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Helpdesk
Kurz vor Feierabend ziehe ich die Datei rüber und lehne mich auf meinem Stuhl so weit zurück, wie die Yuccapalme es zulässt. Xenia arbeitet nicht mehr hier - sie hat das pieksige Ungetüm damals mitgebracht. Als der Balken zehn Prozent erreicht, poppt ein Fenster auf: 'Zugriff verweigert'.
"Rocket Helpdesk. Du sprichst mit Vytautas. Deine Benutzer-ID bitte."
"Hi, ich bin Will Matthes und ..."
"Die Benutzer-ID."
"Wilma. Ich komme nicht auf 'Fluid AX'."
"Den Ordner gibt es nicht."
"Da muss meine Datei rein. Und zwar jetzt."
"Ich verbinde dich weiter."
Balkanfolklore attackiert mein Ohr.
"Rocket Helpdesk. Hallo Will, du sprichst mit Ieva. Wie kann ich dir helfen?"
"W... Wilma."
"Nein, nicht Wilma", lacht sie. "Ich heiße Ieva. Was gibt es?"
"Ich kann meine Datei nicht in 'Fluid AX' hochladen."
"Moment, ich seh mal nach."
Tastaturgeklapper.
Der osteuropäische Akzent in ihrem Englisch ist nicht zu überhören. Wie alt sie sein mag - zwanzig? Dann würde sie wohl kaum im zweiten Level arbeiten. Ich versuche, sie mir vorzustellen, die Unsichtbare mit der Stimme einer Elfe. Ob sie rote Haare hat? Sommersprossen? Jetzt muss ich wieder an Xenia denken.
"Bitte bleib dran, Will. Bin gleich wieder bei dir."
Es wird still in der Leitung und ich bin Ieva dankbar, dass sie mir die Balkanmusik erspart. Vor ein paar Monaten haben sie den IT-Support ausgelagert. Wenn die technische Dokumentation drankommt, bin ich verratzt.
"Will? Bitte versuch es noch einmal."
"Mach ich. Wo sitzt du eigentlich?"
"In einem kleinen Büro in Vilnius. Das liegt in Litauen. Und du?"
"In einem Großraumbüro in Frankfurt. Das liegt in Deutschland."
"Aber hallo, ich weiß doch, wo Frankfurt liegt!"
"Mir ist auch bekannt, wie die Hauptstadt von Litauen heißt", sage ich leicht pikiert.
Der Balken erreicht hundert Prozent und ein grüner Haken blinkt auf.
"Du bist kein Deutscher, oder?"
"Doch doch, aber meine Mutter ist Engländerin. Aus London."
In den vier Jahren, in denen Xenia mit mir zusammen war, hat sie fantastisch Englisch gelernt. Ich vermisse sie nicht die Bohne.
"Oh, cool!", sagt Ieva. "Da würde ich gerne mal hin. Sag mal, da gibt es dieses Riesenrad, das London Eye. Bist du das mal gefahren?"
"Ja sicher", lüge ich. "Super Aussicht auf die ganze Stadt, die Themse und so."
Sie seufzt sehnsüchtig.
"Wie heißt du weiter. Ieva ...?"
"Simonauskaite. Ist deine Datei drin?"
"Warte. Jetzt. Ja. Vielen Dank, Ieva Simonauskaite."
"Gern geschehen ... Wilma." Ich höre sie noch einmal lachen, dann macht es Klick.
Als ich am nächsten Morgen mit dem Kaffeebecher an meinem Platz ankomme, erwartet mich Udo mit gramvoller Miene. "Wir brauchen das aktualisierte Fluid AX."
Ich starte mein Notebook und steche mich an der Yuccapalme. "Hab ich gestern Abend in Rocket hochgeladen."
"Ist aber nicht da. Der Arndt ist auf hundertachtzig. Mach hin." Udo dreht sich um und geht.
"Rocket Helpdesk. Du sprichst mit Zygimantas. Deine Benutzer-ID bitte."
"Wilma. Es geht um den Ordner 'Fluid AX'."
"Oh Gott. Moment."
Die Balkanmusikanten spielen auf.
"Rocket Helpdesk. Du sprichst mit Ruta. Wie kann ich helfen?"
"Hi, ist ... Ieva auch da?"
Am anderen Ende tuscheln Frauen.
"Will?"
Mein Herz macht einen Satz. "Ieva, guten Morgen! Wie geht es dir?"
"So funktioniert das nicht", sagt sie streng.
