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Heilungen

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18.04.2010
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Heilungen

„Irmchen“, fragte Doktor Stamm seine umtriebige Sprechstundenhilfe, „wer sind denn die beiden neuen Figuren im Wartezimmer?“
„Den Symptomen nach wieder zwei Magen-Darm-Infekte. Der Herr in Schwarz ist Hochwürden Maximus von Sankt Anna und der in der knittrigen Leinenjacke ein Kollege von Ihnen.“
„Was für‘n Kollege? Meines Wissens bin ich der einzige Niedergelassene in diesem Kaff.“
„Natürlich, Herr Doktor, kein richtiger Arzt. Das ist der Heilpraktiker Dr. Moritz. Den Titel hat er wohl irgendwo in der Ukraine gekauft.“
„Sollen warten“, brummelte Stamm und zog sich in seinen Ordinationsraum zurück.
Schwester Irma setzte ihr sonnigstes Lächeln auf und flötete ins Wartezimmer: „Bitte noch einen kleinen Moment Geduld, meine Herren.“
„Einen kleinen Moment – ha, wenn ich das schon höre!“ schimpfte der Heilpraktiker gedämpft. „Der hat doch gar keinen Patienten drin. Und selbst wenn, sollte das doch ruck-zuck gehen. Diese Schnupfendoktors befassen sich doch gar nicht richtig mit dem Patienten!“
„Das ist bei Ihnen ganz anders, habe ich gehört“, sprach der Pfarrer, „obwohl ich gestehe, gewisse Zweifel zu hegen hinsichtlich der Wirksamkeit Ihrer Homöopathie. Sie verdünnen da Ihre Wirksubstanzen mit Wasser…“
„Verschütteln, Hochwürden, verschütteln!“ präzisierte Dr. Moritz.
„Nun, meinetwegen verschütteln – klingt allerdings ein wenig wie verschütten oder verschaukeln.“
„Ja, immer ein Tropfen mit hundert Tropfen verdünnt, das dann zwanzig, dreißig bis hundert Mal und mehr. So wird die Lösung potenziert, die geistige Wirkkraft gesteigert.“
„Aber wenn mich mein elementares mathematisches Verständnis nicht trügt, befindet sich in dem Wasser am Ende kein einziges Molekül der Substanz mehr“, gab der Pfarrer zu bedenken.
„Mag sein, darauf kommt es nicht an: Das Wasser hat ein Gedächtnis.“
„Aaah ja. Das leuchtet mir ein. Es verhält sich demnach ganz ähnlich wie das Weihwasser.“
„Wie bitte?“
„Nun“, hub der Pfarrer zu einem theologischen Exkurs an, „wir sprechen über dem Wasser ein Segensgebet, erinnern es an Jesu Taufe im Jordan. So empfängt das Wasser die Weihe, die es seinerseits in die Lage versetzt, den Gläubigen an seine eigene Taufe zu erinnern, ihn geistig und bisweilen sogar körperlich zu reinigen, also zu heilen. Und das ist keineswegs nur symbolisch gemeint. Sie werden zugeben, Herr Moritz, daß Ihre Prozedur wesentlich aufwendiger ist, zumal Sie schließlich, wenn ich richtig unterrichtet bin, erst noch Zuckerkügelchen mit Ihrem Wasser tränken müssen, um es verabreichen zu können.“
„Globuli!“ warf Dr. Moritz ein.
„Meinetwegen Globuli - in denen praktisch nichts mehr drin ist.“
„Das ist doch gar nicht das Entscheidende“, entgegnete der Homöopath. „Der Heilerfolg beruht nämlich im Wesentlichen auf meiner Zuwendung. Unter uns gesagt: Indem ich mittels meines medizinischen Rituals den Glauben des Patienten an eine Besserung seiner Beschwerden wecke, setze ich seine geistigen Selbstheilungskräfte frei. Der Glaube versetzt nicht nur Berge, gerade Sie sollten das doch verstehen, Hochwürden.“
„Nun, wenn Sie mir das so erklären – gewiß. Das erinnert mich übrigens an unsere heilige Reliquie von Sankt Anna: Ein Holzsplitter des Kreuzes, an dem unser Herr Jesus starb.“
„Pah“, lachte Dr. Moritz, „davon soll‘s ja weltweit so viele geben, daß man ein ganzes Wäldchen daraus zusammensetzen könnte.“
„Dem mag ich gar nicht widersprechen, denn die Echtheit ist nicht das Entscheidende“, sprach der Pfarrer milde lächelnd. „Unter uns: Die Orgel, die Liturgie, der Weihrauch – das ganze Ritual bewirkt, daß die Seele des Gläubigen gesundet – und zuweilen setzt sogar ein körperlicher Heilungsprozeß ein, auch das hatten wir schon.“
„Obwohl in Ihrem Reliquiar praktisch nichts drin ist - Donnerwetter!“ rief der Heilpraktiker. „Wir sind Kollegen! So hab ich das noch nie gesehen. Ihr nennt das dann Wunder, wohingegen ich mich immer wieder wundere, wenn‘s geklappt hat.“
In ihrem angeregten Gespräch hatten sie Doktor Stamms Herannahen nicht bemerkt.
„Auf, meine Herren! Wer war der erste? Na, wenn ich mir Sie beide so anschaue – da kommen wir wohl um ein hochpotentes Antibiotikum nicht herum.“

