Heimkehr
Eine unglaubliche Leere spiegelt sich in diesen Augen wieder. Viel haben sie in ihrem Leben noch nicht gesehen, doch nun schauen sie mich an, als wüßten sie etwas, etwas das vielleicht mein ganzes Leben verändern wird.
Und doch sind sie leer. Wesenlos starren sie in die sonst dunkle Landschaft, die Nebel und Regen an jenem abend in trauter Zweisamkeit in einen schreienden Schlund der Einsamkeit verwandeln.
Fast komme ich mir vor wie in einem schlechten Film, muß mich am Riemen reißen, denn das da draußen ist real.
Die starrenden Augen, der wabernde Nebel und der erbarmungslos niederprasselnde Regen. Alles real und doch so unwirklich.
Hinterhältig und unbemerkt schleicht sich langsam die Müdigkeit an. Müdigkeit, die sich mit dem beruhigenden Brummen des Motors und der künstlichen Wärme in der kleinen Blechkapsel zusammen getan hat, nur um mich mit ihren gefürchteten Sekundenschlafattacken in ihre Welt zu zerren - die Welt des ewigen Schlafes. Diese Augen wissen es.
Ach quatsch, meldet sich die Vernunft zu Wort, die die Müdigkeit ausgeschaltet glaubte. Kühe denken nicht. Zumindest nur wenig.
Die schlechten Scheinwerfer des alten Audi 80 kämpfen sich ihren Weg durch Dunkelheit, Nebel und Regen.
Einlullendes Brummen des Motors.
Eine schmierige Welt, wo ich auch fahre. Die Scheibenwischer, die mehr verdecken als sie enthüllen, können mir auch nicht helfen - im Gegenteil: geradezu hämisch verwischen sie vor jeder Kurve besonders stark die Scheibe.
Dann keine Augen mehr.
Nur kurz hatte der Scheinwerfer die unheilvolle dunkle Masse dieser verzerrten Welt durchschnitten, um den Blick auf starre Kuhkörper freizugeben. Niemand schien sich in dieser Einöde die Mühe zu machen, des nachts die Tiere in den warmen Stall zu hohlen. So schliefen sie auf den Weiden. Ein abstraktes, in seiner Absurdität beinahe pervers komisches Abbild ihres wachen Selbst: Mit offenen Augen standen sie da, ganz nah an der Straße, wie monströse Wächter einer parallelen Nachtwelt. Und doch absolut regungslos. Riesige, tiefschwarze Telleraugen gruben sich in die Finsternis, die ich flüchtig erhellte.
Jetzt Wald.
Eigentlich fahre ich auf dieser Strecke immer viel zu schnell, wenn mir in einem ungünstigen Augenblick ein Auto entgegengekommen wäre, hätte dies mitunter fatale Folgen haben können. Normalerweise erkenne ich sie jedoch rechtzeitig, wenn sie sich mit ihren Scheinwerfern ankündigten, die, wie getrieben von unsichtbarer Kommunikation, kurz vor dem sichtbar werden des Autos an Intensität verloren.
Klack. Abblendlicht.
Wer sitzt in diesen Autos? Nachts, um halb vier, ist es durchaus interessant darüber nachzusinnen. Spontan fallen mir Gesichter ein. Der abend anderer, meiner eigenen Phantasie entsprungener Menschen geistert durch meine Gedanken.
Langsamer fahren, dann wieder Einsamkeit. Der Versuch, einen Blick auf den Entgegenkommenden (Oder die Entgegenkommende? Warum sind es immer Männer?) zu erhaschen, bleibt erfolglos.
Monoton ziehen blasse und scheinbar leblose Bäume und Sträucher an mir vorbei. Sie verbergen Geheimnisse, jeder weiß es. Doch nur wenige kennen sie. Die Augen vielleicht, die gegenüber auf der Weide wieder aus dem nichts auftauchen und alles zu sehen scheinen.
Ach Quatsch, Kühe denken nicht. Zumindest nur wenig.