"Fluid AX ist wieder weg. Weißt du, wo das ist? Wir zwei haben das doch gestern Abend hochgeladen."
"Dein Ticket ist bei Ruta."
"Bitte. Es ist dringend. Ich erzähl dir von London. Alles, was du willst."
"Moment." Sie murmelt etwas vor sich hin und ihre Tastatur klackert. "Du müsstest jetzt den Ordner auf deinem Monitor sehen. Zieh die Datei noch mal rein bitte."
Ich rutsche mit der Maus auf 'Fluid GX' ab und in meinem Kopf fängt alles an, sich zu drehen. "Sorry, ich ... bin aus Versehen auf dem falschen Ordner gelandet."
"Kein Problem. Wenn deine Datei hochgeladen ist, verschiebe ich sie für dich nach AX."
"Danke."
Der Balken hängt bei zwei Prozent.
"Was willst du über London wissen?"
"Wo man da günstig wohnen kann."
Ich verschlucke mich beinahe vor Lachen. "Nächste Frage bitte."
"Du, ich geb dich zurück an Ruta."
"Nein, warte! Du könntest ... bei meiner Tante Lydia wohnen. Die ist wirklich nett. Das liegt ein bisschen außerhalb, aber mit der Bahn bist du ruckzuck in der City. Magst du Katzen?"
"Wir haben daheim zwei rotgetigerte."
"Lydia hat ein paar mehr. Ich glaube, es sind an die zehn. Ich frag sie, ob du bei ihr wohnen kannst. Wann wäre das?"
"Ich weiß nicht", sagt sie. "Was ist da drin in deiner Datei?"
"Die technische Beschreibung einer Pumpe."
"Und ist das deine Arbeit?"
"Nur die Texte. Die Zeichnungen macht mein Kollege."
"Klingt spannend."
"Verarsch mich nicht."
"Schreibst du auch was anderes?"
"Logisch, ich schreib Gedichte - wozu bin ich Ingenieur? Du, der Balken ist erst bei acht Prozent."
"Dann mail mir die Datei. Ich kopiere dir meine Adresse ins Chatfenster."
Ich verfasse für Ieva eine E-Mail mit Anrede, besten Grüßen und Anhang.
"Deine Datei ist in 'Fluid AX'. Du müsstest sie jetzt sehen", sagt sie.
Ich aktualisiere das Fenster und die Datei erscheint. "Danke, Ieva."
"Schönen Tag noch, Will."
"Na also. Geht doch", sagt Udo hinter mir und lässt seine Pranke auf meine Schulter fallen.
Nach meiner abendlichen Laufrunde rufe ich Tante Lydia an. Sie ist ein bisschen schwerhörig geworden und erzählt mir, dass Cousine Gwen vor einem halben Jahr zu ihrem Yankee nach Boston gezogen ist. Als ich Lydia frage, ob sie eine junge Touristin aus Litauen bei sich einquartieren könne, ist sie Feuer und Flamme. Anschließend esse ich den Rest Thunfischpizza vom Vortag und gehe auf dem Notebook meine selbstverfassten Gedichte durch. Ich entscheide mich für eines, in dem es um Katzen geht: 'Cats and Bellflowers'. Das Englisch ist nicht schwer, Ieva wird es verstehen.
Ich maile ihr:
meine Tante Lydia erwartet dich! Wenn du das Datum weißt, melde dich einfach.
Anbei zur Einstimmung ein Katzengedicht.
(Keine Sorge, es enthält keine technischen Beschreibungen von Pumpen.)
Viele Grüße, Will
P.S. Tante Lydia lässt fragen, wie alt du bist, welche Haarfarbe du hast und was du gerne zum Frühstück isst.
Eine Stunde später erhalte ich Antwort:
das ist sehr freundlich von deiner Tante Lydia!
Danke dir für das schöne Gedicht. Du bist ein Künstler.
Ich bin dreiundzwanzig, hellblond und frühstücke gerne fleischlos.
Viele Grüße, Ieva
P.S. Meine Katzen haben die gleichen Fragen an dich.
Glück gehabt - die Miezen hätten auch anfragen können, wie viele Haare ich noch auf dem Kopf habe. Es ist aber nicht wichtig. Xenia haben andere Dinge an mir gestört. Sie ist jetzt Bereichsleiterin und mit einem Finanzvorstand liiert.
Im Internet lese ich einen Artikel über litauische Nachnamen, finde heraus, dass eine Simonauskaite unverheiratet ist - andernfalls hieße sie Simonauskiene. Aber was sagt das schon?
