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Henning macht nur Streit

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17.09.2002
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Henning macht nur Streit

Kai hüpft über die Platten des Gehweges und die Matchbox-Autos in seinem roten Eimer klappern. Er muss gut aufpassen, denn er darf auf keinen Fall auf die Spalten treten – dann fällt er nämlich in ein tiefes Loch und kommt nie auf dem Spielplatz an und das wäre total schade, schließlich freut er sich so darauf, in der Sandkiste zu spielen.
Zum Glück geht alles gut und Kai erreicht den Spielplatz, ohne auf eine Ritze zu treten.
Es ist toll, dass er schon fünf Jahre alt ist, beinahe ein Schulkind, groß genug, um ganz allein draußen zu spielen. Natürlich hat er ziemlich viel Glück, denn das Haus, in dem er wohnt, steht auf derselben Straßenseite, auf der sich der Spielplatz befindet und Mama kann aus dem Küchenfenster sehen, wie er in der Sandkiste spielt.
Am Spielplatzeingang bleibt Kai stehen. Er will zuerst einmal nachsehen, ob der gemeine Henning da ist. Und ob Anna und Christian, seine Freunde auf dem Spielplatz sind. Wenn Anna und Christian auch draußen spielen, dann hat Kai keine Angst vor Henning, zu dritt können sie sich gegen ihn wehren ... Aber allein hat Kai keine Chance. Henning ist zwei Jahre älter und viel größer und stärker. Vor ein paar Tagen tauchte er plötzlich auf, als Kai gerade schaukelte und bevor Kai wusste, was Henning wollte, hatte der ihn von der Schaukel geschubst. Natürlich ist Kai ganz schnell nach Hause zu Mama gelaufen. Aber als Mama mit ihm auf dem Spielplatz ankam, um einmal in Ruhe mit Henning zu reden, da war der schon verschwunden.
Heute ist Henning zum Glück nirgends zu sehen. Allerdings sind Anna und Christian auch nicht da, aber das ist nicht so schlimm, denn Kai weiß schon genau, was er in der Sandkiste bauen wird: eine riesige Burg. Das kann er sehr gut alleine, da braucht er keine Hilfe.
Hinten in der Sonne sitzen zwei Mütter auf einer Bank. Ihre kleinen Krabbelkinder spielen auf der Wiese. Und in einer schattigen Ecke füttert die alte Frau Hinrichs wieder einmal die Vögel.
„Hallo!“, ruft Kai ihr zu, während er seine Autos in die Sandkiste schüttet.
„Guten Tag, Kai!“, sagt die alte Dame und lächelt freundlich. „Heute ganz alleine?“
„Ja, aber das macht nichts – ich weiß schon was ich bauen will!“, sagt Kai und beginnt sofort zu buddeln.

Henning schlendert kaugummikauend die Straße entlang und tritt wütend gegen eine leere Coladose, dass es nur so scheppert. Eigentlich wollte er zu Hause mit seinen Legosteinen spielen, aber als er die Kiste auskippte, da ist Papa von dem Lärm aufgewacht. Natürlich weiß Henning, dass er Papa unter gar keinen Umständen wecken darf. Papa arbeitet ja nachts. Er bewacht ein großes Kaufhaus und muss bei seiner Arbeit immer total munter und fit sein, deshalb schläft er tagsüber und Henning darf überhaupt keinen Krach machen, wenn er aus der Schule kommt. Heute hat er nur einen klitzekleinen Moment nicht daran gedacht, dass Papa im Nebenzimmer schläft und dass Legosteine beim Auskippen laut rasseln – und da war es schon zu spät. Papa stand in der Zimmertür und war sehr, sehr wütend. Henning muss nun draußen spielen, bis Mama vom Putzen nach Hause kommt. Und er darf auf keinen Fall klingeln, nicht mal, wenn es regnet. So ein verdammter, blöder Mist.
Jetzt ist Henning beim Spielplatz angekommen. Er will mal sehen, was da heute los ist. Die beiden Mütter, die sich in der Sonne unterhalten und auf ihre Babys aufpassen, sehen ihn sofort. Henning kann sich genau vorstellen, was sie zueinander sagen.
„Sieh’ mal, da kommt dieser Streithammel!“
„Dauernd nimmt er den Kleinen die Sandspielsachen weg.“
So was Blödes! Die Babys haben so viel Spielzeug, da kann Henning sich doch wohl mal was leihen. Er gibt es ja wieder zurück. Aber nein – er braucht bloß nach einer herumliegenden Schaufel, mit der absolut niemand spielt, zu greifen, da geht das Gemecker schon los:
„Wirst du das wohl liegen lassen!“ – „Das gehört dir nicht!“
Das hat keinen Zweck.
Aber da drüben, da sitzt die Heulsuse Kai in der Sandkiste. Der Kai hat immer so viele tolle Autos. Henning schaut sich um. Kai ist ganz allein. Anna und Christian sind nirgends zu sehen. Mal sehen, was Kai da baut.

