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Heldennebel

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19.05.2015
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Heldennebel

Nach den Weihnachtstagen des Jahres 1826 fegt Eiswind über die Landschaft, die Wege verschwinden, Wälder verwandeln sich in zuckerüberzogene Märchenskulpturen, Felder, Hügel verschmelzen zu einer Schneelandschaft, die wie ein Sternenmeer gleißt. Wilhelm von Humboldt gleitet mit dem Postschlitten wie auf einem Federkissen von Leipzig nach Weimar, um seinen Freund Goethe zu besuchen, den Tauschhandel anzubahnen, den sich die Humboldt-Brüder ausgedacht haben.

Er führt einen Hutkoffer mit sich, worin er einen Gegenstand aufbewahrt, dessentwegen er die Reise auf sich genommen hat. Der Schlitten riecht nach Erde und Fäulnis, Kälte kriecht Wilhelm in die Glieder, sobald die Decke verrutscht, unter die er gekrochen ist. Er versucht die Augen zu schließen, einzuschlafen, schafft es aber nicht, wird durchgerüttelt, während Trübsinnsgedanken auf ihm lasten, die Sehnsucht nach Leben ihn erfüllt, die Schmerzen in den Gelenken, das Bewusstsein erobern. Er seufzt.

Die Reise dauert zwei Tage. Humboldt erträgt sie mithilfe des Weins, den er in die Kehle schüttet, obwohl er nach Essig und Sauerampfer schmeckt. Die Nacht verbringt er in Naumburg an der Saale. Während er sich Rehfleisch mit Kartoffeln in den Mund steckt und kräftig nachspült, notiert er in einer Ecke des Gasthauses Gedanken zu seinen Vorhaben, der Gründung eines Kunstvereins in Berlin, der Verbesserung des preußischen Bildungssystems. Er hört die Kartenspieler am Tisch gegenüber fluchen, fürchtet, dass die Zugluft einen Gichtanfall auslösen würde, befiehlt dem Kammerdiener, das Bett nach Wanzen abzusuchen. Ob mit oder ohne die lästigen Tierchen, würde er wie so oft in den letzten Wochen von Roms träumen, den Glocken der Kirchen, den Trümmerfeldern des Ewigen Reichs, den Überresten der Via Appia mit den Grabmälern am Straßenrand. Die Augen Valentinas schwirren durch Humboldts Kopf, die Biegung ihrer Brauen, das Zittern, wenn sie ihn mit Libellenfingern berührt hat. So viele Jahre sind vergangen, seit er am Stand der Limonenverkäuferinnen gestanden hat, getroffen von der Schmetterlingsleichtigkeit ihres Wesens, der Schönheit ihrer Gestalt. Jetzt erst, nach all der Zeit, ahnt er, dass die beste Zeit seines Lebens damals an ihm vorbeigerast ist. Er erinnert sich, wie sie ihm zugewunken, wie ihn der Mut, sie mitzunehmen, verlassen hat. Wäre sein Leben glücklicher verlaufen, wenn er anders gehandelt hätte? Humboldt kaut eines der getrockneten Blätter, die ihm Alexander aus Südamerika mitgebracht hat und schläft ein.

Goethe blättert unterdessen in Kupferstichmappen. Er hat sich im Bett gewälzt, wurde von Dämonen, von Wehmut durchgeschüttelt wie ein Ball mal hierhin, mal dorthin getrieben, ist schmetterlingsgleich von Blüte zu Blüte, von Schatten zu Schatten gezogen. Das Durcheinander in ihm wächst, die Schaffenskraft erlahmt, das spürt er genau. Um sich abzulenken ruft er sich die Orte ins Gedächtnis, die auf den Stichen abgebildet sind. Obwohl er sie ganz nahe an die Augen hält, verschwimmen sie. Das Straßburger Münster, der Frankfurter Römer zerfließen in Fratzen, Figuren aus einem Theaterstück, das nicht von ihm selbst stammt, an Shakespeares Komödien erinnert, Runzelhexen zeigt, krummbeinige Zwerge. Mittendrin schillern all die Mädchen, Frauen, die er geliebt hat. Als er die Augen schließt, liegen sie ihm in den Armen, jung wie er selbst, tanzen und hüpfen mit ihm, küssen ihn auf den Greisenmund. Das Geräusch eines auffliegenden Vogels, vielleicht einer Fledermaus, schreckt Goethe auf. Der Besuch Humboldts fällt ihm ein. Von einem Angebot, einer Sensation war auf dem Billett aus Leipzig die Rede. Was könnte einen Goethe noch überraschen, ihn, den ein widerlicher Schmerz im Brustkorb plagt, der die ganze Kraft aufbringen muss, um ein paar jämmerliche Zeilen, Verse, die er selbst oft genug nicht versteht, aus sich herauszupressen, als wäre er eine Maschine, die, einmal in Gang gesetzt, weiterläuft, ohne selbst das Ende bestimmen zu können?

Gestern hat er Susanne zuletzt gesehen, ihr vorgelesen, den Fliedergeruch aufgesaugt, auf ihren Atemhauch gewartet, wollte ihr Herz mit brüchiger Stimme öffnen, hoffte auf den Moment der Schwäche, der sie die Hinfälligkeit des Dichters vergessen ließe. Stattdessen hat sie ihm einen Blick zugeworfen, ihr Bedauern mühsam darin versteckt, die Augen auf die Rillen und Wulste der Finger geheftet. Er klappt schließlich die Mappe zu und schleicht sich in die Schlafkammer.

Hufklappern dringt durch die Nacht, der Schlittenführer singt ein Lied, das nach Wirtshausbesuchen und Rosenwangenfrauen klingt. Sie erreichen den Ettersberg und fahren an Eichen vorbei, deren Baumkronen wie Pilze emporragen, die Jahre erwarten, die für sie noch anbrechen werden. Der Kerl in der Poststation hat Recht behalten. Sie erreichen Weimar in der Abenddämmerung. Humboldt bittet den Kutscher, gleich zu Goethes Haus zu fahren. Der Kies knirscht unter der Schneeschicht, als sie vorfahren. Im Erdgeschoss brennen Lämpchen, aus einem geöffneten Fenster wölkt Dampf nach draußen. Humboldt nimmt den Hut, zupft sich den Rock zurecht, läßt sich vom Kutscher das Köfferchen geben und schickt den Kammerdiener in den Elefanten, um Quartier zu beziehen. Eine Frau mit weißer Haube winkt Humboldt zu, verschwindet wieder hinter den Vorhängen. Dann öffnet sich die Tür. Goethe erscheint ohne Perücke. Die Schneehaare hängen an den Wangen herab, auf der Glatze verteilen sich Altersflecken, der Gehrock schimmert samtgrün. Er stützt sich auf einen Stock mit Elfenbeingriff und wartet darauf, dass der Besucher zu ihm empor schreitet.

„Humboldt! Schön, Sie hier zu sehen.“
„Guten Abend, Goethe. Sehr erfreut, alter Freund!“
„Hatten Sie eine angenehme Reise?“
„Wie eben Winterreisen so sind, reden wir nicht davon.“
„Schnell rein mit Ihnen, ist ja eisig draußen. Ich habe eine Kleinigkeit für uns vorbereitet.“
„Sehr freundlich, Herr Geheimrat.“
„Geheimrat, mm, ach, wie zierlich Sie das sagen, den Titel habe ich beinahe vergessen. Was haben Sie da für ein Köfferchen bei sich?“, sagt Goethe kichernd.
„Eine Überraschung!“
„Na ja, werden wir ja sehen. Aber jetzt essen und trinken wir was. Mögen Sie heißen Wein?“

