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Herbstlaub

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08.08.2002
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Herbstlaub

Der Garten liegt still vor uns. Die Terrasse ist erwärmt von der noch milden Herbstsonne. Immer wieder versucht ein frecher Spatz seinen Landeplatz ausgerechnet neben meinem Frühstückskaffee zu ergattern. Dort liegen verstreut die verbliebenen Bröseln meines Kipferls. Also streife ich sie zu Boden um ihm ein süßes Mahl zu gönnen, ohne ständig mit „Gscht – geh weg“ meinen Kaffee verteidigen zu müssen.

Wie gut alles riecht. Der frisch gekochte Kaffee, die umgebende Natur. Ein Gärtner recht das heuer vielleicht zum letzten Mal geschnittene Gras zusammen. Dazwischen haben sich schon einzelne Blätter verfangen, in all den Farben in welcher die Natur sich nun in einem Aufbäumen an Schönheit selbst zu übertreffen versuchen wird, ehe sie das Laub der Fäulnis überlässt. Noch ist es aber nicht soweit und ich genieße es mit meiner Schwester gemütlich zusammenzusitzen und eine dieser herrlichen Stunden im Niemandsland zwischen Sommer und Herbst zu genießen.

„Weißt du noch, diese Zeit, wenn wir mit unseren Kindern unterwegs waren. Im tiefen Laub sind sie herumgestapft wie kleine Könige in ihrem ganz besonderen Reich. Und wir hatten so viel Spaß daran, die Blätter hochzuwirbeln, in die Luft zu werfen und sie über uns herabregnen zu lassen. Wir wurden selbst wieder zu Kindern die spielen“. Sie schüttelt ungläubig den Kopf bei der Überlegung wie weit zurück das alles schon liegt. In ihrem Haar zeigt sich bei jeder Bewegung des Kopfes das Aufblitzen rötlicher Fäden welche das Licht der Sonne wiederspiegeln.

Ja, ich erinnere mich gut daran. Ich strecke meine Füße von mir, lehne mich in dem weißen Gartensessel bequem zurück und betrachte interessiert Marias Gesicht. Sie lächelt in der Erinnerung verfangen ein ganz bezauberndes, gelöstes Lächeln. Vielleicht ist es auch die sanfte Tönung welche die Sonne auf ihr Gesicht zaubert und es dadurch so jugendlich erscheinen lässt. Ihr Blick ist so frei von Kümmernis, fast von einer kindlichen Naivität in der alles wieder möglich scheint. Es tut gut sie so zu sehen. Sie hat keine beneidenswerten Jahre hinter sich. Ihr Mann, der Sunnyboy, der ihr kunstvoll, für Nichteingeweihte kaum sichtbar, einen Nerv nach dem anderen aus ihrem schutzlosen Geflecht zog. Er hat, den ihm gemäßen Anteil am Leben mit den vier gemeinsamen Kindern, nie wahrgenommen. Wenn er wenigstens ihre Ausdauer bewundert hätte, ihr Anerkennung gezollt hätte für ihren Einsatz. Stattdessen hat er nur bemängelt wo er dabei zu kurz gekommen ist und sich neben der Familie ein völlig eigenständiges Leben aufgebaut, bevor er sie verließ.

„Hast du noch einen Schluck Kaffee für mich“ frage ich sie, mich selbst aus meinen Gedanken reißend, und hebe gleichzeitig den Deckel der Kanne hoch. Aromatischer Dampf steigt hoch und ich schenke erfreut unsere Häferln nochmals voll. Umständlich fange ich dabei einmal mehr meine ständig herabrutschende Sonnenbrille auf . Maria lacht und sagt irgendwas von wegen „Na, sind wir wieder mal ein bisserl patschert Schwesterherz?“ Ich kichere und verschlucke mich fast. Diese Sticheleien stören mich heute nicht mehr. In unserer Kindheit war es anders, jedes falsche Wort wurde auf die Waagschale der schwesterlichen Gemeinheiten gelegt und meist als zu schwer befunden.

