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Herbst

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02.11.2008
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Herbst

Er sitzt im Schaukelstuhl. Es ist warm. Ungewöhnlich für den Herbst. Er faltet seine Zeitung zusammen. Früher war der Herbst kühler. Seine Haare sind grau geworden. Er nimmt sich seine Pfeife. Das Feuer ist rot. Wie die Blätter an den Bäumen. Er macht die Augen zu. Er sieht nichts, hört alles. Seltsam. Alt ist er. Aber jetzt spielt er noch einmal Fußball auf der Straße. Mit den anderen Jungen. Tor! Sie lachen. Sein Freund schlägt ihm auf die Schulter. Er rennt wieder los. Schnell, fällt hin. Das Knie tut nicht weh. Die anderen machen sich Sorgen. Er atmet den Rauch aus der Pfeife ein. Nein, er hat sich wirklich nicht weh getan, bestimmt. Der Schaukelstuhl knarrt.
Die Mutter gibt ihm Geld. Wofür? Süßes darf er sich kaufen. Er freut sich und verschwindet. Rote. Gelbe. Grüne. Blaue. Der Verkäufer zwinkert ihm zu. Jede schmeckt anders. Die Roten mag er am liebsten.
Er lauscht. Die Vögel singen. Die Autos machen Lärm. Was ist das, ein Auto? Kann er auch eins haben? Die sind zu teuer. Er muss das Fahrrad nehmen. Schritte auf Kies. Sie pfeift vor sich hin. Sie ist schön. Das hat er sofort bemerkt. Er lächelt ihr zu. Sie mag ihn. Er seufzt und nimmt sich sein Taschentuch. Er ist immer noch blind. Sie duftet nach Kräutern. Würzig. Sie hat Sommersprossen. Rote Sterne auf weißem Himmel. Der Himmel ist faltig geworden. Er hustet und tut das Taschentuch wieder weg. Er kennt jede auswendig. Feine Netze überziehen ihr Gesicht. Er kennt jeden Faden. Nein, da ist nichts, keine Sorge. Das sagt er nur so, dass weiß sie. Egal. Er sieht auch nicht besser aus. Aber immer noch sportlich.
Er füllt seine Pfeife nach. Die Augen sind immer noch zu. Er will sie nicht wieder aufmachen. Es ist schön, jung zu sein. Das hat er nie verstanden. Er lebt in der Gegenwart. Jetzt klettert er lieber wieder auf Bäume. Er kommt nicht an den Apfel ran. Er ist zu klein. Bald wird er größer sein. Es wird kühler. Wie spät ist es? Keine Ahnung. Sein großer Bruder gibt ihm den Apfel. Er hat ihn lieb. Der Bruder nimmt ihn auf die Schultern. Das macht Spaß! Er ist traurig. Der Bruder ist tot. Sie hält seine Hand. Warm ist sie. Sein Herz ist kalt. Er wickelt sich fester in die warme Decke. Die Pfeife fällt ihm aus den Händen. Sie raschelt im Laub. Er schläft ein und die Augen macht er nicht wieder auf.

 

Die Pfeife fällt ihm aus den Händen. Sie raschelt im Laub. Er schläft ein. Seine Augen macht er nicht wieder auf.
Aja, auf diese Weise entstehen Feuersbrünste.;)

Das ist ergreifend beschrieben, wie die Gedanken des alten Herren kreuz und quer zurück laufen, brockenweise Assoziationen.
Nein, behindert ist er nicht, rueganerin, nur sehr müde und auf dem Weg ins Nichts, wo alles immer weniger und das Wenige bedeutungsvoller wird.

Gingiko

 

hallo Gismo,

der Text ist stimmig, ob man das nun leiden mag oder nicht; die Sprache und der Inhalt ergänzen sich sehr gut. Die Fragmente, die in diesem Augenblick noch denkbar sind...sehr schön auch die Vermischung der Gegenwart mit den Erinnerungen an die Jugend, die den Kreis des Lebens schließen - was weißt Du mit 14 Jahren von Sterbepsychologie???

Sehr beeindruckend,

Gruß Set

 

Hallo Gismo,

auch mir hat dieser Text gut gefallen, die Blitzlichter gehen auf und unter und trotzdem ist für den Leser ein Faden, der bleibt. Die kurzen Sätze sind passend. Schön, wenn man beim letzten Atemzug eine warme Hand hat, die einen begleitet.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo!
Vielen Dank für die Kritik!

