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Serie Herr Feddersen

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09.06.2015
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Herr Feddersen

Serie Herr Feddersen .... Der Besuch

Eine Charakterstudie

Wie jeden Tag verlässt Feddersen auch an diesem Freitag um 16.30 Uhr sein Büro, im zweiten Stock des Amtsgerichtes in Solingen.
Der Pförtner in der Eingangshalle sagt: „Pünktlich wie immer, Herr Regierungsrat.“
„Stimmt genau“, erwidert Feddersen. „Schönes Wochenende!“
Durch die Drehtür tritt er hinaus auf die belebte Straße. Gewohnheitsmäßig schaut er zum Himmel hoch. Die Wolken hängen tief. Feddersen fasst seinen Stockschirm, den er täglich mit sich führt, fester. Es wird bald regnen, denkt er und schlägt den Weg zum Bahnhof ein.

Mit langen Schritten überquert er den Bahnhofsplatz, auf dem der Bus wartet, mit dem er sonst täglich nach Hause fährt. Doch heute winkt er dem Busfahrer nur freundlich zu und eilt weiter.
<Ich werde Sie am Wochenende besuchen. Sie freuen sich doch? Lilli>. Die Postkarte lag vor zwei Tagen in Feddersens Briefkasten.

Bereits zum dritten Mal schreitet Feddersen die Bahnsteigkante ab. Ein kalter Windstoß fegt über die Gleise. Feddersen schließt den obersten Knopf seines dunklen Wollmantels und drückt den grauen Hut tiefer in die Stirn. Angespannt beobachtet er den Zeiger der Bahnhofsuhr, der sich ruckartig weiter bewegt.

Viel weiß er nicht von der jungen Frau, die in wenigen Minuten mit dem Zug aus München eintreffen wird. Als er Lilli auf einer Urlaubsfahrt mit dem Bus kennengelernt hatte, war es Sommer gewesen. Inzwischen hatte der Herbst das Laub auf den Bäumen bunt gefärbt. Lilli, klein und schlank, ordentlich frisiert und blauäugig, so hatte er sie in Erinnerung. Feddersen hatte sich einen Spreißel in die Hand gerammt und Lilli, die den Vorfall beobachtet hatte, war ihm zu Hilfe geeilt. „Ich kann das, vertrauen Sie mir“, hatte sie gelacht und ihn erfolgreich verarztet. Sie roch gut, auch ihr Lachen gefiel ihm. „Besuchen Sie mich doch einmal in Solingen“, hatte er gesagt und ihr seine Visitenkarte gegeben.

Herbstlaub fliegt durch den zugigen Bahnsteig, ein Blatt heftet sich auf Feddersens blank geputzten Schuh. Feddersen findet ein Taschentuch in der Manteltasche und bückt sich tief hinunter zu dem Ärgernis, das er schnell entfernt. Schon kommt der Zug laut dröhnend angebraust. Eine zierliche Gestalt schwebt ihm entgegen. Lilli! Er erkennt sie sofort wieder.
„Hallo, da bin ich!“, ruft sie schon von Weitem.
Feddersen drückt die zarte Hand und verneigt sich tief. „Sehr erfreut!“
Eine Duftwolke strömt aus Lillis blonden Haaren und verwirrt ihn für Sekunden.
„Ich freue mich sehr, Herr Feddersen“, sagt Lilli, schwenkt ihr Handtäschchen und stöckelt neben Feddersen her, der sie um Längen überragt.
„Hoffentlich gefällt Ihnen das Hotel, das ich für Sie gefunden habe?“, versucht Feddersen seine eigenen Bedenken zu beruhigen. Nur wenige Straßen weiter erreichen sie ein bescheidenes Haus. Über dem Eingang leuchtet eine Reklame.
„Hier ist es“, sagt Feddersen und hält Lilli die Türe auf.

Der Wirt kommt aus der verqualmten Gaststube. Bevor er nach dem Schlüssel greift, reibt er sich die massigen Hände mit einem Stück Stoff trocken. Die Treppe zum oberen Stock ist steil, das kleine Zimmer einfach. Feddersen tritt ans Fenster und schaut auf die Gleise des Rangierbahnhofs hinüber. Nicht gerade schön, denkt er besorgt.
„Einfach, dafür auch nicht teuer!“, bemerkt Lilli verbindlich mit einem Blick auf den Aushang an der Tür. Feddersen nickt erfreut. Sparsamkeit war eine Tugend, die er schätzte.
„Ich kenne ein hübsches Restaurant, Lilli, Sie werden sicher hungrig sein“, verkündet Feddersen gut gelaunt.
„Ja, Herr Feddersen, gute Idee“, meint Lilli lachend.

