Hehlerware Romantik
von M. Glass
Klassische Erkenntnis eines deutschen Jugendlichen: Zu einer romantischen Nacht gehören nicht nur kuschelige Plastikherzen oder euphorisierende Duftkerzen, sondern auch fundiertes Wissen in Aufklärung.
Also mache ich mich mit der Frage, wie es denn mit der romantischen Potenz unserer Gesellschaft steht, auf den Weg. Von einem überdurchschnittlichen Ottonormalverbraucher, der sich keineswegs klassisch zu kleiden weiß, möchte ich wissen, wie aufgeklärt er denn sei. Kurz weicht der kühle Blick von Coolness einer schamhaften Rötung, doch dann erwidert er mir, dass er durchaus informiert sei und wörtlich so eigentlich alles wisse.
Erstaunt und ein wenig neidisch muss ich ihm gestehen, wie sehr er mir schon voraus sei. Die Vorraussetzungen für einen romantischen Abend sind bei diesem halbwüchsigen Knaben folglich gegeben. Um des Pudels Kern jedoch zu enthüllen, frage ich an, wie es mit der Romantik aussehe, wo er doch so gut mit der Aufklärung vertraut sei. Er belächelt meine Frage und antwortet mir, dass Romantik schwul sei.
Für mich steht fest: Dieser unscheinbare Famulus, der den Begriff der Romantik derart versteht, die schwüle, ja nebulöse, geheimnisvolle Ader der Epoche erkennt und zudem noch ein Experte im Bereich der Aufklärung ist, sitzt zurecht Montag 9 Uhr morgens mit mir im Café.
Schließlich konfrontiere ich ihn noch mit der Frage, was er eigentlich von der Klassik halte. Seine Einstellung gegenüber ihr ist kurz und bündig: Nichts. Ob er so aussehe als ob, protestiert er und verweist auf seine Kleidung. Ich entgegne ihm, dass seine Kleidung durchaus hip sei, sie jedoch überaus hässlich auf mich wirke und ob er denn Faust kenne.
Daraufhin bekam ich eben diese zu spüren.
Leider musste ich als Literaturliebhaber feststellen, dass die Jugend den Begriff der Klassik völlig falsch interpretiert. Doch umso mehr erfreut es mich, dass sich die Jugend heute wie vor 300 Jahren immer noch für Romantik und Aufklärung begeistern kann.