Helle Gedanken an dunklen Tagen
Patricia lief den Strand entlang. Sie brauchte nur noch wenige Minuten bis nach Hause. Ihre Schuhe lagen noch immer im Auto, das an der Promenade nun mit offenem Kofferraum da stand. Wie jeden Morgen wollte sie sich auch an diesem auf zum Joggen machen. Doch dieser Morgen fing schon so chaotisch an. Als der Wecker klingelte und sie sich zum Aufstehen umdrehte, knallten drei Vögel gegen das Schlafzimmerfenster. Im selben Moment schrak Sebastian, ihr Ehemann, aus dem Schlaf hoch. Er drehte sich zu Patricia:
„Schatz, was war das?“ fragte er völlig schlaftrunken.
Patricia lag wie erstarrt, sah zum Fenster und sagte:
„Keine Ahnung, da sind Vögel gegen das Fenster geflogen.“
Beim Aufstehen blieb sie mit dem rechten Fuß in der Decke hängen und auf dem Weg ins Bad ist sie fast über den Wäschekorb gefallen, der da so vor der Tür im Weg stand. Hinzu kam, dass der Wind wie verrückt gegen die Fenster knallte. Immer und immer wieder. Es war noch sehr dunkel draußen, dafür, dass es schon 7:30 Uhr war. Es war Sommer und der Wind, die dunklen Wolken da draußen waren ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Patricia fühlte schon seit einigen Tagen so eine merkwürdige Unruhe in ihrem Inneren, als würde etwas Schlimmes passieren in nächster Zeit. Sie träumte die letzten Nächte auch schlecht, besser gesagt, sie fühlte sich in letzter Zeit morgens immer so ausgelaugt. Schlechte Träume waren es eigentlich gar nicht. Die Träume wirkten so real, so, als würde sie ihren Traum erleben wie ihr echtes Leben. Im Grunde tat sie jede Nacht dasselbe. Sie ging ins Planetarium im großen Erlebnispark außerhalb der Stadt und traf dort jede Nacht dieses Mädchen. Sie hieß Josephine und war ungefähr zehn Jahre älter als Patricia, also 31 Jahre, sah aber vom äußeren Erscheinungsbild so aus wie ein blutjunges Mädel von 16 Jahren. Sie war sehr klein, so 1,54 cm groß und hatte langes, blondes Haar, welches fast bis zum Boden ging. Sie trug ihr Haar immer in einem viersträhnigen Zopf, der links an ihrem Oberkörper herabhing. So konnte sie ihre Haarpracht irgendwie bändigen. Die beiden Frauen trafen sich seit nunmehr zwei Monaten regelmäßig im Planetarium, saßen dort in den gemütlichen Sesseln, tranken ihren Kaffee, schauten in die Sterne und redeten. Sie redeten und redeten fast ohne Pause. Josephine erzählte Patricia viel aus ihrem eigenen Leben, und wie sie sich kennen gelernt hatten, und wer Patricia ist in ihrem Leben und auch davon: Patricias Aufgabe.
Der Morgen war komisch, Patricia fühlte sich erschöpft und müde. Aber egal, ihr tägliches Laufprogramm musste sein, um den Kopf frei zu machen und Kraft zu tanken für die Aufgaben im Job. Patricia arbeitete als Journalistin bei einem großen Nachrichtenmagazin und war gerade zur Ressortleiterin des Wissenschaftsressorts aufgestiegen.