Der Hausdiener nimmt Humboldt den Hutkoffer ab. Im Haus duftet es nach Braten. Wärme und Behaglichkeit beleben den Gast, Stimmen flüstern durch die Räume, füllen sie. Er verbrennt sich die Lippen, als er von dem Wein probiert, dennoch fallen die Reisebeschwerden von ihm ab, Leichtigkeit ergreift ihn. Der Hausherr hat Gäste geladen, die ihn erfreut begrüßen, während sie essen und trinken, was das Haus hergibt. Humboldt schüttelt Hände, freut sich über den Respekt, die Ehrfurcht, die sie ihm entgegenbringen. Ein Arzt mit herabhängenden Wangen, der sich darauf konzentriert, die zurechtgeschnittenen Fleischstücke und Kartoffelteilchen aufzuspießen, möglichst viel in den Mund zu stecken, wird sein Sitznachbar. Goethe thront ihm gegenüber neben Eckermann, lässt die Blicke hin und her irren, die Konversation an sich abperlen, antwortet automatisch, formelhaft. Humboldt bemerkt, dass Goethe sich am liebsten an Susanne wendet, einem Mädchen, das sich den Dichterworten mit kerzengerader Haltung entgegenstreckt. Der Arzt fragt Humboldt nach den Zuständen in Preußen. Susannes Gesicht errötet, als sie sich an Humboldt wendet, ihn bittet, von den Reisen des Bruders zu erzählen.
„Lesen Sie Alexander von Humboldt, dann erfahren Sie, wie es wirklich im Dschungel zugeht, nicht wahr?“, fragt Goethe und schaut Humboldt an.
„Mücken und unerträgliche Hitze. Formenvielfalt, Töne, Pflanzen und Tiere, die wir nicht kennen. Vögel, so klein wie Bienchen. Blumen in allen Farben. Waldmenschen, die nackt Geister beschwören, den Tod mit Gesängen besiegen, die Sonne vom Himmel holen. Ein Paradies mit Schrecken, mehr kann ich nicht sagen, verehrte Frau Susanne. Mein Bruder will im Frühjahr nach Weimar kommen. Vielleicht treffen Sie ihn.“
Susanne öffnet den Mund, als wolle sie sich die Bilder der Indios vor Augen halten. Danach konzentriert sich Humboldt auf das gezimtete Apfelkompott und den süßen Wein.

„Humboldt, lassen Sie uns in meinem Arbeitszimmer einen Mokka trinken.“
Die anderen Gäste tupfen sich die Gesichter ab. Im Salon warten Tee, Kaffee, Konfekt. Stühle und Bänkchen stehen bereit.
Die Tür fällt ins Schloss. Kerzenlicht flackert, im Ofen brennt Holz, schlägt Funken, knackt, wärmt den Raum. Humboldts Hutkoffer liegt auf dem Tisch vor dem Fenster. Goethe öffnet einen Schrank und hält eine Flasche Schnaps in der Hand.
„Was gibt es Schöneres im Leben! Lassen Sie uns auf Liebe und Freundschaft anstoßen, Humboldt!“

Die Gläser klirren. Die Frau mit der weißen Haube, die Humboldt zugewunken hat, als er aus der Kutsche gestiegen war, klopft an, verbeugt sich, bringt Mokka und eine Flasche Wein. Die beiden setzen sich. Humboldt betrachtet die Altersflecken auf Goethes Stirn, fragt sich, ob sie bei ihm genauso ausgeprägt, die Augen ebenso tief in der Höhle verschwunden waren. Er wischt sich übers Gesicht.

„Sie haben eine beschwerliche Reise auf sich genommen, um mich zu besuchen.“
„Ich habe etwas gehört, das mich interessiert.“
„Aha. Über mich wird ne Menge Zeugs erzählt. Das meiste vergesse ich so schnell wir möglich und an manches will ich mich nicht erinnern.“
„Es geht nicht um Sie. Ich bin Schillers wegen hier.“
„Ach, das. Ich wollte den lieben Freund nicht auf ewig zwischen Unbekannten verrotten lassen. Also habe ich mir die Genehmigung besorgt, das Grab zu öffnen, um den Schädel zu suchen.“
„Und? Haben Sie ihn gefunden?“
„Ja, eindeutig! Die Männer haben das Grab durchkämmt, alle in Frage kommenden Schädel mitgenommen und rausgesucht.“
„Sicher?“
„Ja, ohne Zweifel.“
„Und wo ist er jetzt begraben?“
„Er ist nicht begraben.“
„Wo ist er dann?“
„Bei mir.“
„Bei Ihnen?“
„Ja, da hinten im Schrank.“
„Ist das nicht beklemmend?“
„Nein. Auf dieses Weise hab ich ihn ganz in der Nähe. Wo er hingehört. Mein Freund Schiller ist zurückgekehrt. Das ist wunderbar. Wenn ich den edlen Schädel betrachte, rührt’s mich. Man sah ihm ja immer schon das Genie an. Sie sind gekommen, um ihn zu sehen, stimmt’s?“
„Gewissermaßen.“
„Ich zeige ihn nicht jedem, Humboldt, können Sie mir glauben.“

Er zieht einen Schlüssel aus der Rocktasche, öffnet den Schrank, neben dem sie Platz genommen haben. Zum Vorschein kommt ein silbern eingefasster Glassturz, ähnlich einer Käseglocke, der mit einem Seidentuch bedeckt ist und auf einem blausamtenen Träger ruht. Ein Gegenstand schimmert hervor. Er streicht über das Glas, streichelt, betastet, tippt darauf wie ein Klavierspieler. Goethe wirft den Kopf in den Nacken, die Stirn glänzt, wölbt sich. Er hebt den Glassturz an. Zum Vorschein kommt ein Schädel. Obwohl die Oberfläche des Knochengebildes schmutzig aussieht, gelbbraune Farbe angenommen hat, wirkt er, als wäre er poliert worden, glänzt im Kerzenlicht. Die Proportionen entsprechen der Idealform, der Vorstellung von Harmonie, Perfektion, Männlichkeit. Humboldt rückt näher, aus Goethes Mund löst sich Speichel, rinnt die Unterlippe herab, während er auf die Reaktion des Gastes achtet, der den Anblick aufsaugt, tief ein- und ausatmet, sodass die Luft als Nebelhauch gegen den Schädel prallt. Humboldt zweifelt keinen Augenblick daran, dass es sich um Schiller handelt, weiß, dass der Schädel keinem Namenlosen gehören kann, Großes geborgen haben muss, Ideen, Energie, Mut. Einige Zähne fehlen, die Verbliebenen stecken schief auf dem Kieferknochen, aber die Form, die Form, drückt Schönheit aus, bricht sich von innen nach außen Bahn, strahlt nach allen Seiten.

„Was sagen Sie, Humboldt? Was für eine Aura!“
„Schiller, zweifellos, spürt man sofort.“
„Geistnatur eben.“
„Deshalb bewahren Sie ihn hier im Zimmer auf, richtig, Goethe?“
„Ich brauche Kraft für das, was ich noch vorhabe.“
„So?“
„Manchmal spricht er mit mir, flüstert. Ich muss genau hinhören, dann verstehe ich ihn, ist aber mühsam mit dem Fritz.“
„Hilft er Ihnen beim Schreiben?“
„Gewissermaßen.“
„Großartig.“
„Wir bräuchten die Jugend zurück, nicht wahr, Goethe?“
„Die Jugend!“ Goethe kichert, schenkt Schnaps nach.
„Ich hab was mitgebracht.“
„Ein Pülverchen?“
„Nein, nein, viel besser!“

Humboldt zeigt zum Koffer. Sternenlicht erhellt den Tisch neben dem Fenster. Er löst Lederverschlüsse, entnimmt einen Gegenstand, der in Tücher eingewickelt, an den Enden verschnürt ist, müht sich mit den Knoten, entwirrt sie. Locken kommen zum Vorschein, verknotete Zöpfe, eine Maske, ein Schrumpfkopf, kaum größer als eine Faust, aus dem Kinderaugen lugen, von denen ein Leuchten ausgeht, als wären sie lebendig.

„Was ist das?“
„Der konservierte Kopf einer Zauberin aus dem Dschungel. Schauen Sie ihr in die Augen!“
„Warum?“, fragt Goethe.
„Werden Sie schon herausfinden!“

Goethe wendet sich zunächst ab, streicht über das Gesicht, reibt die Wangen, um sich zu konzentrieren, nähert sich dann den Augen, streichelt über die Haarsträhnen, fängt an zu zittern, als würden ihn Blitze erschüttern. Er taucht ein.

Humboldt beobachtet den Dichterkönig. Er kennt die Wirkung, hat es selbst probiert, weiß, dass es eine Weile dauert, bis man sich vom Zauber lösen kann, schüttet sich Wein in ein Glas, trinkt, schenkt nach. Der Wein perlt in der Kehle, schmeckt nach Freudentagen am Rhein. Er geht zum Fenster, die Schritte quietschen über das Parkett, betrachtet den Nachthimmel, sucht nach dem Stern, den er Valentina schenken könnte.

Goethe seufzt, murmelt, Worte treiben durch den Raum, hören sich kindlich an, so zart und leise klingen sie, werden lauter, schwellen an, bis er sich von der Zauberin löst, zurückprallt. Tränen laufen ihm übers Gesicht. Humboldt bedeckt den Schrumpfkopf, während Goethe sich sammelt, den Körper strafft, spannt, aufrichtet, während sich die Augen mit Lebenslust füllen. Er lächelt still, als müsse er die Stimmen in sich bändigen.

