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Heiligabend

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30.05.2002
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Heiligabend

Plötzlich geriet der Wagen vor uns ins Schleudern. Es war Heiligabend, morgens um kurz vor halb neun, und wir waren auf dem Weg zu meinen Eltern. Das war eine langjährige Familientradition, sie am Heiligabend vormittags kurz zu besuchen. Es war um diese Zeit noch sehr ruhig auf den Straßen.

Dann passierte es: ein BMW-Kombi unmittelbar vor uns geriet ins Schleudern. Ich ging sofort vom Gaspedal, „o mein Gott, was macht der denn da?!?“, und mit weit aufgerissenen Augen beobachteten wir, was sich da vor uns auf der Fahrbahn abspielte. Matthias auf dem Beifahrersitz neben mir geriet völlig aus dem Häuschen.

Der dunkelblaue BMW streifte im Schleudern Bäume und Sträucher auf dem Mittelstreifen, durch die Wucht der Drehbewegung riß er dabei auch einige kleinere Bäume und einige Büsche ab. Schließlich prallte er gegen einen größeren Baum.

Kaum stand der Wagen, fuhr ich blitzartig an den Straßenrand und hielt. Während Matthias zu dem Unglücksfahrzeug hin eilte und sich um den Fahrer kümmerte, lief ich auf die Fahrbahn und den wenigen nachfolgenden Fahrzeugen entgegen. Ich winkte dem ersten Auto, das mir entgegenkam, und rief um Hilfe; doch der Fahrer, ein älterer Herr, begriff zunächst überhaupt nichts. Erst als ich wild mit den Armen fuchtelnd auf das Autowrack am Baum zeigte, fuhr er seinen Wagen sofort an den Straßenrand und stieg blitzschnell aus. Gemeinsam liefen wir dann zur Unglücksstelle.

Matthias hatte schon versucht, sich zum Fahrer, der eingeklemmt hinter dem Steuer saß, vorzuarbeiten, aber alleine konnte er da nichts bewegen. Aus der Motorhaube des BMW quoll bereits Rauch. Die Zeit drängte, wir mussten jetzt schnell und kurzentschlossen handeln. Wir mussten den Fahrer retten, unter allen Umständen.

Auch als wir es zu dritt versuchten, gelang es uns nicht auf Anhieb, ihn aus den Trümmern zu befreien. Es war nicht leicht, denn der Fahrer war im Wrack seines Kombis zwischen Lenkrad und Karosserie eingeklemmt und außerdem schwer verletzt. Erst als Matthias das Karosserieblech mit aller Kraft beiseitedrückte und der ältere Herr und ich den Verletzten unter den Achseln packten, konnten wir ihn schließlich aus dem Wagen ziehen. Behutsam trugen wir ihn dann zum Seitenstreifen.

Kaum lag der Mann dort in Sicherheit, ging sein Auto oder das, was noch davon übriggeblieben war, in Flammen auf. Die Benzinleitung war beim Unfall beschädigt worden, Kraftstoff war auf den heißen Motor getropft und hatte sich entzündet.

Als die Feuerwehr eintraf, brannte der BMW schon lichterloh.

Der Verunglückte war etwas jünger als wir, ein junger Mann von sechsunddreißig. Er hatte unter anderem Schnittverletzungen im Gesicht erlitten.

Am Samstag nach Weihnachten war er schon außer Lebensgefahr.

 

Hallo Murmeltier,

Deine Geschichte hat mir nicht so gut gefallen.
Das liegt vor allem daran, dass Du nur eine ganz kurze Sequenz erzählst, und diese auch noch so nüchtern, dass weder die Handlung noch die Charaktere mich erreichen. Mir kam Deine Geschichte mehr wie ein Fernsehbericht vor, sehr sachlich fast völlig emotionslos, vor allem der letzte Satz.
Ein bisschen mehr "Drumherum" würde der Geschichte sicherlich sehr gut tun!
Im Grunde genommen ist Deine Geschichte sehr dramatisch angelegt, um das aber auch rüberzubringen solltest Du gerade die Rettungsaktion viel detaillierter beschrieben. Vielleicht fährt das erste Auto vorbei? Auf jeden Fall sollte klar werden, wie das Auto verformt ist, welche Körperteile wo eingeklemmt sind und wie sie ihn schlussendlich doch noch rechtzeitig befreit bekommen.

Auch, dass alles "blitzschnell" geschieht, finde ich auffällig. Zwar versucht man, sich in einem solchen Fall zu beeilen, aber gerade ein älterer Mann wird es rein körperlich nicht mehr schaffen, sich blitzartig aus seinem Auto zu begeben.

Aufgefallen ist mir noch eine Wiederholung am Anfang:

Plötzlich geriet der Wagen vor uns ins Schleudern.
Dann passierte es: ein BMW-Kombi unmittelbar vor uns geriet ins Schleudern.
Die Doppelung ist überflüssig, da der Leser vermutlich ohne Probleme noch in Erinnerung hat, was drei Zeilen zuvor passiert ist.

Dass Autos so schnell explodieren, kommt zwar vor, ist aber eher selten. Leider kenne ich mich mit Motorblöcken nicht aus, aber ich frage mich doch, ob die Bezinleitung wirklich von oben in den Motor führt - andernfalls könnte das Benzin ja nicht auf ihn tropfen.

