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Heiligabend 1997

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28.10.2017
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Heiligabend 1997

Sehe ich in den Spiegel, sehe ich meinen Vater wie er meine Mutter vergewaltigt. Sie trank. So schwer, dass, wie Vater oft sagte, sie nicht vorzeigbar war zu gesellschaftlichen Anlässen. Und so fuhren wir Heiligabend 1997 ohne meine Mutter zu den Eltern meines Vaters. Ich erinnere mich noch, dass ich auf der Rückfahrt dringend auf die Toilette musste, aber Vater hielt auf der Autobahn nicht an, und ich, endlich zuhause angekommen, lief durch den Flur mit den knarzenden Dielen zum Badezimmer, riss die Tür auf, ohne das Licht anzumachen, und legte mich auf die Fresse, als ich über etwas Weiches stolperte; und das Weiche war der leblose Körper meiner toten Mutter. Ich pisste mich ein, das Gesicht in ihrer angetrockneten Kotze. Wir hatten sie in diesem großen Haus allein zurückgelassen, und nachdem sie die Hausbar geleert hatte, hatte sie sich mit Badreinigern zu Tode gesoffen.

Ich googelte es viele Jahre später. Ihr Tod war ähnlich qualvoll, wie der, den ein Wesen erleidet, wenn es an Rattengift stirbt. Der eigentliche Grund ihres Todes war Traurigkeit. Und heute bin ich traurig, aber ich werde mich keiner Person nähern, um diese Traurigkeit weiterzugeben.

Ich werde allein leben. Allein sterben. Denn das ist besser so.

 

Hallo @Analog ,

da steckt Stoff für einen ganzen Roman in deinem kurzen Text. Aber ich mag das, dieses Eingedampfte auf eine kurze Erzählung und im Grunde meines Herzens fühle ich mich bei manchen Romanen enttäuscht, weil da so wenig drinsteht. Sicherlich verstehst du wie ich es meine und ganz besonders in Bezug auf deine Geschichte.
Aber gerade weil sie so kurz ist, ist es noch viel viel wichtiger, Unnötiges zu vermeiden und Nötiges stehen zu lassen und genau zu sein.
Ich finde, diese Art der Komprimierung verlangt ganz besonders, dass man jedes Wort auf die Waagschale legt und für wuchtig genug oder zu leicht befindet.
Das gelingt dir leider nicht ganz durchgängig.

. Wir hatten sie in diesem großen Haus allein zurückgelassen,
Das weiß der Leser bereits, denn er weiß ja, dass Vater und Kind allein wegfahren.
Vielleicht wäre es so etwas mehr auf den Punkt formuliert:

So allein in dem Haus hatte sie zunächst die Hausbar geleert und sich danach mit Badreinigern zu Tode gesoffen.
Oder noch eingedampfter: Sie hatte zunächst die Hausbar geleert und sich danach mit Badreinigern zu Tode gesoffen.

Ihr Tod war ähnlich qualvoll, wie der, den ein Wesen erleidet, wenn es an Rattengift stirbt.
Hier ist der Vergleich leider wertlos, denn kein Leser weiß, wie es ist, wenn man an Rattengift stirbt. Da muss etwas was wirklich beeindruckend Nachvollziehbares her, etwas, das mir als Leser ein wenig das Grausen bringt, denn ich stelle es mir wirklich schlimm vor, aber könnte jetzt nicht ansatzweise sagen, was passiert, wenn man Badreiniger oder Rattengift nimmt. Du kommst hier um ein wenig (oder auch mehr) Recherchearbeit nicht herum.
Der eigentliche Grund ihres Todes war Traurigkeit.
War es das wirklich? Ist Traurigkeit nicht eher die Folge eines Zustandes von z.B. Enttäuschung , Einsamkeit, Lieblosigkeit, unerfüllter Sehnsucht, erlittenen Verlusten?
Hier verliert dein Text, weil ich stutze und es zu ungenau finde.
um diese Traurigkeit weiterzugeben.
Da wäre dann folgerichtig auch hier die Traurigkeit mit dem zu ersetzen, was du vorher herausgefunden hast als exaktere Defininition ihres Zustandes.

