Heimwerken für Frauen
Konzentriert richtete sie den Stryroporschutz der Einbauwanne im Eck unter dem Dachflächenfenster aus. Als sie damit fertig war, maß sie die Grenzen für den Bereich aus, in dem sie die Badewannenummantlung aufmauern wollte, aber bevor sie damit beginnen konnte, musste sie den Boden des Badezimmers noch mit Plastikplanen abdecken, damit die Sauerei nicht zu groß werden würde.
Als sie vom Keller kommend mit der Rolle Plastik das Erdgeschoß passierte, hörte sie die Stimme eines bekannten Sportreporters aus dem Wohnzimmer dringen. Durch die einen Spalt breit geöffnete Glastüre sah sie die Umrisse ihres auf dem Sofa sitzenden und in Richtung Fernsehen starrenden Mannes.
Sie seufzte. So war es immer gewesen. Nichts war von ihm im Haus jemals erledigt worden. Aber das hätte sie sich schon am Anfang ihrer Beziehung denken können. Sie begann den Trockenbeton in einer großen Wanne anzurühren.
Eine kleine graue Maus in der Steuerberatungskanzlei war sie gewesen, die den vor Charme sprühenden und erfolgreichen, aber in seiner Buchführung recht chaotischen Journalisten immer wieder vor dem grausamen Zugriff des Fiskus retten musste.
Am Anfang hatte sie gar nicht glauben wollen, dass ein so intelligenter und wortgewandter Mann an ihr wirklich Interesse zeigen könnte. Rückblickend betrachtet, hatte sie ihr Gefühl damals vielleicht auch gar nicht getäuscht.
Bald nach der Hochzeit und nachdem er zu ihr in das von ihrem Vater schuldenfrei hinterlassene Haus gezogen war, hatte er ihr verraten, dass er seinen Traum nun endlich in die Tat umsetzen würde: Er werde einen Weltbestseller schreiben, der ihn für den Rest seines Lebens ein sorgenfreies Leben bescheren würde. Sein Vorschlag, dass sie vorerst für den finanziellen Lebensunterhalt sorgen, damit er sich auf das Schreiben konzentrieren und bald den großen Durchbruch schaffen würde, gefiel ihr damals ganz gut. Da hatte es ihr auch nichts ausgemacht auf seinen Wunsch, die Familienplanung vorerst hintanzustellen. Naive Kuh!
Sie hatte sich damals von seiner Begeisterung und dem Versprechen, er würde den gesamten Haushalt übernehmen und kleinere Reparaturen am Haus selbst durchführen, einlullen lassen.
Ihr Vater hatte die letzten Jahre vor seinem Tod gesundheitsbedingt nicht mehr viel in Haus und Garten erledigen können, was ihm damals schwer zu schaffen gemacht hatte. Sein Leben lang war er fleißig und ein handwerklich geschickter Tüftler gewesen, schon als kleines Mädchen hatte sie ihm gerne bei Arbeiten zugesehen. Wie stolz hatte es sie gemacht, wenn sie sogar mithelfen durfte! Ihr Vater war von ihrem Geschick sehr angetan gewesen und als sie mit Anfang Zwanzig von zuhause auszog, machte er ihr neben einem kleinen Handwerkskoffer auch ein Ratgeberbuch mit dem Titel „Heimwerken für Frauen“ zum Geschenk.
Sie hielt nach dem Setzen jedes weiteren Ziegels auf den Bau der Umrandung die Wasserwaage an, um ja nicht schief zu werden.
Die Pedanterie hatte sie von ihrem Vater geerbt. Geduldig hatte er ihr die einzelnen Handgriffe erklärt und sie immer darauf hingewiesen, dass es besser sei, gleich von Anfang an sauber und genau zu arbeiten, weil man sonst die doppelte Arbeit haben würde. In letzter Zeit dachte sie wieder öfter an ihn.
Ihr Mann dagegen war eine richtige Drecksau. Blind vor Liebe hatte sie ihm am Anfang ihrer Beziehung alles hinterher geräumt, so wie ihre Vorgängerinnen und seine Mutter das für den großen Literaten, das große Ausnahmetalent, schon immer getan hatten. Die Blindheit war mittlerweile gemeinsam mit dem Großteil der Liebe verschwunden, das Hintennachräumen und – putzen waren ihr geblieben. Zumindest sofern sie nicht gemeinsam mit dem Genie im Dreck ersticken wollte.
Sie ging zwei Schritte zurück und besah sich stolz das bisher Geschaffene. Wenn sie mit der rohen Ummantlung fertig und diese getrocknet war, würde sie die Außenwand mit einem Fliesenmosaik versehen und sie wusste bereits genau, wie es aussehen sollte.
