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Herbst ist es in Wien
Herbst ist es in Wien. Wolken bauschen sich in den blauen Himmel. Kühler ist es geworden. Karla liebt den Herbst. Bittersüß wird ihr Herz in dieser Jahreszeit. Leichte Schwermut liegt in der kühlen Luft. Karla gefällt das Lichtspiel, welches die erschwachenden Sonnenstrahlen zusammen mit den vorbeiziehenden Bauschewolken auf den Fassaden, den Giebelfenstern, den Steinfiguren, Säulen und Dächern darbieten.
Die Blätter beginnen sich zu verfärben. Vergangen ist die von der Sommerhitze dünn aufgetragene Leichtigkeit der Stadt, die sich sonst nur schwer ein Lächeln abringen kann. Nun hat Wien wieder den Herbst. Er steht ihr besser. Auch Karla.
Am Freitag hat sie eine Verabredung, mit einem Gutaussehenden. Dieser mag Karla. Sie habe etwas an sich, behauptet er, das ihn in Bann zieht. Karla freut sich darauf, fühlt angenehmes Kribbeln im Leib, doch sachte, fast unmerkliche Betrübnis dämpft die spannende Erwartung. Auch wenn dies in längerem Glück enden würde, denkt sie, könnte es doch scheitern, früher oder später, wie alles.
Im Herbst weiß man, dass alles vergänglich ist, Gutes wie Schlimmes. Auch Karla. Ist sie doch ein Kind ihrer Stadt, die stets das Scheitern vor Augen hat. Karla braucht immer Zeit, bei ihr dauert alles länger. Die Uhren gehen hier anders. Selbst das Neue bremst sich hier ein. Nur nicht zu viel davon, es geht ohnehin schief. Die Vergangenheit ist überall und seufzt leise ob verblichener Größe. Das Neue ist an der Peripherie, nicht im Herzen. Das hätte man nicht ertragen. Altes ist fein, neues derb. Auch für Karla.
Zu rasch sollte es nicht gehen mit dem Gutaussehenden. Karla will sich Zeit lassen. Nur nichts überstürzen. Er wird sie verstehen. Ist er doch wie sie dieser Stadt entsprungen. Trotz schillernd moderner Fassade hat er Wien im Blut. Karla hat nicht einmal jetztzeitig glitzernden Anstrich. Hier ist das nicht so notwendig. Auch das grelle Blitzen der Neuen Zeit wird einmal in schwachen Funken erlöschen, wozu also der Aufwand.
Fahl schimmert das Licht. Karla spaziert am Donaukanal. In den Gesichtern der Vorbeigehenden vermutet sie, sein Antlitz zu erkennen. Sehnsucht erfasst sie. Geborgenheit erfleht sie für sich. Zumindest für diese Jahreszeit. In seinen Armen liegen zu dürfen, wenn die Tage nur kurz und schwach golden glänzen, die langen Nächte die Stadt in dunkler Kälte versenken. Da würde sie bei ihm sein, in künstlichem Licht, in seinen Armen, in einem wohlig geheizten Raum. Durch das feuchte Laub würden sie gehen. Karla würde das Rascheln der verwelkten Blätter verspüren, ganz leise. Er würde den Arm um ihre Schultern legen. Süß modrigen Geruch würde sie atmen, im trüb schimmernden Glanz der untergehenden Sonne sein Antlitz betrachten.
Und wenn er sie doch nicht liebte, denkt sie, könnte sie es auch ertragen. In Schwermut. Irgendwann würde ohnehin alles gewesen sein. Somit nehme sie hin, was immer auch kommen möge. Karlas Gedanken an die Vergänglichkeit sind die ihrer Stadt. Das Schlimme könne man ja zuschütten, damit es nie mehr erscheine. Karla blickt hoch zum Himmel. Kalt ist es geworden. Sie friert ein wenig. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Im wehmütigen Takt der Stadt. Der Wind wirbelt bunte Blätter durch die Gassen. Es ist Herbst in Wien.