Ein bisschen Wind kommt auf und treibt behutsam die weißen, fast unschuldig aussehenden Wolken langsam vor sich her. Maria wickelt ihre Weste etwas enger um ihren ein wenig fülliger gewordenen Körper. Die Ruhe zeigte sich auch hier, die Knochen sind zurückgetreten und ihre Konturen sind weicher gezeichnet als in den Jahren zuvor. Lassen die Verbitterung, welche in ihr Gesicht gemeißelt war, zurückweichen. Die Jahre seit der Scheidung haben ihr neue Reserven entlockt. Sie hat wieder Sinn gefunden in ihrem Tun und Kraft. Die Kinder sind groß und recht selbständig geworden. Ihr neuer Freund scheint ihr ein guter Gefährte zu sein und sie hat mehr Muße sich auf sich selbst zu besinnen.

Ein kleiner Junge hat die Flugbahn seines Drachens nicht ganz unter Kontrolle und er muss hilflos zusehen wie sich sein Flugtier in Marias Garten senkt. „Na super, kannst nicht weiter unten spielen. Auf der großen Wiese habt ihr soviel Platz, aber nein, hier musst du rumfuchteln mit dem Ding da.“ grantelt sie ihn an. Sie steht auf und bringt ihm sein Spielzeug an den Zaun. Das ist ihr noch geblieben, das Gefühl des gestört seins von äußeren Einflüssen. Da waren früher die vielen Kleinigkeiten des Alltags die in der Summe oft einfach zuviel waren, wenn sich schon das Normale im Chaos befindet. Als der Kleine den Drachen aus ihrer Hand nimmt, lächelt sie aber bereits wieder und gibt ihm damit zu erkennen, dass sie ihm nicht böse ist.

Irgendwie aus der Ruhe gebracht setzt sie sich nun wieder an den Tisch und wippt mit dem Bein auf und ab. Sie wischt, um irgend etwas zu tun, noch verbliebene, oder vielleicht auch nur eingebildete Bröseln vom Tisch und nimmt dann wieder eine entspanntere Körperhaltung ein. Sie grinst mich an. Ich grinse verschwörerisch zurück und tippe gegen ihre Schulter . „Alte Keifen“ sage ich und nehme noch einen Schluck Kaffee der angenehm mein Inneres wärmt. Ein Gefühl von Behaglichkeit macht sich breit.

Mein Blick geht über sie hinweg, hinauf zu den Baumwipfeln die sich bereits zu lichten beginnen. Ihre Frage, wie es mir geht, begleitet mich in diesem Verlieren im Lichtspiel von Sonne und Blättern. Eine einfache Frage, eigentlich. „Wie es mir geht?“ wiederhole ich und zögere damit die Antwort hinaus.

Meine Gedanken ziehen in die jüngste Vergangenheit. Der Exmann, der unserer Tochter das Leben mit seinem „so sein“ immer noch schwer macht. Ihre so tapfer ausgesprochene Bitte, sie doch ein wenig mehr in sein Leben einzubeziehen, nicht begreift. Nie ist er auf ihrer Seite, ergreift immer und überall die Partei für die anderen. Soviel Wut ist schon da und Traurigkeit nach all der Ignoranz und ihrem Erstreiten um Zuwendung und Liebe.

Ein Blatt fällt auf Marias Haar und sie nimmt es in ihre Hände und spielt damit. Dreht es zwischen den Fingern um es dann endgültig zu Boden fallen zu lassen. Manche Dinge scheinen unaufhaltsam den Weg nach unten zu nehmen. Wieviele Wünsche werden vom Erdmittelpunkt eingesogen ohne je Erfüllung zu finden. Sie sieht mich forschend an und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schenkt mir ein geduldiges Lächeln. Eine alte Dame geht am Zaun entlang und nickt uns zu. Ein Gruß, ein Winken und Maria wendet sich, nach Beschäftigung suchend, der verfaulten Blüte einer Thalie zu. Gibt mir Zeit meine Gedanken zu ordnen.

Ich kneife kurz die Augen zusammen als würde die Sonne mich stören und begebe mich wieder in den Schutz meiner Sonnenbrille. Ich sehe das andere Gesicht vor mir, irgendwo entsteht es vertraut im Blattwerk eines Strauches. Dieses sanfte Gesicht des Mannes der mir als der Retter nach den langen Jahren aufreibender Ehe erschien. Der mir voll Zärtlichkeit mit seinen wunderschönen Händen über meinen Körper streichelnd, Gedichte vorlas. Der mit mir eng umschlungen durch den Wald spazierte und mir an sonnigen Herbsttagen wie diesen das Gefühl gab, er selbst hätte alles aufgeboten um die Welt für mich in den wunderbaren warmen Farben zu bemalen. Nur um mich glücklich zu sehen. Bei dem ich frei war, und in dessen Armen sich alle Sorgen sofort auflösten in einen wundersamen Nebel von Frieden. Der mir meine kindlichen Illusionen von Ewigkeit zurückgab. Nur um sie mir nach ein paar Monaten um so heftiger wieder zu entreißen.

