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Hemingway und der ganz normale Wahnsinn

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22.11.2004
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Hemingway und der ganz normale Wahnsinn

Schon seit Tagen streune ich durch die Gegend. Leere. Hier ein freundliches Gesicht, dort ein schillerndes Lachen- doch wer bin ich? Sitze angestrengt vor den Tasten und weiß nichts. Lebenskrise? Höre tausend Ratschläge: „Schreibblockade- das geht schon von alleine wieder weg!“, „ Nicht immer so unter Druck setzen!“ , „Von der Geschichte hatte ich mehr erwartet!“. Ich möchte eine Mauer um mich herum aufbauen, nicht nur metaphorisch. Als Kind habe ich mir aus Decken immer eine Höhle gebaut. Stühle dienten als Eckpfeiler, Handtücher als Dach.
Die Zeit läuft in endloser Langsamkeit dahin. Die Ratschläge verstummen. Komme mir vor wie in diesem Film, indem der Protagonist jeden Morgen aufwacht und feststellt, dass sich ein bestimmter Tag ständig wiederholt.
Das Experiment soviel in die Glotze zu gucken, bis man nichts mehr denkt, also gleich einem meditativen Zustand, scheitert an der Fernbedienung. Sie ist kaputt und ich bin zu faul ständig zum Fernseher zu laufen. Also liege ich einfach nur so da. Auf dem Bett oder dem Sofa, auch der Fußboden fühlt sich gut an. Starre an die Decke und zeichne in Gedanken meine sensationellen und Weltverändernden Visionen an die Wand. Oft schlafe ich auch einfach ein.
Das Telefon klingelt schon wieder. Grässlich, wie penetrant sich das Geräusch durch die Ohren einen Weg zum Gehirn bahnt, um von dort dann Druck auf das Gewissen auszuüben. Einmal halte ich es nicht aus und hebe ab. „ Endlich erreicht man dich mal! Hast du meine Nachricht nicht gehört? Kommst du denn jetzt zu dem Geburtstag? Ja? Gut , bla, bla ,bla , also dann bis später!“ Ich lege auf und weiß nicht, welcher Geburtstag überhaupt gemeint ist. Egal, wiederholt sich ja ständig. Dass die Leute immer so viel Aufhebens darum machen müssen. Dabei sind diese Feiern meist eine Anhäufung von gierigen Alkoholikern und Balzsüchtigen Exoten. Das letzte Mal als ich auf einem Geburtstagsfest war, wollte mir eine Frau mittleren Alters mit künstlichen Fingernägeln ihre faschistoide Weltanschauung aufdrängen. Ich lehnte dankend ab und schritt schnellen Schrittes zu dem nett dekoriertem Tapetentisch, auf dem das Bier stand.
Die Tage vergehen und ich werde immer wahnsinniger. Das Telefon klingelt noch ein paar mal bevor ich einen Geistesblitz habe und den Stecker ziehe.
Doch irgendwann ist es soweit und die Visionen von der Wand wollen durch meine Finger raus auf den Monitor, um sich dort zu einem komprimierten Block voller Buchstaben zusammen zu finden. Ende. Alles ist wunderbar. Lese mir die Geschichte durch und finde sie- furchtbar. Zu gestelzt und fremd. Entfernen Taste. Super Erfindung. Nirgendwo kann man etwas so schnell rückgängig machen wie am Computer. Den Ausdruck, den ich übermütiger weise schon gemacht habe, zerknülle ich und schmeiße ihn theatralisch aus dem Fenster. Fühle mich wie der tragische Held, den seine Kräfte verlassen. Superman ist gegen die Wand geflogen.
Immer noch liege ich nur so rum und versuche mich zurecht zu finden in diesem Zustand voller Identitätsfindung, Krisenbewältigung und Schaffensphase, kurz gesagt, ich hänge in meiner eigenen Wohnung herum wie der letzte Penner und stinke zum Himmel. Als ich zufällig in einen Spiegel schaue, verliebe ich mich in das, was ich da sehe. Ich erkenne eine gewisse Ähnlichkeit mit Hemingway und stelle fest, dass Verwahrlosung Menschen charismatischer aussehen lässt. Zumindest in meinem Fall.
Als ich das Telefon wieder anschließen will, um Nr.64 mit Pommes anstatt Kroketten zu bestellen, klingelt es genau in dem Moment. Schicksal. „ Hallo“ raunze ich. Am anderen Ende schon wieder die Tussi, die mich zu dieser Geburtstagsfeier schleifen wollte. Denkt wohl aus einem egoistischem Künstler- Arschloch wie mir einen feinfühligen Schriftsteller zu machen. Dabei waren wir nur einmal im Bett. „Sag` mal warum warst du nicht auf der Party? Es war so gei-iel. Habe da auch so einen wahnsinnig netten Typen getroffen- den Hendrik. Seines Zeichens übrigens auch Schriftsteller. Der hat erst die Tage ne´ geniale Geschichte veröffentlicht: „Der Höhlenmensch“. Schon von gehört? Hat sich verbreitet wie ein Lauffeuer. Wird als die Neuendeckung der Gegenwartsliteratur gefeiert. Jeder Verlag nimmt ihn nun mit Kussmund. Der wohnt sogar zufälligerweise in deiner Nachbarschaft. Hallo, hallo? Wieso sagst du nix mehr? Na ja, wollte dir eh nur sagen, dass das mit uns beiden nix wird. Weißt du der Hendrik...“ Ich schmettere den Hörer auf die Gabel. Das Blut rauscht in meinen Kopf. Das kann einfach nicht wahr sein. Dieses Schwein hat meine Geschichte veröffentlicht!Wie konnte ich nur so dumm sein, mein Meisterwerk aus dem Fenster zu schmeißen! Plagiat! Ich laufe zum Computer. Die Entfernen-Taste springt mir ins Gesicht und lacht mich aus.