Ach noch am Rande: ich pisste mir ein, klingt in meinen Ohren unangenehm, weil sie nach "mich" schreien. Bitte prüf das doch vorsichtshalber.

Lieben Gruß

lakita

 

Der Text hat schon ein paar Runden hinter sich. Ich stimme dir uneingeschränkt zu, dass in einem derartigen Stück jedes Wort auf die Waagschale gehört. Und sobald eines geändert wird, muss auch der Rest eingehend auf seine Wirkung geprüft werden. Ich schlaf mal eine Nacht drüber, oder zwei. Und meld mich dann noch mal ausführlich zu deinen Anmerkungen; schau dann, was und ob ich was ändere. Vielen lieben Dank & gute Nacht!

 

Aber ich mag das, dieses Eingedampfte auf eine kurze Erzählung

Ich auch. Strebe das auch in meinen Texten an. Lasse mich allerdings manchmal hinreißen. Bin dann blumig, bin leider gerne blumig.

im Grunde meines Herzens fühle ich mich bei manchen Romanen enttäuscht, weil da so wenig drinsteht.

Ich bevorzuge inzwischen Werke um die 200 Seiten. Schreibe daher auch selbst sowas. Es ist erstaunlich, wie viele großartige Werke mit unter 200 Seiten mehr Inhalt haben, als Mehrteiler mit vielen tausend Seiten.

Das gelingt dir leider nicht ganz durchgängig.

Ja. Selbst kürzeste Texte kriege ich nicht perfekt hin. Irgendwas stört mich immer. Habe irgendwann akzeptiert, dass der Weg das Ziel ist.

1.)

Das weiß der Leser bereits

Die Information des Alleinseins ist an der Stelle nicht meine Intention. Der Teil des Satzes ist rein rhetorischer Natur. Das große Haus. Allein im großen Haus. Einsamkeit. An Heiligabend. Die Mutter. Säuferin. Vom Vater misshandelt. Zurückgelassen. Dort, in diesem großen Haus.

Verstehst du, was ich meine? Geht das nicht auf?

Leg notfalls deine Schablone

So allein in dem Haus

an

Wir hatten sie in diesem großen Haus allein zurückgelassen

2.)

War es das wirklich?

Ich bin nicht sicher. Ist allerdings ein harter Angriff auf die Struktur und das Ende des Textes. Trotz Bemühung fällt es mir daher schwer, objektiv zu bleiben.

Ich versuche es trotzdem. Deine Beispiele – Enttäuschung, Einsamkeit, Lieblosigkeit, unerfüllte Sehnsucht, erlittene Verluste; wozu führen die, was machen die mit einem Menschen. Machen die ihn in Summe ...

zu einer traurigen Person?

Ist das zumindest möglich, oder sagen wir, wahrscheinlicher als abwegig?

3.) Ist von 2.) abhängig.

4.) Pisste mich ein. Analog zu saute mich ein. Ich ging der Hose auf die Schliche: Ich pisste mir in die Hose. Danke.

Gut. Hoffe, ich habe nichts übersehen. Komme gerade vom Holzmachen rein. War ein anstrengender Tag.

Alles Gute!

Analog

 

Hallo, Analog! Stoff für eine gute Story steckt da drin, ja, aber ist mir zu kurz geraten. Klingt für mich eher nach Gedanken, die zu schnell zu Papier gebracht worden sind. Flash Fiction, Micro Fiction, vielleicht, aber in deinem "Entwurf" so nenne ich es mal, weil er meiner Meinung nach einiges vertragen könnte, verliert sich das Potential.

Oder du machst das Ganze noch kürzer.

Heilig Abend 1997 hat sie sich tot gesoffen. Mit Badreiniger, nachdem die Hausbar geleert war. Konnte nicht anders. War 'ne nicht vorzeigbare Alkoholikerin, sagte mein Vater immer. Deshalb musste sie ja auch zu Hause bleiben an dem Tag. Wir kamen irgendwann zurück und ich musste dringend pinkeln, also bin ich direkt hoch gerannt. Vielleicht hätt ich das Licht anmachen sollen. Ihr Körper lag da und ich dann direkt neben ihr. Wir zusammen in ihrer Kotze. An dem Tag hab ich mich zum letzten Mal eingenässt.