„Was sagen Sie jetzt, Goethe?“
„Mm, der Zauber hat gewirkt. Es war, als wäre ich auf Sommergras, auf Eis und Steinbergen gewandert. Ich saugte Bergluft ein, erfrischte den Geist, tauchte die Augen in grünstes Grün und weißestes Weiß, roch Blütensüße, sah Rosen, Lavendel und Blumen, die ich nicht kannte, berauschte mich an Mädchen, die mir Fleischstückchen in den Mund schoben. Sie waren barfuß, die meisten nackt, einige mit Seide bekleidet, lachten mit mir, flüsterten mir Worte ins Ohr, kitzelten und neckten mich. Wenn ich an mir herabsah, staunte ich über den Körper eines Zwanzigjährigen. Ich hätte ewig dort bleiben können, aber irgendwann schaute ich zum Himmel und bemerkte dort die Augen dieses merkwürdigen Dings. Sie starrten mich an. Da wusste ich, dass ich mich lösen, aufwachen muss. So war das, Humboldt.“
„Das war erst der Anfang, Goethe!“
„Wirklich?“
„Ja.“
„Pure Magie, das Ding, bemerkenswert.“
„Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, Goethe.“
„Was?“
„Ich gebe Ihnen die Augen und Sie überlassen mir Schiller. Was halten Sie davon?“

Goethe starrt auf den Schrank, wackelt mit dem Kopf. Dann öffnet er den Mund, die Furchen des Greisengesichts bewegen sich im Takt des Gelächters, so laut, dass er sich die Augen reiben, die Tränen abwischen muss. Er schüttelt den Kopf, zeigt auf Humboldt, als sei er die Ursache eines waghalsigen Witzes, brüllt vor Vergnügen, bis sich Gazellenschritte nähern. Goethe verstummt, als er das Klopfen an der Tür hört. Susanne stürzt herein. Goethe grinst.
„Habe ich etwas zu laut gelacht, meine Liebe? Gehen Sie ruhig wieder zu den anderen, wir kommen gleich nach.“
Er schließt die Tür.
„Humboldt, Humboldt, Sie sind ein Schalk. Für das Zauberding habe ich keine Verwendung. Aber den Schädel können sie haben. Wissen Sie nämlich was? Glauben Sie etwa, das wäre der einzige Schillerkopf, den ich habe? Drei habe ich davon, drei!“
Goethe öffnet den Schrank, weitere Behälter kommen zum Vorschein. Er deckt sie ab, zeigt darauf:
„Suchen Sie sich einen aus, Humboldt! Wissen Sie, das Glück ist eine Verräterin. Die Zeit verrinnt erbarmungslos und vergräbt die Schätze der Vergangenheit. Erinnerungen bleiben als Tränen zurück.“
„Sie können sich‘s mit der Zauberin überlegen, Goethe. Ich bleibe bis Neujahr in Weimar.“
„Da gibt es nichts zu überlegen.“
„Wie Sie wünschen!“
„Humboldt! Was wollen Sie mit Schillers Schädel anfangen?“
„Ach. Ich dachte mir, er wäre ein ideales Exponat für die Ausstellungen des Berliner Kunstvereins oder auf einem Heldenfriedhof.“
„Ein Heldenfriedhof?“
„Ja!“
„Ich lass mich in Weimar vergraben.“
„Den Sie mir zuerst gezeigt haben, den würde ich gern mitnehmen.“
„Einverstanden.“

Goethe packt die verbleibenden Schädel weg, während Humboldt Schiller und den Schrumpfkopf einpackt, den Koffer verschließt.

Am Silvesterabend tanzt Goethe mit Susanne ins kommende Jahr. Humboldt feiert beim Fürstenpaar. Am 2. Januar 1827 besteigt er den Schlitten, hievt den Hutkoffer auf den Verschlag und zerrt die Gurte fest. Die Wintersonne erhellt den Abfahrtstag, mildert die bittere Kälte. Zum Abschied trägt Goethe Perücke, steht dichterfürstenlächelnd auf der Treppe, winkt Humboldt zu, schaut ihm nach, bis er am Horizont verschwindet. Der Koffer kommt nie in Berlin an, die Zauberin verflüchtigt sich ebenso wie der Schädel Schillers, vielleicht haben sich die Zauberaugen zu weit geöffnet, kamen den Sternen zu nahe.

Epilog

Abweichend vom Text befand sich Humboldt seit dem 24.September 1826 zu Besuch in Goethes Haus.

In einem Brief an seine Frau berichtet Humboldt: „Heute Nachmittag habe ich bei Goethe Schillers Schädel gesehen. Goethe und ich – Riemer war noch dabei – haben lange davorgesessen, und der Anblick bewegt einen gar wunderlich. Was man liebend so groß, so teilnehmend, so in Gedanken und Empfindungen vor sich gesehen hat, das liegt nun so starr und tot wie ein steinernes Bild da. Goethe hat den Kopf in seiner Verwahrung, er zeigt ihn niemand. Ich bin der einzige, der ihn bisher gesehen hat, und er hat mich sehr gebeten, es hier nicht zu erzählen …“

Goethe vollendete den zweiten Teil des Faust und starb wenige Jahre später am 22. März 1832. Er hatte zwei Särge zimmern lassen. In einem befanden sich die Überreste Schillers, der Schädel nebst den Knochen, die auf Geheiß Goethes nachträglich aus dem Massengrab exhumiert worden waren. Die beiden Dichter-Särge schmückten die Weimarer Fürstengruft.

Humboldt wurde 68 Jahre alt und starb am 8.April 1835. Sein Grabmal befindet sich im Park des Tegeler Schlosses neben dem seines Bruders Alexander.

1911 ließ der Anatom August von Tronep zu Studienzwecken das Gräberfeld, aus dem Schillers Knochen stammten, erneut untersuchen. Geborgen wurden 63 Totenköpfe. Eine Gutachterkommission erklärte einen davon zum wahren Schädel Schillers. Daraufhin gesellte sich ein weiterer Sarg zu den beiden anderen in die Weimarer Fürstengruft.

Im Jahr 2008 ergab eine DNA-Analyse, dass in keinem der Särge Schiller liegen könne. Zur Überprüfung wurden aus Gräbern seiner Nachfahren Proben entnommen.

 

An Schillers Schädel glauben Sie doch auch.“
]will mir der zentrale Satz nach dem ersten Anschein zu sein in dieser feinen Historie über eine andere Art von Heiligenverehrung unter gemeinhin als aufgeklärt geltenden Menschen angesehenen Bürgern wie der Geheime Rat, Dichterfürst und Naturforscher wie der Universalgelehrte , Staats- und Bildungsreformer (und - sehr indirekt, dessen Bruder, dem die Brille auf der Nase im buchstäblichen Ansehen durch Goethe schadet, da brauchen wir nicht auf Gryphius Vanitas ... zurückgreifen. Zwar geht es weder um die Gebeine der Heiligen Drei Könige auf dem Weg von Mailand nach Köln als Kriegsbeute nach einem Italienfeldzug oder das Tuch der Veronika zu Turin als gelungener Fälschung, sondern um einen Schädel - den Schädel eines anderen Olympier zu Weimar, Fritz).

Wie gesagt, nach einer ersten Durchsicht,

liebe Isa,

und ob es nun der einzige Zweifelsfall bleibt, wenn es bei Dir heißt

skulpturierten Friedhöfen, den ...
- könnte ja eine landschaftliche Bildung sein, aber die standard-(also) -mäßige) Verbalisierung zur Skulptur wäre "slulptieren" mit den Partizipien "skulptierend" und "skulptiert", das dann auch eine Eigenschaft von Friedhöfen bezeichnen könnte ...

Was erhoffen Sie sich davon, dass Sie ihn hier in ihrem Zimmer aufbewahren, Goethe?“
wird da mancher sich fragen. Aber im Grunde fällt mir der moderne Devotionalienhandel ein, der ja auch mit der Beschleunigung des Menschen- und Güterverkehrs und der beschleunigten Informationswege sein Geschäft offensichtlich tragen kann. Wovon Goethe und Humboldt noch keinen blassen Schimmer haben konnten. Umso notwendiger der Anhang ...

Über den Titel denk ich noch mal nach ...