Kai hat eine riesige Burg gebaut. Oben auf der Spitze hat sie vier Wachtürme und ringsherum führt eine glatte Serpentinenstraße bis hinauf. Die Burg ist supertoll geworden. Kai will gerade nach einem seiner Autos greifen, um es von ganz oben bis zum Burggraben hinunter fahren zu lassen, als ein Schatten auf seine Hände fällt. Erstaunt schaut er auf. Eine kalte Hand drückt sein Herz zusammen und ihm wird übel, als er den gemeinen Henning sieht. Henning steht am Rand der Sandkiste und schwingt seinen rechten Fuß langsam hin und her. Der Fuß kommt Kais Burg immer näher. Gefährlich nahe. Es ist ganz klar – Henning will die wunderbare Burg kaputtmachen. Kai hat eine Riesenangst, aber er will nicht weglaufen. Wenn er jetzt abhaut, ist er ein Feigling und außerdem kann er die Burg dann vergessen. Henning wird sie zertreten. Kai muss sich wehren, auch wenn er ganz alleine ist. Er nimmt all seinen Mut zusammen und sagt:
„Lass meine Burg in Ruhe!“
Aber Henning lacht nur und spukt seinen Kaugummi mitten zwischen Kais Autos. Eklig!
„Die Burg ist blöde!“ Henning grinst und sein Fuß tippt ein wenig gegen die Burgmauer, so dass der Sand zu rieseln beginnt. In Kais Bauch grummelt eine heiße Wut.
„Lass das!“, schreit er zornig und die Tränen steigen ihm in die Augen.
„Ist doch nichts passiert, du Heulsuse!“, lacht Henning. „Stell dich bloß nicht so an!“
Zum Glück haben die beiden Mütter mit ihren Krabbelbabys gesehen, in welcher Gefahr sich die Burg befindet. Eine der beiden steht auf und ruft über den Spielplatz:
„Nun lass doch den Kleinen zufrieden! Musst du eigentlich jedes Mal Streit machen, wenn du hierher kommst?“
„Ich hab doch gar nichts gemacht!“, murmelt Henning, aber er zieht seinen Fuß zurück.
„Ich möchte wirklich mal wissen, warum deine Eltern dir nicht beibringen, wie man sich zu benehmen hat!“, sagt die Mutter und setzt sich kopfschüttelnd wieder zu ihrer Freundin auf die Bank.
Kai fühlt, wie der Mut in ihm ein kleines bisschen wächst. Vielleicht haut Henning jetzt ja ab und die Burg ist gerettet?
Tatsächlich, Henning lässt Kai in Ruhe. Er zieht einen frischen Kaugummi aus der Hosentasche und wickelt ihn aus, während er gelangweilt vom Spielplatz schlurft. Kai hört, wie Henning leise „Diese blöde Kuh!“ murmelt. Damit meint er sicher die Krabbelbabymutter, die die Burg gerettet hat.
Kai wartet noch ein Weilchen. Er will ganz sicher sein, dass Henning nicht zurückkommt. Aber Henning ist schon auf den Fußweg eingebogen und nicht mehr zu sehen. Kai ist erleichtert. Da hat er ja wirklich Glück gehabt! Er bessert die Burgmauer aus, gegen die Henning getreten hat. Dann lässt er sein Lieblingsauto, den roten Feuerwehrwagen, von den Wachtürmen hinab in den Sandkasten rasen.
Kai ist so vertieft in sein Spiel, dass er nicht bemerkt, wie die beiden Mütter ihre Babys in die Kinderkarren setzen und sich auf den Heimweg machen.
Frau Hinrichs füttert die Vögel und Kai baut einen riesigen Außenschutzwall um seinen Burggraben herum.

Henning weiß nicht, was er jetzt machen soll. Er geht langsam den Gehweg auf und ab und kickt einen kleinen Stein vor sich her. Zu Hause will Papa schlafen, auf dem Spielplatz sitzen die doofen Mütter und verbieten ihm, dort zu spielen, obwohl der Spielplatz für alle da ist und Mama putzt und putzt bei fremden Leuten. Henning setzt sich auf eine steinerne Gartenmauer und zielt mit kleinen Steinchen direkt neben ein Auto. Leider trifft er aus Versehen die blanke Radkappe – das klirrt toll. Aber sofort öffnet sich ein Fenster und eine Frau schreit:
„Verschwinde! Wo gibt’s denn so was? Einfach fremde Autos mit Steinen beschmeißen! Unerhört!“
Mist! Hier kann er also auch nicht bleiben. Da sieht er, wie die beiden Mütter mit ihren Kinderkarren den Spielplatz verlassen. Das ist Klasse. Dann ist die Heulsuse mit der alten Oma ganz allein auf dem Spielplatz. Henning springt von der Mauer und läuft zurück. Kai sitzt immer noch im Sand und lässt seine Autos auf der Burg herumfahren. Das rote Feuerwehrauto ist prima, damit würde Henning zu gerne einmal spielen.

Kai schaut sich suchend um. Wo ist der gelbe LKW geblieben? Alle Autos sollen oben auf der Burg aufgestellt werden und dann nach und nach hinunterfahren. – Ach, da liegt er ja! Neben dem schmuddeligen Turnschuh. – Ein Turnschuh? Kai erschrickt. Woher kommt denn plötzlich ein Turnschuh? Als Kai aufschaut, blickt er direkt in Hennings grinsendes Gesicht.
„Na, Kleiner? Da staunst du, was?“, fragt Henning und schiebt seinen Fuß langsam immer näher an Kais Burgmauer heran. Voller Angst sieht Kai sich nach den beiden Müttern um, aber die sind verschwunden. Er ist ganz allein mit dem fiesen Henning, der jetzt jeden Augenblick die Burg zertreten wird. Nur Frau Hinrichs ist noch da, aber die alte Frau ist keine Hilfe. Sie kümmert sich ja nur um ihre Vögel. Was soll er bloß machen? Wenn er schon die Burg nicht retten kann, so will er wenigstens seine Autos einsammeln. Fieberhaft sucht er sie zusammen: den grünen Sportwagen, das Polizeiauto, die beiden LKWs – und da, das Feuerwehrauto. Das ist ganz neu! Doch bevor Kais Hand das Feuerwehrauto erreicht, hat Henning schon seinen Fuß darauf gesetzt. Er muss sein Gewicht nur ein ganz kleines bisschen verlagern und der Wagen bohrt sich in den Sand. Hoffentlich geht das Auto nicht kaputt. Kai ist wütend und traurig zugleich. Zum zweiten Mal steigen ihm heute die Tränen in die Augen. Das ist so gemein. Wieso kann der blöde Henning ihn nicht in Ruhe lassen? Auf dem Spielplatz gibt es noch eine Rutsche, zwei Schaukeln, ein Karussell und ein Klettergerüst – und alles ist leer. Warum spielt Henning nicht dort? Warum hat er es auf Kais Autos und die tolle Burg abgesehen? Kai beißt sich auf die Lippen. Seine Wut schmeckt heiß und salzig.
„Gib mir mein Auto wieder!“, ruft er.
Henning hebt seinen Fuß gerade so weit hoch, dass Kai das rote Autodach durch den Sand schimmern sieht, und sagt höhnisch:
„Hol’s dir doch, du Heulsuse!“
Aber als Kai seine Hand nach dem Auto ausstreckt, tritt Henning sofort wieder darauf.
„Das ist gemein! Das Auto gehört mir!“
Nun ist Kai richtig verzweifelt und seine Stimme klingt ganz dünn und klein.
Henning schiebt seinen Fuß über das Auto hinweg, auf die Burg zu und tritt mit der Fußspitze eine kleine Delle in die Mauer.
Kai ist die Burg jetzt schon beinahe egal. Hauptsache, er kriegt seine Autos zurück.