Mein verlorener Blick klärt sich und ich nehme die Realität wahr. Ich atme die Lebensfreude tief ein, die sich trotz allem wieder eingefunden hat in meiner Mitte, und atme die wie Staub aufgewirbelte Melancholie tief aus. Empfinde den vielen Glücksmomenten nach, die ich nun als Frau erfahre in meiner Unabhängigkeit und meinem bewussten Alleinsein. Erlebe im Geist kleine Verrücktheiten die das Leben mit meiner Tochter aufregend und erfüllend machen. Sehe die Freundeslandschaft vor mir, welche wie das Herbstlaub von einem Gärtner des Lebens neu gemischt wurde im letzten Jahr. Das Durcheinander von Euphorie und Nichtweiterwissen ist einer Ausgeglichenheit gewichen. Die Dinge klären sich, finden einen, ihnen gemäßen, Platz in meinem Leben. „Es geht mir gut“ sage ich und weiß, dass es stimmt.

Maria lächelt. „Die Möwen sind angekommen, ist es dir aufgefallen?“ fragt sie während sie beginnt das Geschirr leise klappernd ineinander zu stellen. „Unwillkürlich denkt man voreilig an den Winter. Aber es ist erst die Zeit in welcher der Sommer dem Herbst die Türen öffnet“ sagt sie. Ich nicke wissend und helfe ihr beim Abräumen des Tisches.

 

Hallo schnee.eule,

das Schönste und auch Gelungenste an deiner Geschichte ist der trefflich aufgebaute Spannungsbogen zwischen der Frage an dich und deiner Antwort darauf. Das Sinnieren darüber und dass du froh bist,für deine Antwort Zeit zu haben, das hast du wirklich gut beschrieben.
Zu welchen Geschichten der Herbst verführt, hmm?

Auch gut gefallen hat mir das Verwenden von Wiener Dialekt. Dadurch liest sich die Geschichte sehr natürlich, wenigstens für mich, Madl.

2. Absatz:,Noch ist es aber noch nicht soweit'. Da würde ich ein Noch streichen.

11. Absatz:,Erdmittelpunkt'

Die Geschichte ist der Herbst. Der Herbst ist auch das Gedankenviertel des Jahres. Eine Aufarbeitung, ein Nachdenken inmitten einer Jahreszeit. Mir hat deine Geschichte gezeigt, dass du mitten im Gedankenviertel lebst.

Liebe Grüße - Aqua

 

Hallo schnee.eule,

Klasse! kann ich nur sagen. Wie du die Herbstatmosphäre mit den Geschichten der beiden Schwestern vereinst, hat Spaß gemacht zu lesen.
Gut gefallen hat mir auch, wie die Protagonisten nach ihrem Befinden gefragt wird und nicht sofort antwortet sondern wirklich darüber nachdenkt.
Und natürlich hast du wieder schöne Sätze gewählt wie z.B.:

Manche Dinge scheinen unaufhaltsam den Weg nach unten zu nehmen. Wieviele Wünsche werden vom Ermittelpunkt eingesogen ohne je Erfüllung zu finden.

Schöne Herbsttage wünsche ich Dir.
LG

PP

 

Lieber Aqualung !

Du hast schon recht, jetzt ist eine Zeit in der man sich in seine Behaglichkeit zurückzieht und die Gedanken ziehen lässt. Gedankenviertel - gefällt mir, wie heißen die anderen 3 Viertel, haben sie auch Namen?

Das übertriebene 2. noch ist dem Madl im Überschwang passiert und wird natürlich einmal ausradiert.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

Lieber Peter Pan !

Du hast mir eine große Freude gemacht indem du schriebst "natürlich hast du wieder schöne Sätze gewählt" und dann gerade jenen Satz zitiertest den ich richtiggehend empfunden habe beim Schreiben.