"Nein, behindert ist er nicht, rueganerin, nur sehr müde und auf dem Weg ins Nichts, wo alles immer weniger und das Wenige bedeutungsvoller wird."

Das finde ich, hast du, Gingiko, sehr schön gesagt und damit hast du auch eigentlich dirket ins schwarze getroffen. ;)

Und an Set: Ich weiß nichts über Sterbepsychologie, aber das Thema hat mich interessiert und nach ein paar Meinungsbildern, ein paar mehr oder weniger ernsten Diskussionen mit Freunden und ein bisschen Recherche ist bei mir dieser Text entstanden...Schön, dass er dir gefällt.

lg Gismo

 

Hallo Gismo,

„Sie hat Sommersprossen. Rote Sterne auf weißem Himmel. Der Himmel ist faltig geworden. Er hustet und tut das Taschentuch wieder weg. Er kennt jede auswendig.“

Wenn sich „Rote Sterne“ auf die Sommersprossen bezieht, ist die Farbangabe unpassend.
Bei „Er kennt jede auswendig“ wäre der Lesbarkeit wegen angebracht zu erwähnen, auf was sich „jede“ bezieht. Ansonsten hast du diesen Gedankengang interessant dargestellt, generell sind diese Gedankenfetzen gut gewählt und beim Lesen stellt sich eine, dem Inhalt angemessene, Ruhe ein.
Ich habe mich gefragt, inwieweit deine Geschichte philosophisch ist. Sie stellt die Vergänglichkeit dar, das ist sicher ein Thema der Philosophie, also ist es okay. Mir fehlt ein wenig eine Problematisierung, die zum Nachdenken anregt. Aber das ist schwer, also eher eine Anregung, als Kritik.

Hab’s gern gelesen.

Tschüß,

Woltochinon

 

Hallo Gismo,

„Sie hat Sommersprossen. Rote Sterne auf weißem Himmel. Der Himmel ist faltig geworden. Er hustet und tut das Taschentuch wieder weg. Er kennt jede auswendig.“


Müsste das nicht irgendwie so heißen:
„Sie hat Sommersprossen. Rote Sterne auf weißem Himmel. Der Himmel ist faltig geworden, die roten Sterne kennt er auswendig. Jeden. Er hustet und tut das Taschentuch wieder weg.“

Oder so ähnlich.

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die Sommersprossige seine Liebe, und sie ist noch immer bei ihm, jede ihrer Sommersprosse kennt er, auch auf der faltigen Haut. Was für ein schönes Beispiel!

Ich hatte etwas Mühe mit den vielen kurzen Sätzen. Der knappe Stil passt zu den Gedankensplittern, aber gelegentlich ein längerer Satz würde gut tun, weil ja auch die Konzentrationsfähigkeit des Mannes vielleicht unregelmäßig ist.

Sätze wie "Er versteht die Welt nicht mehr." würde ich weglassen. Oder erklären, warum er sie nicht mehr versteht. Dass der Herbst früher kühler war, bringt ja nicht gleich ein Weltbild ins Wanken. Da gibts noch ein paar Stellen, an denen man feilen könnte, aber insgesamt finde ich Text und Idee sehr schön!

Grüße
Anhora

 
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Hallo Gismo,

Sei mir nicht bös, das klingt jetzt so bescheuert "erwachsen", aber bist Du wirklich erst 15? Ich war ganz platt, als ich Setnemides Kommentar las. Du liebe Zeit. Mach weiter so!

Mir hat die Geschichte, jetzt mal ganz unabhängig von Deinem Alter, sehr gut gefallen. Was einem alten Mann in seinen letzten Momenten so alles durch den Kopf geht - Erinnerungen, Gedankenzüge, Gegenwart. Die Sprache ist einfach, nicht so verdichtet. Das ist realistisch für das, was Du darstellen willst, und dieser Einfachheit sind ein paar schöne Bilder drin.

Am Anfang hätte ich weniger Sätze mit "Er ..." angefangen. Das liest sich nicht so schön.

Auch mir gefällt "Er versteht die Welt nicht mehr." nicht so gut. Ist ein bisschen klischémäßig.