Im Bad angekommen, putzte Patricia sich die Zähne. Sie ging mit der Zahnbürste im Mund noch mal zurück ins Schlafzimmer und schaute zu Sebastian, der wieder eingeschlafen war. So friedlich lag er da an diesem komischen Morgen. Sie ging wieder zurück ins Bad und versuchte, sich an den letzten Traum zu erinnern und an das, was Josephine ihr die letzte Nacht sagte. Sonst machte sie sich nicht so viele Gedanken über das, was sie redeten. Aber dieses Mal war es anders. Dieses Unbehagen war noch immer da. Sie vergaß ihre nächtlichen Träume eigentlich immer wieder ganz schnell, nur Bruchteile blieben übrig. Auch dieses Mal versuchte sie wieder, sich zu erinnern. Doch leider kamen ihr keine Erinnerungen. Aber dieses Mal war es doch so wichtig, glaubte Patricia zumindest. Und plötzlich, als sie die Zahnbürste gerade unter dem Wasserhahn abspülte, stieß ihr so ein drängendes Gefühl hoch in den Brustkorb, es war schon fast panisch, als wenn sie einen wichtigen Termin oder gar eine Prüfung völlig vergessen hätte und nun irgendwas auf die Schnelle vorbereiten müsse. Was war los? Patricia kam nicht drauf, egal, wie sehr sie sich anstrengte, ihre Gedanken zu sortieren. In ihrem Kopf herrschte Chaos. Sie sah nur, wie sie mit Josephine im Planetarium saß und mit ihr angeregt redete. Doch der Inhalt des Gesprächs blieb ihr völlig verschlossen. Sie stütze ihre Arme am Waschbecken ab und schaute tief in Spiegel. Ihre Augen funkelten erst grün, dann wieder silber-weiß. Das Licht. Was sonst? Bevor sie jetzt völlig den Verstand verlieren würde, entschloss sie, erst mal Joggen zu gehen. Dieses Gefühl würde sich schon wieder legen, dachte sie.
Nachdem sie im Bad ihre Morgenwäsche beendet und ihre braunen, leicht gewellten und schulterlangen Haare hochgesteckt hatte, ging sie zurück ins Schlafzimmer und erstarrte vor Schreck. Sie trat einen Schritt zurück und stand wieder in der Badtür, von dort aus schaute sie auf das Bild, welches sich ihr bot. Was war hier passiert? Wie konnte das angehen, was sie da sah? Wo kommen die ganzen Zehn-Euro-Scheine her? Sie blickte auf Sebastian, der immer noch friedlich schlief, und sah sich weiter im Schlafzimmer um. Das Bett war überseht mit Zehn-Euro-Scheinen. Wie viele mögen es gewesen sein? Mindestens 500 Stück, schätze Patricia. Sie ging wie ferngesteuert auf das Bett zu und sammelte alle Scheine ein, bevor Sebastian aufwachte und Fragen stellen würde.
Wie sollte sie das nun wieder erklären, wenn er es mitbekommen würde? Sie kann ja schon ihre Gefühle und Träume nicht mit ihm teilen, die sie seit einigen Monaten hatte. Intuitiv hatte sie beschlossen, dass sie Sebastian erst einmal nichts erzählen würde, egal, was noch so an komischen Dingen passieren mag.
Sie sammelte die letzten Scheine ein. Selbst unter Sebastians Kopfkissen lagen welche. Wie mögen die da hingekommen sein? Patricia schien im Grunde gar nicht mehr so verwundert. Gerade erst letzte Woche war das ganze Treppenhaus mit Sand vom Strand übersäht und sie wusste auch nicht, wie das geschehen konnte. Sie fegte den Sand zusammen, sammelte diesen und füllte damit die Sandkiste von der Nachbarin. Die freute sich voll, weil sie gerade für ihren kleinen Sohn eine Sandkiste gekauft, aber noch keinen Sand hatte. Nachdem sie alle Scheine zusammen hatte, zählte Patricia die Scheine nach, es waren tatsächlich 500 Stück. Sie versuchte die Fragen, die ihr in den Kopf schossen, zu verdrängen und verstaute die Scheine in einem Umschlag, legte diesen Umschlag in Sebastians Nachttischschublade und dort unter sein Notizbuch. Sie glaubte, da sei dieser gut aufgehoben. Eigentlich sollte jeder normale Mensch bei diesen Vorfällen doch Angst bekommen. Aber Patricia hatte keine Angst. Sie konnte zwar nicht beschreiben, was sie fühlte, aber sie wusste, dass alles richtig war, wie es war. Es fühlte sich vertraut an und auch so, als wüsste sie, was sie da tat, obwohl sie es eigentlich nicht wusste. Aber sie tat alles so, wie sie es tat.