Draußen auf der Straße tänzelt Lilli munter plaudernd neben ihm her, und Feddersen lässt es zu, dass sie seinen Arm nimmt und sich unterhakt. Beim Italiener finden sie Plätze in der Ecke. Das Licht ist gedämpft und auf dem Tisch brennt eine Kerze. Feddersen bestellt Wein und eine Flasche Wasser. Als der Kellner den Wein einschenkt, wehrt Feddersen ab.
„Für mich nur Wasser, bitte.“
Lilli schüttelt den Kopf. „Herr Feddersen, wollen Sie nicht mit mir anstoßen?“
„Ich trinke nicht“; sagt Feddersen. Kerzengerade sitzt er auf dem Stuhl, ein hilfloses Lächeln in seinem gutmütigen Gesicht.
„Ich trinke sonst auch nicht, aber wir folgen doch keinen festen Regeln, oder?“
Der Kellner gießt Wein in Feddersens Glas und Lilli hebt ihres, um mit Feddersen anzustoßen.
„Auf uns“, sagt sie.
Feddersen lächelt widerstrebend, er befeuchtet kaum die Lippen.
Während Lilli ein Stück Brot zerkrümelt, bemüht sich Feddersen um die Unterhaltung. Tatsächlich gelingt es ihm, Lilli ein- oder auch zweimal zum Lachen zu bringen. Immer öfter greift Feddersen jetzt zum Glas. Der Wein ist süffig, stellt er fest. <Demnächst werde ich eine Flasche kaufen>, beschließt er insgeheim.
Der Kellner stellt die Lasagne auf den Tisch und füllt ungefragt die Gläser nach.
Feddersen grinst. „Ich heiße übrigens Hans Günther. Wollen wir nicht du sagen?“
Lilli lächelt charmant. „Gerne, Hans Günther!“ und nimmt einen großen Schluck.

Feddersens Wangen haben sich gerötet. Während sie mit dem Besteck hantieren, erzählt er von seinen Reisen nach Griechenland und Rom, von einem Urlaub am Lago Magiore und einem aufregenden Erlebnis in den Bergen. Feddersen redet und redet, immer bemüht seinen Scharfsinn und Humor hervorzukehren und nichts anzusprechen, was mit ihnen beiden zu tun haben könnte. Schließlich ist er müde und schaut auf die Uhr.
„Lilli, weißt du eigentlich wie spät es ist?“, fragt er verwundert.
„Keine Ahnung“, sagt Lilli und betrachtet ihr leeres Glas.
„Halb elf!“ Feddersen schüttelt entsetzt den Kopf. "Wir haben total die Zeit vergessen. Lass uns schnell bezahlen.“
Lilli versteht nicht. „Hast du eine Verabredung heute Nacht?“
„Wie, Verabredung? Natürlich nicht. Aber um elf pflege ich im Bett zu liegen.“
„Und was passiert, wenn du um elf nicht im Bett liegst?“
„Machst du Witze? Oder gehörst du zu den Frauen, die die Nacht zum Tag und den Tag zur Nacht machen? Du hast mir übrigens noch gar nicht erzählt welchen Beruf du ausübst.“
„Hast du mich danach gefragt?“
„Was willst du damit andeuten?“
„Nichts, Hans Günther, gar nichts.“

Draußen auf der Straße laufen sie still nebeneinander her.
Lilli kichert: „Ich habe zu viel getrunken."
Über der Eingangstür des Hotels flackert die Neonreklame und auf dem Rangierbahnhof quieken Ferkel in einem abgestellten Waggon.
„Schweine“, sagt Feddersen.
„Schaurig“, antwortet Lilli.
„Ziemlich kalt heute Nacht“, bemerkt Feddersen und schüttelt sich.
„Gute Nacht Hans Günther. Danke für den netten Abend!“
„Schlaf gut, Lilli. Morgen früh um zehn hole ich dich ab.“

Feddersen läuft quer durch die Stadt nach Hause. Es hat zu regnen angefangen. Er springt über Pfützen und balanciert den aufgespannten Regenschirm über seinem Haupt. Lilli, wie süß sie ist, denkt er. Eigentlich weiß ich so gut wie nichts über sie, fällt ihm ein.
Ob alle Frauen so seltsam sind? So verschwiegen und geheimnisvoll?