„Ja, ich glaube, das könnte klappen ...“
Die Stimme von Frau Hinrichs klingt ruhig und nachdenklich. Die alte Frau steht auf einmal hinter Kai und betrachtet die Burg.
Henning weicht vor Schreck einen Schritt zurück und Kai schnappt sich geistesgegenwärtig sein Feuerwehrauto.

Henning weiß genau, was jetzt kommt. Frau Hinrichs wird mit ihm meckern. Bestimmt verteidigt sie Kai. So ist es immer. Alle sind sie immer für die anderen. Nie ist jemand auf Hennings Seite. Er presst die Lippen fest aufeinander und blickt die alte Frau trotzig an. Soll sie doch schimpfen. Das macht ihm gar nichts aus.

Kai stopft blitzschnell alle Autos in den Sandeimer. Dann wartet er erst mal ab. Henning ist sowieso nicht mehr lange hier. Frau Hinrichs wird ihm jetzt ganz sicher sagen, dass er nicht dauernd Streit machen soll. Und dann haut Henning ab, wie immer, Kai kennt das ja. Und wenn Henning weg ist, kann Kai in Ruhe mit seiner Burg spielen. Frau Hinrichs ist Klasse! Kai schaut Henning triumphierend an.

„Wir sollten drei Tunnel unter der Burg hindurch bauen“, sagt Frau Hinrichs und hockt sich neben Kai in den Sand. „Du könntest hier anfangen, Kai. – Ich beginne auf dieser Seite und du, Henning, du könntest uns helfen und von dort drüben buddeln.“

Kai traut seinen Ohren kaum. Was soll das denn? Frau Hinrichs schlägt vor, dass Henning einen Tunnel unter Kais Burg hindurch gräbt? Das darf ja wohl nicht wahr sein! Henning wird die Burg kaputtmachen! Das ist doch klar!
Kai will protestieren, aber Frau Hinrichs legt ihm eine Hand auf die Schulter und sagt:
„Wenn wir ganz vorsichtig sind und tief genug graben, dann könnte es klappen. Wir könnten drei Tunnel unter deiner Burg bauen, ohne dass sie einstürzt. Und dann können deine Autos unterirdisch von einer Seite der Burg auf die andere fahren. Wäre das nicht toll?“
Und Frau Hinrichs fängt an zu graben.
„Ja ... Schon ...“ Kai nickt. Er ist ziemlich durcheinander. Klar, Tunnel wären toll, aber dass Henning mitbuddeln soll, das ist ganz und gar nicht toll.

Henning schaut Frau Hinrichs mit offenem Mund an. Meint die alte Frau das wirklich? Er soll mitbuddeln? Bestimmt ist das nur so ein Trick. Gleich wird sie anfangen zu meckern, und dann muss er wieder vom Spielplatz gehen. Henning wartet auf das Donnerwetter. Vorher geht er jedenfalls nicht, das steht schon mal fest! Aber Frau Hinrichs kümmert sich nicht um ihn. Und was macht Kai? Henning wirft ihm einen Blick zu. Kai kniet vor seinem Sandeimer und starrt die alte Frau fassungslos an. Vielleicht ist es ja doch kein Trick. In Hennings Magen kribbelt eine kleine, warme Vorfreude. Frau Hinrichs hat gesagt: „Henning, du könntest uns helfen.“ Sie hat nicht gesagt: „Rühr’ die Burg nicht an! Verschwinde!“ Vielleicht meint sie es Ernst. Henning kann es ja einfach mal versuchen. Er lässt sich auf die Knie nieder und kratzt mit den Fingern ein wenig Sand aus der Burg heraus. Hier soll sein Tunneleinstieg sein. Und er wird ganz vorsichtig sein – schließlich soll die Burg nicht seinetwegen einstürzen. Er kann nämlich vorsichtig sein! Frau Hinrichs und Kai werden schon sehen!

Kai wendet langsam den Kopf. Mit einer Hand hält er seinen Eimer mit den Autos fest. Neben ihm buddelt Frau Hinrichs und drüben kniet Henning und gräbt. Gräbt einen Tunnel unter Kais Burg. Kai hält den Atem an. Das geht niemals gut. Jeden Moment wird Henning mit der Faust auf die Burg hauen oder etwas ähnlich Schreckliches tun. Auf jeden Fall wird er die Burg zum Einsturz bringen. Kai weiß das ganz genau. Frau Hinrichs spinnt wohl! Warum hat sie Henning bloß nicht weggejagt? Der blöde Henning soll die Burg zufrieden lassen. Kai holt tief Luft. Er wird jetzt klarstellen, wem die Burg gehört und wer daran herumbauen darf.
„Oh, Kai!“ Frau Hinrichs schaut von ihrem Tunnel hoch. „Ich glaube, du solltest ganz schnell anfangen, von deiner Seite aus zu buddeln. Wenn wir nicht gleichmäßig von allen drei Seiten zur Mitte hin graben, dann wird das Ganze schief und die Burg könnte einstürzen.“
Kai bekommt einen Schreck. Er will auf keinen Fall, dass die tolle Burg kaputt geht. Dazu hat er zu lange an seinem Kunstwerk gebaut. Frau Hinrichs und Henning buddeln einfach immer weiter. Wenn der Burg nichts passieren soll, dann muss Kai sofort mit dem Bau seines Tunnelabschnittes beginnen.
„Na gut“, sagt er, hockt sich hin und fängt ebenfalls an zu graben.

Henning arbeitet ruhig und konzentriert. Er ist ganz vorsichtig. Je tiefer er kommt, umso kühler wird der Sand. Kühler und ein wenig feucht. Das wird ein unheimlich moderiges Kellergewölbe, das sie da unter der alten Burg bauen. Dort werden Fledermäuse wohnen und Kellerasseln und nur ganz besonders mutige Autofahrer werden sich trauen, durch die unterirdischen Höhlen zu fahren. Ob es noch lange dauert, bis er mit seinen Fingern auf eine andere buddelnde Hand stößt? Henning holt eine große Handvoll Sand aus seinem Gang und schiebt ihn zur Seite. Er wird die Burg nicht einstürzen lassen, da ist er ganz sicher. Hoffentlich sind die anderen beiden auch so vorsichtig. Henning blickt auf und sieht, dass Frau Hinrichs rechter Arm bis zum Ellbogen in ihrem Tunnel steckt. Ihre grauen Locken hängen ihr wirr in die Stirn und die Brille ist ein wenig beschlagen. An ihrer Seite hat die Burg jedenfalls noch keinen Riss. Sie ist allem Anschein nach eine sehr geschickte Baumeisterin. Und was macht Kai? Der hat sich auf den Bauch gelegt und buddelt mit Gefühl. Immer wieder schiebt er den Sand zur Seite. Sein kurzer Arm verschwindet tief im Tunnel. Ab und zu hebt er den Kopf und schaut misstrauisch zu Henning. Was Kai wohl denkt? Sehr freundlich sieht er nicht aus. Bestimmt traut er es Henning nicht zu, einen supertollen Tunnel zu bauen, aber da irrt er sich!

