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Herr H. erwachte...

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24.02.2002
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Herr H. erwachte...

Herr H. erwachte am Montag morgen und musste überrascht feststellen das ihm neben seinem linken Arm auch sein rechtes Bein abhanden gekommen war. Nicht genug, dass er sich so schlecht auf der Arbeit blicken lassen konnte, außerdem konnte er sich so schlecht fortbewegen, wie er später feststellen musste. Er setzte sich aufrecht in sein Bett, ohne anfangs zu merken, dass ihm einige Gliedmaßen fehlten. Erst als er sich vom Bett erheben wollte um das Bad aufzusuchen erkannte er schmerzhaft, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Am Boden sitzend fuhr er vorsichtig mit seiner rechten Hand an seinem Körper herunter und ertastete sich so seinen Beinstumpf. Noch am Abend zuvor, als er zu Bett ging war sowohl sein rechtes Bein, wie auch der linker Arm noch Teil seines Körpers. Langsam zog er sich mit seinem noch verbliebenen, rechten Arm wieder auf`s Bett und stützte sich dabei mit seinem noch intakten linken Bein ab. Allmählich begann er schneller zu atmen und Schweißtropfen ronnen ihm über seine Stirn. Was sollte er jetzt tun? Der Schock schien einzusetzen. In seiner Verzweiflung rief er seine Haushälterin, die allmorgendlich kam, ihm Kaffee kochte, schnell aufräumte und wieder verschwand. Für gewöhnlich wohnte sie in der Wohnung, einen Stock tiefer, wenn sie nicht gerade ihren verkauften Körper wieder bei einem ihrer Kunden über Nacht abgelegt hatte.

Diesmal schien sie aber da zusein, denn man hörte deutlich wie sie in der Küche von Herrn H. herum hantierte. „Frau Müller!...“ schrie H. also verzweifelt durch drei geschlossene Türen, so dass Frau Müller es unweigerlich wahrnehmen musste und sich blitzschnell auf den Weg zum Schlafzimmer machte, aus dem die schreckenerregenden Schreie kamen. Vorsichtig öffnete sie die Tür und musste sich am Rahmen dieser festhalten, als sie Herr H. so verstümmelt auf dem Bett liegen sah. Herr H. streckte aus Demonstrationszwecken alle seine Glieder von sich, um Frau Müller das volle Ausmaß zu präsentieren. Langsam glitt diese, sich immer noch am Rahmen haltend auf die Knie. Herr H. hatte deutlich seinen Spaß daran Frau Müller schockiert zu sehen, die im übrigen noch kein einziges Wort heraus gebracht hatte. Zugleich war er aber auch verbittert darüber nun offensichtlich sein restliches Leben mit dieser Frau verbringen zu müssen.

Schließlich wird er dieses Bett, höchst wahrscheinlich nie wieder verlassen können, geschweige denn zur Arbeiten gehen oder überhaupt irgend etwas außerhalb des Hauses, ohne fremde Hilfe machen können. Und Frau Müller war die billigste Haushälterin die sich finden ließ, so dass er auf sie zurückgreifen müsse. Er tröstete sich damit, das sie auch nicht unbedingt die Schlechteste sei. Wahrscheinlich wäre ihre Anwesenheit sogar ertragbar bis angenehm. Sie machte den Kaffee immer pünktlich fertig, die Temperatur stimmte einigermaßen, die Wohnung ist meist zufriedenstellend aufgeräumt und sauber. An einige Stellen musste Herr H. sie zwar bisher immer wieder an ihren Pullover hinzerren um ihr zu zeigen, welche Ecke noch nicht sauber war, aber ab jetzt musste er sich auf sie verlassen. Jetzt musste sie sich alleine zurecht finden. Ab jetzt musste sie ihn vierundzwanzig Stunden am Tag versorgen und pflegen. Ab jetzt war sie auf sich gestellt und Herr H. von ihr abhängig.

