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Held sein

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08.07.2003
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Held sein

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Der Sommer war heiß und stickig, und ich war vor allerhand Ungeziefer – zwei- bis zehnbeinig – in die nächste Bar geflüchtet. Von Alkohol, Drogen und Auseinandersetzungen gezeichnete Gesichter hoben sich kurz und drehten sich wieder weg. Ich kannte den Laden, und der Laden kannte mich. Es war eine ziemlich heruntergekommene Kaschemme, aber ich hatte schlimmeres gesehen. Küstennähe, nicht Hafen, aber knapp an der Grenze zu den Docklands. Perfekt für die Art von Geschäften, von denen nicht mal die Yakuza erfahren durfte. Natürlich erfuhr sie es am Ende immer, aber meist erst dann, wenn der Zug schon abgefahren war.
Ich marschierte auf meinen bevorzugten Tisch zu, der bereits besetzt war. Die Typen sahen mich kommen, standen auf und suchten sich einen anderen Platz. Das war so normal, daß ich nicht mal mehr ein müdes Lächeln dafür übrig hatte.
Mein Drink kam sofort, irgendein gepanschtes Zeug, das mich eines Tages umbringen würde. Aber nicht heute. Dann kam der Junge in den Laden, und die Sache wurde interessant.
Er war vielleicht fünfzehn, groß für sein Alter, kräftig, braune Haare, blaue Augen. Seine Augen verrieten ihn. Hatte zu lange im Licht gelebt, der Junge, konnte nicht allzu gut sehen im Schatten. Er glaubte noch an Dinge wie Gerechtigkeit, Fairness, Wahrheit. Kamikazeflieger und weiß es nicht mal, dachte ich. Für Drogen, Waffen oder andere Straßenware sah er zu sauber aus. Er war auf einer Suche. Ausgerüstet mit Mut, Entschlossenheit und der absurden Vorstellung, daß die Guten immer gewannen, hatte er sich getreu dem Vorbild solariumverbrannter, mit Steroiden aufgepumpter Actionstars auf die tollkühne Mission begeben. Idealismus gepaart mit Blödheit. Eine ungesunde Kombination.
Die bedröhnten Typen an der Bar schauten begierig auf. Ich hatte kein Mitleid. In einer Welt wie dieser waren Gefühle nur dann angebracht, wenn sie im alltäglichen Überlebenskampf einen Vorteil brachten. Zorn, ja, Zorn konnte helfen, kalter Zorn, der einen die Situation rasiermesserscharf erkennen ließ. Heiße Wut war tödlich, genauso wie Haß, Eifersucht, Rachegelüste. Der Junge würde seine Lektion noch lernen müssen. Bedauerlich. Für ihn.
Er beging den Fehler, dem Barkeeper einen Namen zu nennen.
Auf so etwas hatten sie nur gewartet. Im Handumdrehen hatten sie ihn eingekreist und wieherten vor Vergnügen. Einer hielt ihm seine Knarre unter die Nase, und zehn Sekunden später fiel der erste Schuß. Blut spritzte auf den Tresen, als der Kerl mit der Knarre ihm das Ohrläppchen wegschoß. Ich hörte ihn schreien und überlegte, ob ich eingreifen sollte. Hätte mich nur einen mittelschweren Gefallen gekostet. Der Junge hatte was. Seine Naivität war irgendwie rührend. Ich haute meinen Drink weg und entschied mich dagegen. War nicht meine Sache. Außerdem konnte ich Schulden nicht ausstehen. Hatte schon zu viele davon.
Der nächste Schuß überraschte mich etwas. Es war ein hellblauer Laserblitz aus der Defgun, die unter dem Ärmel des Jungen versteckt gewesen war. Wieder ein Fehler. So hätten sie ihn vielleicht mit dem zerschossenen Ohrläppchen und ein paar gebrochenen Rippen davonkommen lassen.
Jetzt nicht mehr.
Sie schlugen ihn nicht einfach zusammen. Sie machten eine Kunst daraus. Sie brachen ihm jeden einzelnen Knochen im Körper. Dann schafften sie ihn nach draußen, hievten ihn in einen Hover und fuhren rüber zu den Docks, wo sie ihn verschnürten und in die toxische Ozeansuppe stürzten.
Schade eigentlich. Hatte einen anständigen Eindruck gemacht, der Junge.

 

Ja, doch, hat was.

Was mich stört, ist das Augenmerk auf die Art und Weise, wie der arme Kerl "fertig gemacht" wird. Irgendwie kommt da zuviel Emotion zu Tage, denn obwohl du viele Emotionen ansprichst, lassen diese den Leser völlig kalt, was bei manch anderen Geschichten ein großer Fehler ist, hier jedoch nicht. Die Szenerie, wo und wann das alles spielt, wird beiläufig erwähnt, wenn überhaupt. Gefällt mir, läßt dem Leser viel Spielraum. Der in kurzen Sätzen gehaltene Text vermittelt die Gedankengänge des namenloseen Erzählers recht gut. Die Welt, in der er lebt, muß wohl recht einfach gestrickt, abgestumpft sein. Den Titel fand ich persönlich etwas unglücklich, aber was solls. Die vielen Fragen, die du aufwirfst, stören nicht. Wenn du dich entschließen solltest, aus dem hier vorliegenden Text etwas längeres zu machen, müssen natürlich Antworten her, keine Frage.