Kai muss eine Verschnaufpause einlegen. Spannend ist das! Sein Tunnel ist schon sehr tief. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern und der Durchbruch ist da. Der gefährlichste Augenblick wird sein, wenn sich ihre Hände unten im kalten feuchten Sand treffen. Hoffentlich geht alles gut. Kai schaut zu Henning, der mit roten Wangen gräbt und gräbt. Kai wusste gar nicht, dass Henning so vorsichtig sein kann. Es sieht überhaupt nicht so aus, als würde er die Burg jeden Moment zu Klump hauen. Kai hätte das nie gedacht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Henning ist unberechenbar. Kai ist auf alles gefasst. Und was macht Frau Hinrichs? Ihre Bluse ist voller Sand, ihre Zungenspitze lugt zwischen ihren Lippen hervor und flitzt ab und zu von einem Mundwinkel zum anderen. Kai hat noch niemals eine alte Frau gesehen, die so eifrig im Sand buddelt. Irgendwie unglaublich. Kai steckt seinen Arm wieder in den Tunnel. Als seine Fingerspitzen die hinterste Tunnelwand berühren, beginnt diese wegzubröseln. Der Sandwiderstand löst sich auf und Kais Finger zappeln im Nichts. Das ist ein irres Gefühl! Er hat es geschafft! Er ist durchgekommen!
Uuuups! Da war ein anderer Finger, eine fremde Hand. Kai hat es genau gespürt. Er hat jemanden berührt. Hoffentlich war das die Hand von Frau Hinrichs. Henning will Kai nicht so gerne anfassen. Am liebsten würde er seine Hand ganz schnell wegziehen, aber dann reißt er vielleicht die ganze Burg ein und das wäre natürlich ziemlich doof. Deshalb rutscht Kai sachte nach hinten, so dass er seinen Arm behutsam aus dem Tunnel entfernen kann.

Henning hält den Atem an. Vor seinen kratzenden Fingern ist kein Sand mehr. Nichts – nur noch ein Loch - und fremde Finger, die sich ganz schnell zurückziehen ... Es hat geklappt! Er ist auf einen anderen Tunnel gestoßen. Kais? Oder auf den Tunnel von Frau Hinrichs? Egal. Henning schaut auf. Frau Hinrichs hat ihre Hand schon wieder aus dem Sand gezogen, sie klopft sich ihre Bluse sauber und strahlt über das ganze Gesicht. Kai robbt gerade rückwärts, aber seine Augen leuchten. Henning wird es ganz heiß vor Freude.
„Wir haben es geschafft!“, ruft er begeistert und grinst vor Stolz wie ein Honigkuchenpferd.
„Prima Arbeit!“, stimmt Frau Hinrichs zu. „Die Burg steht noch und unsere Tunnel sind fertig. Das ist großartig!“
Henning wischt sich die Hand an der Hose ab. Er fühlt sich so zufrieden, wie schon lange nicht mehr. Das ist ein tolles Gefühl, fast wie Weihnachten, wenn Oma die Zimtsterne auf den Tisch stellt. Nun müssen sie aber die Tunnel sofort ausprobieren und mit den Autos hindurchfahren. Henning schnappt sich ein Auto aus Kais Eimer. Sein Autofahrer ist ein total mutiger Mann, der hat keine Angst vor feuchten, kalten Grüften mit Fledermäusen und Kellerasseln, sondern fährt sofort flott ins Dunkle hinein – hinein in die Nacht der Vampire.

Kai zieht die Luft scharf durch die Zähne ein. Eben war noch alles prima. Die Tunnel sind fertig, die Burg steht noch und Henning hat bisher keinen Streit gemacht – aber jetzt! Henning hat sich einfach Kais Lieblingsauto aus dem Eimer gerissen. Grapsch und das war’s! Ausgerechnet den Feuerwehrwagen, den Kai vor wenigen Minuten erst vor Henning gerettet hat! Das kann doch wohl nicht wahr sein. Eben hat Kai sich so gefreut und peng! – schon hat Henning wieder alles verdorben.
„Kai, würdest du mir ein Auto leihen?“
Das ist die Stimme von Frau Hinrichs. Sie lächelt und streckt Kai ihre Hand entgegen. Klar, natürlich darf Frau Hinrichs ein Auto haben. Kai greift in den Eimer und reicht ihr einen Lkw.
In diesem Moment schaut Henning auf. Er wirkt ein wenig verunsichert.
„Ich darf doch dein Auto nehmen, oder?“, fragt er und wird dabei sogar ein bisschen rot. Es ist ihm doch wohl nicht peinlich, dass er einfach in Kais Eimer gegrapscht hat? Na gut, jetzt hat Henning das Feuerwehrauto ja schon und die Burg hat er ja auch nicht kaputt gemacht. Vielleicht passiert dem Auto gar nichts. Kai nickt gnädig. Er wird aber auf jeden Fall sehr gut aufpassen, was Henning mit dem Auto macht. Der gelbe Lkw und der rote Feuerwehrwagen fahren in den Tunnel. Sie treffen sich in der Mitte und auf einmal kommt das Feuerwehrauto bei Frau Hinrichs aus dem Tunnel und Henning hält den kleinen LkW in der Hand. Sie haben in der Mitte getauscht und der Feuerwehrwagen ist noch ganz heil.
Jetzt will Kai aber auch mal ein Auto unter der Burg durchfahren lassen. Er nimmt das Polizeiauto. Als er mit seinem Wagen in der Tiefe der Tunnel ankommt, sind dort schon andere Finger und Autos. Vorsichtig krabbeln die verschiedenen Finger umeinander herum und tauschen die Autos. Und dann taucht das Feuerwehrauto bei Kai auf, Frau Hinrichs hat wieder den Lkw in der Hand und Henning hält den blitzenden Polizeiwagen hoch. Klasse!
Frau Hinrichs seufzt ein wenig und fährt sich mit der Hand über den Rücken.
„Ich glaube“, sagt sie und steht mühsam auf, „ich muss mich jetzt wieder mal auf die Bank setzen. Meine Knochen sind halt nicht mehr die jüngsten.“
Einen klitzekleinen Augenblick lang hat Kai Angst. Wird Henning die Burg kaputtmachen oder das Feuerwehrauto klauen, wenn Frau Hinrichs nicht mehr neben ihnen kniet?
Heimlich beobachtet Kai, was Henning jetzt tut. Aber der stellt gerade das Feuerwehrauto oben auf der Burg ab und sieht ganz zufrieden und harmlos aus.