So vielleicht, aber das is ja nur auf die Schnelle runter getippt. Also was ich denke zu meinen:

Mit dem Schluss anfangen und dann richtig kurz,

oder:

'ne heftige Story draus machen. Müssen keine 30.000 Wörter sein, aber 2000 gehn da schon, damit du wirklich in die Tiefe kommst, die mir hier etwas fehlt, obwohl ich den "deep" shit, der hinten dran steht fühlen kann.

Jahny

 
Zuletzt bearbeitet:

Oh, fettes Danke für deine Analyse!

Ja, hm ... du kannst das gerne einen Entwurf oder Micro Fiction nennen, aber das Ding ist halt trotzdem Flash Fiction. Definition passt schon. Kann ich jetzt nix dran ändern, und so. Bin ich auch nicht unglücklich drüber, ehrlich gesagt. Finde einige Texte hier in der Rubrik sowieso eher zu lang.

Mit dem Schluss anfangen und dann richtig kurz

Das ist schon der Schluss der Geschichte. Und auch irgendwie der traurige Anfang vom Ende einer anderen. Ne längere Story mache ich definitiv nicht draus. Wörter austauschen oder entfernen, ja. Aber keine neuen hinzufügen. Mir tun ehrlich gesagt schon zusätzliche Buchstaben weh.

Dass du den Abgrund hintendran trotzdem fühlen kannst, freut mich halt mal richtig. Freut mich bei jedem Leser von meinen Texten.

 

ahja, sorry, sehe grade, dass es auch in Flash Fiction gelandet ist, hatte das vorher nicht auf'm Schirm. Von daher, wenn es für dich keine Kurzgeschichte sein soll, sondern genau in dem Format, gut. Bin trotzdem der Meinung, dass ich das lesen würde, wenn es umfangreicher wäre.

 

Hast was, auf das ich ma schaun soll? Hatte eben schon geguckt, nix gefunden. PM sonst. Danke.

Wird aber hässlich, so du Pech hast. Wenn das Negative überwiegt, dann gefällt mir ein Text nicht und das sage ich dann auch ziemlich deutlich. Das letzte Ding, 250 Seiten, das ich durchgegangen bin, war von vornherein unfertig. War nur leider mein Vater, der das Ding geschrieben hat, und der konnte und wollte es auch nicht besser. Hat mich vorher sogar gefragt, ob ich ihm das nicht schreiben kann. Fand ich, gelinde gesagt, wenig gut. Fiel mir bei dieser Sache schwer, durchweg ehrlich zu ihm zu sein. Hätte den Text viele Male wirklich gerne hingeworfen. Hab das durchgezogen, und mir geschworen, in Bezug auf sowas nie wieder zu lügen. Muss mich aber manchmal in meiner Wortwahl ein wenig zügeln, so auch in diesem Beitrag, den ich hiermit editiere.

 

Danke für den Vorschlag. Sehe das Forum als Lektor mit multipler Persönlichkeitsstörung. (Und das meine ich im positiven Sinne).

Haue nur Texte rein, von denen ich denke, dass sie lesenswert sind (nachdem sie gut in der Schublade Staub angesetzt haben und mehrfach überarbeitet worden sind) um dann viele verschiedene Meinungen von anderen zu bekommen, wo noch Fehler stecken, die ich als Autor eventuell gar nicht sehe.
Wenn dann mal was drin ist, nehm ich mir die Kommentare und überarbeite. Gibt hier viele Autoren von denen ich was lernen kann, das berücksichtige ich extrem, will aber im Endeffekt meine Stories in nem Magazin unterbringen, vorzugsweise print, daher wird sie, wenn nicht anders vom Publisher ausgeschrieben, gelöscht. (Bis jetzt der Fall gewesen)

Warte derzeit noch auf 'ne Rückmeldung, da war ich zu voreilig und hab die Überarbeitung selbst übernommen, statt die Hilfe von unserer Community anzunehmen. Aber bei 'ner Ablehnung wird die Kurzgeschichte bestimmt hier erscheinen, dann merk ich auch direkt, was eventuell dem Magazin an meiner Story gefehlt hat und ich kann das ganze Ding überarbeiten. ;)

Freue mich dann trotzdem von dir zu lesen, auch wenn du mit der Keule drauf haust.