Die toxische Ozeansuppe läßt ja auf eine wahrhaft schauderhafte Zukunft schließen.

Hat mir gut gefallen, ausbaufähig in Hinsicht einer längeren Geschichte.

Obwohl du nur mit den Gedankengängen des Erzählers arbeitest, mit seinen Beschreibungen der gerade ablaufenden Szene, schaffst du es, ihn/sie doch als abgewrackten, abgestumpften Typus zu präsentieren. Ich hatte irgendwie Deckard aus 'Blade Runner' im Sinn. ;)

Gute Idee. Mach was draus. Pessimismus bei SciFi kommt immer gut.

Gruß,
Poncher

PS: Defgun klingt ja ziemlich beknackt, nicht wahr?

PPS: Sollte das alles zu verwirrend klingen und deiner eigentlichen Intention überhaupt nicht entsprechen, dann setz mich auf die Abschußliste...

 

Hmmmmm.... Shadowrun oder Cyberpunk, ne? Klingt sehr nach einem dieser Rollenspiele.

Also eine Geschichte über jemanden, der verbittert, ohne Illusionen darüber nachdenkt ob er nun jemandem helfen soll, oder nicht? Anstatt dem Jungen zu helfen, was ihm fast nichts kosten würde, lässt er den Jungen verkrüppeln. Er meint sogar, dass er den Jungen sympathisch findet.

Normalerweise fängt so ein "Unerfahrener Jungspund+Alter Hase-räumen auf/machen großen Coup"-Film an.

Also relativ überraschend, aber einige Zeilen mehr, eine umfangreichere Beschreibung des Jungen, der Bar, und des Abschaums hätten der Geschichte gutgetan.

Also: Meiner Meinung nach: Mittelmaß mit Potential...

bis denne

P.S. die DefGun ist wohl abgekürzt für Defense-Gun, und ist wohl eine Stun-Gun... *g*

 

Hi,

die DefGun ist irgendwie das einzige wirkliche SF-Motiv, der Rest könnte genauso heute passieren. Mich hinterlässt die Geschichte sehr zufrieden, denn ein klassischer Helden-Stereotyp wird eiskalt und lässig demontiert. Emotionslosigkeit wird thematisiert, die Geschichte lässt einen gerade deshalb nicht kalt. Genau so cool wie der Typ reinmarschiert, wird er abgeschlachtet. Wobei das Brechen jedes einzelnen Knochens nicht wirklich cool ist, einfach über den Haufen schießen wäre cooler. Eigentlich eine zynische Satire auf leuchtende Helden, die in Gaststätten marschieren und Informationen erfragen - wie in jedem zweiten Rollenspiel. Mehr als das bringt die Geschichte nicht, aber auch nicht weniger. Sprachlich triffst Du den richtigen Ton, finde ich.

Fazit: Sprachlich prima, gute Idee und konsequent umgesetzt. Lesenswert!

Uwe

 

Hallo und vielen Dank für eure kritischen Meinungen.

@Poncher
Was genau stört dich? Ich muß nämlich gestehen, ich begreife nicht ganz, was du mit "... kommt zuviel Emotion zu Tage ..." meinst. Ich hatte mich bemüht, den Ich-Erzähler als gleichgültigen Beobachter darzustellen, was mir auch ganz gut gelungen ist. Bilde ich mir jedenfalls ein ;)
Geschichten Titel zu geben, ist für mich persönlich ein Horror. Entweder fällt mir sofort der Richtige ein, dann ist es perfekt. Oder ich sitze da, lese die Geschichte an die hundert Mal durch und grüble. Dann ist es meist ein Reinfall. Wie bei dieser. Aber solange die Geschichte trotzdem gelesen wird ...
Etwas längeres werde ich daraus wohl nicht machen; es würde dann vermutlich in die Richtung "Unerfahrener Jungspund/Alter Hase" entwickeln, und das muß nicht sein.
Deckard ist gut ;) In der Art, wie er an der Straßen-Sushi-Bar sitzt und dem Typen, der ihm ein Ohr abkauen will, die kalte Schulter zeigt ... Ja, so ungefähr, nur noch eine Spur finsterer.

@Pain
Shadowrun und eine Spur Gibson, falls das nicht zu vermessen ist. Den Sinn der Geschichte hast du erfaßt. Es geht um Gleichgültigkeit. Und Bequemlichkeit. Und ja, es wäre ein Anfang für eine Geschichte voller Klischees, aber - siehe oben.
Auf weiterführende Beschreibungen habe ich absichtlich verzichtet. Sie wären nur Ausschmückung, und ich wollte die Geschichte kurz halten.

@ Uwe Post
Knochenbrechen oder über den Haufen schießen - tja, ich wollte den Sadismus der Kerle, gepaart mit Langeweile und dem Wunsch nach Abwechslung zum Ausdruck bringen. Einfach niederschießen wäre solchen Typen wahrscheinlich zu schnell.

Mit Defgun habe ich wohl keinen Volltreffer gelandet. Was solls. Lies einfach: 'Ein Ding, das hellblaue, Schmerzen verursachende Lichtblitze spuckt ...) Frei (sehr frei ;) ) nach Crichton.

Nochmals danke und bis zum nächsten Mal.

 

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