Ich ertappe mich dabei, wie ich einen Billigflug Vilnius - Frankfurt - London für das erste Maiwochenende heraussuche. Schließlich schreibe ich zurück:
Du kannst deinen Katzen folgendes ausrichten:
Will ist neunundzwanzig, hat braune Haare und frühstückt am liebsten Rührei mit Tomate.
Viele Grüße, Will
P.S. Wie sieht es am ersten Maiwochenende aus? Ich spendiere die Flugtickets.
Ich klicke auf Senden und mir wird schwummerig bei der absurden Vorstellung, die hellblonde Elfe könne ja sagen und wir würden zusammen in London Riesenrad fahren. Viel wahrscheinlicher ist, dass alle meine Tickets in Zukunft bei Ruta landen werden.
Zwei Tage später kommt Ievas Antwort:
das Katzenorakel sagt Ja. Meine Schwester sagt, ich sei verrückt.
Ieva
Ohne zu zögern maile ich ihr die Reiseunterlagen und bestätige offiziell, dass das Katzenorakel Recht hat.
Am Treffpunkt in Heathrow herrscht Gedränge. Heute morgen habe ich mich sorgfältig rasiert und wie angekündigt trage ich meinen beigen Lieblingspulli. Vor der Bordmahlzeit war er noch sauber.
Eine hochgewachsene Frau mit Riesentrolley steuert auf mich zu. Das ist sie nicht, denke ich, zu viel Gepäck für drei Tage.
Sie bleibt vor mir stehen, lässt ihren Blick an mir hoch- und runterwandern. "Will, richtig?"
"Dann bist du Ieva? Hallo, freut mich", sage ich und wir schütteln Hände.
Sie hat einen fransigen Haarschnitt und sieht schmal aus, fast zerbrechlich.
Ich deute mit dem Kopf zur Pizzeria. "Was essen und dann zu Tante Lydia?"
Sie schürzt die Lippen und nickt langsam.
Nachdem Ieva die Gurkenstücke an den Rand des Salattellers sortiert hat, sieht sie mir in die Augen. "Warum triffst du dich mit Frauen aus Schwellenländern? Was ist dein Problem?"
Ich schiebe ihr ein Stück Pizza hin. "Hier, iss was Richtiges. Der Thunfisch ist lecker. Probier mal."
"Hast du eine Frau?"
"Nö. Xenia ist abgehauen. Und bei dir?"
"Ist kompliziert." Sie beißt in die Pizza und sagt kauend: "Vytautas fährt gern mehrgleisig. Wenn du verstehst, was ich meine."
"Dann vergiss ihn. Mehrgleisig ist scheiße. Der Vytautas aus dem ersten Level?"
"Genau der."
"Wer kümmert sich jetzt in Vilnius um deine Katzen?"
Sie sieht mich verständnislos an. "Meine Eltern sind doch zu Hause."
Als wir am Bahnsteig warten, betrachte ich Ievas lange Fingernägel, die in raffinierten Blautönen lackiert sind. Damit keines der Kunstwerke abbricht, hieve ich den schweren Koffer für sie in den Waggon. Wir nehmen unsere Plätze ein und sie beginnt, in ihrem Londonreiseführer zu blättern.
"Was möchtest du dir anschauen?", frage ich. "Trafalgar Square, Madame Tussauds?"
"Bitte fühl dich nicht dazu verpflichtet, den Reiseleiter zu spielen. Jeder unternimmt am besten das, wozu er Lust hat."
Ich hole mein Smartphone aus dem Rucksack und checke meine E-Mails.
Tante Lydia ist älter geworden, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Als wir ihre Küche betreten, nimmt mir der Katzengeruch fast den Atem. Sie serviert Tee und gebutterte Scones. Ieva holt Schraubgläser mit Beerengelee und getrockneten Pilzen aus ihrem Koffer und stellt sie zu mehreren Reihen ins Regal, während ich meiner Tante Pralinen aus dem Duty-Free-Shop überreiche. Nach dem Tee beginnt Ieva, die Küche zu putzen und das Geschirr abzuspülen. Früher hätte Tante Lydia das niemals zugelassen, aber da sah es hier auch tipptopp aus. Nun sitzt sie in sich zusammengesunken auf dem Stuhl und ich frage mich, ob es eine gute Idee von Gwen war, ihre Mutter alleine zu lassen. Ieva reicht mir ein Tuch und ich beginne, das Geschirr abzutrocknen.