Henning parkt das Feuerwehrauto und schaut sich nach dem gelben LKW um. Da entdeckt er, dass Frau Hinrichs wieder auf der Bank sitzt. Schade! Jetzt wird Kai bestimmt gleich seine Autos wieder haben wollen und das war’s dann. Das ist das Ende von dem schönen Spiel. Er hätte zu gerne noch weiter mit den Autos und der Burg gespielt. Es fing gerade an ganz besonders viel Spaß zu machen. Henning seufzt.

Henning seufzt? Kai muss sich verhört haben. Warum sollte Henning seufzen? Nur weil Frau Hinrichs wieder auf der Bank sitzt? Das kann Kai nicht glauben. Aber wenn er sich Henning so ansieht, dann bekommt er das Gefühl, dass Henning traurig ist. Auf jeden Fall sieht er überhaupt nicht nach Streit aus. Kai gibt sich einen Ruck und sagt:
„Es brennt jetzt wohl im Tunnel. Ich fahre mit der Feuerwehr und sehe mal nach!“
Und mit diesen Worten lässt er die Feuerwehr in den Tunnel rasen. „Tatü! Tata! Tatü! Tata!“

Henning fällt ein Stein vom Herzen. Er greift nach dem Polizeiwagen und sagt: „Genau! Du kommst mit der Feuerwehr und ich mit der Polizei. Wir müssen nämlich alles absperren!“

 

Hallo al-dente,

den Kern der Geschichte, das einfühlsame Schlichten durch Frau Hinrichs fand ich recht gut und Wertvoll. :) Neugierig wurde ich, als du die unscheinbare alte Frau Hinrichs so nebenbei erwähnst und welche Rolle du ihr in der Geschichte zuerdacht hast. Die tragische Figur ist eigentlich der stänkernde Henning.

Und er darf auf keinen Fall klingeln, nicht mal, wenn es regnet.
Hier habe ich das Gefühl, er kommt aus einem sozial schwachem Umfeld, da oft diese Kinder zu solchen Reaktionen neigen.
Allerdings interpretierst du, meiner Meinung nach, zu ausschweifend die Gedankengänge von Kai und Henning. Dadurch sehe ich die Geschicht etwas überzogen und wirkt stellenweise etwas langatmig. Es tut einer Geschichte nicht unbedingt gut, wenn man versucht, sie besonders detalliert zu beschreiben, um zum eigentlichen Kern zu kommen. Ich schwanke ein bisschen: Ich denke, wenn du sie straffen würdest, wäre es eine gute Geschichte für Kinder im Alter von Kai. Für ältere Kinder ist sie zwar gut geschrieben, aber dann ist eine Sandkistengeschichte nicht unbedingt das Interessanteste.

Liebe Grüße
Goldis

 

Hallo al-dente,

mußte gestern leider abbrechen, deshalb melde ich mich noch einmal.

Du betreibst eine Taktik, die folgendermaßen aussieht:

Henning wird sie zertreten. Kai muß sich wehren, auch wenn er ganz allein ist.
Henning zertritt sie nicht.
der jetzt jeden Augenblick die Burg zertreten wird. Nur Frau Hinrichs ist noch da, Aber die alte Frau ist keine Hilfe. Sie kümmert sich ja nur um die Vögel.
Die alte Frau kommt zu Hilfe und kümmert sich nicht nur um die Vögel, sondern beobachtet ganz genau.
Frau Hinrichs wird ihm jetzt ganz sicher sagen, dass er nicht immer Streit machen soll.
natürlich macht es Frau Hinrichs nicht.
Auf jedenfall wird er die Burg zum Einsturz bringen. Das weiß Kai ganz genau.
Er bringt die Burg nicht zum Einsturz. u.s.w.

Auf diese Weise geht es durch die ganze Geschichte und man weis, bei der nächsten Ankündigung, dass es nicht so verläuft. Dadurch nimmst du unbewußt die Spannung aus der Geschichte. Du betonst das vorausschauende negative zu oft im Text.
Ich persönlich finde, es stört etwas in der Geschichte.

Viele Grüße
Goldis

 

Hallo Goldis,

vielen Dank dafür, dass du dich so ausführlich mit meiner - wirklich etwas sehr lang gewordenen - Geschichte auseinandergesetzt hast. :)

Beim Schreiben waren mir die Gedanken der beiden Kinder das Allerwichtigste! Ich wollte zeigen, dass sie sich allein dadurch verrennen und "schaden", dass sie immer schon sehr genau zu wissen glauben, was der andere denkt und tut. Natürlich haben die Reaktionen der beiden jeweils einen Grund: sie haben bisher genügend Erfahrungen gemacht, die ihre jetzigen "Vorurteile" bestätigen.
Ich glaube, dass es in der Realität tatsächlich so ist, dass es ziemlich lange dauert, bis man plötzlich registriert, dass die Ängste und Befürchtungen, die man hat, in Wirklichkeit gar nicht erfüllt werden.

Aber du hast natürlich möglicherweise recht: beim Lesen können diese Wiederholungen des immer gleichen Prinzips vermutlich dazu führen, dass der Leser sich langweilt ...

Ich bin davon überzeugt, dass Kürzen dieser Geschichte gut tun würde. Aber da ich an den unterschiedlichen Blickwinkeln meiner beiden Protagonisten sehr hänge, wird es vermutlich noch eine Weile dauern, bevor ich mich zum Kürzen durchringen kann ... :)

Lieben Gruß und vielen Dank fürs Lesen und deine Kritik
al-dente

 

Hallo al-dente,

man hat als Leser für Henning, obwohl er der Bösewicht ist, Verständnis. Das finde ich prima herausgearbeitet.