Bis bald

Friedel

 

Liebe Isegrims,

diesmal geht’s ins frühe 19. Jahrhundert. Zu Humboldt, nicht zu Alexander, sondern zu seinem gelehrten Bruder Wilhelm, und zu Goethe. Auch Schiller ist noch zugegen, allerdings hier nur als Schädel, den Goethe aufbewahrt und den Humboldt haben möchte.

Isegrims, ich muss gestehen, dass ich den ersten Teil deiner Geschichte irgendwann quer gelesen habe, weil diese ausführliche Reisebeschreibung mich etwas zu langweilen begann. Dabei hast du alles mit viel Akribie beschrieben und mit so vielen kleinen historischen Bildungs- und Wissens-Details ausgestattet, dass es eigentlich schade ist, aber ich wurde ungeduldig und wollte endlich wissen, um was es denn in deiner Geschichte geht. Und irgendwie hatte ich bei den vielen Wissenspartikeln, die du im Text verstreut hast (Wilhelm I., die neuen Poststationen, die neuen Chausseen, die der Aufklärung verbundene Bildungspolitik, die Sehnsucht nach der Antike, Rom und die Via Appia, Goethe und Eckermann, 'mens sana...' usw. usw.) auch das Gefühl, dass es hier mehr ums Sich-kaprizieren des Autors ging und mit der eigentlichen Handlung so recht nichts zu tun hatte.

Ich habe dann angefangen, weil der gewählte Tag es andeutete, nach dem im Text steckenden Krimi zu suchen. Da allerdings musste ich nach Sherlock-Manier mit der Lupe vorgehen, denn – wenn es überhaupt ein Krimi-Geschehen gibt – so hast du es für mein Empfinden gut versteckt. Ich bin nicht sicher, ob ich es gefunden habe, aber du deutest es wohl in diesen Sätzen an:

Der Wein schmeckte bedeutend besser als in den Spelunken auf dem Weg nach Weimar, war spritzig und süß zugleich. Dann machte er sich mit flinken Fingern an seinem Köfferchen zu schaffen. Das Holz knirschte und knackte. Er öffnete ein Fach, schritt durch das Zimmer und schloss es nach einer Weile wieder. Das Werk war vollbracht, das Ziel erreicht.
Damit ich als Leser auf die richtige Fährte gebracht werde, hast du sicherheitshalber noch den Epilog angehängt. Somit gibst du dem geneigten Leser, der vielleicht nicht ganz mitbekommen hat, um was es geht, noch einen zusätzlichen Fingerzeig.

Soweit zu dem, was in deiner Geschichte der Krimi sein mag.

Interessanter war für mich die Bedeutung ihres Titels.

„Wissen Sie was, Humboldt? Das Glück ist eine Verräterin. Ich benötige den Zauberkopf nicht!“

Mit diesen Worten lehnt Goethe den ihm von Humboldt angebotenen Tausch ab. Obwohl er dem Zauber des Schrumpfkopfes für kurze Zeit erlegen ist, sich wieder jung gefühlt hat, möchte er doch lieber den Schädel Schillers behalten. Warum das so ist, soll ich als Leser dem kryptischen Ausspruch ‚Das Glück ist eine Verräterin’ entnehmen.

Doch weder verstehe ich die Aussage dieses Satzes, noch, warum das Glück mit einer weiblichen Person gleichgesetzt wird. Einfach keine Ahnung – auch nach zweimaligem Lesen.
Isegrims, ich bin nicht sicher, aber ich vermute, dass du auch diesmal die Deutung dem Leser überlassen möchtest. Damit öffnest du deinen Text, was seine Aussage betrifft, allerdings einer gewissen Beliebigkeit: Alles ist möglich oder auch nicht – alles ist richtig oder auch nicht.

Mir zumindest sagt der Satz ‚Das Glück ist eine Verräterin’ nichts, auch wenn ich länger darüber nachdenke. Ich finde eher, dass der Autor hier kneift und es sich zu einfach macht. Wenn das nämlich sein Thema sein soll, so müsste seine Geschichte hier einen Moment verweilen, müsste z.B. ein Dialog andeuten, was Goethe (oder der Autor) mit diesem Satz gemeint haben könnte. Mir erschließt es sich – wie gesagt – nicht.

Was nehme ich am Ende deiner Geschichte für mich mit?
Einer beredten Einleitung mit vielen historischen Details, die mich – wenn ich sie nicht eh schon kennen würde – eventuell interessieren könnten, die aber mit der eigentlichen Begebenheit nicht viel zu tun hat, folgt eine nicht eindeutig zu greifende Krimi-Handlung, in der ein alternder Goethe die Möglichkeit, wieder jung zu sein, mit dem kryptischen Satz: ‚Das Glück ist eine Verräterin’ ablehnt und Humboldt vermutlich den Schädel Schillers ausgetauscht hat. Alles in allem eine kleine Goethe-Reminiszenz, wie sie uns in den letzten Jahren immer mal wieder begegnet, sprachlich wirklich gut umgesetzt und angenehm zu lesen.

Was mir aber gefehlt hat, das ist eine Kurzgeschichte mit einem echten Spannungsaufbau, einem Konflikt, einem Höhepunkt, einer überraschenden Wende und einer Aussage, über die ich wirklich nachdenken kann.

So lege ich deine kleine historisierende Geschichte am Ende leider recht unbewegt und ohne Nachhall zur Seite.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Isegrims,
Ich scheue mich nicht historische Texte zu lesen, doch finde ich es schwierig dieser Geschichte zu folgen. Das Glück ist eine Verräterin, so zu verstehen was gemeint ist, ist schon eine Herausforderung. Was ist Glück überhaupt und worin besteht der Verrat?
Humboldt, Schiller und Goethe verband eine tiefe Freundschaft. Sie debattierten über Philosophie und Wissenschaft und Kunst, beeinflussten ihre gegenseitige Entwicklung, vielleicht waren sie sogar platonisch verliebt ineinander und eifersüchtig aufeinander. Ich lese die Geschichte so, dass Humboldt dem Goethe den Kopf abspenstig machen möchte, ihn verführen möchte, ihm den Schädel des Genies zu überlassen, in Austausch mit einem anderen Schädel einer Zauberin, die ihm seine Jugend und Kraft und damit das Glück wiedergibt. Doch Goethe erkennt den wahren Grund, warum Humboldt die Köpfe tauschen möchte.
Diese Thematik ist nicht so meine, ich lese darüber und denke, meine Güte, welche Triebe haben die zwei mit der Verehrung Schillers eigentlich sublimieren müssen? Die Köpfe sind Fetische und das ganze wirkt wie eine verschwiegene homosexuelle Verbindung auf mich.

 

Hallo Friedrichard

die Geschichte mag nicht jedermanns Sache sein. Mir hat sie Spaß gemacht. Ist doch Wahnsinn, dass Goethe den vermeintlichen Kopf Schillesr monatelang bei sich im Zimmer aufbewahrt hat. Als ich auf den im Epilog zitierten Brief Humboldts stieß und ein wenig recherchiert habe, musste eine Geschichte draus machen.

will mir der zentrale Satz nach dem ersten Anschein zu sein in dieser feinen Historie über eine andere Art von Heiligenverehrung unter gemeinhin als aufgeklärt geltenden Menschen angesehenen Bürgern wie der Geheime Rat, Dichterfürst und Naturforscher wie der Universalgelehrte , Staats- und Bildungsreformer (und - sehr indirekt, dessen Bruder, dem die Brille auf der Nase im buchstäblichen Ansehen durch Goethe schadet, da brauchen wir nicht auf Gryphius Vanitas ... zurückgreifen.
auch die Anekdote mit Alexander ist überliefert und dass Goethe zeitlebens keinen Leute mit Brille auf der Nase mochte.
l
skulpturierten Friedhöfen, den ...
- könnte ja eine landschaftliche Bildung sein, aber die standard-(also) -mäßige) Verbalisierung zur Skulptur wäre "slulptieren" mit den Partizipien "skulptierend" und "skulptiert", das dann auch eine Eigenschaft von Friedhöfen bezeichnen könnte ...
da habe ich ein bisschen gespielt, ich finde das passend und will von das Bild alter Friedhöfe mit verblichenen Skulpturen erzeugen.

Aber im Grunde fällt mir der moderne Devotionalienhandel ein, der ja auch mit der Beschleunigung des Menschen- und Güterverkehrs und der beschleunigten Informationswege sein Geschäft offensichtlich tragen kann.
Wahnsinn übrigens auch, dass die durchschnittliche Reisegschweindigkeit 5,5km/h zu Zeiten Goethes betrug und die Zweitragesreise von Leipzig nach Weimar von mir recht optimistisch veranschlagt wurde.