Auch dir wunderbare Herbsttage
und einen lieben Gruß - schnee.eule

 

Liebe schnee.eule!
Dein Text liest sich wie ein rostbraunes Blatt,welches durch die Luft segelt, hier und dort innehält und letztendlich zufrieden zu Boden fällt.
Du hast eine ganz wunderbare Geschichte geschrieben, die letztendlich das Ankommen der Protagonistin beschreibt.-so sehe ich das wenigstens-
Grüße Heidi

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, Schnee.eule, da hast du ja alles rausgeholt.
Ich entschließe mich zu dem Vergleich.
Wie eine Feder die langsam zu Boden fällt, ein wenig beschwingt.

Nun ernstere Töne! Wiener Dialekt?
Kipferl?????
Häfer?????? erst dacht ich susi macht auch mit?

Nun, werde ich wieder zahm!

Wo nimmst du bloss die Phantasie her?

Die Dialoge, meine ich! Sie sind perfekt, stimmen in sich! Ganz toll gemacht! Du schreibst ein wenig wie Deja Vu, schön!

Liebe Grüsse Stefan

 

hallo schnee.eule.

mir hat´s auch gefallen, es passieren nicht spektakuläre Dinge, sondern das ganz normale Leben, und das hast du so gut hingekriegt daß ich mir vorgestellt habe, die Schwester bist du.
und:
ich glaube, "der Gärtner recht" ( vom Rechen) im ersten Absatz,
und nicht " der Gärtner rechnet ( Rechner?)

liebe Grüße, alex.

 

Servus Heidi!

Schön beschreibst du deine Empfindungen zu meiner Geschichte. Das Blatt ist ruhig am Boden angekommen - so ist es.

Lieben Gruß an dich - Eva

Servus Arche !

Während Heidis Vergleich mit dem Blatt das angenehme Ankommen darstellt, nachdem es müde und schwer hinabgeglitten war, bringt deine Feder zum Ausdruck, dass nun Leichtigkeit vorhanden ist und die Bereitschaft erwacht, sich mit einem leichten Aufwind wieder mittragen zu lassen. Schön ist das.

Das Häferl hat dich verwirrt mein Guter hm? Nimm dir mal eine Tasse mit Kaffee setz dich hin und sag vorm Trinken: mmmmh, jetzt nehm ich mal einen Schluck aus dem Häferl (wobei du das äääää betonen musst) und riech ein bisserl hinein bevor du trinkst. Wirst sehen der Kaffee schmeckt anders als sonst. Ich hoff halt besser!!!! Wenn nicht lag es an der Aussprache und du musst üben.

Lieben Gruß an dich - Eva

Servus Alexandra!

Das find ich aber schön, dass ich mit meiner Geschichte eine geschwisterliche Beziehung zu dir aufbauen konnte.

Mit dem Wort recht hast wahrscheinlich - äh recht.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

hallo schnee.eule!

eine wunderbare, melancholische herbstgeschichte.
leider habe ich sie 1 monat zu spät entdeckt, die zeit der schön gefärbten blätter ist ja schon fast vorbei :(
aber ich konnte mich trotzdem in die gemütliche herbststimmung hineinversetzen.

genauso gelungen finde ich die beschreibung der beziehung zwischen die zwei schwestern. es ist schon was wunderbares eine schwester zu haben. keine freundin kennt dich so gut wie die schwester. man kann sich immer auf sie verlassen und man weiss, dass sie ehrlich zu einem ist. --> ist mir nur gerade beim lesen deiner geschichte wieder eingefallen. ich glaube ich rufe meine schwester mal an und sag´ ihr dass ich sie lieb hab :kuss:

aber natürlich beinhaltet deine geschichte viel mehr als nur die schwesternbeziehung. es gefällt mir auch, dass beide P., trotz ihrer probleme freude am leben haben und alles aus einem positiven winkel sehen.
und deine sätze lesen sich so leicht und sanft, schade dass die geschichte so kurz war.

ganz liebe grüße
insomnia (stefanie)

 

Liebe Insomnia!

Wie herzlich du das ausgedrückt hast, das Empfinden deiner eigenen Schwesterliebe, die Sonne die auf alle Sensibilitäten und Ungereimtheiten des Lebens scheint, wenn man nicht im toten Winkel steht. Hab mich sehr über deine Worte gefreut.

Viele liebe Grüße an dich - Eva

 

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