 

Das ist wie im richtigen Leben: Alle bekommen ihr Fett weg und merken es nicht einmal. Sie bleiben ernst und meinen es ernst. Und entlarven dabei nicht nur sich selbst, sondern auch ihr jeweiliges Metier als Hokuspokus. Der Priester wie der Heilpraktiker verkaufen Illusionen, und der Schulmediziner hat für Virenerkrankungen auch nur Antibiotika auf Lager. Soll heißen: Alles, was sie haben, ist eigentlich unwirksam – und wirkt es doch! Es ist egal, ob ein Medizinmann in der Stadt ein Antibiotikum verschreibt und der im Busch Knöchelchen auf den Bauch des Erkrankten wirft und der Heilpraktiker mit Wasser hantiert oder ein Priester über dieses Zauberformeln spricht, das Ergebnis ist immer gleich: Der Erkrankte gesundet oder auch nicht.

Das weiß sicher ein jeder von uns und doch war es amüsant, diese Geschichte zu lesen. Sie hat nichts Neues gebracht, aber das auf eine Weise, die zum Schmunzeln animiert. Eine Satire, wie sie sein sollte: leise, fein, unaufdringlich. Für einen Erstling, dubiator, falls dieser Text das ist, eine erstaunliche Leistung.

Gratuliere. Und heiße dich willkommen auf kg.de.

 

Guten Tag Dubiator

Also bei mir hat die Geschichte funktioniert :-D Ich musste ein paar Mal schmunzeln während dem Lesen. Der Schlusssatz dann das Tüpfelchen auf dem i.

Das Gemeine ist ja, dass es solche Scharlatane wirklich gibt, und sie immer mal wieder das Handwerk von "guten" Alternativmedizinern überschatten. Aber darum gehts hier in deinem Text natürlich nicht, ist mir einfach dazu eingefallen.

Auch Sprachlich hats mir sehr gut gefallen. Einzig über das "Irmchen" am Anfang bin ich drüber gestolpert. Aber das ist wohl Geschmackssache, ich finde die Verniedlichung gerade bei diesem Namen recht scheusslich zu lesen.

Und was mich verwirrt hat; warum "Schwester" Irma? Ist sie etwa eine Nonne? Oder meinst du eine Krankenschwester? In Arztpraxen kenne ich aber eher medizinische Praxisassistentinnen als Krankenschwestern. Oder gehen die beiden Patienten wegen eines Schnupfens ins Spital?
Auch eine Nonne fände ich eher unpassend, weil du ja schon die andern zwei Figuren hast die unter anderem die Kirche hochnehmen. Ihre Rolle ist ja neutral, von daher würde ich ihr auch einen neutralen Titel zuschreiben.

Liebe Grüsse,
Siiba Bulunji

 

Hallo Dubiator,
und willkommen auf kg.de :)

Einen netten Einstand hast du hier abgeliefert. Keinen großen Wurf, der lange in Erinnerng bleiben wird, aber eine feine UNterhaltung für Zwischendurch.
Wie Dion es schon ausdrückte: jeder bekommt hier seine Portion ab, keiner steht besser da als der andere und der Leser kann sich selbst sein Urteil bilden.
Im flotten Erzählstil, lässt sich gut lesen, durch den Abschlusssatz des Doktors eine runde Sache.
Weiter so :)

grüßlichst
weltenläufer

 
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Hallo dubiator,

willkommen hier und danke für die nette Geschichte. Hat mir gefallen, Dein kleiner Ausflug zwischen Kirchenreliquien und homöopathischen Globuli. Alles Glaubenssache, mal wieder, aber schließlich kann sich jeder selbst aussuchen, welchem "Quacksalber" er vertrauen will, dem Pfarrer oder dem Heilpraktiker.