Nun stand sie am Bett neben Sebastian und schaute ihm wieder beim Schlafen zu. Zu süß der liebe Kerl, wie er da lag und friedlich vor sich hin schlief während in Patricias Leben gerade die kuriosesten Dinge passierten. Sie schaute ihn an, streichelte seine Haare wunderschönen gewellten Haare und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, legte dann noch die Decke um ihn herum, damit er nicht frieren musste. Echt komisch, gestern noch 30 Grad im Schatten, heute ist das Wetter wie im Herbst. Peitschender Wind pustete gegen die Fenster und die Temperatur sank auf 15 Grad runter.
Egal, Patricia nahm sich T-Shirt und Jogginghose aus dem Schrank, zog sich an, ging runter in die Küche, trank noch einen Schluck Wasser und machte ihre Dehnübungen, damit sie gleich zum Joggen gehen konnte. Sie griff nach ihren Turnschuhen neben der Haustür und ging aus dem Haus, stieg in das Auto und fuhr die Strandpromenade entlang zum Leuchtturm an der Steilküste. Sie joggte fast täglich ihre Strecke von fünf Kilometern am Strand. Vom Leuchtturm in den nächsten Ort waren es ungefähr zweieinhalb Kilometer. Dort, in Greenwood, kaufte sie täglich die Zeitung und Brötchen bei ihrer Stammbäckerei „Heiß und Frisch“ zum Frühstück und lief wieder zurück. Das war fast tägliche Routine und Patricia konnte auch schon gar nicht mehr ohne Laufen. Aber seit einigen Tagen verspürte sie einen noch größeren Bewegungsdrang und die Fünf-Kilometer-Strecke reichten ihr irgendwie nicht mehr aus. Der heutige Morgen war eh schon so chaotisch, so dass sie gar nicht merkte, dass sie in die 15 Kilometer entfernte Kleinstadt Newtown gelaufen war. Wie konnte das auf einmal passieren? Sie empfand nicht mal große Erschöpfung. Ganz im Gegenteil, ihr Körper fühlte sich fast schwerelos an, so leicht und richtig angenehm. Das war eines der Dinge, die in letzter Zeit einfach so passierten und Patricia fragte sich immer wieder, wie das alles angehen konnte. War sie doch sonst nach ihren fünf Kilometern schon völlig ausgepowert. Ihre Gedanken waren zwiespältig. Einerseits fragte sie sich, was mit ihr passierte in letzter Zeit und auf der anderen Seite dachte sie aber auch nicht weiter darüber nach, sondern nahm alles, wie es kam, einfach hin. Wenn Patricia so lief und ihre Gedanken schweifen lies, spürte sie diese warme und zarte Stimme von Josephine in ihrem Inneren, die in ihren Träumen wieder und wieder auftauchte und da sagte, dass das alles richtig und gut sei. Patricia lief immer weiter. Ihr Auto stand am Leuchtturm, ungefähr fünf Kilometer von ihrem Haus entfernt, und mittlerweile fast 10 Kilometer von ihr selbst entfernt. In den Gedanken vertieft lief sie an der Promenade entlang und dann weiter auf dem Radweg der Landstraße in Richtung Newtown. Patricia versuchte wieder und wieder, sich beim Laufen an ihre Träume zu erinnern und was Josephine ihr darin gesagt hatte.