Keine Beruhigung - die Müdigkeit schien die Vernunft zu besiegen, die einen recht aussichtslosen Kampf führte.
Mist, da war doch was auf dem Rücksitz.
Ach Quatsch, da ist nichts. Zumindest nur wenig.
Adrenalin.
Angst ist nur ein Zusammenspiel einiger Botenstoffe, die in mir ein unwohles Gefühl erzeugen. Toll, Vernunft.
Die unruhigen Elektronikklänge aus dem nächtlichen Radioprogramm unterstützen nicht gerade meinen Versuch, mir meine allgegenwärtige Angst auszureden. Zum Klang der wummernden Musik werden im Kopf die unheilvollen Bilder grausame Wirklichkeit: Kalte Hände umfassen aus dem Dunkel der Rückbank sanft meine Schultern. die Nackenhaare stehen auf. Erst streichelnd, dann mit steigender Intensität. Röcheln aus dem hinteren Teil des Autos, wie Atem. meine Rücklichter tauchen die sonst dunkle Welt hinter mir in rotes, kaum erkennbares Licht. Und doch taucht in diesem Licht eine Shilouette auf.
Hörner. Waren das Hörner?
Das ist doch klischeehaft.
Ich konzentriere mich nicht mehr auf den Rückspiegel, in dem mir mein müdes Bewußtsein immer wieder eine geisterhafte Gestalt vorgaukelt.
Vor mir das weiße Licht der Scheinwerfer, das die Dunkelheit durchschneidet wie ein stumpfes Messer einen alten Tierkadaver - nur langsam und zäh wühlt es sich durch Nebel, Regen und Nacht.
Mein Auto, versinnbildlichter Pförtner zwischen einer schleimigen Filmwelt vor mir und der noch viel unheilvolleren, roten Halbwelt der Rücklichter, die ich mit erhöhter Geschwindigkeit hinter mir lassen will. Doch da ich sie zugleich erzeuge und vor ihr fliehe, ist es ein vergebener Ritt durch das Niemandsland.
Mit dem Teufel im Nacken.
Wieder die Vision. Oder doch Realität?
Lachen. Grauenhaftes Lachen entrinnt dieser Fratze mit den fauligen Zähnen.
Nur ein Sekundenschlaf. Das kann tödlich enden bei Tempo 80 auf dieser schmalen Straße durch den Wald.
Schon wieder Augen. Hohl starren sie mich an.
Als wüßten sie etwas.
Ich warte auf das "Ach quatsch...", doch es kommt nicht. Meine Vernunft ist besiegt und die Müdigkeit stolziert nun freudig winkend über das Schlachtfeld.
Zum Beweis ihres Triumphes häufen sich nun die Sekunden des ungewollten Schlafes. Das Auto trudelt.
Fast im Graben.
Ich kurbele das Fenster auf, doch die frische Luft hilft nicht. Nur ein wenig vermag die beißende Kälte die noch zuckende Vernunft zu reanimieren. Die Fahrschule hatte doch recht.
Ich fahre schneller, möchte diese Welt hinter mir lassen, dringe jedoch nur noch tiefer in sie hinein. Dann ein Klappern.
Kam das von der Rückbank? Ein flüchtiger Blick nach hinten, in den Rückspiegel wage ich nicht mehr zu schauen.
Nichts.(Zumindest nur wenig)
Schneller, immer schneller fahre ich über die holprige Straße. Panik packt mich und vertreibt die Müdigkeit.
Dann lieber müde.
Hat da nicht etwas meine Haare berührt?
Nein, das kann nicht...
Etwas in meinem Nacken.
Das ist doch nicht....
Hörner. Grunzen. Röcheln. Geschwindigkeit. Panik.
Dann der Baum.
Nebenan auf der Wiese stehen Kühe, die mit ihren hohlen Augen auf das vollkommen zerstörte Auto starren.
Rötlich umgarnt es langsam der dichte Nebel, Regen prasselt auf die einstige Motorhaube, die nun den Baum zu umarmen scheint.
Nur die Rücklichter funktionieren noch.