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Heimflug
Heimflug
Stelios der Grieche, trickreicher Buchhalter von Thalis S.A. und Klaus Stocker vor Monaten angeheuerter Bauingenieur aus Deutschland, zusammen saßen sie angespannt im Abflugwarteraum des Flughafens von Dahran S.A..
Ihr Gepäck war weg, Zollformalitäten erledigt, sie hatten eingecheckt.
Eine Maschine der Irac-Airlines wird sie nach Athen bringen.
Wird sie es? Stocker sitzt auf Kohlen. Sein Ticket ist „faul“. Stelios hat gezaubert und eine Woche vor Weihnachten, praktisch chancenlos, einen Flug organisiert. Stockers Ticket ist auf den Namen Niclas ausgestellt, fliegt Stocker, dann bleibt dieser Mr. Niclas in der Wüste, soviel ist klar.
Beide sind sie um drei Uhr heute Morgen aufgestanden. Departure wäre um fünf Uhr dreißig, sie haben noch zwanzig Minuten.
Ein Boy betritt den Warteraum, am längeren Stab ein Schild. Auf dem Schild ein Wort, ein Name: „Mr. NICLAS!“
Stelios drückt Stocker auf die Bank zurück. Ignorieren! Der Boy samt Schild verschwindet, vorsichtiges Durchatmen.
Erneut geht die Türe auf, „Ticketkontrolle“, zwei livrierte.
Stocker wird ohne großes Aufheben gebeten, die Herren zu begleiten, das Ticket ist konfisziert, Protest sinnlos, zu oft ereignet!
Stocker bleiben zehn Sekunden, Stelios zu sagen: “Heute abends zwanzig Uhr, Hotel Stanley Athen, bringe mir meine Koffer dorthin, hörst du? Zwanzig Uhr, Hotel Stanley, Syntagma Platz!“
Stocker kocht vor Wut, ist außerhalb des Zollbereiches. Sein Gepäck in der Irac-Airline Maschine und er hat keine Ahnung, wie er das Land verlassen soll. Seit Monaten ist jeder verfügbare Platz in einer Maschine ausgebucht, es ist das Jahr neunzehnhundertsiebenundsiebzig, zwei Tage vor Weihnachten.
Man rät ihm einen Innlandsflug nach Riadh zu nehmen, von dort aus sei die Chance am größten, einen Platz zu ergattern, der irgendwie aus diesem Land herausführt.
Der Flug dauert eine knappe Stunde, siebzig Rial, sie sind kein Problem.
Der Flieger ist voll, neben ihm ein ägyptischer Geschäftsmann, man unterhält sich, Stocker erzählt seine Geschichte. Was folgt ist die Solidarität der Saudi – Fremdarbeiter.
Fünf Reihen vor uns ein junger Mitarbeiter der größten Ölgesellschaft im Lande. Der Ägypter kennt ihn gut, spricht mit ihm, erzählt was passiert ist und bittet ihn, Klaus Stocker in Riadh weiter zu helfen.
Stocker hat kein Gepäck, es hilft und ein Teil der viertausend Dollar, die er dabei hat.
Der Pakistani wedelt freudestrahlend mit dem Ticket unter Hunderten von drängenden und schwitzenden Fluggästen. Die Freundschaft unter den Pakistanis, sie hat funktioniert.
Stocker wird heute noch Kairo sehen. Ein Flug mit dem Jumbo nach Kairo, die einzige und letzte Chance.
Der Jumbo ist brechend voll, Stocker kaut an seinen Fingern herum. Endlich, sie schließen die Türen, kein Livrierter der ihn freundlich herausbittet, es scheint zu klappen!
Der Jumbo rollt, startet, hebt ab, ein grandioser Blick über Wüstenflächen ohne Begrenzung, später der Nil mit seinem grünen, schmalen Band fruchtbarer Erde inmitten der Öde.
Sie bauen Höhe ab, nähern sich Kairo, als sich der Ausblick eintrübt, gelblich schmutzig, dichter werdend wie Nebel.
Der schwere Jumbo wird immer und immer wieder durchgeschüttelt, als rollten sie bereits auf holperigem Acker. Sandsturm draußen begleitet ihren Anflug, die Triebwerke reduziert, das Atemanhalten bei den Passagiern. Sie sind ohne Sicht nicht wissend, wann der Touch down passieren wird. Sie werden langsamer und irgendwie ist das Gefühl von Fallen in der Magengrube spürbar.
Und dann, mit Urgebrüll und spürbarem Schub setzen die Triebwerke erneut ein, die Nase des Jumbos hebt sich, unter ihnen die ersten Häuser flüchtig aus dem Gelb des Sandsturms durchscheinend, sie starten durch, um nach einigen Minuten Anspannung letztlich hart, aber sicher in Kairo aufzusetzen.
Stocker hat kein Visum, kann den Zollbereich in Kairo nicht verlassen. Er schlendert den langen Gang hinunter, Fluggesellschaft für Fluggesellschaft, er braucht einen Anschlussflug nach Athen.
Fündig wird er nach mehreren Versuchen bei der Austrian Airline. Eine Stornierung war sein Glück, die wartende DC 9, nicht sein Wunschflugzeug, aber es gab keine Alternative.
Über die Hecktreppe betritt er den Flieger und bei annähernd vierzig Grad Außentemperatur wird er empfangen von Weihnachtsliedern und deutsch sprechenden Personal.
Die Spannung des Tages löst sich etwas, sein Barvermögen zählend. Eine teure Reise bis hierher, das meiste davon Bakshish!
Stelios ist pünktlich und erleichtert, auch etwas überrascht, mich zu sehen. Wir essen zusammen im Hotel, er ist Stocker behilflich bei seinem Auftrag an den Portier, ihm einen Flug nach München zu besorgen.
Es wird eine „Senatorklasse“ Athen München, doppelter Preis. Anderes war nicht mehr zu bekommen.
Stocker hat seine zwei Koffer wieder, voll mit Weihnachtsgeschenken an seine Frau. Batik aus Indien und Ebenholzschnitzereien, ein klappbarer kleiner Teetisch mit Elfenbein Intarsien.
Die Beine lang, unendlich komfortabel, weit weg vom Lärm der Triebwerke sein Heimflug. Zusammen mit einem Juniorverkäufer von Mercedes leeren sie eine Flasche Remy Martin in knapp zwei Stunden. Der Junior hatte in Muskat tags zuvor einhundertfünfzig LKW am Stück verkauft, schwebt auf Wolke Sieben.
Beim Anflug in München, kein Schnee, nein grüne Wiesen und er genießt diesen Anblick der Farbe grün, nach Monaten ohne Farben.
Seine Frau, nichts ahnend einen Stock höher, eingeladen bei den Nachbarn. Es ist der 24.12.1977, Hl Abend, Klaus Stocker steht mit zwei Koffern voller „Schätze“ vor seiner Haustüre, verschlossen! Er läutet, niemand zuhause! Er läutet oben bei den Nachbarn, durch die Gegensprechanlage sagt er seinen Namen, fragt nach ob sie wüssten, wo seine Frau sei, erhält keine Antwort.
Er hört nur fassungsloses „Frau Stocker, ich glaube,“ Pause! „Ich glaube Ihr Mann steht unten vor der Haustüre!“
© GRIFFEL 2009