerhard hatte inzwischen den Gang hinter sich gebracht und betrat den Konzertraum. Daß sich Herr Josef mit Claudia unterhielt und nicht etwa Maja hinterherdackelte, wie das für Gerhard sicher zuerst den Anschein hatte, mußte diesen doch vom eigentlichen Geschehen ablenken, dachte sich unser Held. Andererseits komplizierte das die Situation für ihn auch unnötig. Er mußte nun ein Gespräch mit Claudia führen, obwohl er ihr in Wirklichkeit nichts zu sagen hatte. Sie hatte sich mit ihm zwar schon auf mehreren Partys unterhalten, war mit ihm sogar zu diesem niederbayrischen Punkertreff letztens gefahren, und es war immer ganz lustig gewesen. Aber echte Freunde waren Herr Josef und Claudia nie geworden. Es gab nicht mal ein sexuelles Interesse. Er fand immer, daß sie zu klein und zu dick war und sich außerdem zu sehr mit Skins umgab. Wenigstens hatte sie eine gute Frisur – hmm, Rastalocken. Sie fand immer, daß er zu lang und dürr war und sich außerdem wie ein Abiturient verhielt. Und dann hatte er noch eine beschissene Frisur.
Ob Claudia die Situation überblickte, wußte Herr Josef nicht. Jedenfalls äffte sie ihn sofort nach: „Ich kann am Telefon leider nicht frei sprechen.“ Daß Maja ohne sich umzudrehen auf die Damentoilette gegangen war, veranlaßte Herrn Josef, das Schauspiel für gelungen zu halten. Er wollte aber noch einen draufsetzen. Denn genau in dieser Sekunde passierte Gerhard Herrn Josef und Claudia, und diesmal war Herr Josef mal schlagfertig und tat so, als wäre er ursprünglich von Claudia angesprochen worden. Er fragte sie scheinheilig: „Wieso kannst Du denn nicht frei sprechen?“ und kam sich dabei zuerst obercool vor. Doch er konnte sich nicht einmal sicher sein, daß Gerhard überhaupt etwas von dieser improvisierten Charade mitbekommen hatte. Womöglich hätte er Maja einfach in den Fickhimmel folgen können, der er sich auf dem Frauenklo vorstellte. Jetzt, nach auch nur ein paar Sekunden Verzögerung, war das natürlich nicht mehr möglich. Die Chuzpe, einfach ins Frauenklo zu marschieren und dort an jeder Tür zu klopfen, bis ihm Maja womöglich öffnete, hatte er nicht. Außerdem mußte er erst einmal das Gespräch, das er so peinlich mit Claudia begonnen hatte, beenden.
Es lief auf ein ziemlich umständliches Gelaber hinaus, ein ähnlich blödes Gestammel, als könne er gerade am Telefon nicht frei sprechen. Das ganze dauerte lange genug, daß Maja wieder vom Klo zurückkam. Herr Josef durchlief es siedendheiß: Erst hatte er sich beim Anblick von Claudia sofort von Maja zu dieser gedreht, war jener nicht auf das Klo gefolgt und war immer noch mit Claudia beschäftigt, als Maja schließlich zurückkam. Daß sie es bloß nicht falsch verstand! Aber Maja war schon außer Sicht, als Herr Josef Claudia stehen lassen konnte.
Da half nur noch Bier. Schnell löste Herr Josef seine letzte Biermarke ein und ging durch den Konzertraum, in dem gerade die Hauptband anfing, ein paar uralte Klassiker von ZSD zu spielen. Maja war nicht zu sehen, auch nicht am Eingang. Also entschloß sich Herr Josef, der Band seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Die Kasse hatte zu diesem Zeitpunkt eh geschlossen, ein Türsteher war eigentlich den ganzen Abend lang nicht nötig gewesen. Es war ein richtig guter Gig, denn es gab viele Coverversionen zum mitgrölen. Herr Josef hatte keinen richtigen Durst mehr, daher trank er sein Bier nur halb aus, bis die Band zu Ende gespielt hatte. Beim Verlassen des Konzertlokals traf er auf Gerhard, dessen Bruder und den Rest der Clique – nur Maja war nicht dabei. Alle waren schon ziemlich betrunken, nahmen aber Herrn Josefs halbvolles Glas gerne entgegen. Herr Josef verabschiedete sich und beauftragte noch Gerhard, Maja zu grüßen.
Doch nach ein paar Metern Nachhauseweg sah er sie auf der Straße sitzen. Sie unterhielt sich mit einem notorischen Pennerpunk, der mit dem Bürgersteig verwachsen schien. Als sie Herrn Josef sah, stand sie auf. „Soll ich dich wirklich anrufen?“ fragte sie ihn. „Ja, ich freue mich schon darauf. Ich mag dich nämlich,“ antwortete er. Mit verstohlenem Blick überprüfte er die ehemännische Wachsamkeit Gerhards, der nicht zu weit entfernt stand. Dieser war aber immer noch mit der gerechten Verteilung von Herrn Josefs Bier beschäftigt. Also traute er sich und umarmte Maja. Etwas ungelenk, denn er konnte sich nicht entscheiden, ob er seinen Kopf seitlich an sie kuscheln sollte oder es sogar wagen konnte, sie auf den Mund zu küssen. Der Kuß landete schließlich auf Majas Backe, kurz vor ihrem Ohr. Ein bißchen drückte er sie noch, und sie erwiderte auch seine Umarmung. Er ließ sie los, machte einen Schritt rückwärts und schaute ihr ernst in die Augen. „Der letzte Bus fährt. Ich wünschte, ich könnte noch etwas bleiben. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder. Aber jetzt muß ich weg. Tschau.“ Er drehte sich um und lief davon, denn der Bus fuhr tatsächlich sehr bald und Herr Josef hatte wenig Lust, den ganzen Weg zu Fuß zu gehen. Im Bus merkte er, daß er richtig gut drauf war, obwohl er sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß da womöglich mehr für ihn drin gewesen wäre.