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Heimreise
Eigentlich gab es nur einen kritischen Moment auf meiner Reise:
Umsteigen nachts in Berlin.
Ich saß im ICE von Hamburg nach Berlin auf der Fahrt zurück nach Nordbayern und hatte Schweißtropfen auf der Stirn beim Gedanken an die kurze Zeitspanne, die mir blieb, um die S-Bahn auszuchecken, die mich zum ZOB bringen muss.
Ankunft Berlin Ostbahnhof 22.30 Uhr, Abfahrt Flixbus vom ZOB (Messe Süd) 23.15 Uhr.
Große Städte, Anzeigetafeln und Fahrpläne sind mir ein Graus, aber jetzt hatte ich schwitzend und schnaufend den Bus erreicht. Ein weiterer kritischer Moment sollte kommen …
Am zweistöckigen grünen Bus wurden eben die letzten Koffer verstaut, Passagiere zeigten den Fahrern ihre Smartphones mit dem Barcode ihrer Tickets und im Licht der Displays wurden Gesichter erkennbar. Gerade eben eine Dame mittleren Alters.
Saß sie nicht mit mir im gleichen Zug? Möglich, mit einem Taxi …
„Nein, tut mir leid, der Bus ist besetzt bis auf den letzten Platz.“
Die Frage dazu hatte ich nicht gehört, aber eben dies schon befürchtet: eine lange Busfahrt auf einem unbequemen, engen Platz in einem vollen Bus.
Sitzplatzsuche zuerst oben. Alles voll. Dasselbe unten. Sollte ich mich gleich auf die Stufen zum Aufgang setzen? Nein, dort vorne schien ein Platz frei und ich fand mich neben besagter Dame wieder.
“Entschuldigung, darf ich?“
Ein stummes Nicken auf diese rhetorische Frage und ich konnte endlich sitzen. Während um mich herum alles mit Smartphones beschäftigt war, der Fahrer seine Begrüßung abhielt und das Licht mit dem Starten des Motors erlosch, wurde mir bewusst, dass ich völlig verschwitzt war. Blut stieg mir in den Kopf. Jetzt war also ich selbst in diesem stickigen Bus eine Belästigung für andere …
Auf der Fahrt durch das nächtliche Berlin nahm eine leistungsstarke Klimaanlage ihre Arbeit auf und ich schöpfte Hoffnung.
Autobahnschilder flogen vorüber und die ersten Reisenden versuchten sich in verschiedenen Körperhaltungen in den Schlaf zu finden.
Die Dame neben mir machte keine Anstalten zum Gespräch und wir waren beide bemüht, bei den engen Sitzverhältnissen einen Körperkontakt zu vermeiden.
Unverfänglich meine Blicke an ihr vorbei in die Nacht. Vorbeiziehende Industriegebiete, beleuchtete Baustellen und Fahrzeugbeleuchtungen erhellten immer wieder unsere Gesichter, gespiegelt in der Fensterscheibe.
Während ich also in die Nacht blickte, konnte ich ihre Gesichtszüge studieren.
Ja, das ist die Frau, die im Intercity zu mir ins Abteil kam. Etwa mein Alter, so um die 50 Jahre. Schick, distanziert. Etwas altmodisch vielleicht. Hatte sie nicht sogar einen zerfledderten Zettel als Fahrausweis vorgezeigt? Und war nicht auch ihr Koffer, den der Fahrer als vorletztes Gepäckstück unter meiner Mithilfe verstaute, ein sperriges Ungetüm aus Leder und Metall?
Nicht vorstellbar, dass sie damit die S-Bahn genommen hatte.
Einmal trafen sich unsere Blicke im Spiegelbild der Fensterscheibe, jedoch ohne jede Reaktion ihrerseits.
Wir passierten Leipzig. Der Flughafen mit all dem Licht war gut zu erkennen. Es war also noch eine gute Strecke bis Bayreuth. Noch einmal stützte ich meinen Kopf gegen die Rückenlehne des Vordermannes, nur um die Sitzposition zu verändern und schlief prompt ein.
Auch wenn von Schlaf nicht wirklich die Rede sein konnte.
Immer wieder blinzelte ich auf, um mich kurz zu orientieren. War irgendetwas anders?
Allgemeines schlafen und dösen rundherum. Für einen Moment wieder das Spiegelbild meiner Nachbarin im Fenster. Sie sah gebannt nach draußen und wirkte hellwach.
Ich dagegen fiel erneut in kurzen Schlaf. Eine Irritation musste mich dorthin begleitet haben, und so wurde ich unruhig wieder wach. Die Kofferfrau, nennen wir sie mal so, schenkte sich eben aus einer Thermoskanne einen duftenden Grog ein und hielt ihn mir so unvermittelt entgegen, dass ich nur verdattert und sprachlos zugreifen konnte um zu trinken.