Aber jetzt spielt er noch einmal kurz Fußball auf der Straße.

"kurz" würde ich rauslassen.

Sie hat Sommersprossen. Rote Sterne auf weißem Himmel. Der Himmel ist faltig geworden. Er hustet und tut das Taschentuch wieder weg. Er kennt jede auswendig.

sehr schön, allerdings kam ich beim ersten Mal lesen nicht recht mit bei dem Bild. Vielleicht ist es was Wolonchinton sagt: die Farbe passt nicht. Die Formulierung von Anhora finde ich auch wesentlich klarer zu verstehen.

Feine Netze überziehen ihr Gesicht. Er kennt jeden Strick.

Hier gefällt mir das Bild auch. Allerdings passt mir das Wort "Strick" nicht so recht rein. Klingt zu grob für "feine Netze", vielleicht sowas wie "jede Linie"

Auch den Schluss - wie die Pfeiffe im Laub raschelt - finde ich sehr gelungen. Den letzten Satz würde ich vielleicht ein Bisschen umformulieren. Er klingt mir zu künstlich. Vielleicht:

"Er schläft ein und macht die Augen nicht mehr auf."

Alles Gute weiterhin und liebe Grüße

Elisabeth

 

Vielen Dank für die weitere Kritik!

@ Woltochinon: Als erstes etwas zu der Zuordnung meiner Geschichte in diese Rubrik: Ich war etwas ratlos, begründen kann ich meine Entscheidung auch nur mit der dargestellten Vergänglichkeit und dem "Lebenslauf". Die Prolematisierung in dem Sinne, wie Du sie meinst, fehlt tatsächlich... Vielleicht hätte "Alltag" ein wenig besser gepasst.

"Er kennt jede auswendig."
Ich meine, jede "Sommersprosse"

Ist das zu missverständlich, soll ich es ändern?

@ Elisabeth: "Sei mir nicht bös, das klingt jetzt so bescheuert "erwachsen", aber bist Du wirklich erst 15?"
Nein, inzwischen bin ich 16 :) Aber als ich die KG geschrieben habe, war ich wirklich erst 14...
Danke für die Verbesserungsvorschläge, ich werde sie umsetzen!

@Anhora:
"Ich hatte etwas Mühe mit den vielen kurzen Sätzen."
Das kann ich mir vorstellen! In so einem abgehackten Still zu schreiben ist für den Autor immer leicht, aber ihn dann zu entwirren ist für den Leser nicht immer einfach... Aber solange es funktioniert ;)

LG,
Gismo

 

hi,
ich verstehe zwar die absicht in der sprache, aber so funktioniert dieser schreibstil nicht. er funktioniert dann, wenn man in dieser reduziertheit sehr konkret bleibt, sahr nah an den details, von denen man 90% wegwirft und ein, zwei herauspickt, um die gesamtsituation in groben strichen lebendig zu schreiben.

beispielsweise kannst du hauptsätze mit satzellipsen auflockern. beispiel: "Die Vögel singen." wird zu "auf dem dach eine amsel, kaum hörbar zirpend im rauschen der passierenden autos", wobei ich auf die schnelle nicht weiß, ob amseln zirpen. so kriegst die eine melodie hinein.

wo immer möglich, ersetze die allgemeinen beschreibungen und bezeichnungen durch spezialisierungen. die frau ist nicht einfach nur schön, die autos sind nicht einfach nur autos und sie machen nicht einfach nur lärm.

und in diesem schreibstil fallen geäußerte gedanken und urteile besonders unangenehm auf. "er freut sich", "jede schmeckt anders", ... show, don't tell. aussagen wie "Die Roten schmecken am besten" kannst du z.b. mit einer parabel ersetzen, die das besserschmecken aus einem subplot für den leser selbst herleitbar macht.

leider hast du nicht verstanden, wie dieser sprachstil funktioniert und woher er seine wirkkraft bezieht. er funktioniert, indem man konkret und darstellerisch wie üblich bleibt, aber 90% einfach nicht erwähnt, und das, was man erwähnt, eine leichte note von verwirrtheit in sich trägt, weil normalerweise unscheinbare kleinigkeiten auf einmal überbetont und bedeutsam werden.

 

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