"Wie geht es Xenia?", wendet sich Tante Lydia mir zu. "Warum ist sie nicht mitgekommen?"
"Wir haben uns getrennt. Schon letztes Jahr."
"Du, Will, fahren wir nachher noch mal in die City?", fragt Ieva.
Ich nicke stumm.
Regen prasselt gegen die Fenster, als ich im Abstellraum hinter der Küche mein Bett beziehe. Ich versuche es bei Gwen, aber sie geht nicht ran. Tante Lydia steigt mit Ieva die Treppe hoch, zeigt ihr den Schlafplatz in Gwens Zimmer. Ich höre die beiden reden und lachen.
Wir betreten die Kabine des London Eye zusammen mit einem Schweizer Pärchen, das schamlos züngelt und sich befingert. Möwen segeln durch den hellgrauen Schleier, der über der Themse liegt und das Parlamentsgebäude mit Big Ben umhüllt. Ievas Wangen sind gerötet. Sie wickelt sich in ihren schwarzen Wollmantel mit dem eisblauen Tuch ein und schaut hinunter.
Ich trete neben sie. "Gefällt es dir? Hast du es dir so vorgestellt?"
"Bisschen diesig heute."
"Also, bist du enttäuscht?"
"Nein nein. Es ist nur ... Mir geht gerade vieles im Kopf rum."
"Manchmal bekommen wir auf Reisen eine neue Sicht auf die Dinge", sage ich.
"Ich vermisse meine Freundinnen, weißt du."
"Sonntag Abend bist du doch wieder daheim."
Ieva schüttelt den Kopf. "Die sind schon weg, gehen alle weg - ins Ausland."
Die Sonne durchbricht den Dunst, taucht die Glaskabine und die Spielzeughäuser da unten in märchenhaftes Licht.
Unten am Ausgang bleibt sie an einem Postkartenstand stehen.
"Welche gefällt dir?", will ich wissen.
Sie zuckt die Schultern.
"Dann kaufe ich dir diese hier." Ich ziehe wahllos eine Karte heraus - sie zeigt die königliche Familie vor kitschrosa Sonnenuntergang - und gehe damit über die Wiese Richtung Kasse.
"Warte!" Ievas Augen funkeln. "Das ist doch nicht dein Ernst? Die sieht scheiße aus!"
"Dann sieh aber mal genau hin: Die sehen alle scheiße aus."
"Nee, die hier nicht." Sie zeigt auf eine Big-Ben-Karte.
Ich kaufe Briefmarken und Big-Ben-Karten für Ieva und einen London-Eye-Schlüsselanhänger für mich. Sie setzt sich auf eine grafittibesprühte Bank, um Ansichtskarten zu schreiben.
"Was hast du denen daheim gesagt, mit wem du nach London fliegst?", will ich wissen.
"Na, die Wahrheit - mit Wilma."
Ich hole zwei Wasserflaschen aus dem Rucksack und reiche ihr eine. "Das war nicht nett, was du am Flughafen zu mir gesagt hast. Dass ich Frauen aus Schwellenländern treffe und ob ich ein Problem hätte. Da bin ich mir vorgekommen wie ..."
"Wie ein Perversling?"
"So in etwa. Du kannst mir glauben, ich hab noch nie ..."
Ieva legt den Finger auf ihre Lippen. "Jemand, der 'Cats and Bellflowers' geschrieben hat, der ..."
Ein Schwarm Tauben fliegt auf und sie lässt den Satz unbeendet.
"Das war das erste Mal, dass ich jemandem eines meiner Gedichte gezeigt habe."
"Ich würde gerne mehr davon lesen. Falls du es mir zutraust - das Englisch, meine ich."
Ich hole mein Smartphone aus dem Rucksack, öffne 'Sea Shells' und reiche es ihr. Es ist mein jüngstes Gedicht und eigenwillig, aber ich trage es tief in meinem Herzen. Während sie es liest, umspielt ein Lächeln ihre Lippen, betrachte ich die blonden Fransen, die ihr schmales Gesicht umtanzen und es einrahmen.
"Ist nicht schwer zu verstehen, oder?"
Sie zeigt mit dem Finger auf komplizierte Wörter und ich erkläre ihr mit Händen und Füßen, was sie bedeuten. Bis sie schließlich auf 'and' deutet und mir die Zunge rausstreckt.
In der Nacht träume ich, dass die gesamte Fluid-Spezifikation aus Rocket verschwunden ist.
