Heaven‘s Full
Wie sehr mich doch die ganzen Schnösel der Oberschicht ankotzten, stellte ich auf dem fünfzigsten Geburtstag meiner Tante fest. Die viel zu selbstgefällige Art, mit der sie, ihr Mann und deren Kinder durch das Leben stolzierten und sich für etwas Besseres hielten, ließ mich aufstoßen. Zugegeben, es lag wohl eher am Jack Daniels, den ich schon seit zwölf Uhr mittags in mich hinein kippte, um das ganze Theater ertragen zu können, dennoch hatte ich das unendliche Verlangen, diesen egoistischen Arschlöchern meine Meinung über ihr beschissen, langweiliges Leben zu sagen und das nicht auf die höfliche Art. Allein schon an der Feier merkte man , wie arrogant sie waren, vom riesigen Festsaal bis hin ins kleinste Detail, der Deko, welche eine kleine Gravur aufwies, dass man bloß am richtigen Platz saß. Ich war wie immer, das schwarze Schaf der Familie, meine Eltern waren getrennt, und mein Vater, der jüngere Bruder meiner Tante, lebte schon seit Jahren in der Schweiz und ließ sich nur ein bis zwei Mal im Jahr bei mir blicken. Für meine Verwandtschaft war ich der Versager, der kein Abitur hatte und angeblich den ganzen Tag bekifft da lag und trank, nur weil sie sich nicht für andere interessierten. Das hätte mir auch gerade noch gefehlt, dass die geldgierige Meute, welche ich Familie schimpfen musste, Interesse mir gegenüber aufbrachte. Nein, ich war froh, dass alles so blieb, mein Leben würden sie mir nicht nehmen und in ihrer richterlichen Korruption tränken. Das Einzige, was weiter getränkt wurde, war meine Kehle, im süßlichen Geschmack von Whisky. Langsam lief ich durch den Saal, sah mich um, während alle hie und dort ihre Grüppchen bildeten, aß ich ein Stück vom Buffet und trank ein weiteres Glas. Ganz Afrika hätte man mit diesem Fraß ernähren können, hier landete die Hälfte schlichtweg wieder auf dem Müll und kein Schwein kümmerte es. Nicht nur mein Alkoholpegel stieg stetig, einem der Gäste gelang es mich mit einem unschönen Spruch mir gegenüber, als ich ihm den Whisky vom Tablett eines Kellners schnappte, zu verärgern, was den lodernden Hass in meinen Gefühlen weiter an die Oberfläche zu drängen versuchte. Um das Feuer zu unterdrücken wollte ich vor die Tür, eine rauchen, als jedoch meine Cousine Franziska, mit ihrem stolzen Grinsen auf mich zu kam, musste ich mich umdrehen, stieß dabei aber eine der hinter mir stehenden Kellnerinnen an und verschüttete vier volle Sektgläser, die kurz nachdem sie sich über ihrer Bluse verteilt hatten, auf den Boden fielen und mit klirrendem Lärm zerbrachen. Zu meinem Glück spielte in diesem Moment die Musik so laut, dass nur wenige der Anwesenden, Augenzeugen des Spektakels wurden, dennoch musste ich mich wieder vor meiner Cousine rechtfertigen und ihr damit die Genugtuung geben, was für ein „Trottel“ ich in ihren Augen war. Erst jetzt bemerkte ich, wie hübsch doch die Kellnerin war, deren Würde ich mit in den Dreck zog, meine Cousine blamierte nämlich nicht nur mich, sondern auch die Dame und gewissermaßen auch sich selbst, aber so hatte man es nicht anders von Franziska erwartet.
„Komm mal wieder runter, so was kann doch passieren“
entgegnete ich ihr in einem aggressiven Ton, ohne große Wirkung zu erzielen. Sie war in ihrem Element der Vergeltung, und damit nicht mehr aufzuhalten. Ich war ihre beleidigende und rücksichtslose Natur auf andere lange gewohnt, die Kellnerin leider, die immer noch fassungslos und peinlich Berührt vom Chaos daneben stand, nicht.