Über den Titel denk ich noch mal nach ...
der sollte eine weitere Ebene eröffnen.

Liebe Grüße und vielen Dank :shy:
Isegrims

P.S. Ich habe Philosophisches ergänzt und denke drüber nach Krimi zu entfernen.

 
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P.S. Ich habe Philosophisches ergänzt und denke drüber nach Krimi zu entfernen.

Wenn ich Dir verrat,

liebe Isegrims,

dass ich "Krimi" gar nicht wahrgenommen hab, sondern - however - nur Historik (da muss ich dann auch rein) hat das schon eine seltsame Wirkung, denn dass da Tausch/Geschäft drin steckt, bin ich schon dabei, mein Lieblingsthema im nächsten Beitrag aufzuführen, nicht umsonst wächst zur Zeit der Erzählung in Trier ein jüdischer Knabe auf, der schon zwanzig Jahre später mit dem komm. Manifest die neue Welt beschreiben wird, die mit der Reise H.s angerissen wird (Verkehrs/Informationswege, Schulen), und die Wörter Tausch und Täuschen wenn schon keine Zwillinge, so doch Gebrüder sind. Kann aber noch bis nächste Woche dauern ...

die Geschichte mag nicht jedermanns Sache sein.
Wäre ein schlechter Ratgeber, jedem gefallen zu wollen. Schade, dass erst Safranski (oder war's doch Sigrid Damm?) anmerkt, dass man sich vom med. Standpunkt aus darüber wunderte, dass Schiller überhaupt so alt wurde ...

"Skulpturieren" will ich dann mal als Korrektur des "skulptieren" ansehen, dass ja quasie die "Skulptur" skalpiert ...

Bis bald & vorsorglich schönes Wochenende

Friedel

 
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Liebe(r) Isegrims,

ein wenig überrascht bin ich schon von deinem neuen Text, sowohl, was die Thematik als auch den Stil betrifft.

Zunächst kriegst du ein Kompliment für die ausgiebige Recherche über das Reisen im Deutschland des 18./ 19. Jahrhunderts. Ebenso natürlich hast du bestimmt sorgfältig geprüft, was an Persönlichem über die beiden berühmten Männer bekannt ist. Ich glaube, hier würde man es verübeln, wenn da Widersprüche auftauchten, sind doch deren Leben in allen Facetten beleuchtet. Die Sache mit Schillers Schädel ist ja nun wissenschaftlich geklärt.
Das kann mMn nicht mehr der Grund für deine Erzählung sein. Was also dann?

Ich habe versucht, im Titel eine Antwort zu finden. So richtig fündig bin ich da nicht geworden. Nehme ich an, dass es dir um ein allgemeines, jeden Menschen betreffendes philosophisches Problem geht, so wundere ich mich über dein Setting in einem erlauchten Kreis, zu dem die wenigsten Menschen von heute Zugang haben. Zu dem Problem selbst aber schon, und zwar auf allen sozialen Ebenen, das Märchen "Hans im Glück" könnte als eine konkrete Umsetzung deines Titels gelten.

Vielleicht wolltest du abermals etwas ausprobieren, eintauchen in den Erzählstil vergangener Epochen, und hast daher nach einem passenden Sujet gesucht.

Vielleicht hat dich auch einfach fasziniert, wie ein Rätsel, das große Geister beschäftigt hat, sich so plötzlich in Luft aufgelöst hat. Finito.

Wie auch immer, sprachlich finde ich den Text gelungen. Die lange Kutschenfahrt hat mir unter der Prämisse, dass es sich nicht um eine moderne KG handelt, gut gefallen.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo Isegrims,

da du den Tag ‚Philosophisches’ angefügt hast, melde ich mich hier noch mal .

Im Mittelpunkt deiner Geschichte steht der Schädel Schillers, ein Überbleibsel, etwas, was an ihn erinnert, etwas, das ich ‚pars pro toto’ für alles das halten kann, was ich – je nach Beziehung – mit Schiller verbinde: ein Freund, ein Geistesverwandter, ein genialer Dichterfürst, jemand der mir sogar posthum noch poetische Kraft verleihen kann usw..

Du zumindest lässt das deinen Goethe so sehen:

„Spüren Sie die Energie? Obwohl es sich um einen toten Gegenstand handelt, füllt er den Raum aus. Deshalb behalte ich ihn in meiner Nähe.“
„Der Kopf eines Genies, zweifellos. Was erhoffen Sie sich davon, dass Sie ihn hier in ihrem Zimmer aufbewahren, Goethe?“
„Energie für das, was ich noch vorhabe.“
„Spricht er mit Ihnen?“
„Er flüstert. Ich muss genau hinhören und entziffern, was er mir sagen will, aber es ist mühsam mit Fritz.“

Was den echten Goethe veranlasste, Schillers Schädel zu besitzen, können wir nur erahnen. Du lässt ihn von ‚Energie, für das, was er noch vorhat’ schwurbeln.
Doch, was an dieser ‚Devotionalienverehrung’ der philosophische Aspekt sein soll, erschließt sich mir nicht.

Kommen wir zum nächsten Punkt:
Goethe verzichtet auf ewige Jugend, wählt sein Alter. Warum macht er das? Du weißt, dass das der Hauptpunkt meiner Kritik an der deiner Geschichte ist. Ich finde in ihr nichts, was mir als Antwort auf diese Fragestellung dienen könnte. Der Satz ‚Das Glück ist eine Verräterin’ bringt es (für mich) jedenfalls nicht.

Ich finde in deinem Text nichts von der Problematik des ewigen Jungseins eines Dorian Gray, nichts von einem Pakt mit dem Teufel, den Goethe (wie sein Faust) am Ende des Lebens einzulösen hätte.

Und deshalb bleibe ich dabei: Du hast es dir hier ein wenig leicht gemacht.
Was könnte einen alternden, kraftlosen Menschen dazu bringen, auf die Möglichkeit, wieder jung zu sein, zu verzichten? Dass er ‚Energie, für das (hat),’ was er noch vorhat.’ Bisschen dünn, finde ich. Aber ist auch sehr schwer, Goethe an dieser Stelle eine allgemein-gültige Erkenntnis zu verpassen. Denn so etwas müsste schon her, wenn der Tag ‚Philosophisches’ gerechtfertigt wäre.
Vielleicht sollte man die beiden von dir genannten Herren Kant und Rousseau zu Rate ziehen. Nur sprengt das sicherlich den Rahmen einer Kurzgeschichte, auch wenn es sich – wie in diesem Fall – eher um eine Erzählung handelt.

Nur ins Blaue zu überlegen, was der Autor eventuell gemeint haben könnte, ist ja ganz unterhaltsam, aber für einen philosophischen Ansatz halte ich das nicht.

Vielleicht sollte ich deine Geschichte deshalb für das nehmen, was sie ist: ein kleines Zeitgemälde, das den Spaß des Autors widerspiegelt, Informationen, die er sich über das 19. Jahrhundert angelesen hat, in eine Handlung zu packen. Einfach so. Ohne Krimi, ohne philosophischen Tiefgang, aber schön geschrieben.

Nochmals liebe Grüße
barnhelm

 

barnhelm

barnhelm schrieb:
Nur ins Blaue zu überlegen, was der Autor eventuell gemeint haben könnte, ist ja ganz unterhaltsam, aber ...

Gott gibt“, wie Herr von Goethe spricht,
die Nüsse, doch er knackt sie nicht.“

:D

 

Lieber Isegrims

Der Titel: Wenn der Text nicht von dir gewesen wäre, hätte ich ihn nicht angeklickt. Immerhin ist das Glück nicht auch noch mies. Also, wenn man schon auf einen bekannten Titel anspielt, dann doch nicht auf diese verunglückte „Übersetzung“ von The Fault in Our Stars.

In den Tagen, die auf die Weihnachtstage des Jahres 1826 folgten

Finde ich unschön.

Schnee bedeckte Wege, die mit der Landschaft verschmolzen.

Ist pingelig, aber ich lese das so, dass die Wege schon mit der Landschaft verschmolzen sind, bevor sie vom Schnee bedeckt werden. Du meinst aber, dass der Schnee die Wege mit der Landschaft verschmelzen lässt, oder?

im Sommer, wenn Hitze sich im Wagen sammelte, Staub hereinkroch und die Stöße der Räder auf dem harten Untergrund die Insassen durchrüttelte.