Und plötzlich kam da was. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie erinnerte, dass Josephine sagte, dass sie mit Sebastian am 23.11. in das Planetarium gehen solle, allerdings nur als eine mögliche Option, falls der andere Plan nicht funktionieren sollte. Aber was für ein Plan? Sie erinnerte sich nur daran, dass sie Geld mitnehmen sollen. Patricia blieb stehen und erstarrte. Geld, dachte sie. Sie erinnerte sich an die 10-Euro-Scheine in ihrem Schlafzimmer und daran, dass heute der 23.11. war. Was würde heute passieren? Müssen sie vor irgendetwas oder irgendwem fliehen? Der Wind wurde stärker, irgendwas war im Anflug. Patricia spürte so ein Unwohlsein. Es fühlte sich so an, als wenn ein mürrischer Schleier über die Stadt zog. Sie schaute gen Himmel und dieser bewölkte sich mit einem großen, dunklen Wolkenschleier. Sie lief und lief. Patricia versuchte, ihre Gedanken zu verdrängen und lief einfach weiter. Sie merkte gar nicht, dass sie so schnell lief, dass sie auf der Landstraße sämtliche Radfahrer überholte. Vor dem Ortschild von Newtown blieb sie stehen. „Oh“, dachte sie, Newtown. Sie war fast 15 Kilometer gelaufen. Patricia zitterte am ganzen Körper. Sie atmete tief und fragte sich, wie das möglich war, das schafft kein Mensch so ohne weiteres, außer, er war trainiert. Und sie schon mal gar nicht, sie war froh, wenn sie in einem mäßigen Tempo ihre fünf Kilometer schaffte. Und jetzt waren es fast 15 Kilometer? Wie konnte das funktionieren?
Patricia hielt inne und spürte dieses Gefühl in ihrem Herzen, dass ihr so vertrauensvoll vorkam. Es war das Gefühl, dass sie in ihren Träumen, ja in ihren Gesprächen mit Josephine immer spürte. Sie fühlte diese Wärme und plötzlich fühlte es sich so an, als wenn sie von irgendwas oder irgendwem geführt wurde – wie eine unsichtbare Hand über ihr. Sie entschloss, wieder zurück zu laufen, nach Greenwood, zu ihrem Stamm-Bäcker, um die Zeitung und die Brötchen zu holen, wie jeden Morgen. Dort angekommen, blieb sie stehen, verschnaufte erst einmal und ging dann hinein in den Laden.
Patricia bestellte wie jeden Morgen Zeitung und vier Brötchen, legte das Geld auf den Tresen, als die Verkäuferin zu ihr sagte:
„Warten Sie, ich habe hier noch was für Sie.“
Die Verkäuferin verschwand kurz in den Hinterraum und kam mit einer Papiertüte wieder. Dies soll ich ihnen geben von Josephine Warren.“
Die Verkäuferin reichte die Tüte über den Tresen, Patricia nahm diese entgegen und fragte zurück:
„Einfach so?“
„Ja, einfach so“ erwiderte die Verkäuferin.
Patricia nahm die Tüte, schaute rein und fand darin ein blaues Kleid und einen Zettel, auf dem stand:
„Hey Patricia, das ist für Dich. Du weißt ja, in jeder Lebenslage gut aussehen. Bis bald. Deine Josephine.“
Unter dem kleinen Gruß von Patricia stand noch eine weitere Nachricht:
„Liebe Patricia, lauf zurück zu Deinem Auto, ziehe dort das blaue Kleid an und laufe dann nach Hause zu Sebastian und beschütze ihn, er ist in Gefahr!“
In jenem Moment, als sie die Nachricht las, schoss Panik in Patricia hoch. Sebastian retten? Sie griff nach ihrem Handy in der Jackentasche, zog es heraus, um ihn anzurufen. Scheiße, Akku leer, dachte sie. Was soll das? Sie griff nach den Brötchen, der Zeitung, zu der Tüte mit dem Kleid und lief los. Sie lief und lief, überholte Fußgänger, Radfahrer und Trecker. Bei einem Blick zu ihren Füßen sah sie, dass sie diese gar nicht mehr sehen konnte, so schnell lief sie. Aber sie dachte nicht weiter darüber nach. Wichtig war jetzt nur Sebastian. Scheiße, Sebastian, dachte sie, die Liebe ihres Lebens, der Vater ihres zukünftigen Kindes. Wie von Zauberhand geführt erreichte sie ihren Wagen in Windes Eile. Dort angekommen spürte Patricia, wie