Etwas Probleme hatte ich mit der Vorstellung, dass eine alte Frau knieend im Sandkasten rumbuddelt und sich ja fast gar hinlegen muss, da ich das Bild einer betulichen, vielleicht sogar gehbehinderten, alten Dame mit Dutt vor Augen hatte. Das Vögelfüttern assoziiert für mich eine letzte Möglichkeit, aktiv etwas zu unternehmen. Hätte sie einen Hund dabeigehabt und intensiv gelesen oder wäre sie mit dem Pflegen der Blumen und Büsche beschäftigt gewesen, wäre sie für mich stimmiger rübergekommen.

Mir war auch zuviel Innenleben dargestellt, aber beim Gedanken an die Zielgruppe passt das schon eher. Die Länge ist hart an der Grenze. Vielleicht könntest du den Part der Mütter, die ihn zurechtweisen, etwas kürzen?

Von diesen Punkten abgesehen eine sehr schön zu lesende Geschichte, besonders die Details (zB. Hände treffen sich im Tunnel) haben mir sehr gut gefallen und ich finde, es ist dir gut gelungen, dich in Kai hereinzuversetzen.
Sprachlich gibt es ja sowieso nix zu meckern :).

Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo bernadette,

vielen Dank für dein feedback :).
Natürlich hat es mich gefreut, dass du immerhin einige positive Aspekte an der Geschichte gefunden hast. Diese Kindergeschichte ist im Augenblick ein wenig eines meiner Sorgenkinder - sie liegt schon über ein Jahr lang bei mir auf Halde und ich bin immer hin- und hergerissen, wie ich sie kürzen, überarbeiten und verbessern könnte ...

Mir war auch zuviel Innenleben dargestellt, aber beim Gedanken an die Zielgruppe passt das schon eher.
Da bin ich mir nicht so sicher! :D
Kinder langweilen sich sehr viel schneller als Erwachsene beim Lesen. Erwachsene sagen vielleicht manchmal: "Okay, das ist jetzt ein wenig länglich, aber mal sehen, was dann noch kommt." und geben so dem Autoren / der Autorin vielleicht noch eine zweite Chance. Kinder da sind da deutlicher, klarer und härter in ihren Reaktionen - ist etwas langweilig, dann gehen sie lieber spielen. Das ist zumindest meine Erfahrung :)

Deine Überlegungen zu der alten Dame machen mich auf jeden Fall nachdenklich. Ich hatte eine, ein wenig einsame aber doch noch ganz rüstige, bewegliche Oma vor meinem inneren Auge - vielleicht kann ich das wirklich deutlicher machen, indem ich sie Zeitung lesen oder mit ihrem Hund spazierengehen lasse. Danke für den Tipp.

Kürzen werde ich wohl auf jeden Fall müssen - bei den meckernden Müttern und auch sonst - sowie ich etwas Luft habe, setze ich mich daran.

Sprachlich gibt es ja sowieso nix zu meckern.
*freu* Danke!

Lieben Gruß
al-dente

 

hallo al-dente,

hm, ich hätte nach dem ersten Lesen nicht ans Kürzen gedacht. Mir gefällt das lebendige Innenleben der beiden Jungen sehr! Jeder hat seine Ängste/Sorgen - und jeder ist in sich stimmig. Vor allem die Gedanken von Henning sind Dir gelungen - wie schnell sehen wir das äußere "Störenfried", "nimmt Spielsachen weg" .... - ohne zu wissen/uns zu intessieren, was ihn zu dem Verhalten treibet? Über die alte Dame: egal, wie realistisch das sein mag (und ich kann mir durchaus denken, dass es einige alte Damen mit derartiger Tatkraft gibt, wenn auch nicht wie Sand am Meer) - mir gefällt die Idee und ihre Charakterisierung. Ich hab mir das so richtig schön bildlich vorstellen können, wie sie da im Sna kniet und buddelt :) Ich habe somit hier keine Verbesserungsvorschläge. Sehr sauber. Sehr lebendig - zu einem wichtigen Thema. Für Kinder wie für Eltern.

schöne Grüße
Anne

 
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Hallo al-dente,

habe einen Versuch gemacht und deine Geschichte meinen Kindern vorgelesen. Folgende Reaktionen darauf:

Meine Tochter (4 1/2 Jahre) hat etwas zugehört, bis zur Begegnung mit den Müttern, dann hat sie mich gebeten aus "Die Kinder von Bullerbü" weiter vorzulesen. Sie ist demnach noch zu klein für deine Geschichte. (Dein Prot. ist 5 Jahre)
Mein Sohn (6 Jahre) hat länger durchgehalten, bis zu dem Punkt, als alle gemeinsam im Sand buddeln. Dann hat er sich nebenbei mit anderen Dingen beschäftigt. Hier hat sein Interesse nachgelassen.
Du schreibst:

Kinder langweilen sich sehr viel schneller. als Erwachsene beim Lesen
Genauso ist es und das beobachte ich bei meinen Kinder genau, ob sie zuhören. Ich glaube, das habe auch irgendwo schon einmal bei einer meiner Geschichten erwähnt. Auch wenn es uns so geschrieben gefällt, Zielgruppe sind aber die Kinder.
Wie ich bereits schon erwähnt habe, ist die Geschichte gut geschrieben, aber eben aus der Sicht des Erwachsenen oder des älteren Kindes.
Z. B. hat mein Sohn nicht ganz verstanden, wo der Turnschuh auf einmal her kommt. Für den Erwachsenen - total klar und gut formuliert, fast wie in einem Krimi - aber für das Vorschulalter? :( doch nicht so ganz nachvollziehbar. Kann sein, er hat bereits hier schon an Aufmerksamkeit verloren.
Vielleicht hilft dir mein Test ein wenig, bei deiner Entscheidung - kürzen, ja oder nein und wo ansetzten?

Schöne Grüße
Goldis

 

Hallo maus,

vielen Dank fürs Lesen und Antworten! :)

Mir gefällt das lebendige Innenleben der beiden Jungen sehr! Jeder hat seine Ängste/Sorgen - und jeder ist in sich stimmig.
Darüber habe ich mich gefreut, denn das war genau die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte - die Spielplatz-Streit-Situation aus der Sicht beider verschiedener Jungen gleichzeitig darzustellen.

Um endgültig zu entscheiden, ob und wo ich kürzen werde, werde ich mir wohl einfach mehr Testleser aus der Zielgruppe suchen müssen ...

Hallo Goldis,

wie nett von dir, meine Geschichte an deinen Kindern zu testen. Herzlichen Dank. Dass deine Tochter sich gelangweilt hat, hat mich nicht überrascht, meine Zielgruppe waren ursprünglich Vorschulkinder und Erstklässer.