Es hat schon eine Weile gebraucht, bis ich die ganzen Handtücher so drapiert habe, dass es nicht immer sofort einstürzt. Es ist fast so kuschelig wie damals, nur stabiler. Das Telefon klingelt seit Monaten nicht mehr, hab es fürsorglich mit einem Hammer zerschlagen- man weiß ja nie. Und so gehe ich wieder dem nach, was ich am besten kann: liegen und schlafen Denn mein wahres Leben liegt verborgen in meinen Visionen, die nur darauf warten, aus dieser Höhle befreit zu werden.

Ende.

 

Hello martinez,

trotz einiger Überzeichnungen will mir diese Geschichte doch eher seltsam als satirisch scheinen.

Zwei Sätze haben mir besonders gefallen:
'...eine Frau mittleren Alters mit künstlichen Fingernägeln ihre faschistoide Weltanschauung aufdrängen' und
'Ich erkenne eine gewisse Ähnlichkeit mit Hemingway und stelle fest, dass Verwahrlosung Menschen charismatischer aussehen lässt.'

Viele Grüße vom gox

 

Leider - muss ich sagen habe ich in deinem Text nix sonderlich Interessantes entdeckt - also ein So-la-la-Text, deshalb auch nicht 'schlecht'.


Allerdings ist ein schöner Satz drin:

Die Tage vergehen und ich werde immer wahnsinniger.

Ja, das nenn ich einen guten Satz!

 

Hallo Martinez100,

nette Geschichte. Den Wahnsinn kennen wir doch alle.

Ein kleiner Logikfehler ist mir allerdings aufgefallen:

"Als ich das Telefon wieder anschließen will, um Nr.64 mit Pommes anstatt Kroketten zu bestellen, klingelt es genau in dem Moment."

Wie kann das Telefon klingeln, bevor du es angeschlossen hast?


Außerdem würde ich die Idee, den Apparat zuvor vom Netz zu trennen, nicht als "Geistesblitz" bezeichnen. Dafür ist diese Idee etwas zu profan und alltäglich. Den Begriff Geistesblitz würde ich mir für wirklich schöpferische Akte aufsparen. Oder habe ich hier Ironie übersehen?

Gruß,
Karendric

 

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