Mir hat sich am Ende des ersten Abschnitts eine Sommerszene im Gedächtnis festgesetzt. Ich finde es seltsam, dass du fast mehr Mühe darauf verwendest, die Sommerhitze zu beschreiben, als die eigentliche Szenerie, das hat mich atmosphärisch gestört.

Er reiste mit dem Postschlitten zu Goethe, um eine Mission zu erfüllen, die er mit Alexander ausgeheckt hatte.

Kann man eine Mission aushecken? Das ist so ein Verb, das so stark an ein bestimmtes Substantiv (Plan) gebunden ist, dass ich gestolpert bin.

Goethe mochte den Naturforscher nicht

Du setzt voraus, dass der Leser weiss, welcher der beiden Brüder in welchem Bereich seine Interessen hatte.

Goethe mochte den Naturforscher nicht, seit er ihm vor einigen Jahren mit einer Brille auf der Nase begegnet war

Damit sagst du, dass Goethe eine Brille trug, als er Humboldt begegnete. Besser: “Seit ihm dieser … begegnet war.”

Goethe mochte den Naturforscher nicht, seit er ihm vor einigen Jahren mit einer Brille auf der Nase begegnet war und es als unschickliche Zumutung empfunden hatte, die Augen seines Gegenübers durch ein Glas betrachten zu müssen. Es gab einen Wortwechsel und seither ignorierten sich die beiden.

Unschöne Wiederholung / Parallele.

Wilhelm musste es ohne ihn versuchen.

Der letzte Name, den du nennst, ist „Goethe“. Finde ich daher etwas verwirrend.

Wilhelm lehnte sich auf dem Ledersitz zurück und fühlte sich wie auf einer Woge über das Meer schwimmen. Es roch nach feuchter Erde und fauligem Laub. Kälte kroch ihm in die Glieder, wenn die Decke verrutschte, unter die er gekrochen war.

Das erste Bild vermittelt Euphorie, das zweite, na ja, ich weiss nicht, was die Aussage an dieser Stelle vermitteln will, auf jeden Fall evozierst zu zunächst Wasser, danach Erde. ich finde die drei Sätze insgesamt wenig miteinander verbunden, das ergibt für mich keinen homogenen Text.

. Sein derzeitiges Projekt erfüllte ihn wieder mit derselben Wärme, die er empfunden hatte, als er um die Einrichtung eines auf den Werten Kants und Rousseaus basierenden, für möglichst viele zugänglichen Bildungssystems in Preußen gekämpft hatte. Wilhelm wollte Kunst und Kultur voranbringen und schrieb an einer einleitenden Präambel, um sie anderen Mitgliedern des neugegründeten Berliner Kunstvereins vorzulegen.

Das ist so eine Passage, die sehr nach Wikipedia klingt. Und „wieder“ kann man streichen.

Während er sich häppchenweise zähes Rehfleisch mit Kartoffeln in den Mund steckte und mit Wein nachspülte

Wie sonst?

. Er hörte die Kartenspieler am Tisch gegenüber laut fluchen und fürchtete, dass die Zugluft einen Gichtanfall bringen würde.

Das klingt schräg in meinen Ohren. „verursachen“ / „auslösen“ gefiele mir besser.

Manchmal fielen ihm auch die Augen Valentinas ein, die Biegung ihrer Brauen, wie ein Zittern ihn von Kopf bis zu den Füßen beregnete, wenn sie ihn mit elfenbeinfarbenen Fingern berührte, von denen er glaubte, sie seien so zart, dass sie unter seidenen Handschuhen versteckt werden müssten, um sie vor obszönen Blicken zu bewahren. Ihre Haut streifte sein Herz, erstürmte ihn.

Muss ein Text, der mit „Historik“ getagt ist, in einer solchen Sprache verfasst sein? Vielleicht, keine Ahnung. Aber diese Passage, sorry, kann ich nicht ernst nehmen, das liest sich für mich unfreiwillig komisch.

Sie erreichten den Ettersberg und fuhren an den dichtstehenden Eichen vorbei, die wie Stifte emporragten und die Jahre erwarteten, die für sie noch anbrechen würden.

Welche Funktion hat diese Aussage an dieser Stelle? Das ist doch reiner Selbtzweck, ein hübscher Gedanke.

Und da bin ich auch konsequent und breche ab. Ich bin nicht der richtige Adressat für diese Art von Text, merke ich. Ich will das auch gar werten, es gibt sicher andere, denen das gefällt. Da hat es so viele Details drin, die zeigen, dass der Autor gut recherchiert hat, Goethes Weinkonsum und woher die Fässer kommen usw. Aber mir sagt das alles recht wenig, ich werde da nicht warm damit.
Ich habe schon dir schon mal gesagt, dass ich es eine grosse Stärke von dir finde, dass du sowohl inhaltlich wie auch stilistisch ein breites Repertoire hast, in viele Richtungen gehen kannst. Diese hier sagt mir nicht zu. Ich hoffe, meine Anmerkungen bringen dir dennoch was und grüsse dich herzlich.

Peeperkorn

 

Peeperkorn;684915 [B schrieb:
Sie erreichten den Ettersberg und fuhren an den dichtstehenden Eichen vorbei, die wie Stifte emporragten und die Jahre erwarteten, die für sie noch anbrechen würden.
[/B]
Welche Funktion hat diese Aussage an dieser Stelle? Das ist doch reiner Selbtzweck, ein hübscher Gedanke.

nur kurz, leider habe ich wenig Zeit, bin auf dem Sprung zu Gästen, denen ich die Region zeige, und kann frühestens morgen ausführlicher antworten.

Mit der Anspielung auf den Ettersberg versuche ich an das KZ Sachsenhausen zu erinnern, das sich in der Nähe von Weimar befand.

Eine Romanstelle von Imre Kertesz (vielleicht war es auch ein anderer) rührt mich besonders.
Dort ist ein KZ-Häftling außerhalb des Lagers zur Arbeit unterwegs, weicht vom Weg ab und wird unter einer Eiche von einem Unteroffizier mit Gewehr im Anschlag gestellt. Er zitiert Goethe und wird daraufhin nicht erschossen.

Liebe Grüße und allen ein schönes Wochenende

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Isegrims

Mit der Anspielung auf den Ettersberg versuche ich an das KZ Sachsenhausen zu erinnern, das sich in der Nähe von Weimar befand.

Warum? Ich befürchte, damit verstärkst du meinen Vorbehalt, es handle sich hierbei um reinen Selbstzweck, statt ihn zu entkräften. Hat deine Geschichte irgendetwas mit dem Holocaust zu tun?

Dort ist ein KZ-Häftling außerhalb des Lagers zur Arbeit unterwegs, weicht vom Weg ab und wird unter einer Eiche von einem Unteroffizier mit Gewehr im Anschlag gestellt. Er zitiert Goethe und wird daraufhin nicht erschossen.

Eine Assoziation, die sich keinem Leser erschliessen wird.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Ich habe mich furchtbar aufgeregt über diese Geschmackslosigkeit, das Grauen der KZ in Verbindung mit einem belanglosen Text zu bringen. Vielleicht soll der dadurch aufgewertet werden?
Mir ist richtig schlecht.
Ich gehe jetzt schwimmen. Trotzdem ist mir wohl der ganze Nachmittag versaut, Isegrims.
So schnell krieg ich das nicht aus dem Kopf.

José

 

Liebe Isegrims,

ich habe deine Historiengeschichte gern gelesen.
Das mit dem (Beinahe-)Schädel von Schiller, das hatte ich bisher noch nicht gewusst, finde ich interessant.

Die Proportionen entsprachen der Idealform, der Vorstellung harmonischer Maße. Mens sana in corpore sano.
Da Schiller ja lange chronisch krank war, passt dieses lateinische Sprichwort hier nicht, finde ich.
...mit derselben Wärme, die er empfunden hatte, als er um die Einrichtung eines auf den Werten Kants und Rousseaus basierenden, für möglichst viele zugänglichen Bildungssystems in Preußen gekämpft hatte.
Das klingt staubtrocken und abgehoben.
Seine Wangen waren gerötet und eingefallen, weil er sich nachts im Bett gewälzt, von Hitze und Kälte geschüttelt, schmetterlingsgleich von Blüte zu Blüte gezogen und das Durcheinander in ihm gewachsen war.
Das wieder etwas verwirrend, wie soll er denn im Schlaf schmetterlingsgleich ...
Ansonsten finde ich deine Geschichte sprachlich schön, mit Gewinn zu lesen. Wenn ich auch unsicher darin bin, wie ich es finde, wenn realen (zumindest früher ...) Menschen solche Gefühle und Gedanken unterstellt werden:
Was könnte einen in die Jahre gekommenen Mann überraschen, den dieser widerliche Schmerz in der Leistengegend plagte, der seine ganze Kraft aufbringen musste, um ein paar jämmerliche Zeilen, Verse, die er selbst oft genug nicht verstand, aus sich herauszupressen, als wäre er eine Maschine, die, einmal in Gang gesetzt, weiterlief, ohne selbst das Ende bestimmen zu können.
Oder hat er das selbst mal geäußert, dass er seine eigenen Verse nicht versteht?