„Danke, schmeckt gut.“
Stammelte ich immerhin noch dümmlich hinterher.
„Gern. Trinken wir darauf wieder daheim zu sein.“
Mich durchwärmte der Grog, und auch in ihr bislang doch etwas angestaubtes und angegrautes Gesicht kam Farbe. Mutig geworden sah ich sie direkt an.
„Darf ich sie fragen, sind wir uns denn nicht schon vor Stunden im Zug begegnet?“
„Ja, auch!“
Darauf wusste ich nichts zu sagen und wir verfielen wieder in Schweigen, welches ich nutzte, um herauszufinden, wo wir gerade fuhren.
Wann hatten wir Leipzig passiert? Vor einer Stunde? Mich fröstelte bei dem Gedanken, dass ich eben etwas orientierungslos war.
Die Autobahn um uns herum lag in völliger Dunkelheit. Klar. Wenig Verkehr jetzt.
Aber so wenig?
Gerne hätte ich die Kofferfrau danach gefragt, aber ich getraute mich nicht.
Der Abschnitt um Hof herum ist bekanntlich dünn besiedelter Frankenwald. Mit den Lichtern würde ich wohl noch warten müssen.
Helmbrechts, Münchberg, Himmelkron…, es müssen ja mal wieder Lichter kommen.
Jetzt hatte ich Schweißtropfen auf der Stirn.
Kein Licht weit und breit, und dabei hatte ich langsam schon bis 600 gezählt.
Das sind bald 20 km Strecke. Da sollte selbst zwischen den Frankenwaldfichten mal ein Licht aufblinken.
„Wir sind gleich da. Könntest du mir bitte mit dem Koffer helfen?“
Du? Hab ich was verpasst?
Sie reichte mir zwinkernd noch einmal den gefüllten Becher, den ich so auffallend hastig leerte, dass sie ihn daraufhin glucksend zurücknahm.
Der Bus verlor an Fahrt und rollte langsam aus.
Einfach so? Auf der Autobahn?
Ich hatte zumindest nicht bemerkt, dass wir eine Abfahrt genommen hätten. Einzelne Fahrgäste sahen sich gelangweilt und schläfrig um, aber niemand schien weiter ein Interesse an diesem Halt zu haben.
„Wollen wir?“
Jetzt kam richtig Leben in die Dame und sie schob mich Richtung Ausgang.
Was sollte ich tun? Jede Frage, die ich hätte stellen können, hätte mich dämlich aussehen lassen.
Zudem half ich selbstverständlich beim Ausladen des Gepäcks. Danach konnte ich mich ja wieder um Orientierung bemühen.
Erstaunlich frische, harzige Luft drang beim Aussteigen in meine Nase. Die Dunkelheit eines hohen Waldes um uns herum, der erdige, mit Nadeln bedeckte Boden spärlich vom Innenraumlicht des Busses beleuchtet unter unseren Füßen.
Der Busfahrer - hatte er schon die ganze Zeit diese komische Kappe auf? - öffnete das Gepäckfach, ließ meinen Seesack auf den Boden plumpsen und zerrte an dem schweren Möbel, dem Gepäckstück der Dame, so dass ich schnell dazu sprang, um das Teil mit auf den Boden zu wuchten.
„Vielen Dank.“
Sie reichte dem Fahrer ein paar Münzen, die dieser mit einer altmodisch anmutenden Geste entgegennahm, kehrt machte und wieder in sein Fahrzeug stieg.
Ich stand hilflos daneben, als sich knarzend die Türen schlossen (hätte nicht eine Pneumatik zischen müssen? ) und der Motor gestartet wurde. Eben wollte ich mich bemerkbar machen, um noch an Bord zu kommen, da erstarrte ich erneut. Der Bus, wie wohl ehedem zweistöckig, hatte ein fremdes Aussehen. Das Design entsprach mehr dem der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Kleine Rücklichter verschwanden jetzt auf einer sonst unbefahrenen Straße.
So standen wir in völliger Dunkelheit, jedoch die Augen gewöhnten sich.
Ich fühlte mich ruhig und genoss mehr und mehr die Geräusche des Waldes. Tierlaute, in welchen ich, obwohl doch eigentlich unwissend in solchen Dingen, sogleich einen Waldkauz erkannte.
Jetzt, von Ferne, dann immer deutlicher, das Trappen eines Pferdes, begleitet vom Knirschen
eisenbereifter Kutschenräder. Ich entnahm meinem Seesack eine Laterne und zündete die Kerze an. Wissend, dass der nahende Kutscher ein alter Bekannter ist ...