Herr H. lehnte sich gemütlich in seinem Bett zurück und sagte zu ihr: “Sie schaffen das schon Frau Müller... Der Mensch ist ein Gewöhnungstier. Der Mensch kann sich an jede Situation anpassen, er hat für alles eine Lösung.“ Er lachte und schickte sie dann los seinen Kaffee nicht kalt werden zu lassen, der schon seit einigen Minuten ungetrunken in de Küche stand. Frau Müller machte sich schluchzend auf den Weg, Richtung Küche um Herr H. den Kaffee zubringen. Dieser machte es sich wieder gemütlich und schloss seine Augen.

Herr H. erwachte am Morgen und musste mit Erschrecken feststellen, das ihm sein rechter Arm fehlte. Er riss die Bettdecke mit dem, scheinbar wieder aufgetauchten linken Arm von sich und erkannte, dass offensichtlich auch das rechte Bein wieder da war. Es fehlte ausschließlich der rechte Arm, was besonders ärgerlich ist, da er ja Rechtshänder war.
Als er am Nachmittag von der Arbeit kam war das Türschloss für Linkshänder schon eingebaut.

 

Hallo, Agamemnon!

Abgesehen von ein paar kleinen Rechtschreib- und Kommafehlern hat mir deine KG gut gefallen. Sie zeigt (Kafka läßt grüßen?), wie Menschen ihre (vermeintlichen) Gebrechen als Mittel zum Zweck benutzen können.

Gruß
Antonia

 

Hallo Agamemnon,

Deine kafkaeske Story war recht schön zu lesen, vor allem die Stelle, an der Herr H. ganz `cool´ mit seiner Situation umgeht, die indirekt betroffene Haushälterin aber ausrastet.
Jetzt fehlt mir (wie so oft) nur noch die Philosophie...

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochino,

danke für deine Kritik (natürlich auch Danke an Antonia). Ihr habt beide natürlich sofort erkannt, dass die Geschichte eindeutig von Kafka inspiriert ist. "Die Verwandlung" ist hier vorallem wieder zuerkennen, wobei Kafkas Geschichte weitaus dramatischer ist.
Bei mir kann man hingegen fast von einem Happy End reden.

Schließlich findet sich Herr H. mit seiner Situation ab und past sich dieser sogar an, was für ihn eher ungewöhnlich scheint. Denn offenbar ist er ein knickriger Perfektionist. Ihm gegenüber steht die Hure,

Zitat:------------------------------------------
[...]wenn sie nicht gerade ihren verkauften Körper wieder bei einem ihrer Kunden über Nacht abgelegt hatte.
------------------------------------------------

die alles für ein bisschen Geld tut. Hier zeigt sich die Dualität zwischen "Spießer" und "Schlampe". (Meiner Meinung nach eine grundsätzliche Dualität des Menschen, erkennbar als Dualität zwischen Konservativen und Revolutionären. Doch wer setzt sich durch? Fragt euch das am Ende dieser Erklärung nochmal.)

Und trotz seiner Spießigkeit erscheint uns Herr H. nicht unsympatisch. Und das liegt daran, das er sich so einfach mit seinem Schicksal abfindet. In dem Moment wo er sagt:

Zitat:------------------------------------------
“Sie schaffen das schon Frau Müller... Der Mensch ist ein Gewöhnungstier. Der Mensch kann sich an jede Situation anpassen, er hat für alles eine Lösung.“
------------------------------------------------
meint er eigentlich sich selber.

Bei alledem, sollte wir uns aber auch fragen:
Wieso fehlen Herr H. plötzlich Arm und Bein?
und, Wieso findet er sich so einfach damit ab?
Hat er vielleicht durch diese Situation
etwas über das Leben gelernt?)

Ihr seht, ne' Menge Fragen. Und Philosophie heißt immer hinterfragen!

Tschüß
Agamemnon

 

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