Summa summarum: gern gelesen.

Viele Sommergrüße,

Eva

 

Hallo allerseits,
ich möchte hier mal eine Lanze brechen für die Goethe- Geschichte, die mir persönlich ausgesprochen gut gefallen hat.
Ich gehöre zu der Sorte solide halbgebildeter Menschen, von denen es draußen im richtigen Leben nur so wimmelt. Hier in diesem Forum scheine ich einer Minderheit anzugehören, denn weder wusste nicht schon alles über Goethes Freundschaft zu Humboldt noch könnte ich hier mit zahlreichen Zusatzinformationen glänzen. Kurzum: Die Geschichte hat mir neues Wissen vermittelt. Das freut mich.
Auch die Art der Sprache scheint mir gut getroffen: nicht altertümelnd, aber auch nicht zu modern. Mir jedenfalls hat sie Zeit und Stimmung gut eingefangen.
Dazu sollte vermutlich auch die - tatsächlich ziemlich lang geratene - Schilderung von Humboldts Anreise dienen. Ich habe sie gerne gelesen und musste nichts überfliegen. (was ich sonst recht häufig tue)
Dunkel erinnere ich mich an den Deutschunterricht in meiner Schulzeit und an die Analyse von Kurzgeschichten…. Sollten Kurzgeschichten nicht einen offenen, aber dennoch pointierten Schluss aufweisen? Und hier wird nun gerade diese Eigenschaft dieser Geschichte kritisiert??
Zusammen mit dem Epilog hat mich der Schluss zum Schmunzeln gebracht. Pluspunkt.
Bei der Begegnung zwischen Humboldt und Goethe wäre ich nie auf eine homoerotische Dreierbeziehung gekommen - aber gut, ich bin eine Frau, da fehlen mir wahrscheinlich die entsprechenden Antennen.
Am Ende muss Goethe sich entscheiden. Doch ist meiner Meinung nach die ewige Jugend und Liebe keine seiner Optionen, sondern lediglich die Illusion von beidem. Das erkennt Goethe und entscheidet sich - weise - für den Schiller- Schädel, der für mich eher eine Entscheidung für eine geistige, gleichzeitig reale (frühere) Verbindung symbolisiert. Ich für meinen Teil habe an dieser Stelle darüber nachgedacht, ob diese Entscheidung meinem Bild von Goethe entspricht oder es vielleicht etwas revidiert, was ich überhaupt für ein Bild von Goethe im Kopf habe. Das ist nicht gleich eine philosophische Überlegung, sicher, aber nicht alles, was ich so lese, regt mich überhaupt zum Nachdenken an.
Und da ich neu auf diesem Portal bin, nehme ich staunend wahr, wie trefflich man über tags so streiten kann.
Übrigens, ein klassischer Krimi ist die Geschichte nicht, das ist (auch dem Autor vermutlich) klar. Aber durch den Epilog und die Tatsache, dass der Schiller’sche Schädel bis heute verschollen ist, bekommt die Geschichte schon etwas Kriminalistisches. Meine ich.
Grüße, Uke

 

Liebe Isegrims,

Isegrims schrieb:
Mit der Anspielung auf den Ettersberg versuche ich an das KZ Sachsenhausen zu erinnern, das sich in der Nähe von Weimar befand.

Eine Romanstelle von Imre Kertesz (vielleicht war es auch ein anderer) rührt mich besonders.


Mit dieser Bemerkung geht es mir wie mit manchen deiner Textstellen: Sie bewegen sich im Irgendwie: Kertész oder so, Sachsenhausen oder so?

Nicht das KZ Sachsenhausen lag in der Nähe des Ettersbergs, sondern Buchenwald. Immerhin ist es richtig, dass Kertész genau dort war.

barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm,

ich danke dir sehr für deinen Kommentar, den Leseeindruck, die kritischen Anmerkungen und deine Zeit.

Und irgendwie hatte ich bei den vielen Wissenspartikeln, die du im Text verstreut hast (Wilhelm I., die neuen Poststationen, die neuen Chausseen, die der Aufklärung verbundene Bildungspolitik, die Sehnsucht nach der Antike, Rom und die Via Appia, Goethe und Eckermann, 'mens sana...' usw. usw.) auch das Gefühl, dass es hier mehr ums Sich-kaprizieren des Autors ging und mit der eigentlichen Handlung so recht nichts zu tun hatte.
mm, klar, ich habe eine Menge recherchiert für den Text und wollte etwas davon unterbringen, musste ich aber auch, weil ich finde, dass man nicht einfach über eine ferne Zeit schreiben kann oder darf ohne sie zu beleuchten. Wäre nicht nötig gewesen, wenn der Text heute spielte. Die Kutschfahrt habe ich dazu genutzt, ja, mit den Erinnerungen Wilhelms wollte ich tiefer eintauchen. Kann man jetzt als Bildungsarroganz bezeichnen, oder eben nicht. Ich habe meine letzten beiden Geschichten ziemlich intensiv recherchiert und sie geplant. Was ich bisher nie gemacht habe.

Der Wein schmeckte bedeutend besser als in den Spelunken auf dem Weg nach Weimar, war spritzig und süß zugleich. Dann machte er sich mit flinken Fingern an seinem Köfferchen zu schaffen. Das Holz knirschte und knackte. Er öffnete ein Fach, schritt durch das Zimmer und schloss es nach einer Weile wieder. Das Werk war vollbracht, das Ziel erreicht.
Damit ich als Leser auf die richtige Fährte gebracht werde, hast du sicherheitshalber noch den Epilog angehängt. Somit gibst du dem geneigten Leser, der vielleicht nicht ganz mitbekommen hat, um was es geht, noch einen zusätzlichen Fingerzeig.
wäre ohne den Epilog leider nicht gegangen, hätte man Dan_Brown-mäßig auch auf 500 Seiten ausbreiten können.

Doch weder verstehe ich die Aussage dieses Satzes, noch, warum das Glück mit einer weiblichen Person gleichgesetzt wird. Einfach keine Ahnung – auch nach zweimaligem Lesen.
das war auf Goethe gemünzt und ich wollte das Gretchen-Motiv andeuten, hat bei dir nicht geklappt, vielleicht ist der Text hermetischer, als ich dachte.

Alles in allem eine kleine Goethe-Reminiszenz, wie sie uns in den letzten Jahren immer mal wieder begegnet, sprachlich wirklich gut umgesetzt und angenehm zu lesen.
was soll ich sagen, dankeschön für den zweiten Teil der Aussage.

Was mir aber gefehlt hat, das ist eine Kurzgeschichte mit einem echten Spannungsaufbau, einem Konflikt, einem Höhepunkt, einer überraschenden Wende und einer Aussage, über die ich wirklich nachdenken kann.
dafür- und verzeih, das meine ich nicht spöttisch - hast du ganz schön intensiv über die Aussage nachgedacht. Für mich ist die ganze Aktion allein schon spannend. Goethe bewahrt den Kopf Schillers in seinem Zimmer auf, das allein finde ich spannend, okay, ich habe vielleicht unterschätzt, dass jeder (außer mir)Bescheid weiß über das, was ich schildere.

viele Grüße und einen angenehmen Wochenstart
Isegrims

Hallo Goldene Dame

danke für deinen Besuch. Irgendwie bestätigst du, dass es doch kein so schlechter Weg ist, ein paar Rätsel in einer Geschichte unterzubringen.

Das Glück ist eine Verräterin, so zu verstehen was gemeint ist, ist schon eine Herausforderung. Was ist Glück überhaupt und worin besteht der Verrat?
Ist es nicht so, dass Glück trügerisch ist? Goethe hat die Wahl zwischen dem Schrumpfkopf und dem (vermeintlichen) Schädel Schillers. Er wählt das Naheliegende, das sich allerdings, ohne dass er es weiß, ebenso als Fantasiegebilde erweist.

Doch Goethe erkennt den wahren Grund, warum Humboldt die Köpfe tauschen möchte.
ja, meine Befürchtung war eher, dass Goethe zu gut wegkommt.