Sie zuckte kurz zusammen, als sie hinter sich unvermutet ein Rascheln und Tapsen wahrnahm. Verärgert sah sie den beiden Siamkatzen beim Spielen mit der Plastikrolle zu, als sie die vom Krallenschärfen hinterlassenen Löcher in der Plane bemerkte. Klatschend und rufend scheuchte sie die Katzen aus dem Badezimmer. Das Trippeln der Pfoten auf der Stiege deutete ihr, dass die Tiere am Weg ins Erdgeschoß waren. Sollten die blöden Viecher es sich doch bei dem gemütlich machen, der sie angeschleppt hat!
Die Katzen waren ihr zuwider, aber er hatte gemeint, dass er den ganzen Tag, alleine im Haus und so einsam sei, deshalb würde er andere Lebewesen um sich benötigen. Als ob die Spinnen, die mittlerweile in beinahe jedem Zimmer des Hauses von der Decke baumelten, nicht genug gewesen wären! So fühlte er sich tagsüber beim Schlafen auf der Couch nicht so alleine, denn seinen Biorhythmus hatte er im Laufe der Jahre seines „Nichtschaffens“ offensichtlich an die Tiere angepasst. Während er nächtelang am Computer seinen literarischen Ergüssen, oder was auch immer nachhing, demolierten die Stubentiger alles, was sie in die Krallen bekamen.
Das ganze Haus war von ihrer Hyperaktivität in Mitleidenschaft gezogen worden, Kratzspuren an Wänden, Fensterrahmen und Türstöcken. Wie viele Taschen und Schuhe ihr diese Ausgeburten der Hölle schon zerfleddert hatten! Diese Mistviecher spürten die ihnen entgegengebrachte Abneigung offensichtlich, denn während sie sich ihrem Herrchen schnurrend und samtpfotig näherten, bekam sie schon einmal wie aus dem nichts einen schmerzhaften Krallenschlag gegen die Wade verpasst. Groteskerweise behandelte ihr Mann diese Monster wie kleine Kinder, die ganze Zeit hieß es: „Na komm´ zum Papi“ oder „der Papi gibt dir schönes Fressi“.
Die Säuberung des Katzenklos überließ er allerdings „Mami“.
Während er die Katzen offenbar als Kinderersatz akzeptiert hatte, lag sie in den seltenen Nächten, in denen er gemeinsam mit ihr das Bett teilte, lange wach und grübelte über ihre Beziehung nach. Dabei war es ihr, als würde das laute Ticken ihrer biologischen Uhr sogar seine nächtlichen Flatulenzen übertönen.
Es tat ihr weh, dass das Haus und Andenken an ihren Vater durch die Schlampereien ihres Mannes und der Zerstörungswut der Katzen so heruntergekommen war. Nachdem eine kleine Reparatur an der Waschmaschine beinahe ihr halbes Monatsbudget verschlungen und sie offensichtlich einen Mann geheiratet hatte, der eine Glühbirne nur wechseln konnte, wenn man ihn dazu auf einen Bürostuhl stellte und gleichzeitig an der Sitzfläche drehte, entschloss sie sich, künftige Reparaturen selbst durchzuführen. Also kramte sie das Ratgeberbuch wieder hervor und wo dieses fachlich nicht ausreichte, besuchte sie Handwerkskurse im Baumarkt. Bewundernd hing sie dort an den Lippen richtiger Männer, die sie im Umgang mit Werkzeugen, wie Motorsäge, Fliesenschneider, Rüttlerplatte etc einwiesen. Mittlerweile machte es ihr Spaß, Kaputtes nicht nur wieder funktionstüchtig zu machen, sondern sie begann, nach Möglichkeit auch gleich eigene Ideen umzusetzen. In ihr war eine Kreativität erwacht, die ihr keiner aus dem Freundes- und Kollegenkreis zugetraut hätte.
Es machte sie glücklich, als der Nachbar die akkuraten Rundungen ihrer zu Herzen faconierten Buchsbäume lobte. Beim Besuch ihrer Freundinnen auf der selbst zusammengebauten und eigenhändig lackierten Loungegarnitur, die noch dazu auf dem neu verlegten Terrakotta der lichtdurchfluteten Terrasse stand, sonnte sie sich in deren anerkennenden und neidischen Blicken.
Seit der Vorwoche war das Badezimmer ihr neues Projekt geworden.
Sie prüfte noch einmal die aufgemauerte Umrandung mit der Wasserwaage und rührte den Beton erneut kräftig durch. Sie war mit seiner Konsistenz zufrieden. Der nächste Schritt würde sein, dass sie den gut einen Meter breiten Spalt zwischen Wanne und Mauer mit dem Waschbeton auffüllte. Oben würde sie Rechtecke aussparen, in denen sie Blumenkisten mit Hydrokultur versenken konnte. Ganz links sollten drei Stufen den Einstieg in die Badewanne erleichtern.
Sie stellte sich vor, wie sie von Grünpflanzen umgeben, im warmen Badeschaum liegen und durch das Dachflächenfenster in den blauen Himmel blicken würde.