 
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Hallo AmelieS,

Deine Geschichte wirkt sehr altmodisch, vom Stil und Inhalt her. Etwas gediegen, ruhig und unaufgeregt erzählt. Das gefällt mir, das verleiht der Geschichte so einen eigenen Charme, bei dem man denkt, man liest eine Geschichte aus den 50ern. Klar, wirkliche Höhepunkte gibt es nicht und die Geschichte plätschert so vor sich hin, immer mit ein bisschen Distanz zum Protagonisten, aber trotzdem finde ich sie nie langweilig. Das ist dir gut gelungen.

Generell gefällt mir auch dein zurückhaltender Protagonist, man spürt förmlich, wie er diese Frau mit auf sein Zimmer nehmen, näher kennen lernen will, aber da ist halt so eine Art althergebrachte Moral, ein Anstand, der ihn Distanz waren lässt, oder vielleicht ist er einfach auch so zurückhaltend, so vorsichtig. Egal, welche der beiden Gründe oder auch beide, mir hat das gefallen, denn die Geschichte schreit ja zu Beginn danach, dass die beiden im Bett landen. Dass das dann nicht passiert ist und eine bittersüße Trennung stattgefunden hat, das kam dann schon überraschend, im positiven Sinne. Joa, viel mehr habe ich auch gar nicht zu sagen, ich fand's nett.

Feddersen hatte sich einen Spreißel in die Hand gerammt und Lilli, die den Vorfall beobachtet hatte, war ihm zu Hilfe geeilt.

Wusste erst nicht, was ein Spreißel ist, hab's dann gegoogelt. Es ist also ein Splitter, naja, wieder was gelernt. :D

„Besuchen Sie mich doch einmal in Solingen“, hatte er gesagt und ihr seine Visitenkarte gegeben.

Das geht mir ein bisschen zu schnell. Ich meine, sie zieht ihm den Splitter raus, er gibt ihr ne Visitenkarte (wenig romantisch) und dann treffen sie sich? Ich hätte hier gerne ihre Reaktion gelesen, mir noch zwei/drei Zeilen Dialog gewünscht.

Eine Duftwolke strömt aus Lillis blonden Haaren und verwirrt ihn für Sekunden.

Hier stelle ich mir Poison Ivy (wirst du nicht kennen, denke ich) vor, wie sie ihre Pheromone in der Luft verteilt und die Männer damit gefügig macht. Kurz: ich finde die Formulierung ein bisschen "zu viel", vielleicht magst du daran noch basteln?

„Ich freue mich sehr, Herr Feddersen“, sagt Lilli, schwenkt ihr Handtäschchen und stöckelt neben Feddersen her, der sie um Längen überragt

Da hast dir der Punkt entlaufen. ;)

Bevor er nach dem Schlüssel greift Komma reibt er sich die massigen Hände mit einem Stück Stoff trocken.

„Herr Feddersen, wollen sie nicht mit mir anstoßen?“

Sie

Der Kellner gießt Wein in Feddersens Glas und Lilli hebt ihres Komma um mit Feddersen anzustoßen.

Während sie mit dem Besteck hantieren Komma erzählt er von seinen Reisen nach Griechenland und Rom, von einem Urlaub am Lago Magiore und einem aufregenden Erlebnis in den Bergen.

„Halb elf!“ Feddersen schüttelt entsetzt den Kopf. Anführungszeichen Wir haben total die Zeit vergessen. Lass uns schnell bezahlen.“

„Und was passiert Komma wenn du um elf nicht im Bett liegst?“

Oder gehörst du zu den Frauen, die die Nacht zum Tag und den Tag zur Nacht machen. Fragezeichen

So verschwiegen und geheimnisvoll ?

Da ist ein Leerzeichen zu viel.

Sympathische Geschichte, Amelie, habe ich gerne gelesen.

Beste Grüße,
gibberish

 

Sie roch gut, auch ihr Lachen gefiel ihm.
Da ist die Erklärung (für einen meiner Vorredner), dass es schneller geht, als Sitte und Gewohnheit, selbst preußisch anmutende Tugenden es i. d. R. erlauben: Nicht nur der Gesichtssinn, sondern auch der Geruchssinn steuert den Homo sapiens ... aber auch die Trinkgewohnheiten, bei denen ich schon fast das Ende des zarten, romantischen Pflänzchens befürchtete.