Locker flockig geschrieben, Fehler sind mir auch keine aufgefallen, auch das Ende hat mich amüsiert. Das haben die beiden nun davon, manchmal hilft halt alles Beten nix mehr.

Ich grüße Dich
Giraffe :)

 
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und der Schulmediziner hat für Virenerkrankungen auch nur Antibiotika auf Lager.

Oh nein, für den Magen-Darm-Infekt (bakteriell!) brauchen wir schon ein Antibiotikum!

Und was mich verwirrt hat; warum "Schwester" Irma? Ist sie etwa eine Nonne? Oder meinst du eine Krankenschwester?

Dr. Stamm hat in seiner niedergelassenen Praxis die zertifizierte Krankenschwester Irma angestellt. Das ist, soweit ich Arztpraxen kenne, sehr häufig der Fall. Ferner spricht man in unserem Raum (Bln.,Brandenburg, aber auch Sachsen) traditionsgemäß die Mitarbeiterinnen gewöhnlich mit "Schwester" an, so wie den Arzt mit "Doktor", auch wenn er diesen ak. Grad nicht besitzt. Nonnen hingegen sind bei uns eine Seltenheit.

Vielen, vielen Dank für all Eure freundlichen Kritiken. Das macht Mut!

 

Oh nein, für den Magen-Darm-Infekt (bakteriell!) brauchen wir schon ein Antibiotikum!
Ich habe Magen-Darm-Grippe gelesen – da war wohl Wunsch der Vater des Gedanken. Es ist echt Schade, dass du die Schwester das über „bakterielle“ Magen-Darm-Infekte sagen lässt, andererseits zeigt aber ihre Diagnose auch, dass der Doktor gar nicht gebraucht wird – das ist in fast so, als ob ein Ministrant anstelle des Priester eine Messe feiern könnte. Darüber hinaus denke ich, dass eine Schwester kaum zwischen Symptomen der zwei Krankheiten unterscheiden kann, denn die sind auf den ersten Blick – und mehr wird einer Schwester vom Patienten kaum gewährt - ziemlich gleich.

Überlege dir das vielleicht noch. Ich fände es jedenfalls besser, wenn all drei Klempner ihr Fett wegbekämen, denn so ist diese Geschichte nur ein Plädoyer für die Schulmedizin (oder ein Draufhauen auf Priester und Heilpraktiker), was ihr das Satiresein zwar nicht ganz abspricht, aber doch so mindert, dass zumindest ich sie nicht mehr so loben kann, wie in meinem ersten Statement.

 
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Überlegenswert. Oft genug liegen ja auch die Herren doctores daneben. Aber im Großen und Ganzen ist die vielgeschmähte Schulmedizin eben doch mehr als eine Glaubensfrage. Immerhin verdanken wir u.a. ihr unsere hohe Lebenserwartung.
Unterschätzt mir nicht die erfahrene Sprechstundenhilfe - aber ob bakteriell oder viral, das kann sie vom Augenschein her wirklich nicht wissen (Sie könnte es allenfalls vermuten aufgrund der Häufigkeit solcherart Fälle in den letzten Tagen), da geb ich euch unumwunden Recht. Deshalb hab ich soeben der dritten Zeile ein Antibiotikum verpaßt.
Im übrigen freu ich mich über die vielen Leser meiner Geschichte. Dankeschön.

 

Habe gerade bei Wikipedia gelesen:

„Eine antibiotische Behandlung ist auch bei Nachweis von Bakterien als verursachendem Erreger nur in Ausnahmefällen mit septischem Verlauf in Erwägung zu ziehen, da insbesondere bei Salmonellen-Infektionen hierdurch die Rate der Dauerausscheider signifikant erhöht wird.“

Das heißt, dass selbst bei der in der Geschichte erwähnten bakteriellen Erkrankung des Magen-Darm-Traktes Antibiotika kontraindiziert wären. Aber das weiß ein durchschnittlich gebildeter Leser nicht, deshalb würde ich in dem Satz das Wort bakteriell einfach streichen – es sei denn, du willst mit deiner Satire das Primat der Schulmedizin bewusst mit dem Unwissen der Leser verteidigen. :D

 

Schon passiert - siehe oben.
Nun hoffe ich nur noch stark, dass die Ärzte das auch wissen.
Ja, ja, wer sich auf ein weites Feld begibt, droht darauf auszurutschen - oder so ähnlich.