„Sie machen jetzt erst mal Feierabend, gehen sich etwas Normales anziehen und kommen dann wieder her, ich regele das hier“
sagte ich ihr, während ich das Gemotze meiner Cousine links liegen ließ. Noch bevor sie irgendeine Art von Widerworten geben konnte, kam ich ihr lächelnd zuvor, mit der Frage:
„Oder wollen sie hier wirklich mit meiner Cousine weiter diskutieren?“
Sie verschwand rasch, dennoch mit einem kleinen Schmunzeln, obwohl ich eigentlich das verdammte Arschloch war, das sie erst in die Situation gebracht hatte. Franziska war das natürlich nicht recht, sie gehen zu lassen ohne, wie ihr Vater immer so schön sagte, „einen ordentlichen Anschiss zu verpassen“, aber ich war kein Choleriker, der nur ans Rumschreien dachte, ich wollte mich nur weiter betrinken. Unser kleiner Streit weckte seine Aufmerksamkeit zu schnell, um mich rechtzeitig aus dem Staub zu machen und plötzlich stand ich da, gegen zwei von der Sorte. Ich hatte keine Lust mehr, mich zu wehren und ließ die Anschuldigungen, ein verkorkster Loser zu sein, ohne weiteres über mich hingehen. Selbst wenn man wollte, war man gar nicht in der Lage, ihm zu antworten, seine laute Stimme übertönte alles andere, fast sogar die Musik und zu Wort ließ er mich eh nicht, in seinem unbeherrschten Rausch der Explosivität. Während seine Anschuldigungen ein übliches Maß an Überheblichkeit annahmen, versuchte ich gar nicht mehr hin zu hören und begann mich im Saal umzuschauen. Die meisten Gäste starrten verwundert hinüber, wie ich denn so ruhig bleiben konnte. Eines hatte ich durch ihn jahrelang gelernt, einen Choleriker sollte man so gut es geht missachten, denn die einzige Waffe, die er hat, sind seine Worte, mit denen er dich verunsichern will. Noch bevor die Lage eskalieren konnte, bemerkte ich die Kellnerin, die ebenfalls zu mir hinüber schaute, also beendete ich das Gespräch, indem ich ein volles Glas Whisky, welches neben mir auf dem Tisch stand, leer trank, ihm in die Hand drückte und zu ihr hinüber ging. Nie zuvor hatte ich meinen Onkel im kalten Regen seiner selbst stehen lassen, auch wenn ich sein Gesicht nicht mehr sah, wusste ich, Verwunderung vor zu finden. Auf den knapp zehn Schritten zu ihr überlegte ich, wie ich das Ganze wieder gut machen konnte, als ich dann vor ihr stand und ihr in die braunen Augen blickte, war mein grinsendes Mundwerk schon in vollem Gange:
„Ich muss mich für mein Missgeschick bei ihnen entschuldigen, für das banale und minderbemittelte Verhalten meiner Verwandtschaft würde ich es gerne, kann es aber nicht, ich würde sie also gerne auf einen Drink einladen, natürlich auf die Rechnung meines Onkels.“
Wiederum war in ihrem schönen symmetrischen Gesicht ein Schmunzeln zu sehen, das jetzt durch ihr offenes, schulterlanges, blondes Haar besonders betont wurde.
Wir setzten uns an einen Tisch, weiter weg vom Geschehen und unterhielten uns über den Vorfall, der bald vergessen und stattdessen, nur noch ein Lächeln auf ihren Lippen war. Nach ein paar Gläsern Wein, wollten wir den Blicken der Gäste, die uns fort laufend anstarrten, nicht weiter ausgesetzt sein, also lud ich sie in eine Bar ein, die ich früher oft besuchte. Wir hatten ein paar lustige Themen im betrunkenen Zustand, die Worte, die mir wohl für immer im Kopf bleiben, waren aber Folgende: „Wir kommen alle in die Hölle, der Himmel ist schon lange überfüllt mit Arschlöchern.“
Als ich aufwachte, hatte ich keine Möglichkeit mehr, sie nach ihrem Namen oder ihrer Nummer zu fragen, sie war schon weg, neben mir lag nur ein Zettel mit der Aufschrift „Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.“ Sie war mit Abstand das interessanteste Mädchen, das mir je begegnet ist.