Hallo Amelie,

bisher hatten Liebesgrüße aus Solingen für mich eine scharfe Klinge (und das letzte Mal, dass ich dort war, war auf einer Demo, nachdem ein Mehrfamilienhaus mit türkischen Familien abgefackelt wurde, was also scheinbar gar nicht so lange her ist, als es erscheint, satte 20 Jahre). Aber ich weiß, die meisten sind so normal wie Feddersen und Lilli(fee?). Aber da gibt's noch einigs zu reparieren, wie etwa Flüchtigkeit

Als er Lilli auf einer Urlaubsfahrt mit dem Bus k[e]nnengelernt hatte, war es Sommer gewesen.
Der Tipp-/Flüchtigkeitsfehler gibt Anlass, hier näher reinzuschauen, denn die Hilfsverben verraten, dass Du noch sehr an der Schule (Schreibschule?) bzgl. der Zeitenfolge klebst (ich nenn's oft den Gezeitenwechsel). Wäre hier nicht ein einfaches "als er L. auf einer Urlaubsfahrt mit dem Bus kennenlernte, war Sommer" möglich? ...

... was nicht unbedingt für jeden, besonders nicht dem direkten Nachkommen, aber doch für den einen oder anderen Folgesatz auch gelingen sollte ...

„Ich kann das, vertrauen Sie mir“, hatte sie gelacht ...
klingt mir nach mehr als einer Aussage! Zum ersten ist es zunächst eine Behauptung/Selbsteinschätzung, zum zwoten ist es eine Bitte, ein Wunsch ... Womit wir bei der Zeichensetzung sind!

Bevor er nach dem Schlüssel greift[,] reibt er sich die massigen Hände mit einem Stück Stoff trocken.
Der Kellner gießt Wein in Feddersens Glas und Lilli hebt ihres[,] um mit Feddersen anzustoßen.
(eine der vielen Fußfallen für den ansonsten freigestellten Infinitivsatz ist das unscheinbare "um". Tipp: Alle Infinitivsätze mit Komma versehen, ist ja nicht verboten ...

Während sie mit dem Besteck hantieren[,] erzählt er von seinen Reisen nach Griechenland und Rom, ...
Feddersen redet und redet, immer bemüht[,] seinen Scharfsinn und Humor hervorzukehren und nichts anzusprechen, was mit ihnen beiden zu tun haben könnte.

„Lilli, weißt du eigentlich[,] wie spät es ist?“, fragt er verwundert.
Feddersen schüttelt entsetzt den Kopf. ["]Wir haben total die Zeit vergessen. Lass uns schnell bezahlen.“
Womit Zeichen und Flüchtigkeit sich vermengen
„Ich trinke nicht“; sagt Feddersen
Da war die Taste hochgestellt ...
Und ein Letztes
Lilli schüttelt den Kopf. „Herr Feddersen, wollen ie nicht mit mir anstoßen?“
Da wird F. noch wert auf die Höflichkeitsform gelegt haben ... Klar, gönn ich ihm, dass ...

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo und Guten Abend liebe Leser meiner Charakterstudie!

Hallo Feuerwanze, schön, dass du meine Geschichte gelesen hast und dass sie dir gefallen hat. Vielen Dank!

Danke auch dir, gibberish für deinen ausführlichen Kommentar! Ja, eine altmodische Geschichte, in die ich mich mit meinen 81 Jahren gut einfühlen konnte. Herzlichen Dank auch für das Einsammeln der Kommata. Die laufen mir leider immer davon, zu dumm aber auch. Ich habe sie alle zurück gebracht und festgezurrt.

Hallo Friedel , immer wieder freue ich mich, wenn du eine meiner Geschichten kommentierst. In diesem Fall gab es jede Menge an Korrektur und ich bedanke mich herzlich für das willkommene Lektorat. Die Satzzeichen habe ich eingefangen und an Ort und Stelle platziert. Ich hoffe, alle erwischt zu haben.

Wie ist das nun mit der Vergangenheit? Ich denke, man kann schreiben: es war Sommer, da die Geschichte in der Gegenwart getextet ist.

Was passiert nun mit Feddersen und Lilli? Die Geschichte muss weiter gehen, da bin ich mir ganz sicher.

Vielen Dank noch einmal für Euer Interesse!
Amelie

 

Wie ist das nun mit der Vergangenheit? Ich denke, man kann schreiben: es war Sommer, da die Geschichte in der Gegenwart getextet ist.
So sollet nich' nur sein,

liebe Amelie,

so isset, ebend, wie man hier im Pott so sacht.

Bis gleich,

Friedel

 

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