Dein Prot. ist 5 Jahre
Eigentlich hatte ich gehofft, zwei gleichberechtigte Protagonisten zu haben - Kai und Henning, wobei Henning schon zur Schule geht und Kai bereits beinahe ein Schulkind ist, also fast schon sechs ...

Wenn sich aber auch dein Sohn mit sechs Jahren nicht durchgängig fesseln ließ, so ist das für mich zwar noch kein Beweis dafür, dass die Geschichte für Sechsjährige völlig ungeeignet ist, aber doch ein Hinweis darauf, genauer nachzuschauen, wie Erstklässer auf die Geschichte reagieren.
Also, wie ich ja auch maus gerade geschrieben habe: Ich muss mir mehr Testkinder aus der Zielgruppe besorgen :)

Vielen Dank dafür, dass du dich so intensiv mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast.

Liebe Grüße an euch beide
al-dente

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo al-dente,

Dein Prot. ist 5 Jahre.
Sorry - ich habe eigentlich nur den Altersvergleich mit Kai gemeint. Hätte besser schreiben sollen: einer deiner Prot... habe nicht daran gedacht, natürlich wirken beide hier gleichberechtigt, dass wollte ich nicht in Frage stellen.
Mir ist die Disskusion hier deshalb so wichtig, weil ich herausfinden möchte, welche Grundzüge eine Geschichte für das jeweilige Alter haben sollte. Leider ist der Kritikerkreis etwas zurückhaltend und ich hätte gern andere Meinungen gehört, auch bei meiner überarbeiteten Geschichte. Ich schreibe meine Geschichten so, dass sie meine Tochter auch versteht. Deshalb sind sie kurz und präzise. Ich beschränke mich vorerst auf das Wesentliche. Meine Kinder werden reifer und meine Geschichten auch. Ob das so richrig ist oder nicht, möchte ich hier herausfinden. Deshalb mein Interesse besonders hier.

Ich denke auch nicht, dass deine Kg für 6 jährige ungeeignet ist, schließlich hat mein Sohn den Handlungsablauf in den Grundzügen wiedergegeben, als ich später mit ihm darüber gesprochen habe (das tu ich immer, wenn ich eine neue Geschichte vorlese). Zu mehr hat er sich aber nicht hinreißen lassen, d.h. der Kai spielt, der andere will ihm die Autos wegnehmen und die Burg kaputt machen, die Mamas mit den Krabbelkindern schimpfen, aber die Oma spielt mit. Ich denke, der Rest war für ihn uninteressant, um das zu erwähnen und sich zu merken.
Vielleicht sollte die Ziehlgruppe hier doch etwas heraufgesetzt werden, was den Kai zumindest angeht.
Wäre schön, wenn hier sich ein kompetenter Lektor sich mal zu Wort melden würde. Dann wäre ich auch einen Schritt weiter.

Liebe Grüße
Goldis

 

Hallo al-dente,

als total kompetenter Lektor ;) melde ich mich auch zu Wort.

Ich glaube, dass Goldis Feststellung:

Ich schwanke ein bisschen: Ich denke, wenn du sie straffen würdest, wäre es eine gute Geschichte für Kinder im Alter von Kai. Für ältere Kinder ist sie zwar gut geschrieben, aber dann ist eine Sandkistengeschichte nicht unbedingt das Interessanteste.

mehr oder weniger den Kern trifft. Sechsjährige sind mit der Geschichte mE überfordert. Sie ist sehr lang, aber die Spannung steigt nicht kontinuierlich. Ergo, je länger die Geschichte dauert, desto eher sind die kleinen Zuhörer geneigt, gedanklich abzuschalten.

Möglich wäre auch, dass der Perspektivewechsel, an sich ein guter Kniff und sehr gut verwirklicht, so junge Kinder eher verunsichert und herausreißt. Da idendifizieren sie sich erst mit Kai, und dann sollen sie alles auch aus Hennings Sicht betrachten und beurteilen. Vielleichtschalten sie da ab.
Um das herauszuarbeiten, müsste Kais Urteil genügen. Man sollte durch seine Augen erkennen können, dass Henning doch ein ganz netter Kerl sein kann. Vielleicht droht die Sandburg bei der gemeinsamen Buddelei einzustürzen, und Henning reagiert rasch und erfolgreich und rettet die Burg.


Im Folgenden meine Vorschläge, wie ich die Geschichte straffen würde:


Er muss gut aufpassen, denn er darf auf keinen Fall auf die Spalten treten – dann fällt er nämlich in ein tiefes Loch und kommt nie auf dem Spielplatz an und das wäre total schade, schließlich freut er sich so darauf, in der Sandkiste zu spielen.
Zum Glück geht alles gut und Kai erreicht den Spielplatz, ohne auf eine Ritze zu treten.

Streichen - unwichtig für die Geschichte.


Am Spielplatzeingang bleibt Kai stehen. Er will zuerst einmal nachsehen, ob der gemeine Henning da ist. Und ob Anna und Christian, seine Freunde auf dem Spielplatz sind. Wenn Anna und Christian auch draußen spielen, dann hat Kai keine Angst vor Henning, zu dritt können sie sich gegen ihn wehren ... Aber allein hat Kai keine Chance. Henning ist zwei Jahre älter und viel größer und stärker. Vor ein paar Tagen tauchte er plötzlich auf, als Kai gerade schaukelte und bevor Kai wusste, was Henning wollte, hatte der ihn von der Schaukel geschubst. Natürlich ist Kai ganz schnell nach Hause zu Mama gelaufen. Aber als Mama mit ihm auf dem Spielplatz ankam, um einmal in Ruhe mit Henning zu reden, da war der schon verschwunden.
Heute ist Henning zum Glück nirgends zu sehen. Allerdings sind Anna und Christian auch nicht da, aber das ist nicht so schlimm, denn Kai weiß schon genau, was er in der Sandkiste bauen wird: eine riesige Burg. Das kann er sehr gut alleine, da braucht er keine Hilfe.

würde ich stark kürzen. Henning weglassen (dass er groß und stark ist, später erwähnen, wenn er Kais Sandburg bedroht): Kais Freunde sind leider nicht da, aber macht nichts, er will allein eine Sandburg bauen.