Eigentlich war sie nie der Badewannentyp gewesen. In der Früh musste es meistens schnell gehen und sie hatte die anregende Wirkung einer prickelnden Dusche immer zu schätzen gewusst. Die Badewanne hatte sie fast ausschließlich gemeinsam mit ihrem Mann genutzt, aber sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann das zuletzt der Fall gewesen war. Wann war wirklich das letzte Mal gewesen, dass sie verschwitzt und aufgewühlt vom Liebesakt gemeinsam im warmen Wasser gesessen und über Gott und die Welt geredet hatten? Oft waren sie so lange in der Wanne sitzen geblieben, dass sie heißes Wasser nachlaufen lassen mussten. Sie erinnerte sich an das wohlige Gefühl, wenn er ihre Kopfhaut beim Haarewaschen massierte, an das Lachen, wenn er mit seinem großen Zeh kindisch gegen ihre aus den Schaumbergen ragenden rosigen Nippel stupste und dabei „Tut, Tut“ machte. Nicht selten hatten sie sich in der Wanne ein zweites Mal geliebt, so leidenschaftlich, dass das Badewasser überschwappte und den Boden flutete. Manchmal waren sie dabei interessiert von den beiden Katzen beobachtet worden, deren kindhaftes Miaue nun aus dem Erdgeschoß zu ihr hinauf drang.
Wenn das Badezimmer erst komplett renoviert sein würde, würden ihr Mann und sie wieder gemeinsam hier liegen und auch die dummen Viecher dürften ausnahmsweise mit dabei sein. Sie sah das ganze als Chance. Sie hatte schon die ganze Zeit gemerkt, dass sich etwas ändern musste, dass sie so nicht weiterleben wollte und ihr Badewannenprojekt würde der erste Schritt zu einem neuen Anfang sein.
Auch wenn ihr Mann über ihre Idee, die Badewannenumrandung mit einem Fliesenmosaik, welches die Erschaffung Adams von Michelangelo zeigen sollte, lächerlich gefunden hatte. Er würde sich schon noch daran gewöhnen.
Das Schreien der Katzen war mittlerweile derart nervenaufreibend, dass sie nach unten ging, um nach dem rechten zu sehen.
„Was ist denn das für eine Sauerei!“
Eine der Siamkatzen kauerte am Boden und kaute angestrengt an einem blutigen Klumpen, während die andere mit den Hinterpfoten auf der Couch stand und sich zum Kopf des auf der Couch sitzenden Mannes hoch streckte, um ihm das Gesicht zu lecken. Ihre Katzenzunge beschäftigte sich mit der Stelle, wo sich eigentlich die Nase des Mannes befinden hätte sollen, wo jetzt aber nur ein großes dunkles Loch klaffte.
Sie war gerade mit dem Abschlagen der alten Fliesen fertig geworden und hatte ihrem Mann die Pläne des Badezimmers und die Skizze des Mosaiks gezeigt. Nächtelang hatte sie feinsäuberlich Kästchen für Kästchen des Milimeterpapiers in den Farbtönen der Fliesenplättchen ausgemalt, bis darauf das weltberühmte Deckenfresko aus der Sixtinischen Kapelle sichtbar geworden war.
Ihr Mann hatte kaum hingesehen, sondern seinen Blick weiter auf das Fußballspiel im Fernsehen gerichtet und laut aufgelacht. „Fängst du jetzt wie alle unbefriedigten Weiber mit Kreativscheiße an?“, spöttelte er, „du kannst unsere Rollen nicht tauschen, der Künstler im Haus bin immer noch ich.“
Ihr Ausholen mit dem Vorschlaghammer hatte er genau so wenig kommen sehen, wie das Ende ihrer Beziehung.
Ihr Blick fiel nun auf kleine rote Pfötchenspuren, die um und über die Couch verliefen. Wie umsichtig, dass sie gleich nach dem unglücklichen Vorfall alles mit der Plastikplane ausgelegt hatte. Sie besah sich den Klumpen, der von der Katze noch immer mit den Zähnen bearbeitet wurde. „Na, da hat der Papi aber ein gutes Fressi für dich!“ Sie versuchte Tonfall und Wortmelodie ihres Mannes zu imitieren und vermutete, dass es sich bei dem angeknabberten Stück um einen Nasenflügel handelte.
Sie legte Schutzhandschuhe an und setzte die Schutzbrille auf. In den Heimwerkerkursen waren den Teilnehmern entsprechende Sicherheitsmaßnahmen eingetrichtert worden und auch ihr waren diese mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Beim Starten der Motorsäge suchten die Katzen erschrocken das weite.
„Lauft nur meine Babies, sobald ich mit Papi fertig bin und er zum Entspannen unter der Wanne liegt, wollen wir doch einmal sehen, wie viele Leben ihr wirklich habt.“