Udo beugt sich von hinten über meine Schulter und flüstert: "Geht ab wie eine Rakete, oder?"
Eher wie ein Zäpfchen, denke ich, während ich mich an der Yuccapalme piekse und wie in Trance die Nummer vom Helpdesk wähle, die ich inzwischen auswendig kann. Vytautas erklärt mir, dass die Dateien 'Fluid AX' bis 'Fluid TX' mit einem Virus infiziert sind, stundenlang muss ich Balkangesänge ertragen und nie mehr werde ich in das zweite Level vorgelassen. Meine zauberhafte Ieva ... Ich sehe ihr Gesicht vor mir, höre ihre Stimme ...
"Will, wach auf!"
Als ich die Augen öffne, kniet sie neben meinem Bett. Oh Gott, habe ich im Schlaf nach ihr gerufen? Dann sehe ich ihr ernstes Gesicht.
"Will, deiner Tante geht es nicht gut. Ich glaub, es ist besser, wenn du kommst."
"Könnte ein leichter Schlaganfall sein", sagt der Notarzt, ein junger Pakistani mit riesigen Augen. "Die sollen sie in der Klinik durchchecken."
Ieva packt eine Tasche mit Morgenmantel und Waschzeug, während ich Tante Lydia frage, welche Medikamente sie regelmäßig einnimmt.
"Das ist so typisch: Bei den Tabletten von alten Leuten passieren ständig Fehler", sagt der Sanitäter mit Cockney-Akzent zu mir. "Die Polacken kriegen das nicht auf die Reihe."
"Ich glaube, da liegt ein Irrtum vor. Meine Frau ist Computerspezialistin", sage ich und während ich den Arm um Ieva lege, spüre ich Wärme in meinem Gesicht aufsteigen.
In der Klinik wollen sie Tante Lydia bis Dienstag beobachten. Auf dem Nachhauseweg halten Ieva und ich am Supermarkt, um Lebensmittel und Katzenstreu zu kaufen. Ich erreiche endlich Gwen und sie verspricht, mit dem nächsten Flieger nach London zu kommen.
Als ich mit dem Reinigen der Katzentoilette fertig bin und mir die Hände wasche, duftet es aus der Küche nach Zimt. Ieva steht mit geröteten Wangen am Herd.
Ich trete von hinten an sie heran und umfasse ihre Schultern. "Sind das Polacken-Pfannkuchen?"
"Blynai."
Ich wiederhole es und sie korrigiert mich ein paarmal, bis sie mit meiner Aussprache zufrieden ist.
"Erzähl mir von Xenia", sagt sie, als wir uns zum Essen an den Küchentisch setzen.
"Oh bitte, können wir von etwas anderem reden?"
"Willst du wissen, was deine Tante Lydia gestern über sie gesagt hat?"
"Nein", sage ich. "Doch."
"Dass sie froh ist, dass es aus ist zwischen euch. Dass Xenia nicht gut für dich war."
"Ist das so", bringe ich mühsam hervor und als ich unsere Wassergläser fülle, zittert meine Hand.
Die Katzen streichen miauend um unsere Beine, bis Ieva sie mit Futter ins Nebenzimmer lockt und die Zwischentür schließt. Eine Weile essen wir schweigend und während sie mir den zweiten Pfannkuchen auftut, gelingt es mir für einen kurzen Augenblick, in ihren Ausschnitt zu schauen.
"Meine Frau ist Computerspezialistin", sagt sie leise.
"Tut mir leid. Das ist mir so rausgerutscht. Ich wollte nur nicht ..."
Als sie über meine Hand streichelt, wird mir abwechselnd heiß und kalt.
"Hey Wilma, das muss dir nicht leidtun. Ich weiß, wie du das gemeint hast, und ich wünschte ..."
Ievas Augen sind marineblau und ihr Blick trifft mich mitten ins Herz, während ich mich wie in Zeitlupe über den Tisch beuge und ihre Lippen auf meinen spüre.
Wir sitzen am Gate elf, Ieva simst mit ihrer Freundin und der Knirps auf dem Plastiksitz gegenüber baumelt mit den Beinen. Wenn ich nicht gleich etwas sage, verliere ich noch die Nerven.
"Wie funktioniert das eigentlich, dein Katzenorakel? Wird es dir weitere Reisen mit Wilma empfehlen?"
Ieva steckt ihr Handy in die Tasche und kuschelt sich seufzend in meinen Arm. "Und ich dachte schon, du würdest überhaupt nicht mehr fragen ..."