Diese Thematik ist nicht so meine, ich lese darüber und denke, meine Güte, welche Triebe haben die zwei mit der Verehrung Schillers eigentlich sublimieren müssen? Die Köpfe sind Fetische und das ganze wirkt wie eine verschwiegene homosexuelle Verbindung auf mich.
immerhin ist Goethe (so glaubt er) neben seinem geliebten Schiller begraben, normalerweise lassen sich Ehegatten nebeneinander begraben.

viele Grüße
Isegrims

 

Für mich (und Goethe nebst Heine) geht das Glück als Weibsstück statt Sächlichkeit und Neutrum in Ordnung. Heine fuhr auf den west-östlichen Diwan ab wie - man würd heute sagen - ne Rakete und hat einiges im Buch der Lieder - und später auch - auf seine weniger klassische als romantische Weise umgestaltet und da heißt es dann

"Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küsst dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest an’s Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir an’s Bett und strickt."*

Nur mal so nebenbei nach einigem Urbock und - Bambusschnaps

Schlaft gut und träumet süß von sauren Gurken

* Anpassung an die neuere deutsche Rechtschreibung (wer könnte das tea-aitsch des Gegentheiles noch korrekt aussprechen? Konnte Heine schon nicht. Dafür kann er frz. besser als ich. Macht nix, stoßen wir an mit 'nem Alt ...)

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Friedrichard

vielen Dank für deine interessanten Gedanken zu dem als Krimi verkleideten Text in historischem Gewandt.

bin ich schon dabei, mein Lieblingsthema im nächsten Beitrag aufzuführen, nicht umsonst wächst zur Zeit der Erzählung in Trier ein jüdischer Knabe auf, der schon zwanzig Jahre später mit dem komm. Manifest die neue Welt beschreiben wird, die mit der Reise H.s angerissen wird (Verkehrs/Informationswege, Schulen), und die Wörter Tausch und Täuschen wenn schon keine Zwillinge, so doch Gebrüder sind. Kann aber noch bis nächste Woche dauern
auf den Bezug bin ich gespannt. Klar, die Gebrüder Humboldt sind Teil einer neuen Zeit. Was Goethe verkörpert, ist so ein Zwischending, sein Leben eher konservativ, das Werk durchaus progressiv.

Wäre ein schlechter Ratgeber, jedem gefallen zu wollen.
lieber polarisieren, Unmut erzeugen, als keine Gefühle hervorrufen und nichts probieren. Für mich und meine Entwicklung sind meine letzten beiden Texte ungemein wichtig.

viele Grüße und eine west-östliche Diwan-Nacht
Isegrims


Liebe wieselmaus

zunächst einmal bin ich wirklich sehr froh, dass unser kleiner Disput kürzlich keinen Nachklang hat und über deinen Kommentar ohnehin.

Zunächst kriegst du ein Kompliment für die ausgiebige Recherche über das Reisen im Deutschland des 18./ 19. Jahrhunderts. Ebenso natürlich hast du bestimmt sorgfältig geprüft, was an Persönlichem über die beiden berühmten Männer bekannt ist.
tatsächlich habe ich einiges recherchiert und denke, dass ich das Zeitgeflecht einigermaßen historisch korrekt wiedergebe. Sicher könnte man die historische Situation und die Freundschaft Humboldts mit Goethe wesentlich ausführlicher beleuchten, bin aber froh, dass ich darauf verzichtet habe, war ja jetzt schon zu langatmig für den einen oder den anderen.

Die Sache mit Schillers Schädel ist ja nun wissenschaftlich geklärt.
Das kann mMn nicht mehr der Grund für deine Erzählung sein. Was also dann? Ich habe versucht, im Titel eine Antwort zu finden. So richtig fündig bin ich da nicht geworden.
weswegen ich den Text geschrieben habe, fragst du? Ich finde es nach wie vor erstaunlich, befremdlich, dass Goethe nach so vielen Jahren nach dem Schädel Schillers suchen ließ, ihn dann im Arbeitszimmer aufbewahrt hat und ihn neben sich begraben ließ.

Nehme ich an, dass es dir um ein allgemeines, jeden Menschen betreffendes philosophisches Problem geht, so wundere ich mich über dein Setting in einem erlauchten Kreis, zu dem die wenigsten Menschen von heute Zugang haben. Zu dem Problem selbst aber schon, und zwar auf allen sozialen Ebenen, das Märchen "Hans im Glück" könnte als eine konkrete Umsetzung deines Titels gelten.
von sozialen Problemen wollte ich in diesem Text nicht erzählen, eher die Frage aufwerfen: wie versichert sich jemand seiner selbst und warum.

Vielleicht wolltest du abermals etwas ausprobieren, eintauchen in den Erzählstil vergangener Epochen, und hast daher nach einem passenden Sujet gesucht.
nein, wollte ich nicht, der Erzählstil sollte so eine Mischung sein, weil Goethe und Humboldt eben in einer anderen Zeit lebten

Wie auch immer, sprachlich finde ich den Text gelungen. Die lange Kutschenfahrt hat mir unter der Prämisse, dass es sich nicht um eine moderne KG handelt, gut gefallen.
ich habe schon versucht, einigermaßen modern zu erzählen, den Text zwischen den Zeilen schwingen zu lassen, dem Hemingwayschen Eisbergmodell zu folgen.

viele Grüße und genieß die warmen Tage um Süden
Isegrims

 

Hallo barnhelm,

vielen Dank. Du zeigst die Tücken des Textes deutlich auf, wahrscheinlich sogar die Schwächen. Mir wird auch klar, wie schwierig es ist, einen historisch belegten Fakt (Goethe ließ den Schädel suchen, bewahrte ihn lange bei sich auf), der mir rätselhaft vorkommt, eine Bedeutung zu verleihen.

der Schädel Schillers, ein Überbleibsel, etwas, was an ihn erinnert, etwas, das ich ‚pars pro toto’ für alles das halten kann, was ich – je nach Beziehung – mit Schiller verbinde: ein Freund, ein Geistesverwandter, ein genialer Dichterfürst, jemand der mir sogar posthum noch poetische Kraft verleihen kann usw..
ein Erklärungsversuch, denn ich glaube schon, dass Goethe aus seiner Freundschaft mit Schiller Kraft schöpfte.

Du lässt ihn von ‚Energie, für das, was er noch vorhat’ schwurbeln.
Doch, was an dieser ‚Devotionalienverehrung’ der philosophische Aspekt sein soll, erschließt sich mir nicht.
klar, muss man nicht philosophisch nennen, dennoch beobachte ich gelegentlich bei älteren Menschen, dass sie nach Wegen suchen, Kraft zu tanken: indem sie sich mit Jugend umgeben, studieren gehen, was auch immer. Die Suche nach Energie finde ich nachvollziehbar.

Goethe verzichtet auf ewige Jugend, wählt sein Alter. Warum macht er das? Du weißt, dass das der Hauptpunkt meiner Kritik an der deiner Geschichte ist. Ich finde in ihr nichts, was mir als Antwort auf diese Fragestellung dienen könnte. Der Satz ‚Das Glück ist eine Verräterin’ bringt es (für mich) jedenfalls nicht.
mit dem Schrumpfkopf ist keine ewige Jugend verbunden, jedenfalls sagt Humboldt nichts dergleichen, er bietet Imagination, Zauber, Schall und Rauch. Goethe (in meiner Geschichte) weiß, dass er nicht nach Jugend streben sollte. (Das Gretchenmotiv, die Verlockung der Jugend habe ich mit Susanne unterzubringen versucht). Eine solche Suche wäre verräterisch.

Vielleicht sollte man die beiden von dir genannten Herren Kant und Rousseau zu Rate ziehen. Nur sprengt das sicherlich den Rahmen einer Kurzgeschichte, auch wenn es sich – wie in diesem Fall – eher um eine Erzählung handelt.
sicher, da bleibe Kant, Rousseau, Seneca, was das aber für eine Geschichte sein müsste, keine Ahnung, die wäre viel länger.

Vielleicht sollte ich deine Geschichte deshalb für das nehmen, was sie ist: ein kleines Zeitgemälde, das den Spaß des Autors widerspiegelt, Informationen, die er sich über das 19. Jahrhundert angelesen hat, in eine Handlung zu packen. Einfach so. Ohne Krimi, ohne philosophischen Tiefgang, aber schön geschrieben.
darf man sicher lesen, wie man möchte.

liebe Grüße und einen sonnigen Start ins Wochenende
Isegrims

 

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