sich langsam ein kalter Schleier um ihren gesamten Körper legte. Dieser fühlte sich an wie eine hauchdünne Schutzschicht. Der Wind wehte immer kräftiger, es fing zu dem auch noch an, zu regnen. Die Tropfen prallten in ihr Gesicht und vom Gesicht ab. Sie wurde nicht nass. Wieder ein unerklärliches Phänomen. Egal, dachte sie. Jetzt war nicht die Zeit, sich über Sinn oder Unsinn Gedanken zu machen. Sie riss sich, wie ferngesteuert, alle Klamotten vom Leib und schlüpfte in dieses blaue Kleid, so wie es in der Nachricht stand. Ohne weiter nach einem Sinn zu suchen, dachte sie nur an Sebastian. Er war in Gefahr und sie sollte ihn retten. In ihrer Brust wurde es ganz heiß. Sie spürte ihr Herz so sehr, als würde es gleich aus ihrer Brust springen vor Hitze und Aufregung. Als sie das Kleid an hatte, hatte sie keine passenden Schuhe. Oh, dachte sie, keine passenden Schuhe. Wieder dachte sie, egal, zog ihre Turnschuhe aus und lief Barfuß los. Vom Instinkt gesteuert und bekleidet mit diesem blauen Kleid griff sie nach Brötchen und Zeitung, schloss ihr Auto ab und lief zurück am Strand entlang zu ihrem Haus. Der Sand schleuderte hoch und legte sich wie ein Film um ihre Beine. In weniger als fünf Minuten kam sie an dem fünf Kilometer entfernten Haus an und sah schon von der Ferne, wie sich ein helles Licht um ihr Haus gelegt hatte.
Patricia spürte Gefahr und Vertrauen gleichzeitig. Was war hier nur los? Sie lief zur Haustür, öffnete diese und stand im Flur. Im Haus selbst war alles dunkel. Patricia rief laut:
„Sebastian, wo bist Du?“
Keine Antwort. Plötzlich hörte sie ein Brummen ziemlich laut über ihrem Haus und der kalte Schleier um Patricias Körper weitete sich aus. Sie war umgeben von einem weißen, aber auch kaltem Licht, quasi wie eine Hülle die sich um ihren Körper gelegt hatte. Nun spürte Patricia Kräfte, mit denen sie sich sicher fühlte. Sie ging weiter ins Haus bis in die Küche. Dort rein gekommen schaute sie sich um, und sah Sebastian, kauernd vor der Spüle sitzend und ängstlich zu ihr blicken.
„Schatz! Ich habe denen schon all mein Geld gegeben, aber sie wollen noch mehr, mach irgendwas, bitte.“
Der kalte Schauer um Patricia weitete sich aus und legte sich wie ein Schleier um Sebastian herum. In diesem Moment, als ihn der Schauer traf, erstarrte er.
„Oh, nein, was habe ich getan?“, stutzte Patricia.
Sie konnte nicht lange nachdenken, da kamen schon die schwarzen Gestalten in die Küche gestürmt und riefen:
„Jetzt haben wir euch.“
Zwei maskierte Männer stürmten auf Patricia zu, einer hatte ein Messer und wollte gerade auf Patricia einstechen. Es kam zum Kampf. Sie hob ihre Hand und das Messer geleitete dem Einbrecher aus der Hand und flog weg. Der Mann machte einen Satz nach hinten und knallte gegen den Kühlschrank. Sebastian kauerte noch immer vor der Spüle, blickte aber erstarrt auf und schrie laut zu Patricia:
„Vorsicht.“
Er konnte sich nicht bewegen. Er saß dort wie eine steinerne Figur. Einer der Männer lag nun völlig erschöpft vor der Spüle, während der andere auf Patricia losging. Sie schrie: „NEEEEINNN“ und streckte ein weiteres Mal ihre Hand aus. In dem Moment knallte auch der zweite Mann wie ein Geschoss gegen den Kühlschrank und fiel zu Boden. Was war passiert? Patricia richtete, wie in einem Abwehrreflex, ihre Hand auf den Mann, berührte ihn nicht einmal und er flog zurück gegen den Kühlschrank. Im nächsten Moment, als die beiden Einbrecher da so lagen vor ihrem Kühlschrank, machte sie einen Satz, sprang auf sie zu und verpasste ihnen noch einen Schlag. Die Einbrecher lagen nun da K.O. Danach ging sie ins Wohnzimmer, riss das Kabel vom Fernseher ab, kam zurück in die Küche, fesselte die beiden Männer und rief die Polizei.