Jahny

 

will aber im Endeffekt meine Stories in nem Magazin unterbringen, vorzugsweise print, daher wird sie, wenn nicht anders vom Publisher ausgeschrieben, gelöscht.

Nachvollziehbar.

Freue mich dann trotzdem von dir zu lesen, auch wenn du mit der Keule drauf haust.

Ne, mit der Keule eher nicht, will ja nix kaputtmachen. Eher so CNC-Fräse. Angebot steht jedenfalls. Bis dann!

 

Sehe ich in den Spiegel, sehe ich meinen Vater wie er meine Mutter vergewaltigt.

Moin,

ist so ein Gordon Lish Satz, der ballert rein, aber was genau steht da? Er sieht in den Spiegel, sieht sich ja selbst, symbolisch aber, wie sein Vater seine Mutter vergewaltigt hat, weil er das Ergebnis davon ist? Wie ist dieser Satz genau zu verstehen? Der soll irgendwie provozieren, aber man muss ihn schnell lesen, sonst zerbröselt er doch recht schnell, oder?

Sie trank.
Hier ist der Text doch im Grunde vorbei. Ich assoziiere: Kurzer Text, Vater, Mutter, Vergewaltigung, sie trinkt = böses Ende.

Und so fuhren wir Heiligabend 1997 ohne meine Mutter zu den Eltern meines Vaters.
So würde ich anfangen. Nichts verraten.

Ich erinnere mich noch, dass ich auf der Rückfahrt dringend auf die Toilette musste, aber Vater hielt auf der Autobahn nicht an, und ich, endlich zuhause angekommen, lief durch den Flur mit den knarzenden Dielen zum Badezimmer, riss die Tür auf, ohne das Licht anzumachen, und legte mich auf die Fresse, als ich über etwas Weiches stolperte; und das Weiche war der leblose Körper meiner toten Mutter.
Ich würde das erinnern hier rausnehmen. Auf die Kürze ist es klar, das GANZE ist eine Erinnerung. Und dann: ein langer, sehr langer Satz, der kompliziert klingt. Lies den mal laut vor, der fällt klanglich auseinander. Da fehlt die Zeit für Pausen. Kompaktere, kürzere Einheiten würde ich empfehlen. Lieber auskosten, den Moment.

Informationen, die man im Grunde nicht braucht: Flur, knarzende Dielen. Eher das Gefühl intensivieren, wie er ständig einhalten muss und an nichts anderes merkt denkt. Auch an die Plausibilität denken.

Auf die Fresse legen. Weiß nicht. Klingt etwas aufgesetzt. So lakonisch. So nebensächlich. Bißchen wie Bukowski, aber das gibt es eben schon. Hast du nicht nötig.

Er stolpert auch nicht über etwas Weiches, sondern er fällt, oder? Er legt sich ja richtig hin. Ich würde auch die Erklärung rausnehmen, dass das Weiche seine Mutter ist. Wird im nächsten Satz ja klar, wo du erzählst, was sie getan hat.

Dann hier:

Ich googelte es viele Jahre später. Ihr Tod war ähnlich qualvoll, wie der, den ein Wesen erleidet, wenn es an Rattengift stirbt. Der eigentliche Grund ihres Todes war Traurigkeit. Und heute bin ich traurig, aber ich werde mich keiner Person nähern, um diese Traurigkeit weiterzugeben. Ich werde allein leben. Allein sterben. Denn das ist besser so.

Warum ist das wichtig, wie qualvoll ihr Tod war? Das weiß man doch auch so. Und dann so als Begründung noch nachschieben: der eigentliche Grund war die Traurigkeit. Was war denn der vorgeschobene Grund? Da passt etwas nicht zusammen. Da fehlt etwas. Am Ende wirkt es dann fast etwas wie so das Ende einer Fabel: Ich sterbe alleine, weil is besser so. Nein, weiß er ja meint ist doch, er will nicht, dass jemand ihn so findet, wie er seine Mutter gefunden hat, oder? Dann müsste er sagen, er geht zum sterben in den Urwald, wo ihn die Löwen dann fressen oder was weiß ich nicht. Finden wird ihn ja auf jeden Fall jemand. Da fehlt es an Konsequenz.