Henning schlendert kaugummikauend die Straße entlang und tritt wütend gegen eine leere Coladose, dass es nur so scheppert. Eigentlich wollte er zu Hause mit seinen Legosteinen spielen, aber als er die Kiste auskippte, da ist Papa von dem Lärm aufgewacht. Natürlich weiß Henning, dass er Papa unter gar keinen Umständen wecken darf. Papa arbeitet ja nachts. Er bewacht ein großes Kaufhaus und muss bei seiner Arbeit immer total munter und fit sein, deshalb schläft er tagsüber und Henning darf überhaupt keinen Krach machen, wenn er aus der Schule kommt. Heute hat er nur einen klitzekleinen Moment nicht daran gedacht, dass Papa im Nebenzimmer schläft und dass Legosteine beim Auskippen laut rasseln – und da war es schon zu spät. Papa stand in der Zimmertür und war sehr, sehr wütend. Henning muss nun draußen spielen, bis Mama vom Putzen nach Hause kommt. Und er darf auf keinen Fall klingeln, nicht mal, wenn es regnet. So ein verdammter, blöder Mist.
Jetzt ist Henning beim Spielplatz angekommen. Er will mal sehen, was da heute los ist. Die beiden Mütter, die sich in der Sonne unterhalten und auf ihre Babys aufpassen, sehen ihn sofort. Henning kann sich genau vorstellen, was sie zueinander sagen.
„Sieh’ mal, da kommt dieser Streithammel!“
„Dauernd nimmt er den Kleinen die Sandspielsachen weg.“
So was Blödes! Die Babys haben so viel Spielzeug, da kann Henning sich doch wohl mal was leihen. Er gibt es ja wieder zurück. Aber nein – er braucht bloß nach einer herumliegenden Schaufel, mit der absolut niemand spielt, zu greifen, da geht das Gemecker schon los:
„Wirst du das wohl liegen lassen!“ – „Das gehört dir nicht!“
Das hat keinen Zweck.
Aber da drüben, da sitzt die Heulsuse Kai in der Sandkiste. Der Kai hat immer so viele tolle Autos. Henning schaut sich um. Kai ist ganz allein. Anna und Christian sind nirgends zu sehen. Mal sehen, was Kai da baut.

Beleuchtet Henning zwar gut, würde ich aber stark kürzen. Es ist ein Rückblick, eine zweite Einführung nach der ersten mit Kai. ME zu lang für Sechsjährige.


Kai hat eine riesige Burg gebaut. Oben auf der Spitze hat sie vier Wachtürme und ringsherum führt eine glatte Serpentinenstraße bis hinauf.

Von hier ...

„Ich hab doch gar nichts gemacht!“, murmelt Henning, aber er zieht seinen Fuß zurück.

bis hier steigert sich alles gut, finde ich. In den nächsten beiden Abschnitten sackt die Spannung wieder ab. Das würde ich darum versuchen zu ändern. Evtl. sind die beiden Mütter schon am Gehen, weisen Henning zurecht, der zieht sich zurück, ist aber sofort wieder da - und grimmiger denn je, weil er gedemütigt wurde - sobald die Mütter außer Hörweite sind?

Als Kai aufschaut, blickt er direkt in Hennings grinsendes Gesicht.
„Na, Kleiner? Da staunst du, was?“, fragt Henning und schiebt seinen Fuß

Von hier ...

Kai ist die Burg jetzt schon beinahe egal. Hauptsache, er kriegt seine Autos zurück.

bis hier finde ich es wieder spannend, ja, die Spannung hat sich gesteigert gegenüber Hennings erstem Übergriff.

„Ja, ich glaube, das könnte klappen ...“
Die Stimme von Frau Hinrichs klingt ruhig und nachdenklich. Die alte Frau steht auf einmal hinter Kai und betrachtet die Burg.
Henning weicht vor Schreck einen Schritt zurück und Kai schnappt sich geistesgegenwärtig sein Feuerwehrauto.

Gut gelungene Überraschung.

Doch bis dann alle drei wirklich graben, vergeht mE zu viel Zeit. Auch, wenn du bei den verschiedenen Perspektiven bleibst, reicht es, dass jeder Junge sich einmal Gedanken macht und sich dann entschließt zu graben. In der jetzigen Form sackt die Spannung zu stark ab.


Henning arbeitet ruhig und konzentriert. Er ist ganz vorsichtig. Je tiefer er kommt, umso kühler wird der Sand.

Von hier ...


Henning wird es ganz heiß vor Freude.

... bis hier: Auch zu lang! Keine Steigerung mehr, sie graben und graben, und die Gedanken, die sie sich machen, sind für einen Sechsjährigen wohl nicht allzu fesselnd. Am besten ist noch der gruslige Tunnel, in den sich nur mutige Autofahrer trauen. Die Stelle merkiert auch was Neues: Henning entspannt sich, er fängt ein bisschen an, richtig zu spielen. Ich würde die Abschnitte stark kürzen und eine Steigerung einbauen, eben z.B.: Burg stürzt fast ein, Henning rettet sie geschickt.


Der nun folgende Teil mit den Autos ist wie ein Rückschritt. Nun haben sie gemeinsam was geschafft, aber es geht nicht kontinuierlich weiter, sondern Henning muss noch immer "gezähmt" werden. Ist nicht mehr nötig. Henning hat sich bewährt. Nun muss Kai sein schönes Auto aus dem Eimer ziehen und es Henning anbieten. Oder die Oma bittet um ein Auto, Henning zögert, und Kai bietet ihm eins an. Sie spielen, erfinden eine Handlung. Sie verabreden sich für Morgen. Haben gar nicht gemerkt, dass die Oma schon weg ist ... Ende.


Das ist natürlich jetzt nur meine Version, wie ich es kürzen und verändern würde, damit alles straffer und dichter wird. Vielleicht gefällt dir ja die eine oder andere Idee.

Viele Grüße
Pischa

 

Hallo Pischa,

ganz, ganz herzlichen Dank dafür, dass du dir so viele ausführliche Gedanken zum Kürzen meiner Geschichte gemacht hast! Alle deine Überlegungen sind sehr hilfreich und ich werde sie demnächst sicher berücksichtigen, wenn ich mich ans Kürzen setze. :)

Zur Zeit quäle ich mich ein wenig mit einer dicken Backe nach einer Zahn-OP - daher auch meine etwas verspätete Antwort auf deinen Kommentar. Tut mir Leid!

Liebe Grüße
al-dente

 

Hallo al-dente,

na ja, ich lasse es als Entschuldigung so gerade durchgehen. ;)

Eine dicke Backe in der Adventszeit - wie unpraktisch!

Da wünsche ich gute Besserung. :)

Viele Grüße
Pischa

 

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