 

Hallo dubiator,
könnte es sein, dass die Standard-Medizin nur das kleinste (?) dieser Übel ist?
Geht es ihr noch ernsthaft um die Heilung der Ursachen, nicht eher um die Bekämpfung der Symptome?
Verdirbt nicht Gesundheit das Geschäft – ein viel größeres als Religion oder Homöopathie zusammen?
Mit freundlichem Gruß
kinnison

 

Mag sein, aber das ist schon wieder ein ganz anderes Thema, das schon Eugen Roth mit den treffenden Worten zusammenfaßte:
"Was bringt den Doktor um sein Brot?
A - die Gesundheit, B - der Tod.
Drum hält der Arzt, auf dass er lebe,
uns zwischen beidem in der Schwebe."
Für "Arzt" kann man wahlweise auch "Apotheker", "Pharmaindustrie" oder "High-Tech.-Medizin" einsetzen.
Uns erbost diese ganze Geschäftemacherei mit Recht - und dennoch sind wir froh, wenn wir auf der Intensivstation liegen anstatt zu Füßen Petrus' (für Lateiner: zu Füßen Petri).

 

Hallo dubiator,

weil ich so begeistert war von deiner anderen Satire, habe ich gleich mal geschaut, was du sonst noch so anstellst. ;)

Diese Geschichte ist zwar höchst launig zu lesen und entbehrt nicht eines gewissen amüsierenden Tons, aber sie ist keine formvollendete Satire, ehrer eine Art Ironie auf die Machenschaften und die Gläubigkeit der Menschen.

Ich finde das Thema allerdings pfiffig gewählt und somit die Idee gut.

Einen Verbesserungsvorschlag für den Schluss hätte ich da aber noch. Wie wär es, wenn der Arzt seine beiden Patienten auch mit etwas beglückt, was genau in diese Abteilung passt, er verschreibt ihnen nichts auf Rezept, sondern greift zu sog. neuartigen Mittelchen, die ihm zur Probe gelassen wurden und preist sie als bisher bei den andren Patienten hochwirksames Mittel an. Tatsächlich, dies erfährt der Leser dann durch ein abschließendes Gespräch des Arztes mit Irmchen, bekamen die beiden Herren nur ein Placebo.

So oder so ähnlich könnte das Ende aussehen, dann wärs rund(er).

Lieben Gruß
lakita

 

hallo dubiator!
schöne idee und toll umgesetzt.
mehr fällt mir jetzt auch nicht mehr ein. ;)
nur eine kleine frage: hast du etwas ähnliches selbst erlebt? :)

 

Liebe Patty91,

selbstredend habe ich so ähnliches erlebt. Sind wir nicht tagtäglich von lauter Wundergläubigen und ihren Wunderheilern umgeben, die uns von einer Bredouille in die andere stürzen? Da helfen keine Placebos, nur schwere Geschütze, wenn überhaupt.

 

@ Satiricus,

und was glaubst du ist oder sollte der "wahre" Anspruch von kg.de sein?

Ich verstehe deine Frage nämlich nicht. Wir sind doch nicht "Kurzgeschichten-Baustellen.de". :D

Und weshalb müsste dann viel entfallen? Wenn ich etwas kritisiere, dann doch, damit der User vielleicht für sich die Möglichkeit erkennt, etwas zu verbessern. Ob er es insgesamt als Wissen und Erfahrung für neue Geschichten, die er schreibt oder ob er es sogleich in der kritisierten Geschichte umsetzt, ist dann allein seine Sache.
Seine insoweit dann unformvollendet geschriebene Geschichte ist doch ein gutes Lehrstück für alle, die es lesen und sich auch damit beschäftigen wollen.
Aus meiner Sicht machen alle Geschichten, soweit sie denn welche sind, hier auf kg Sinn.

 

Hallo Dubiator,

wunderbare Geschichte. Ich habe wohlwollend geschmunzelt.
Und das hier ist wirklich der wunderschönste Satz:

Ihr nennt das dann Wunder, wohingegen ich mich immer wieder wundere, wenn‘s geklappt hat
Ich kann an keiner Stelle meckern.
Danke für diese tolle Geschichte. Weiter so! :)

Gruß, Lona

 

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