Mir fehlt da ein Gegengewicht. Ein kurzer Moment der Zärtlichkeit, ein Beweis für die Fallhöhe, ein Angebot zur Empathie. So wirkt es auf mich wie ein etwas auf Krawall und Effekt gebürsteter Text, der nicht so richtig weiß, wo er hin soll.

Gruss, Jimmy

 

Unangenehm, noch keine Antwort abgesetzt zu haben, Jimmy. Ich komm beim besten Willen nicht dazu. Die Letzten Tage einfach zu viel losgewesen. Ne Restauranteröffnung über 3 Tage (nicht meins, hab nur geschuftet, und gefressen), Wald und Partys, meine Antwort an dich zwar vorgestern schon begonnen, aber die zurückgehalten, weil besser, heute dann mein Geburtstag, hab auch schon getrunken, ja, alles Ausreden, aber will das Forum nicht angesoffen vollnöhlen. Versuche das zu vermeiden.

Melde mich angemessen, hab mich sehr gefreut.

 

Und so fuhren wir Heiligabend 1997 ohne meine Mutter zu den Eltern meines Vaters. Ich erinnere mich noch, dass ich auf der Rückfahrt dringend auf die Toilette musste, aber Vater hielt auf der Autobahn nicht an, und ich, endlich zuhause angekommen, lief durch den Flur mit den knarzenden Dielen zum Badezimmer, riss die Tür auf, ohne das Licht anzumachen, und fiel über den leblosen Körper meiner toten Mutter. Ich pisste mich ein, das Gesicht in ihrer angetrockneten Kotze. Wir hatten sie in diesem großen Haus allein zurückgelassen, und nachdem sie die Hausbar geleert hatte, hatte sie sich mit Badreinigern zu Tode gesoffen.

Ein Ende dafür habe ich noch nicht, @jimmysalaryman. Aber so könnte ich es mir bis dahin vorstellen. Geht aber viel verloren. An Informationen so. Die in seinen Worten mitschwingende Abscheu vor sich selbst, jeden Tag aufs Neue, wenn er seinem Vater in die Augen schaut. Der ein Vergewaltiger war. Seine Mutter vergewaltigte. Was meines Erachtens zu großen Teilen der Grund für Traurigkeit, Alkoholismus und in Konsequenz auch Tod der Mutter ist. Dann der Hohn, obwohl selbst die Ursache dafür, auf Familienfeiern, Weihnachten, Geburtstagen, Hochzeiten; vor Verwandten, Freunden, Fremden, KINDERN, und so weiter ... die unfassbare Frechheit, abfällig vor all diesen Leuten über die eigene Frau zu sprechen, obwohl selbst für ihren Zustand mit- oder ganz schuldig. Diese Selbstverständlichkeit wie er das tut. Diese Empathielosigkeit, die sich ja auch darin zeigt, dass er den Sohn lieber ins Auto pissen lassen würde, als an einer Raststätte anzuhalten. Ich finde, das spricht Bände.

Mir fehlt da ein Gegengewicht. Ein kurzer Moment der Zärtlichkeit, ein Beweis für die Fallhöhe, ein Angebot zur Empathie.

Das wäre dann das neue Ende. Das ich durchaus erwäge, zu schreiben.

Eher das Gefühl intensivieren, wie er ständig einhalten muss und an nichts anderes merkt denkt.

Nicht in diesem Text.

Auch an die Plausibilität denken.

Wie meinst du das?

Nein, weiß er ja meint ist doch, er will nicht, dass jemand ihn so findet, wie er seine Mutter gefunden hat, oder?