Wenige Minuten später traf die Polizei ein und nahm die Einbrecher fest. Patricia ging zurück zur Spüle, kniete sich zu Sebastian nieder, der völlig erstarrt da saß. Sie legte den Arm um Sebastian und spürte, wie der kalte Schauer von ihr und auch von Sebastian wich. Sebastian kam wieder zu sich, sah sie an und sagte nur:
„Schatz, die standen plötzlich im Schlafzimmer und wollten Geld haben. Ich griff zur Schublade und da lag dieser Umschlag drin, ich gab diesen den Verbrechern, aber es war ihnen nicht genug und so haben sie mich in die Küche getrieben und dann warst Du auch schon da. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Schatz, ich hatte solche Angst.“
Tränen liefen ihm über die Wangen und er nahm Patricia noch fester in den Arm. Patricia legte ihren Kopf an seine Schulter. Was war nur los, fragte sie sich. Das kann doch alles nicht sein. Als sie in Sebastians Arm lag, spürte sie diese aufkommende Wärme in sich. Da war wieder was in Anflug vom Gefühl her. Aber diesmal fühlte es sich anders an als heute Morgen. Sie löste sich aus Sebastians Arm, küsste ihn auf die Stirn und sagte zu ihm:
„Komm, lass Badwasser ein, wir nehmen ein Bad zur Entspannung. Geh schon mal hoch, ich komme gleich nach.“
Sebastian ging hoch ins Bad und bereitete alles vor, während Patricia auf die Veranda ging und plötzlich vor ihr ein kleines Mädchen stand. Im dem Moment spürte Patricia wieder diese Wärme um ihr Herz. Sie sah dieses Mädchen und erinnerte sich plötzlich an ihre Träume. Sie sah aus wie Josephine. Das Mädchen ging auf Patricia zu, nahm sie in den Arm und sagte:
„Hey Patricia, jetzt sehen wir uns endlich mal persönlich in Deiner Welt.“
Josephine strahlte über das ganze Gesicht. Patricia nahm Josephine auch in den Arm, wie vom Instinkt getrieben, war aber immer noch irritiert. Woher kam Josephine auf einmal? Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich auf der Veranda. Und wieder dachte sich Patricia, egal, bloß keine Gedanken machen über Sinn oder Unsinn. Patricia löste sich aus Josephines Armen, schaute sie an und fragte sie:
„Wo kommst Du auf einmal her?“
„Frage nicht Patricia. Du hast alles richtig gemacht. Sebastian ist in Sicherheit. Bitte, Patricia, stelle mir nicht die Fragen, die Du so gerne stellen würdest. Ich weiß, wie sich das alles für Dich anfühlen muss gerade. Aber bitte habe einfach Vertrauen. Es ist alles richtig und alles wird gut. Irgendwann wirst Du verstehen, aber nicht heute.“ Josephine lächelte sanft.
Patricia hatte tausend Fragen parat. Aber sie gehorchte kurz. Sie vertraute Josephine und akzeptierte ihre Bitte.
„Ich muss jetzt wieder gehen.“ Sagte Josephine.
„Wohin gehst Du? Wann sehen wir uns wieder?“ fragte Patricia.
„Keine Fragen, Patricia.“ Josephine lächelte weiter.