Liebe Grüße

chaosqueen

 

Hallo Murmeltier,

schade, dass der Text so nüchtern und behäbig wirkt. Du solltest das Erzähltempo erhöhen (die Absätze, jedes Mal ein Neubeginn, stören), die Anspannung körperlich wie emotional ausbauen.
Matthias muß vor Anspannung schwitzen, seine Muskeln sind bis zum Krampf angespannt, der ältere Herr ringt nach Luft und stammelt verzweifelt „schneller, schneller- als ob wir das nicht wüssten!“

Wenn die Benzinleitung am Vergaser abreißt, ist die Wahrscheinlichkeit da, dass Benzin auf den Motor tropft. Aber von dort aus den Tank entzünden…

LG,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo chaosqueen, Woltochinon und Jynx,

vielen Dank für die ausführliche Analyse meines Textes und für die vielen Anregungen.

Es ist in der Tat nur eine ganz kurze Sequenz, die so nüchtern wie ein Fernsehbericht klingt, was sicherlich nicht von Ungefähr kommt, da ihr ein Zeitungsartikel und der dazugehörige Polizeibericht zugrundeliegen. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass chaosqueen meine Geschichte „fast völlig emotionslos“ vorkam. Was den letzten Satz anbetrifft, habe ich mir wirklich lange überlegt, ob ich ihn (und noch einige Sätze davor) nicht besser weglassen sollte. Theoretisch könnte ich mit „Kaum lag der Mann dort in Sicherheit, ging sein Auto ... in Flammen auf“ den Text beenden. Alles weitere nimmt der Geschichte dann ja auch von ihrem Tempo (soweit das überhaupt vorhanden ist!). Stattdessen wäre an einigen anderen Stellen noch ein wenig „Drumherum“ wohl tatsächlich sehr sinnvoll.

Da die Geschichte auf einem Tatsachenbericht beruht, gibt es ja eine „natürliche Dramatik“, doch wahrscheinlich lässt sich das noch klarer herausmodellieren, wenn ich bestimmte Phasen (z. B. die Rettungsaktion) noch viel detaillierter und zugleich spannungsgeladener schildere.

Ich hatte auch meine Zweifel, als ich den älteren Herrn (im richtigen Leben immerhin 69 Jahre alt...) „blitzschnell“ aus seinem Wagen aussteigen ließ.

Die Doppelung am Anfang hatte ich mir als besonderen Effekt gedacht, aber überzeugt war ich nicht davon, zumal nur drei Zeilen zwischen diesen beiden Textstellen liegen.

Übrigens ist das Auto nicht explodiert, aber es ist laut Polizeibericht in der Tat in Flammen aufgegangen, und zwar genau so, wie ich es beschrieben habe.

Ja, ich gebe zu: ich habe eine große Schwäche für Absätze! Ich habe das immer als eine Möglichkeit von „ordnen“ empfunden, als ein Mittel, um mehr Übersichtlichkeit und Systematik in solch einem Text zu schaffen.

Aber es leuchtet mir ein, dass solch ein Absatz auch jedes Mal wie ein Neubeginn wirkt und damit das Erzähltempo immer wieder abbremst.

Die Anregungen für eine überzeugendere Figurengestaltung finde ich sehr hilfreich. Danke.

Im Gegensatz zu den Ansichten von chaosqueen und Woltochinon steht die Auffassung von Jynx, dass die Geschichte durch „weitausholende Beschreibungen“ an Schwung verlieren könnte. Wahrscheinlich schließt das eine aber das andere keineswegs aus. Das muss ich halt einfach mal ausprobieren, bin ja noch ganz am Anfang!...

Was ich aus all dem herausgelesen habe, läßt sich vielleicht folgendermaßen pointieren: weg vom nüchternen Berichtsstil, hin zu mehr Dramatik, ja, hin zu Hochdramatik, denn es ging und geht ja in der Tat um Leben und Tod!

Vielen Dank an chaosqueen, an Woltochinon und an Jynx für sehr konstruktive Anmerkungen!

Liebe Grüße

Murmeltier

 

Hi Murmeltier,
ich kann mich da Jynx nicht so ganz anschließen. Vielmehr finde ich sogar, dass es eine ganze Menge gibt, was man nicht nur ausbauen kann, sondern sogar muss. Man könnte vielleicht die Geschichte auch aufteilen. Nehmen wir z.B. mal die Reaktion am Anfang. Hier könnte der nüchterne Stil bleiben, da alle Handlungen aus dem Affekt heraus erfolgen. Aber als sie den Fahrer nicht herausbekommen, könnte sich der Erzählungstil verändern und die Ablauf würde sich verlangsamen. Aufkeimende Angst beim Verunglückten, Resignation beim Rettenden usw.
So hat mir deine Geschichte leider überhaupt nicht gefallen und die immerwiederkehrende Umgangssprache, wie „geriet völlig aus dem Häuschen“ hat diesen Eindruck nicht gerade besser gemacht. Schade eigentlich.

Grüße...
morti

 

Hallo Murmeltier,

ein Kriterium für Kurzgeschichten ist: Sie sind Fiktionen der Wirklichkeit- also keine Reportage oder Anekdote. Du kannst und sollst Deine Geschichte frei gestalten...

Viel Erfolg,

tschüß... Woltochinon

 

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