Oh! Überhaupt nicht. Hm. Mir fällt gerade wieder auf: Ich mag es nicht, meine Texte, meine Intention dahinter, zu erklären. Ausdefiniert habe ich den von dir genannten Aspekt zwischen den Zeilen allerdings auch nicht. Deshalb wohl diese Interpretation, mit der ich nicht gerechnet habe. Die Figur hat keine Angst, so gefunden zu werden. Gefunden wird man ja eh meist irgendwie. Er hat eher Angst vor sich selbst, vor dem Mann im Spiegel, oder den Assoziationen, den Erinnerungen und Gefühlen, die er da beim Blick hinein hat. Er sieht sich nicht als Teil einer Familie, wie sie sein Vater gegründet hat, will sich nicht so sehen, hat Angst davor, dem Angleichnis, der Wiederholung. Vielleicht ein bisschen so wie ein Erwachsener, der keine Schokolade anrührt, weil er sich dieses eine Mal als Kind damit so stark überfressen hat, dass ihm im Krankenhaus der Magen ausgepumpt werden musste.

Er sieht in den Spiegel, sieht sich ja selbst, symbolisch aber, wie sein Vater seine Mutter vergewaltigt hat, weil er das Ergebnis davon ist? Wie ist dieser Satz genau zu verstehen?

Weniger Ergebnis. Eher eine gefühlte Inkarnation des Vaters. Die Erinnerung an das, was sein Vater war. Vermeintliche Gemeinsamkeiten. Vielleicht auch nur Phantomgemeinsamkeiten, die er verstecken, oder vorsorglich ersticken, möchte, obwohl sie gar nicht existieren. Der Blick in den Spiegel macht halt was mit ihm. Selbstekel vielleicht. Eine Art Selbsthass. Selbstfurcht. Furcht. Macht ihn selbstisoliert und so, weil besser, denn so kann er niemandem schaden.

Informationen, die man im Grunde nicht braucht: Flur, knarzende Dielen.

Ich finde deine Texte richtig, richtig gut, aber mir fehlt manchmal das, was du aus Texten wie meinen rausschneiden würdest. Du bist Die Straße, ein durchweg grandioser Text, aber da ging es mir ähnlich. Hat mich stark beeinflusst, das Buch, hab was eigenes draus gemacht. Kennst ja inzwischen, muss man nicht hier besprechen. Weißt du, was ich meine? Ich geh diesen Stil mit, bieg aber hier und da ab und werd blumig.

Lasse demnächst meinen Senf zu deinen Sudern da. Wurde ja schon viel zu gesagt. Ich warte daher ab, bis du das Ding überarbeitet hast. Klitzekleine Anmerkung vorab: Dein zweiter Satz ist genau die Zündung, die dein Text braucht. Ganz ohne Kontrast, ohne Dämpfer. Ich würde daher den ersten Satz streichen und aus dem ersten Absatz einen Satz machen.

Das klingt irgendwie bizarr, die Kombi.

Ich mach nächstes Mal ne Bizarro-Triggerwarnung rein!

--

Puh... beim lesen dieses Satzes (insbesondere mehrfach), habe ich mir schon die Frage gestellt, ob es keine Möglichkeit gäbe, diesen Kommata-Überfluss irgendwie zu entzerren.

Definitiv gibt es die, @SvanteDerSkalde, da hast du recht. Dein Vorredner hat den Teil auch schon moniert. Ich denke, ihr habt beide recht. Ich mag solche Satzkonstrukte einfach sehr, besonders zwischen vielen kurzen Sätzen. Schwäche von mir. Habe den Teil etwas entschärft, etwas gestrafft, siehe oben in diesem Beitrag.

Ansonsten kann ich dir gar nicht so viel antworten. Da war ja fast nur ... überschwängliches Lob. Bah! Ne, im Ernst. Danke; jede ehrliche Lesermeinung ist Gold, egal wie die ausfällt. Wenn du was raushaust, schau ich gern rüber. Hoffentlich hast du mich dann hinterher auch noch gern! Weiß ja nicht, ob du nur neu hier im Forum bist, oder auch neu schreibst. Weil das ist wie Stricken. Man selber ist natürlich verdammt stolz auf die ersten Pullover, aber die halten leider nicht so schön warm und sehen zudem noch scheiße aus. Liegt in der Natur der Sache.

Ich muss vielleicht mal einen Disclaimer in mein Profil setzen, der vermittelt, dass ich den Leuten nix Böses will, wenn ich mich zu einem Text ausschließlich negativ äußere.

 

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