„Ich weiß, dass ist alles nicht einfach für dich. Nimm es hin und akzeptiere wie es ist.“ Josephine grinste. Patricia aber war ein Sturkopf und fragte weiter:
“Josephine, was ist das alles hier, bitte erkläre es mir.“
Patricia starrte Josephine scharf an und wartete auf Erklärungen. Josephine ging auf Patricia zu, legte ihren Zeigefinger auf ihre Stirn und sagte:
„Ach meine Patricia, Du bist vielleicht stur! Deine Liebe ist Magie und Deine Magie hat Sebastian vor den Einbrechern gerettet.“
Ungläubig starrte Patricia Josephine an.
„Ja, genau. Und ich bin wie Du Patricia, erlebe die gleichen Dinge wie Du, nur nicht hier, sondern woanders. Aber ich kann jetzt nicht mehr weiter reden. Ich darf einfach nicht. Patricia. Nehme die Dinge wie sie kommen. Hinterfrage nicht, sondern vertraue. Alles ist richtig.“ Josephine ging auf Patricia zu, streichelte ihr über den Kopf und sagte weiter:
„Nun gehe zu Sebastian, er wartet mit einem heißen Bad auf Dich. Lege Dich heute Abend in Dein Bett, schlafe und morgen früh wirst Du Dich wieder erinnern.“
Josephine nahm Patricias Hand, drückte diese sanft zum Abschied, drehte sich um und ging von der Veranda zum Strand in Richtung Wasser. Patricia sah ihr noch einen Moment nach. Plötzlich drehte sich Josephine um und rief:
„Und bring mir das blaue Kleid bald wieder mit, aber gewaschen bitte.“ Sie lächelte und ging weiter.
Patricia hob ihren Arm und winkte ihr zum Abschied. Dann überkam es sie wieder, wie fremd gesteuert aber irgendwie vertraut, und sie ging zurück ins Haus. Sie betrat das Haus, schloss die Tür. Die Polizisten waren auch schon weg und Spuren waren auch keine mehr zu sehen von dem Vorfall. Alles war wieder ordentlich. Patricia hielt kurz inne, stutzte, und ging noch schnell zum Küchenfenster, um hinaus zu schauen. Josephine war weg, einfach so. Sie konnte nicht erklären, was sie fühlte, aber sie wusste, es existierte, Josephine existierte. Und wieder dachte sie, egal. Sebastian wartete oben im Bad. Er hatte Badewasser eingelassen, sie zog sich aus und stieg in die Badewanne zu Sebastian. Sie fassten sich an die Hände, lächelten sich an und versuchten, entspannt den Tag vergehen zu lassen. Dann wurde es dunkel.
Am nächsten Morgen wachte Patricia schweißgebadet auf. Sie drehte sich um, um nach Sebastian zu sehen. Sie drehte sich und da lag er, auf der Seite zu ihr gedreht schaute er sie mit strahlenden Augen an:
„Guten Morgen mein Schatz“.
Er beugte sich vor und küsste sie liebevoll und fragte:
„Hast Du gut geschlafen?“ Sie schaute ihn an:
„Nein, ich hatte einen Alptraum, aber nun bin ich wach und sehe Dich, nun geht es mir wieder gut.“ Sie lächelte ihn an und robbte in seinen Arm, kuschelte sich ein und fühlte sich wieder sicher und geborgen. Sebastian küsste sie auf die Stirn und sagte:
„Ich gehe runter und setze Kaffee auf, ok.“ Er küsste sie auf die Stirn und stand auf.
„Alles klar, bis gleich, ich komme gleich nach mein Liebster“ erwiderte Patricia und schaute Sebastian noch hinterher, dann drehte sie sich zum Fenster, schaute hinaus und sah die Sonne, die in das Fenster hinein schien. Heute würde ein schöner Tag werden, dachte sie, stand auf und blieb mit dem rechten Fuß in der Decke hängen. Sie erhob sich aus dem Bett und spürte dieses Kribbeln am Fuß. Sie schaute hinunter und sah den Sand, der zwischen ihren Zehen klebte. Sie lächelte in sich hinein und dachte nur, was für eine verrückte Nacht. Sie ging ins Bad, spülte sich die Füße ab, zog sich die Puschen an und ging runter zu Sebastian, der schon liebevoll den Frühstückstisch gedeckt hatte.